2 Individuelle Muster
Das Leben erscheint uns wie
ein endloses Warten oder Hetzen.
Die Welt gleicht einer großen Bühne: Immer wieder erzählen wir uns selbst oder anderen unsere Lebens- und Leidensgeschichten. Wir erzählen Geschichten über unsere Überzeugungen, unseren Charakter, unsere guten und schlechten Seiten. Es gibt Seiten an uns, auf die wir stolz sind und für die wir uns schämen. Manchmal sehen wir unser Leben als Geschichte des Aufstiegs von der Unschuld hin zur Erfahrenheit, vom Bösen zum Guten, vom Naiven hin zur Erfahrenheit. Das Leben belohnte uns, und doch gab es immer wieder Schmerz. Wir erzählen Geschichten unserer Resignation, des Abstiegs, des Reichtums, dem Vergessen unserer Träume, dem Verfall der Gesundheit, vom Älterwerden und unserer Figur.
Jeder erzählt Geschichten über sein Leben: Das Leben sei wundervoll, zauberhaft, zermürbend, aussichtslos, unfair, ungerecht, göttlich, tragisch, komisch, langweilig, stressig. Jede Geschichte ist ein Mix aus Tollem und Schrecklichem.
Manchmal überwiegt das eine, manchmal das andere. „Denke positiv!“ heißt die Devise, also wird in allem das Gute gesucht. Hindernisse sind keine Probleme sondern Herausforderungen. Doch letztendlich sind Geschichten immer die Wiederholung von Höhen und Tiefen. Durch Geschichten definiert sich der Mensch als eigenständige Person, durch Geschichten identifizieren wir uns laufend mit unseren Überzeugungen, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen. Stolz präsentieren wir der Welt immer wieder Reproduktionen von Altbekanntem.
Wie ein roter Faden zieht sich das Leiden durch die Geschichten eines jeden Menschen. Der Mensch fühlt sich ständig getrieben, besser, klüger, reicher, schöner und erleuchteter zu sein. Das Leben verläuft zyklisch. Geraume Zeit geht es uns gut, wir erleben Augenblicke voller Liebe, Erfolg, Gesundheit und Ekstase. Es gibt immer wieder schöne Momente des vollen Genusses, der Glückseligkeit und des Friedens. Nach dieser Phase des Hochs kommt unwillkürlich die Phase des Tiefs. Wir fallen wieder in ein tiefes Loch der Krankheit, Misserfolge, Ängste und Einsamkeit. Unterschwellig existiert stets die Angst, nie dauerhaft Frieden zu finden. Das Gefühl von latentem Unbehagen bleibt. Die tiefe Sehnsucht nach Glück scheint nie befriedigt zu werden. Ungestillt bleibt das Verlangen nach Freiheit und Liebe.
Sehnsucht
brennt in jedem Herzen
Wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft scheinen, hadert der Mensch letztendlich mit dem Leben als Ganzes, mit Gott und der Sinnhaftigkeit des Daseins. Was soll das Ganze? Der Mensch gibt auf und versinkt in den Abgrund der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
1. Muster
Wer bin ich?
Ein leidvolles Selbstbild?
Scheinbar sind wir von einem perversen Virus bzw. Parasit befallen. Unaufhörlich verfolgt uns ein Hirngespinst, dass wir wertlose Geschöpfe seien: „Du bist ein Nichts. Du kannst dich anstrengen wie du willst. Du wirst niemals gut genug sein. Du bist total unwichtig. Du bist dumm und komplett wertlos. Du bist böse und schlecht. Du wirst es nie schaffen...“
Jeder von uns hört diese oder ähnliche Stimmen in seinem Kopf. Wirklich jeder! Paradoxerweise leben wir in der Illusion, etwas werden zu wollen und zu müssen. Wie ein Hamster im Rad müssen wir beweisen, wie wertvoll wir sind. Unbehagen, Ruhelosigkeit, Langeweile, Angst und Unzufriedenheit sind die Folge ungestillten Verlangens.
- Wir sollen besser, reicher, schöner, entspannter, dünner, gesünder, erfolgreicher, prominenter, stärker etc. werden.
- Wir sollen böse Triebe überwinden, uns den göttlichen Gesetzen zuwenden, sühnen und Buse tun, den Weg der Erleuchtung gehen und uns verbessern.
Diese konditionierten Wunschbilder drängen uns in das Gefängnis von Sein- und Habenwollen. Wir werden angespornt, unseren Selbstwert aus Dingen zu beziehen: Luxusgegenstände werden zu Objekten der eigenen Persönlichkeit: „mein Bungalow auf Hawaii, mein Ferrari, mein Partner, mein Job…“ Image wird zum höchsten Ideal erhoben. Wir unterliegen einer Illusion, erst durch Dinge einen persönlichen Wert zu bekommen und entwickeln daraus ein Identitätsgefühl.
Bei manchen Menschen ist das Selbstwertgefühl eng mit körperlicher Kraft, gutem Aussehen, Fitness und einem außergewöhnlichen Erscheinungsbild verknüpft.
Gerade dieser Zwang, dass wir uns ändern und Dinge anschaffen müssten, widerspricht unserem natürlichen Bedürfnis nach Zufriedenheit. Selbstzweifel und mangelnde Selbstliebe zerstören jegliche Selbstachtung. Deshalb wird unser Verhalten oftmals lieblos, arrogant, neidisch, machtgierig, aggressiv und verlogen.
Wer bin ich?
Denke ich? Oder werde ich gedacht?
Fühle ich? Oder werde ich gefühlt?
Handle ich? Oder werde ich gehandelt?
2. Muster
Was will ich?
Unfähig zur Entscheidung?
Medien, soziale Netzwerke und sonstige Veröffentlichungen überlasten uns mit Daten. Wir sind überinformiert, falsch informiert, desinformiert. Widersprüchliche, irrelevante, unwahre Informationen bombardieren unseren Verstand. Unsere mentale Intelligenz ist völlig überfordert. Infolge der Reizüberflutung sind wir nicht mehr imstande, klare Entscheidungen zu treffen. Unser Verstand strebt danach, Daten miteinander zu vergleichen, zu speichern und korrekte Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir möchten uns „richtig“ entscheiden. Jeder bemüht sich ständig, sein Leben so sicher wie möglich zu gestalten. Große Anstrengung wird unternommen, um Ängste und Schmerzen zu vermeiden.
Sind wir an die Grenze unserer Entscheidungsfähigkeit angekommen, fühlen wir uns ausgeliefert und überfordert. Wir können einfach nicht mehr klar sehen. Um dieser Verzweiflung und Hilflosigkeit nicht ganz zu unterliegen, suchen wir in gewohnten Verhaltensweisen unsere Sicherheit. Angst ist Schatten der Liebe und Feind der Inspiration. Wir leben in einer Zeit, in der Angst unser ganzes Wesen ergreift. Wir haben Angst vor Gesundheitsrisiken, Angst um unsere persönliche Sicherheit, Angst vor Armut, vor Jobverlust, vor der Regierung und anderen Institutionen, vor Radikalismus, vor Rassismus, Isolation und Gewalt – die Liste der Ängste erscheint endlos. Wir können uns der Angst stellen. Wir können unsere Persönlichkeitsmuster erforschen. Wir können zur Ruhe kommen und inneren Frieden finden.
Der Schlüssel liegt in der Selbsterkenntnis.
3. Muster
Die
Macht der Gewohnheit?
Meiner Beobachtung nach reagieren wir ständig nach stereotypischen Rollenmustern. Das Funktionieren einer Gesellschaft basiert auf Überlieferungen, Wertvorstellungen, Weltanschauungen und Verhaltenskodizes. Unaufhörlich werden Überzeugungen – zumeist im guten Glauben – an nächste Generationen weitergegeben. Durch diese gesellschaftlichen Vorgaben entwickeln wir völlig automatisch typisches Rollenverhalten. Bereits als Kind lernen wir uns den Eltern und somit der Welt anzupassen. Jedes Kind fürchtet sich vor Zurückweisung und präsentiert der Umgebung eine Maske, um akzeptiert, geliebt und sicher zu sein. Jeder versucht Erwartungen der Bezugspersonen zu entsprechen, dementsprechend handeln wir manchmal „richtig“ und dann wieder „falsch“. Jeder fühlt sich somit entweder „gut“ oder „böse“. Somit sind wir es auch gewöhnt, jegliches Verhalten unserer Mitmenschen ständig zu beobachten, zu bewerten und zu beurteilen.
Bereits früh im Leben lernen wir, wie man handeln, fühlen und denken sollte. Mit zunehmendem Alter wird diese Maske weiter ausgebaut. Jeder bemüht sich sodann, sein Leben so sicher wie möglich zu gestalten und keine riskanten Dinge auszuprobieren. Wir haben es lieber etwas zu langweilig als zu aufregend. Rollenmuster und die Maske geben uns ein gewisses Maß an persönlicher Stabilität und Vertrautheit. Der Alltag wird erträglich, da er im Rhythmus der Routine schwingt.
Lebe, als müsstest Du morgen sterben.
Aber lerne, als könntest Du ewig leben.
Mahatma Gandhi
Weit mehr als 95 Prozent unseres Verhaltens, Denkens und Fühlens sind Wiederholungen. Unbemerkt entscheiden wir uns immer wieder für das Gleiche. Wir werden regelrecht süchtig nach gleichen Gefühlen, Gedanken, körperlichen Reizen und Erfahrungen. Wir reagieren unmündig gegen unser eigenes Lebensglück, denn viele unserer Verhaltensweisen sind selbstschädigend und krankmachend.
Monoton wiederholen wir alltägliche Abläufe und vegetieren in einem dauerschlafähnlichen Zustand. Alte Muster wiederholen und verstärken sich ständig. Zumeist sind wir uns nicht bewusst, was jetzt gerade geschieht. Wir schlummern dahin, ohne bewusst in das Leben...