Die Mutter des Waldkindergartens ist Ella Flatau, die zu Beginn der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts im dänischen Sollerod den ersten Waldkindergarten gründete. Ursprünglich ging Frau Flatau täglich mit ihren eigenen Kindern in den Wald. Da Nachbarn dies eine Zeit lang beobachteten, Gefallen daran fanden und Kinder-gartenplätze zudem knapp waren, gaben immer mehr Eltern ihre Kinder in die Obhut von Frau Flatau. Aus dieser Elterngemeinschaft entstand der erste dänische Waldkindergarten.
In Deutschland, genauer in Wiesbaden, wurde 1968 der erste Waldkindergarten von Ursula Sube gegründet, ohne dass sie etwas von der Existenz des dänischen Waldkindergartens wusste. Da Ursula Sube keine ausgebildete Erzieherin war, standen ihr auch keine öffentlichen Gelder zur Verfügung. So musste die Finanzierung ausschließlich über Elternbeiträge erfolgen. Es entwickelten sich aus diesem Modell keine weiteren Waldkindergärten.
Erst als Kerstin Jebsen und Petra Jäger 1991 einen Artikel über die dänischen Waldkindergärten lasen, daraufhin in Dänemark hospitierten, eine Konzeption ent-wickelten und einen Verein gegründet hatten, konnten sie 1993 in Flensburg den ersten deutschen staatlich anerkannten Waldkindergarten eröffnen. Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit wurde die Idee rasch weitergetragen und 1994 zwei weitere Waldkindergärten in Berglen und Lübeck eröffnet. [21]
Seit Mitte der neunziger Jahre wurden weitere Waldkindergärten gegründet. Die meisten entstanden als Elterninitiativen, in den übrigen Fällen waren freiberufliche Erzieher die Initiatoren.
Regionale Unterschiede in der Anzahl neuer Waldkindergärten sind zum einen auf die Jugendpolitik der einzelnen Bundesländer, zum anderen auf Fragen der Infrastruktur und Besiedelung zurückzuführen. So sind die Ministerien in Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen daran interessiert, die Waldkinder-gärten zu fördern. Hingegen werden sie in Bayern nur anerkannt, wenn ihnen außerhalb des Waldes ein pädagogisch geeigneter Ausweichraum zur Verfügung steht.[22]
Seit der Gründung des ersten Waldkindergartens in Flensburg 1993 ist die Zahl der Neugründungen stetig angewachsen. Waren bereits 1999 im Verzeichnis der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland[23] über 100 Waldkindergärten aufgeführt, so verzeichnet der im Jahr 2000 aus dem Bundesarbeitskreis hervorgegangene „Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten“[24] heute (Stand März 2003) insgesamt 303 Wald- und Naturkindergärten.[25] Danach lassen sich die meisten Waldkindergärten in Baden-Württemberg (72), trotz der oben beschriebenen Schwierigkeiten auch in Bayern (55) und in Schleswig-Holstein (44) finden.[26]
Der klassische Waldkindergarten
Die Kindergruppe verbringt im klassischen Kindergarten an fünf Tagen die Woche den gesamten Vormittag in einem bestimmten, räumlich begrenzten Gebiet im Wald. Die Betreuungszeit variiert je nach Jahreszeit von drei bis viereinhalb Stunden. Im Winter oder bei extremen Witterungslagen liegt sie bei drei, im Sommer meistens bei viereinhalb Stunden. Zusätzlich wird von einigen Waldkindergärten an ein oder zwei
Nachmittagen eine zusätzliche Betreuung angeboten. Für den Fall, dass extreme Witterungsbedingungen wie Sturm oder Hagel auftreten und zur Aufbewahrung von Bastelmaterial und Ersatzkleidung, verfügt jeder Waldkindergarten über eine Schutzhütte. Meist sind diese Schutzhütten umgebaute Bauwagen. Über ein festes Gebäude wird im Gegensatz zum Regelkindergarten nicht verfügt. Die durchschnitt-liche Gruppengröße beträgt 20 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren. Zur Betreuung dieser Kinder stehen zwei Erzieher und teilweise eine dritte Kraft zur Verfügung. Dies ist meistens ein Praktikant oder ein Elternteil. Um die Betreuung auch bei Temperaturen ab minus 6°C gewährleisten zu können, bieten die meisten klassischen Waldkindergärten ein alternatives Programm an.[27]
Die ersten in Deutschland gegründeten Waldkindergärten waren in der Regel solche klassischen Waldkindergärten. Aufgrund der großen Nachfrage von Eltern an den ersten wenigen Waldkindergärten wuchs der Druck auf die bestehenden Regel-kindergärten und damit auch das Bedürfnis der Erzieher, Elemente der Waldpädagogik in ihren Kindergarten zu integrieren. Zusätzlich entstanden Kooperationen zwischen Wald- und Regelkindergärten. So haben sich in den letzten Jahren durch die Waldkindergartenbewegung verschiedene Mischformen entwickelt.
Kooperation von Waldkindergarten und Kindertagesstätte
Da Waldkindergärten nur vormittags geöffnet haben, können Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, diese Einrichtungen meist nicht nutzen. Um dies zu ändern, bemühen sich Waldkindergärten um die Zusammenarbeit mit Kindertages-stätten. Die Kinder, die auch nachmittags noch zu betreuen sind, gehen dann, nachdem sie den Vormittag im Wald verbracht haben, in die Einrichtung und nehmen dort am normalen Programm teil.[28]
Erweiterung von Kindertagesstätten um eine Waldkindergartengruppe
Eine Kindertagesstätte kann sich bei geeigneten Bedingungen um eine Waldkinder-gartengruppe erweitern. Hierzu muss es allerdings geeignete Räumlichkeiten, Betreuungsmöglichkeiten und einen Wald in der Nähe geben. Wie die Kinder der regulären Gruppen, werden auch die Kinder der Waldgruppe morgens in die Kindertagesstätte gebracht und bleiben dort bis neun Uhr. Danach geht die Wald-gruppe in den Wald. Da die um Waldkindergartengruppen erweiterten Kindertages-stätten meist gruppenübergreifend arbeiten, sind die Waldkinder auch in die anderen Gruppen integriert. Neben der Möglichkeit, dass Waldkinder einmal in der Tages-stätte verbleiben, können sich auch die Kinder der anderen Gruppen spontan der Waldgruppe anschließen.
Einrichtung von Wandergruppen in Regelkindergärten
Durch die Einrichtung von Wandergruppen besteht auch für Kinder im Regelkindergarten die Möglichkeit, in den Wald zu gehen. Schede beschreibt dieses Modell anhand einer Kindertagesstätte in Dortmund. Hier stellen die Erzieher an drei Vormittagen in der Woche eine Gruppe von knapp 20 Kindern zusammen, mit denen sie in den Wald gehen.[29]
Des Weiteren werden von einigen Einrichtungen zeitlich befristete Waldprojekte im Regelkindergarten durchgeführt, was von den Kindern begeistert aufgenommen wird. Hier sind zwei verschiedene Varianten denkbar. Zum einen kann man einmal in der Woche einen Waldtag einplanen, zum anderen können ein- bis dreiwöchige Projektwochen zum Thema „Wald“ angeboten werden. Um sich hierfür Anregungen zu holen, hospitieren Erzieher häufig in Waldkindergärten.[30]
Nach der Durchsicht und dem Vergleich von Konzeptionen aus verschiedenen deutschen Waldkindergärten fällt auf, dass die jeweiligen Waldkindergärten zwar Grundsätze aus der ersten, der Flensburger Konzeption, übernehmen, sie aber unterschiedliche Akzente und Schwerpunkte setzen. So gibt es Einrichtungen, die den Aspekt der Umweltbildung betonen, andere geben der Bewegung einen besonderen Stellenwert. Laut dem Kinder- und Jugendhilfegesetz soll, wie in einem Regelkindergarten, auch im Waldkindergarten die „Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden“.[31]
Neben den gesetzlichen Richtlinien gibt es aber kein allgemein gültiges Gesetz, das für alle Waldkindergärten gleich verpflichtend ist.
Im folgenden Abschnitt sollen gemeinsame Ansätze in den Konzeptionen der Wald-kindergärten dargestellt werden.
Geschicklichkeit und Motorik
Da im Wald viel Raum vorhanden ist, um sich frei zu bewegen, können die Kinder ihren Bewegungsdrang voll ausleben. Die Grobmotorik wird durch Klettern, Balancieren, Hüpfen oder Laufen gefördert. Die Kinder lernen dabei ihre Fähigkeiten und ihren Körper einzuschätzen. Neben grobmotorischen Fähigkeiten wie Laufen, Hüpfen oder Kriechen, wird durch das behutsame Berühren von kleinen Lebewesen oder durch Basteleien mit Pflanzenteilen die Feinmotorik gefördert. Vor allem durch den Gebrauch von Werkzeugen und Techniken werden die Kinder geschickter.[32] Durch die Bewältigung immer wiederkehrender natürlicher Hindernisse wird die Körpererfahrung unterstützt, eigene körperliche Grenzen werden erfahren. [33]
Entwicklung und...