Vorwort
Dieses Buch hat ein Team von drei amerikanischen Autoren verfaßt. Sie gelten als ausgezeichnete Kenner der deutschen Automobilgeschichte und haben als Nicht-Deutsche ihren bundesrepublikanischen Kollegen eines voraus: Es gibt für sie keine Probleme einer gewissen Vergangenheitsbewältigung. Denn die Entstehungsgeschichte des Volkswagens, die hier nicht nur als eine reine Modell-Typologie verstanden werden soll, wurde schließlich sehr nachhaltig von der nationalsozialistischen Ideologie mitgeprägt. Die Tatsachen und Zusammenhänge der VW-Entwicklung wertfrei und objektiv darzustellen, ohne (wenn auch nur vermeintlichen) Ballast chauvinistischer oder sonstiger Art, Dinge bei ihrem Namen zu nennen, die man bei uns immer sehr vorsichtig zu umschreiben pflegte, längst patinierte Denkmäler in Frage zu stellen – das hätte einheimischen Autoren Verdruß eingebracht. Verdruß, der schon im Thema einprogrammiert sein mußte.
Aber die Beschäftigung mit dem Käfer-Phänomen war für Griffith Borgeson, Terry Shuler und Jerry Sloniger nicht etwa eine zeitgeschichtliche Pflichtübung, weil es vielleicht einfach in ihr Aufgabenheft gehört, sich nach einer Vielzahl anderer Automobilthemen nun auch des Volkswagens anzunehmen. Alle drei Autoren haben nämlich eine sehr enge Beziehung zum Volkswagen Käfer. Borgeson mit seinem internationalen Renommée als akribischer Rechercheur der Automobilgeschichte hat sich mit der europäischen, besonders der deutschen Entwicklung seit mehr als zwanzig Jahren befaßt. Und gerade für seine Arbeiten in bezug auf die VW-Geschichte erhielt er die höchste Auszeichnung, die einem Automobilhistoriker zuerkannt werden kann: die Cugnot Award. Terry Shuler ist Spezialist in Sachen VW-Geschichte beim Vintage Volkswagen Club of America – und Käfersammler. Für 150 Dollar erwarb er 1969 einen VW mit kleiner Heckscheibe, annonciert in einer Pittsburgher Tageszeitung. Diesem Wagen folgte alsbald ein Split Window – ein Modell mit geteilter Heckscheibe. Auf ein Inserat, das ihm bei der Suche nach einem solchen Fahrzeug helfen sollte, meldeten sich zwei Anbieter. Der eine wollte einen 1949er, der andere einen 1952er VW verkaufen. »2000 Dollar sollte der Wagen von 1949 kosten«, erzählt Terry Shuler, »das war mir aber entschieden zu viel Geld. Ich nahm den jüngeren, der für 500 zu haben war.« Das war der Grundstock zu einer Käfersammlung, die noch wachsen sollte. »Eines Tages erfuhr ich etwas von einem Viertürer mit geteilter Heckscheibe und Schiebedach. Davon hatte ich noch nie gehört. Natürlich mußte ich dieses Auto haben!« Es stellte sich heraus, daß dieser Viertürer eines jener wenigen Fahrzeuge war, die von der Berliner Karosseriefirma Rometsch zu Taxis umgebaut worden waren. »Der Wagen war ein Wrack, gänzlich ausgeplündert und ringsum stark beschädigt. Ich konnte den Preis von 1800 auf 600 Dollar herunterhandeln und schleppte das Auto nachhause.«
Eine Totalrestaurierung hätte ein Vermögen gekostet – und Terry ließ sich in dieses Abenteuer dann auch gar nicht erst ein. Denn kaum hatte er den Rometsch-Viertürer in seiner Garage, meldete sich ein Interessent aus Belgien, der so scharf auf das Wrack war, daß er Terry im Tausch vier Split Windows anbot! Man einigte sich schließlich auf zwei der Baujahre 1949 und 1950, die im Tausch gegen das Berliner Taxi über den Atlantik geschickt wurden.
1976 wurde der Vintage Volkswagen Club of America gegründet, und Terry Shuler wurde zum Sektions-Chef der amerikanischen Ostküste gewählt. Er gab eine Clubzeitschrift heraus und nahm mit anderen VW-Clubs Verbindung auf, in erster Linie in Deutschland. »Und dort entdeckte ich den Fund meines Lebens. Es war auf einem VW-Käfer-Treffen in Camberg, organisiert von dem bekannten Uralt-Käfersammler Willi Lottermann. Ich erfuhr, daß jemand einen 1941er KdF-Wagen zu verkaufen hatte. Den durfte ich mir nicht entgehen lassen!« Terry erwarb dieses Auto für 3000 Dollar und machte sich sofort an die Ahnenforschung. Dabei stellte sich heraus, daß dieser Wagen 1943, nicht 1941 gebaut worden war, aber immerhin handelte es sich um den ältesten Käfer, den jemand in den USA besaß. Es war das genau 635. Exemplar seiner Spezies.
Terry Shulers Begeisterung für den Käfer teilt er mit einigen Hunderttausend Landsleuten. Der Volkswagen aus Germany wurde zu einem der beliebtesten Wagen in Amerika – und natürlich nicht nur dort. Der Produktions-Weltmeister aller Klassen hat seine überzeugten Anhänger auch heute noch in allen Erdteilen. Jemand, der das wissen muß, ist auch Jerry Sloniger, seit Jahrzehnten in der Automuseumsstadt Sinsheim ansässiger Motorjournalist und Autor zahlreicher Bücher – auch und gerade zum Thema Volkswagen. Sloniger kennt sich in der deutschen Automobilgeschichte ebenso gut aus wie im Tagesgeschehen; als offizieller Korrespondent für eine Reihe überseeischer Fachblätter berichtet er aus der aktuellen Szene der Automobilbranche Deutschlands. Er war es, der erst kürzlich wieder den Kontakt zu Major Hirst herstellte. Ivan Hirst hatte im Auftrag der britischen Besatzungsbehörden 1945 die Zeichen für einen neuen Anfang im VW-Werk gesetzt. Den Namen Wolfsburg suchte man damals übrigens noch vergeblich auf der Landkarte.
Über 20 Millionen Käfer wurden in der Bundesrepublik produziert, und fast ein Viertel davon ging in die USA. Manchmal wurden annähernd 10 000 pro Monat über den Atlantik verschifft (aber der Käfer wurde nie in den USA produziert – im Gegensatz zu einer Reihe von Ländern, in denen eine VW-Fertigung aufgenommen wurde). Was machte den Riesenerfolg dieses kleinen, verhältnismäßig unscheinbaren Autos aus? Sein – anfänglich – so günstiger Anschaffungspreis? Die anerkanntermaßen hohe Qualität und Langlebigkeit? Oder das Understatement, das der Käfer ausstrahlte und das auf dem anderen Ende der Skala schon wieder zum Snob-Appeal wurde? Oder gab es so etwas wie eine VW-Psychose, der man erlag? Am Volkswagen kam in den fünfziger, sechziger Jahren keiner vorbei. War der Käfer eine nationale Ersatz-Identität (so, wie jeder Fiat ein Stück Italien, jeder 2 CV ein Stück Frankreich verkörpert)?
Einen ganz erheblichen Anteil an der Popularität des Käfers hatte auch eine exzellente Werbung, wie sie Könner ihrer Branche für VW praktizierten. In der Frühzeit waren es Grafiker wie Reuters, die überhaupt erst die Verwandtschaft des Volkswagens zu einem Krabbeltier verdeutlichten – ungewollt natürlich, aber kaum eine Illustration machte den Wagen käferähnlicher als eine Darstellung Reuters’ in einem 1951er VW-Katalog. Diese Werbemittel gehören zu den schönsten und wirkungsvollsten, die in den frühen fünfziger Jahren gestaltet wurden. Dann waren es die großformatigen Inserate mit den immer wieder verblüffenden Aussagen über den Käfer, mit Formulierungen, die einem manchmal auf der Zunge zergingen – sie schufen eine Art Automobil-Philosophie, die selbst Käfer-Verächter überzeugen mußte. VW-Anzeigen avancierten zum Tagesgespräch bei der Konkurrenz...
Das »Millionending« aus Wolfsburg hat inzwischen seinen Alltags-Gebrauchsstatus gewandelt. Der Allzweckwagen, der einfach fuhr und fuhr und fuhr, um dessen Pflege man sich nicht weiter kümmerte, der bei tiefsten Minustemperaturen ebenso klaglos ansprang und seinen Dienst verrichtete wie bei extrem tropischen Verhältnissen, dieses Zweckmobil aus anonymer Großserienfertigung ist inzwischen zu einem Liebhaberobjekt geworden. Es gibt nur ganz wenige Parallelbeispiele der Automobilgeschichte, bei denen sich dies in gleicher Weise vollzog: gestern noch Alltagswagen, heute schon Sammlerstück. Meist liegt eine längere Zeitspanne dazwischen, in welcher ein Automobil zu einem »Oldtimer« heranzureifen Muße hat. Vielleicht ist es kein Zufall, daß eigentlich nur jenes Auto, dem der Käfer den Produktions-Weltrekord abrang, eine gleiche Karriere aufzuweisen hat: das vom 1. Oktober 1908 bis zum 30. Mai 1927 gebaute T-Modell aus dem Hause Ford. Auch die »Tin Lizzie« erlebte einen fast nahtlosen Übergang vom Nutzgegenstand auf vier Rädern, zuguterletzt hoffnungslos veraltet im Vergleich zu sämtlichen Konkurrenzmodellen, zum Sammlerstück. Kaum war dieses Relikt aus der Frühzeit der Motorisierung endlich von den Bändern genommen worden, begann seine Karriere als Liebhaberauto. Die allerersten Tin Lizzies waren natürlich schon als Raritäten gesucht, als von einem Produktionsende noch gar nicht die Rede war. Auch hierin gleichen sich Lebensläufe von VW Käfer und T-Modell.
Zum Thema Volkswagen wurden in den letzten Jahren etliche ausgezeichnete Bücher publiziert. Die meisten von ihnen sind völlig anders als dieses – sie sind den technischen Belangen gewidmet, den konstruktiven Besonderheiten des Käfers. So will auch das vor Ihnen liegende Buch keinen Typenkatalog darstellen oder etwa eine Restaurierungsanleitung für Oldtimer-Liebhaber. Borgeson, Shuler und Sloniger unternahmen vielmehr den Versuch, ein Stück Zeitgeschichte zu recherchieren, das seine...