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E-Book

Vom Abakus zum Internet

Die Geschichte der Informatik

AutorFriedrich Naumann
VerlagE-Sights Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl275 Seiten
ISBN9783945189429
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Geschichte der Informatik hat sich - zunächst noch bescheiden als eine klassische 'Rechentechnik' - über nur wenige Jahrhunderte 'dahingeschleppt' und erst mit der Erfindung des Computers einschließlich der dafür unverzichtbaren Software als eigenständige Wissenschaft etabliert. Als das Buch 'Vom Abakus zum Internet' geschrieben wurde (2001) waren Internet und WWW noch kein Jahrzehnt auf dem Markt und an Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube überhaupt nicht zu denken. Das Nachfolgende ist deshalb als historische Reminiszenz zu verstehen, deren zeitlicher Rahmen nur bis zum Ende des 20. Jahrhunderts reicht.

Der Autor (*1940) studierte an der Bergakademie Freiberg Mineralogie und wechselte nach der Promotion an die TH Karl-Marx-Stadt. 1979 wandte er sich der Wissenschafts- und Technikgeschichte zu und habilitierte sich an der TU Dresden mit einer Arbeit zur Genese der Informatik. Bis 2005 wirkte er - inzwischen Mitglied der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften sowie weiterer wissenschaftlicher Gesellschaften - als Professor für Wissenschafts-, Technik- und Hochschulgeschichte an der TU Chemnitz. Sein wissenschaftliches ?uvre umfasst zahlreiche Arbeiten zur Informatikgeschichte wie auch zur Geschichte der regionalen Industrialisierung sowie des Montanwesens, insonderheit zu Leben und Wirken des Begründers der Montanwissenschaften Georgius Agricola (1494-1555) sowie dem Leben und Wirken des russischen Gelehrten Michail W. Lomonossow (1711-1765).

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Leseprobe

Maß, Zahl und Gewicht


Am Anfang stehen die Kategorien Maß, Zahl und Gewicht. Sie spielen bei der Herstellung einer ersten elementaren Ordnung im sozialen Gefüge des Menschen eine große Rolle und sind zugleich Voraussetzung für die Entdeckung der Welt als eines geordneten Kosmos. Eine der kognitiven Fähigkeiten des frühen Menschen dürfte das Zählen gewesen sein, Messen und Wägen bauten darauf auf. Aus dem Zählen entwickelte sich „rechnendes Denken“, auf einer höheren Stufe dann die Mathematik. In der Vorgeschichte ist die Zahl weniger ein abstraktes Gebilde, sondern mehr eine naturphilosophische Kategorie und damit ein Schlüssel zum Weltverständnis. Die Anschauung „Die Zahl ist die Natur und das Wesen der Dinge“ galt bereits für die Pythagoräer; die Mathematik bildete demnach eine Vorstufe zur Vereinigung mit dem Göttlichen, denn – so Aristoteles – sie hielten besonders „die Anfänge in der Mathematik auch für die Anfänge aller Dinge“. Weiter sagt Aristoteles dazu:

Da nun in dem Mathematischen die Zahlen von Natur das Erste sind, und sie in den Zahlen viel Ähnliches mit den Dingen und dem Werdenden zu sehen glaubten, und zwar in den Zahlen mehr als in dem Feuer, der Erde und dem Wasser, so galt ihnen eine Eigenschaft der Zahlen als die Gerechtigkeit, eine andere als die Seele und so fort für alles Übrige. Sie fanden ferner in den Zahlen die Eigenschaften und die Verhältnisse der Harmonie, und so schien alles andere seiner ganzen Natur nach Abbild der Zahlen und die Zahlen das Erste in der Natur zu sein. Deshalb hielten sie die Elemente der Zahlen für die Elemente aller Dinge und den ganzen Himmel für eine Harmonie und eine Zahl.1

Im „Buch der Weisheit“, zwischen 80 und 30 v. Chr. von einem der Weisheitslehrer Israels verfasst und als Abschluss der alttestamentlichen Weisheitsliteratur aus der jüdischen Diaspora in Ägypten zu bewerten, findet sich im elften Abschnitt die Sentenz Sed omnia in mensura, et numero, et pondere disposuisti – „Aber du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet“. Ein seither berühmtes Wort, das im Verlaufe der vielhundertjährigen Geschichte genau dann bemüht wurde, wenn es galt, die mathematische Struktur der Welt und alles in ihr Befindliche zu belegen und ihre Geheimnisse zu enträtseln.

Zahlreiche Gelehrte sahen in dieser Formel eine sichere Quelle, zu allen Bereichen der Natur vorzustoßen. Viele Ansätze erscheinen heute kurios und zeugen von der unangemessenen Überschätzung des Instrumentariums der Mathesis universalis. So erwies sich als Irrweg, hinter Zahlen und Buchstaben den verborgenen Sinn der Welt zu suchen und dem Text der Heiligen Schrift verschlüsselte Voraussagen zu entnehmen, wie es die in alter Mystik begründete jüdische Geheimlehre Kabbala tat. Auf diesem Wege konnten Religion und Mathematik nicht in Beziehung gebracht werden. Versuche ähnlicher Art finden sich im „Endchrist“ des Esslinger Pfarrers und Mathematikers Michael Stifel sowie in der Schrift „Himmlische und gehaime Magia“ des Ulmer Rechenmeisters und Ingenieurs Johann Faulhaber. Galileo Galilei versuchte sich bereits im Alter von 24 Jahren an der Berechnung von Lage, Gestalt und Größe der Hölle und hielt sich hierzu – einen alten Streit zwischen zwei Dantekommentatoren aufnehmend – an die Verse des berühmten Italieners. Der Franzose Jean Butéon ermittelte für die Arche Noah mit mathematischen Argumenten genauere Vorstellungen über die hier verwendeten Baumaterialien, den Schiffsanstrich, über Fenster und Türen, die Länge der Elle, über Form und Ausgestaltung, Namen der Tierarten, Menge des Proviants, Verteilung der Ställe u. a.m. Auch der „letzte“ Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz war von Derartigem nicht frei, erkühnte er sich doch, für den Ausgang der 1669 anstehenden polnischen Königswahl die Sicherheit des mathematischen Beweises zu bemühen.

Zahlzeichen verschiedener Kulturvölker. Quelle: Vorndran, S. 13

Die Mathesis universalis läßt sich bis an den Beginn der menschlichen Evolutionsgeschichte zurückverfolgen; dort nahm das (archaische) Denken als früheste Form kognitiver Wechselwirkung des Menschen mit der Natur seinen Anfang. Der Entwicklung des Denkens folgte die Entwicklung von Lautbildung und Sprache als Voraussetzungen für die zwischenmenschliche Kommunikation. Im Zusammenhang mit den notwendigen Regelungen innerhalb der sozialen Systeme der urgeschichtlichen Gemeinwesen und zur Gewährleistung dieser Kommunikation kam es zur Vergegenständlichung der Gedanken durch die Schrift – eines der wichtigsten intellektuellen Werkzeuge des Menschen, denn Schriften schließen Gedanken ein und machen diese reproduzierbar, speichern sie über Zeit und Raum hinweg. Zunächst waren dies ausschließlich Bilderschriften – Pikto- und Ikonogramme –, die Aussagen über das tägliche Leben machten; später wurden diese von Lautzeichen, schließlich von Zeichen eines vereinbarten Alphabets abgelöst. Die ältesten phonetisch lesbaren Zeichen in Gestalt von Täfelchen aus Ton oder Elfenbein hinterließen vor 5500 Jahren vermutlich die Bewohner von Arappa, einem Ort im heutigen Pakistan; andere Funde mit Hieroglyphenschrift verweisen auf Mesopotamien, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, nach Elam und Ägypten und geben der Archäologie weiterhin Rätsel auf. Früher noch als diese formierten sich Zeichensysteme für Zahlen und Zahlenbegriffe; man nimmt an, dass dies vor etwa 25.000 bis 30.000 Jahren, also noch in der der Cro-Magnon-Phase der Menschheitsgeschichte, erfolgte. Die damit in Verbindung stehenden intellektuellen Prozesse sind schwer nachzuvollziehen und werfen bezüglich ihres Ursprungs viele Fragen auf: Wie entstand das Zahlengefühl, der Zahlenbegriff, wann löste sich dieser von der Realität und wurde zum Abstraktum, wann lernte man Zählen und damit die Welt mengenmäßig erfassen? Da Zahlen für Mengen stehen, ist offen, wie viel der Mensch zunächst erfassen konnte; noch heute kennt man im australischen Aranda nur Zahlwörter für eins, zwei, drei, vier und viel.

Fortschritte ließen sich daran ablesen, dass einfache Zeichen für das Eins-Element von Zeichen für beliebige Mengen verkörpernde Anzahlen abgelöst wurden. Wirtschaftliche Faktoren wie Handel, Tausch, Eigentums- und Besitzverhältnisse, Schulden und Guthaben machten Reihung und Bündelung von Zahlen notwendig – so entstanden die Zahlensysteme. Mit der Differenzierung der ökonomischen Beziehungen wuchsen auch Anschaulichkeit und Dimension der Begriffe. Das Paar (Augen, Hände, Füße u. a.) und die diesem adäquate „2“ als Menge wurden schließlich überwunden und erweitert, es entstand das abstrakte Zahlwort zur allgemeinen Charakterisierung von Mengen.

Augen, Finger und Hände bekamen entscheidenden Einfluss auf die Herausbildung von Zahlen; denn entsprechende Zusammenhänge zu den Ziffern 1, 2, 3 und 5 usw. sind unverkennbar. So verwendeten Griechen, Römer, Mayas und Chinesen für ihre Zählsysteme die 5er-Stufung. Und noch heute zählen die Kaufleute des indischen Staates Maharashtra in ihrem Geschäftsalltag auf der Basis 5 – also mit einem quinären Zahlensystem. Aus der Stilisierung der Hand dürfte möglicherweise das römische V, verdoppelt als X (also 5 und 10), hervorgegangen sein. Denkbar wäre auch, dass – wie bei Kerbungen üblich – ein Strich nochmals überkerbt wurde und somit das Zeichen X ergab.

Chinesen und Mongolen, aber auch die indoeuropäischen und semitischen Kulturen, verwendeten frühzeitig die 10er-Stufung und damit das noch heute übliche Dezimalsystem. Die Idee und der fast universale Gebrauch haben sich an die physiognomischen Gegebenheiten des Menschen angelehnt, denn Jeder lernt das Zählen zuerst an seinen Fingern, obwohl das Zählen nach Zehnergruppen kaum Vorteile bietet. Es hat deshalb in der Geschichte nicht an Angeboten gefehlt, andere Zahlen zur allgemeinen Basis zu nehmen: die mathematisch vorteilhafte Zwölf zum Beispiel, da sie vier Divisoren hat (die Zehn hat nur zwei), oder eine Primzahl, bei der Brüche nicht mehr gekürzt werden müssten. Die evolutionäre Herkunft des Dezimalsystems ließ derartigen Vorstellungen kaum eine Chance. So stehen noch heute die gebräuchlichen zehn Ziffern des Dezimalsystems – quasi die atomistischen Grundelemente der Algebra2 – als Nukleus der Mathematik zur Verfügung und bestimmen den weiteren Lauf dieser Kulturleistung.

Inder wie auch Kelten, Mayas und Azteken des präkolumbianischen Mittelamerika verwendeten überdies, ausgehend von der Zahl der Finger und Zehen, eine 20er-Stufung, also ein Vigesimalsystem – dementsprechend gab es 20 Zahlzeichen. Der Maya-Kalender enthielt beispielsweise „Monate“ von 20 Tagen und sah Zyklen von 20, 400 und 8000 Jahren vor; die Sprache enthielt gesonderte Namen für jede Zwanzigerpotenz. Vergleichbares ist auch in anderen Sprachen zu finden: Im Englischen bedeuten one score, two score, three score 20, 40, 60 usw.; das Pfund Sterling als Währungseinheit bestand (bis 1971) aus 20 Shilling. Im Französischen steht quatre-vingt für 80 – also vier Zwanziger, in entsprechender Weise findet sich in anderen Zahlen die Tradition des Zählens nach Zwanzigereinheiten.

Bemerkenswert ist die 60er-Stufung – das Sexagesimalsystem. Zuerst gebrauchten es die Griechen, dann die Araber als wissenschaftliche Zählmethode der Astronomen; auch bei Sumerern und Babyloniern war es bekannt. Der Ursprung lässt sich kaum mehr nachvollziehen, wenngleich archäologische Textfunde auf Keilschrifttafeln durch computergestützte Analysen weitgehend entziffert werden konnten. Außer 60 verschiedenen Zahlzeichen existierten etwa 1000 weitere Symbole zur Kennzeichnung von Gegenständen, Namen,...

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