IV. Sculleville, die Choctaw-Agentur.
– Geschichte der Choctaws. – Sagen der Choctaws. – Rathsversammlung der Choctaws. – Sans Bois Creek. – Pine Grove. – Ballspiel der Choctaws.
Um die benachbarten Indianerstämme gegen den Andrang der Weißen zu schützen und die Unterhandlungen der Indianer mit dem Gouvernement der Vereinigten Staaten zu leiten, um aber andererseits auch die Weißen gegen die Rothhäute zu vertreten, sendet das Gouvernement unter die Stämme Agenten, welche dann gewöhnlich die Gründer einer Niederlassung werden. Nicht nur Indianer, sondern auch Weiße siedeln sich dann in ihrer Nähe an; letztere natürlich von Gewinnsucht getrieben, indem sie mit ihren Tauschartikeln schnell zur Hand sein wollen. Sie verheirathen sich mit Indianerinnen, um festen Fuß bei ihren rothhäutigen Verwandten fassen zu dürfen. Auf diese Art entstand Sculleville. Gleich weit vom Poteau und Arkansas entfernt liegt die Agentur mit den zur Viehzucht und zum Ackerbau nöthigen Gebäuden an einer Quelle oder vielmehr einem kleinen Bache, der auf einer Anhöhe aus dem Gestein sprudelt und mit jedem Schritte wachsend dem Arkansas zueilt. Eine Schmiede und Waarenhäuser ließen nicht lange auf sich warten, wohlbestellte Farmen, umgeben von schönen Kornfeldern und Obstgärten, blühten bald in der Nähe auf, und die Agentur wurde zum Sammelplatz aller industriellen, sowie vagabondirenden Indianer. Der Mangel eines Gasthofes wurde fühlbar, denn gar viele der Indianer und Indianerinnen sind nicht mehr gewohnt, auf der Erde oder im Freien zu schlafen. Ein kleines Kosthaus (Boardinghouse) half darauf das Städtchen vervollständigen, und der reisende Choctaw, der seine die Schule besuchende Tochter sehen will, steigt jetzt mit seiner Familie in der bequem eingerichteten Herberge ab. Obgleich die dortige Bevölkerung an den Umgang mit den Weißen gewöhnt ist, so gab das Erscheinen der Expedition des Lieutenant Whipple doch Grund genug zur Neugierde, um so mehr, da die Compagnie mit Militairbegleitung zog und bei Sculleville ihr Lager aufschlug, um, wie es schien, mehrere Tage daselbst zu verweilen. Dazu traf es sich, daß zur selben Zeit eine Rathsversammlung der Choctaw-Häuptlinge abgehalten werden sollte. Kein Wunder also, daß von nah und fern Alles zusammenströmte, wodurch die kleine Stadt ein Bild von buntem Gemisch und Lebhaftigkeit darbot. Männer und Weiber wogten durch einander, Jeder hatte sich in sein bestes Kleid geworfen, welches, zwar nach europäischem Schnitt gearbeitet, doch größtentheils grelle Farben mit wundersamen, nicht immer unschönen phantastischen Zierrathen verband. Das Lager nahm die Aufmerksamkeit Aller sehr in Anspruch, und da, wo ich in einem Zelte meine Werkstatt aufgeschlagen hatte, drängte sich Alles heran, um die Möglichkeit zu erhaschen, in vollem Staate abgezeichnet zu werden. Scheibenschießen, Wettlaufen und Pferderennen, Tänze und Verabredungen zum nächsten Ballspiel, welches seiner Eigenthümlichkeit wegen wohl einzig dasteht, Alles wurde in diesen Tagen vorgenommen und verhandelt, und glücklich kann sich derjenige nennen, der sich zur Zeit einer Volksversammlung der Choctaws in Sculleville aufhält. Es wird ihm der Genuß geboten, durch eigene Anschauung in kurzer Zeit mehr von diesem so interessanten Stamme zu lernen und zu erfahren, als ihm sonst durch umständliches Fragen und Forschen möglich sein würde.
Die Nation der Choctaw-Indianer, nach Katlin's Angabe in einer Stärke von 22,000 Seelen, hat jetzt die Territorien südlich vom Arkansas und Canadian River inne, welche im Osten an den Staat Arkansas grenzen, südlich an das Gebiet der Chickasaws und westlich an das der Creeks. Die nördlichen Nachbarn der Choctaws sind die Cherokesen; es haben diese Stämme, die auf gleicher Stufe der Civilisation stehen, jetzt nur wenig Unterschied aufzuweisen. Ein solcher ist höchstens noch in ihrem Herkommen, in ihren alten Sagen, Sitten und Gebräuchen zu finden. Vor ihrem Ansiedeln am Arkansas bewohnten die Choctaws die reichen Jagdgründe der Staaten Alabama und Mississippi, welche sie an die Vereinigten Staaten verkauften; die Zahlungen wurden 20 Jahre hindurch in jährlichen Raten geleistet. Der Termin ist jetzt beinahe abgelaufen, und das meiste Geld, ohne viel Vortheil gebracht zu haben, wieder zurück in die Hände der Weißen gewandert. Wenn man indessen die alten Traditionen, welche in diesen Gegenden fortleben, mit einander vergleicht, so kommt man leicht zu dem Resultat, daß dieser Stamm nordwestlich von seinem jetzigen Gebiet in den Felsengebirgen gelebt haben muß, und zwar als Nachbar der Flathead- und Chinook-Indianer. Diese sind nämlich die einzigen Stämme, welche die natürliche Form des Schädels verunstalten, indem sie den Kindern von Geburt an durch das Aufpressen eines Brettes die Stirnknochen niederdrücken. Alte Choctaw-Indianer können sich entsinnen, von ihren Vorfahren gehört zu haben, daß dieser Gebrauch in frühern Zeiten in ihrem Stamme geherrscht habe. Hieran schließt sich die Sage von der großen Wanderung, die, von einem Indianer erzählt, folgendermaßen lautet:
»Vor vielen Wintern lebten die Choctaws weit hin nach Sonnenuntergang, weit hinter dem großen fließenden Wasser (weit westlich vom Missouri), sie lebten hinter den Bergen mit Schnee (westlich von den Rocky Mountains). Sie fingen an zu wandern und brachten auf ihren Reisen manchen Winter und manchen Sommer zu. Ein großer Medizinmann (Zauberer) war ihr Häuptling; er führte sie den ganzen Weg, er ging immer vorauf und trug einen langen rothen Pfahl in seiner Hand. Da, wo er den Pfahl in die Erde steckte, schlugen sie ihr Lager auf. Jeden Morgen nun sahen sie, daß der Pfahl sich gegen Sonnenaufgang geneigt hatte. Der Medizinmann deutete ihnen dies dahin, daß sie so lange wandern müßten, bis der Pfahl aufrecht an seiner Stelle stehen bliebe, und ihnen dadurch anzeige, daß dies der Ort sei, den der große Geist zu ihrer Heimath bestimmt habe. Lange wanderten sie weiter. An einer Stelle nun, die sie Nah-ne-wa-ge (abschüssigen Hügel) nannten, blieb der Pfahl aufrecht stehen. Dort gründeten sie ihre Heimath und schlugen ein großes Lager aus, es war eine Meile lang und eine Meile breit; die Männer lagerten außen herum, die Weiber und Kinder in der Mitte, und Nah-ne-wa-ge wird noch heute als der Mittelpunkt der alten Choctaw-Nation bezeichnet.«
Obschon nun die Traditionen von Indianern durchaus keinen sichern Haltpunkt für die Zeitrechnung gewähren, so beschäftigt man sich doch gern mit ihnen, da sie die Möglichkeit darbieten, sie mit den Traditionen anderer fernerer Stämme zu vergleichen und Betrachtungen anzustellen, die vielleicht sich der Wahrheit nähern. Auch die Sage von einer großen Fluth hat sich bei den Choctaws wie bei den Azteken (Mexikanern) und so vielen Horden östlich von den Cordilleren Südamerikas erhalten. »Es herrschte eine undurchdringliche Finsterniß über die ganze Welt, die weisen Medizinmänner versuchten Alles, die Dunkelheit zu besiegen, und sahen lange nach wiederkehrendem Tageslicht aus. Ihre Bemühung war vergeblich, und die ganze Nation versank in tiefes Unglück. Endlich nach langem Harren sahen sie ein Licht gegen Mitternacht aufgehen; schon glaubten sie am Ende ihrer Leiden zu sein, doch das Licht waren Berge von Wasser, die heranrollten und die Nation vertilgten bis auf einige Familien, die, das Unglück ahnend, sich ein Floß gebaut hatten, auf welchem sie sich retteten, und so die Stammeltern der jetzigen Nation wurden.«
Das Christenthum hat schon seinen Weg in diese Nation gefunden, doch hängen auch noch Manche an dem alten Glauben ihrer Väter, der sie ebenfalls ein Fortbestehen der Seele nach dem Tode lehrt, und in den Hauptsachen ganz derselbe bei fast allen nördlichen Indianerstämmen ist. Der Gestorbene hat demgemäß eine lange Reise gegen Sonnenuntergang zurückzulegen, bis er einen tiefen, reißenden Strom erreicht, der ihn von den seligen Jagdgefilden trennt. Beide Ufer dieses Stromes sind durch einen langen Fichtenstamm verbunden, der, abgeschält und geglättet, als Brücke benutzt werden muß. Der Gute geht fest und sicheren Schrittes über den schmalen Steg, erreicht glückliche Jagdgefilde, und tritt in bleibenden Besitz jugendlicher Kraft. Sein Himmel ist unausgesetzt klar, eine kühlende Brise weht fortwährend, und die Zeit vergeht unter endlosem Jubel, unter Essen, Jagen und Tanzen. Der Böse, der über den Steg schreitet, sieht die weit überhängenden Ufer wanken, er versucht auszuweichen und fällt in die Tiefe hinab, wo das Wasser mit Donnergetöse sich über die Felsen stürzt, wo die Luft verpestet ist von todten Fischen und anderen Thieren, und das Wasser, im Kreise treibend, ihn immer an denselben Ort zurückbringt, wo alle Bäume abgestorben sind, wo es wimmelt von Kröten, Schlangen und Eidechsen, wo die Todten hungrig sind und nichts zu essen haben, wo noch Lebende ein sieches Leben führen und nicht sterben können. Die Ufer sind mit Tausenden der Unglücklichen bedeckt, die hinaufklettern, um einen Blick in die glücklichen Jagdgefilde zu werfen, welche sie nie erreichen können.
Gern lauscht man den Erzählungen dieser Leute; mit wehmüthigem Ernste weilt die Rothhaut bei Ausschmückungen, wenn es den Vorfahren gilt. Ein ungläubiges Lächeln macht den Erzähler stocken, ja veranlaßt ihn abzubrechen, zu schweigen; aber da, wo der scharfe Blick des Indianers Theilnahme in den Zügen des Zuhörers entdeckt, reiht sich an den Schluß einer Sage der Anfang einer andern, und willig und aufmerksam folgt man in Gedanken seinen wilden Phantasien, um keines der langsam nach einander gesprochenen Worte zu verlieren. »Die...