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E-Book

Mit Vorsicht zu genießen

Die neuen Lügen der Lebensmittelindustrie

AutorAnnette Sabersky, Jörg Zittlau
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641154165
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Was steht drauf, was ist drin?
Die Produkte im Supermarkt werden anscheinend immer gesünder: 'natürlich', 'reich an wichtigen Nährstoffen' und 'ohne künstliche Zusatzstoffe'. Doch beim täglichen Einkauf werden wir nicht selten über den Ladentisch gezogen: Der vermeintlich gesunde Babybrei ist eine vitaminarme Konserve, die Fruchtlimonade angereichert mit Benzol und das 'natürliche Aroma' kommt aus dem Labor.

Doch Aufklärung naht: Erfahren Sie, welche Nährstoffe wir wirklich brauchen und wo uns die Lebensmittelbranche das Geld aus der Tasche zieht - auf Kosten unserer Gesundheit!



Annette Sabersky ist Ernährungswissenschaftlerin, Autorin und seit vielen Jahren als selbstständige Fachjournalistin mit den Schwerpunkten gesundes Essen, Lebensmittelqualität und Bio-Lebensmittel tätig. Sie hat mehr als 20 Sach- und Fachbücher veröffentlicht. Besonders wichtig ist es ihr, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen und dabei auch die Auswirkungen des Essens auf die Umwelt einzubeziehen. Annette Sabersky lebt mit ihrer Familie sowie diversen Schafen und Hühnern am Stadtrand von Hamburg. Beim Einkaufen achtet sie sehr auf den Preis, aber auch, ob Lebensmittel ihren Preis wert sind. Das ist in der Regel bei 'Bio' der Fall.

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2.Ganz groß in Mode: »gluten- und Laktosefrei«

Ab sofort lässt es sich »glutenfrei« urlauben. Unter www.GlutenfreeRoats.com finden sich mehr als 40000 Adressen für Hotels, Restaurants, Supermärkte und Reformhäuser, in denen es glutenfreies Essen gibt. Weltweit. Ob Pizza in Rom oder Flammkuchen im Elsass, Mandelhörnchen in Flensburg oder Aufbackbrötchen in Münster, für jeden Appetit gibt es die passende Adresse. Einfach Postleitzahl eingeben und die Suche beginnen.

Das Angebot hat die Firma Dr. Schär initiiert. Der Marktführer für glutenfreie Lebensmittel will darüber natürlich die eigenen Produkte lancieren. Er kann damit aber auch Menschen mit der Krankheit Zöliakie ein bisschen das Leben erleichtern. Ihr Dünndarm kann das Gluten aus Getreide nicht verarbeiten. Sie müssen ein Leben lang auf Produkte verzichten, die den Eiweißstoff Gluten und die Unterfraktion Gliadin enthalten. Weizen, Roggen und Gerste, aber auch in den Ur-Getreiden Dinkel, Einkorn und Emmer ist Gluten enthalten. Schon kleinste Mengen sind für die Betroffenen gefährlich. Ihre Darmschleimhaut entzündet sich und sie bekommen starke Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall. Zugleich bilden sich die Zotten im Darm, über die Nährstoffe und Vitamine aufgenommen werden, zurück. Vitamine und Nährstoffe können also nicht richtig ausgenutzt werden. Die Folge: schwere Mangelerscheinungen. Nach Angaben der Deutschen Zöliakie Gesellschaft ist hierzulande einer von 270 bis 500 Menschen betroffen.

Doch die Internetseite wird nicht nur von Zöliakie-Patienten genutzt. Immer mehr Menschen verzichten auf Gluten. »Glutenfrei ist das neue Porentief-Rein«, beobachtet die Inhaberin eines Naturkostfachgeschäfts. In Zeiten, in denen die Zutatenlisten immer länger werden und Etikettenschwindel alltäglich ist, sehnen sich Verbraucher nach »Reinheit und Transparenz«. Doch tatsächlich werden hier Gesunde mit Diätkost von den Firmen abgezockt.

Dazu passt ein Trend aus den USA, der das Thema puscht: Der Verzicht auf Gluten und Weizen führe zu Gesundheit, Fitness und innerer Reinheit, wird behauptet. Eine gluten- und weizenfreie Ernährung mache schlank. Ob Lady Gaga, Miley Cyrus oder Gwyneth Paltrow, viele Promis schwören auf glutenfreies Essen, weil es (angeblich!) schlank und fit hält.

Doch davon kann nicht die Rede sein. »Es gibt keinerlei Evidenz dafür, dass eine glutenfreie Diät beim Abnehmen hilft oder Übergewicht vorbeugt, so wie es manche Diät-Coaches oder Prominente in den Medien verkünden«, stellt der Gastroenterologe Wolfgang Holtmeier aus Porz am Rhein klar. Auch der Verzicht auf Weizen, also auf Toastbrot, Brötchen und Nudeln, eine Ernährung, wie sie in dem Bestseller Weizenwampe propagiert wird, führt nicht zur Traumfigur oder mehr Gesundheit. »Obwohl er (Weizen) sowohl an Übergewicht als auch an Herz-Kreislauf-Erkrankungen schuld sein soll, hat sich die Herzinfarktrate in den letzten 20 Jahren bei uns fast halbiert«, so Holtmeier. Der Verzehr von Getreideprodukten ist zugleich kontinuierlich gestiegen, so Holtmeier im Fachmagazin UGB-Forum.

Dennoch boomt das Glutenfrei-Geschäft. Betrug der Umsatz von glutenfreiem Brot, Kuchen, Gebäck und Müsli, von Backmischungen, Nudeln, Fertiggerichten und Tiefkühlkost ohne Gluten laut der Lebensmittelzeitung hierzulande vor wenigen Jahren noch 39 Millionen Euro jährlich, so lag er 2013 schon bei 60 Millionen Euro. Tendenz: weiter steigend. Cerealien-Anbieter Nestlé weiß auch warum: »Viele Konsumenten, die glutenfreie Produkte kaufen, haben keine Glutenunverträglichkeit, verzichten aber darauf, da sie sich damit besser fühlen«, schreibt der Nahrungsmittelgigant in einer Anzeige in der Lebensmittelzeitung.

Glutenfreie Produkte erfreuen sich eines rasanten Absatzes, weil laut Angaben in einschlägigen Ratgebern oder auch auf Web-Seiten von Heilpraktikern, Ernährungsberatern und naturheilkundlichen Ärzten etwa jeder Zwanzigste unter einer Glutenunverträglichkeit leidet. Wissenschaftliche Belege für diese Zahlen sind jedoch Mangelware. Eigentlich ist sogar noch nicht einmal klar, ob es Glutenunverträglichkeit überhaupt gibt. Denn bisher lässt sie sich nur indirekt feststellen. Dazu schließt der Arzt Zöliakie und eine Weizenallergie durch Tests aus, und wenn es dem Patienten dann trotzdem besser geht, wenn er auf Gluten in seiner Ernährung verzichtet, schließt man von diesem Befund auf eine Glutensensitivität. Ein Beweis ist das jedoch nicht. »Denn allein die Tatsache, dass die Ernährung umgestellt wird, kann schon dazu führen, dass man sich besser fühlt«, erklärt Stephanie Baas von der Deutschen Zöliakiegesellschaft (DZG).

Glutenfreie Produkte werden also nicht mehr nur von Menschen mit Zöliakie gegessen, sondern auch von denjenigen, die meinen, an einer Weizen- oder Glutensensitivität leiden. Die Darmschleimhaut der Betroffenen ist gesund, sie können Nährstoffe also bestens resorbieren. Dennoch bekommen sie nach dem Verzehr von Hartweizennudeln oder Toastbrot Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall, aber auch Kopfschmerzen und Muskelbeschwerden.

Eine Studie unter der Leitung von Detlef Schuppan von der Harvard Medical School in Boston ergab Hinweise darauf, dass Gluten wohl gar nicht der Hauptschuldige für die Probleme der angeblichen glutensensitiven Menschen ist. Das internationale Forscherteam verglich die Reaktion des Immunsystems auf alte und exotische Getreidesorten mit der Reaktion auf moderne Hochleistungsgetreide, und dabei entdeckte man, dass statt Gluten sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) die typischen Reaktionskaskaden einer Glutenunverträglichkeit verursachen können. Diese Stoffe treten oft gemeinsam mit Gluten im Getreide auf, weshalb sich ihre Wirkungen bisher schlecht auseinanderhalten ließen. »ATI wirken im Körper wie krankmachende Keime. Sie aktivieren das Immunsystem und initiieren im Körper heftige Entzündungen«, erklärt Schuppan. Die ATI könnten neben Darmproblemen auch andere Erkrankungen verursachen, beispielsweise Diabetes oder multiple Sklerose.

Wenn aber die ATI das Immunsystem überaktivieren, hätte man auch eine Erklärung, warum die angebliche Glutenunverträglichkeit in den vergangenen Jahren immer häufiger geworden ist. Denn diese Stoffe sind ein Produkt der modernen Landwirtschaft, die in den letzten Jahren eine Weizenvariante herangezüchtet hat, die sich dem Insektenfraß widersetzen kann. Wesentliches Merkmal dieses Hochleistungsweizens ist, dass er viel mehr – nachgewiesenermaßen insektizide – ATI enthält als die klassischen Getreidesorten. Es spricht also vieles dafür, dass es sich bei der grassierenden Glutenunverträglichkeit in Wahrheit um eine ATI-Unverträglichkeit handelt, die wiederum das Produkt einer Agrarindustrie ist, die in ihrem Bemühen um steigende Erträge ein Lebensmittel geschaffen hat, auf das unsere Immunabwehr nicht eingestellt ist. Das Brot an sich ist also gar nicht das Problem, sondern der Rohstoff, aus dem es mittlerweile oft hergestellt wird.

Der Verzicht auf glutenfreie Lebensmittel ist also bei einer Glutensensitivität, anders als bei Zöliakie, meist nicht nötig. »Wenn man medizinisch eine Zöliakie ausgeschlossen hat, und die Patienten positiv auf eine Diät ansprechen, dann müssen sie diese auf Dauer (aber) meist nicht ganz so streng einhalten«, sagt Wolfgang Holtmeier. Das bedeute, sie brauchen nicht immer und überall auf jeden »Krümel« zu achten, wie Zöliakiepatienten dies tun müssen. Die Schwelle, bis zu der Getreide vertragen wird, müsse individuell ausgetestet werden. Möglicherweise vertragen die Betroffenen also kein Ciabatta und auch keine Nudeln, aber geringe Zusätze an Weizenmehl in Lebensmitteln.

Wer glutenfreie Lebensmittel kaufen muss oder will, sollte sich nicht übers Ohr hauen lassen. So fand die »Stiftung Warentest« in einem Marktcheck auf einer Flasche Rapsöl und auch auf einem Frischkäse den Hinweis »Glutenfrei« – obwohl beide Lebensmittel naturgemäß kein Getreide enthalten. Glutenfreien Schinkenspeck und Tiefkühlerbsen fand die Verbraucherzentrale Hamburg. Beide haben von Natur aus kein Gluten in sich.

»Porentief rein« sind glutenfreie Lebensmittel meist auch nicht. Sie enthalten oft mehr Zusatzstoffe als die vergleichbaren »normalen« Produkte. Gluten, auch Kleber genannt, hält Mehl und Wasser in Brot und Backwaren zusammen. Fehlt er, müssen Dickungsmittel her. So enthalten glutenfreie Brotbackmischungen neben Reis- und Maismehl meist auch noch die Verdickungsmittel Johannisbrotkernmehl und Xanthan. Sie schaden zwar nicht, »porentief rein« sieht aber anders aus.

Von Rechts wegen dürfen Produkte, die mit dem Hinweis »glutenfrei« werben, nicht mehr als 20 Milligramm Gluten je Kilo enthalten. Ab Juli 2016 können Lebensmittel zudem den Hinweis tragen »sehr geringer Glutengehalt«, wenn das Endprodukt maximal 100 Milligramm je Kilo aufweist. Auch wenn Hafer oftmals besser vertragen wird, so muss der Anbieter, der mit »glutenfrei« oder »geringer Glutengehalt« wirbt, sicherstellen, dass der Hafer nicht mit glutenhaltigem Weizen, Roggen, Gerste oder auch Kreuzungen aus diesen Getreidesorten kontaminiert wurde. Der Hafer selbst darf nur 20 Milligramm Gluten je Kilo enthalten.

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