Jeder Reiter ist ein Trainer
Schön, dass wir Reiter erkannt haben, dass wir nur glücklich werden können, wenn es unserem Pferd gut geht.
Was sind Ihre Ziele?
Wenn wir uns mit Pferden beschäftigen, tun wir dies häufig aus einem Grund: Wir wollen reiten. Aber warum? Meist verfolgen wir unterschiedliche Motive. Wir reiten, um uns zu entspannen, um unsere Leistung zu verbessern. Wir reiten, um fit zu bleiben, weil unsere Freunde auch reiten. Oder ganz einfach: weil es uns Spaß macht.
Unsere Motive stellen persönliche Bedürfnisse dar, die wir durch das Reiten befriedigen. Und es gibt noch viele weitere, die wir durch das Reiten stillen können. Reiter ordnen sich selbst den Turnier- oder Freizeitreitern zu. Es gibt Reiter, die leidenschaftlich gern springen, andere wiederum reiten lieber Dressur. Und dennoch haben alle eine große Gemeinsamkeit: die Zusammenarbeit mit dem Pferd.
Deshalb bedeutet Reiten mehr, als „nur“ seine persönlichen Erwartungen und Ziele zu verwirklichen. Wir sind von unserem Partner, dem Pferd, abhängig. Nur wenn wir es schaffen, dass dieser mit uns zusammenarbeitet, können wir Spaß an unserem Sport haben. Folglich sollten wir zuallererst dafür sorgen, dass es unserem Pferd gut geht. Es soll trotz unseres Gewichts auf seinem Rücken gesund bleiben. Nur so können wir lange Zeit Freude an ihm haben.
Ziel einer jeden Ausbildungsmethode ist es daher, das Reitpferd gesund zu erhalten. Höre ich mich in Reiterkreisen um, stelle ich immer wieder fest, dass die Reiter allesamt bestrebt sind, dieser Forderung nachzukommen. Sie sprechen oft davon, dass sie mit ihren Pferden „arbeiten“ müssen. Arbeiten steht dabei für Anstrengungsbereitschaft, Zusammenarbeit, Konzentration, Fleiß, Gehorsam. Mit der Forderung „Arbeite!“ ist oftmals eine negative Assoziation verknüpft. Oft höre ich im Stall Sätze, wie: „Der hat heute überhaupt nicht mitgearbeitet.“ Reiter meinen dann, dass das Pferd sich nicht angestrengt hat oder die Hilfen nicht annimmt. Der Reiter ist frustriert. Aus Unwissenheit setzt er zum Kampf an: Er rüstet sich mit Gerte und Sporen. „Ich will dir ja nur Gutes und harmonisch mit dir zusammenarbeiten“, wird er vermutlich sein Vorgehen rechtfertigen. Aus dem Bestreben, alles richtig und bestmöglich zu machen, damit das geliebte Pferd gesund bleibt, verfallen manche Reiter kläglichen Methoden, die mit Gesunderhaltung und Freude am Reiten nichts mehr zu tun haben. Das Pferd wird schlussendlich doch krank und sie sind frustriert.
Sobald wir aufsteigen, übernehmen wir Verantwortung für die Gesundheit des Pferdes.
Der Begriff „arbeiten“ ist an sich gar nicht falsch. Er implementiert bereits verschiedenste Vorstellungen eines guten Trainings. Nur leider werden diese nicht immer umgesetzt. Erfolgt beispielsweise nach Phasen großer Anstrengung keine Pause, kann die eingeforderte Leistungsbereitschaft schnell zur Überforderung führen. Das Pferd reagiert mit Verspannungen und Ungehorsam. In einem strukturierten Trainingsablauf hingegen wird die zu absolvierende Belastung („Arbeit“) aufgeteilt und passt sich den Voraussetzungen des Pferdes an. Es wird zielgerichtet gearbeitet und somit Verletzungen vorgebeugt.
Ein Training ist somit immer an bestimmte Zielvorgaben geknüpft. Wir machen uns Gedanken darüber, was wir trainieren wollen. Dann planen wir, wie wir an das gewünschte Ziel kommen. Die Trainingsplanung wird dabei von verschiedensten Faktoren beeinflusst (siehe Abbildung 1).
Hauptsache gesund
Das oberste Ziel sollte natürlich die Gesunderhaltung des Pferdes sein. Wir müssen also dafür sorgen, dass unser Pferd trotz unserer Nutzung gesund bleibt – egal, welches Ausbildungsniveau es hat. Die Forderung, dass unser Pferd keine Schäden durch das Reiten davonträgt, beginnt ab jenem Moment, wo wir aufsteigen. Das Wohlbefinden hat höchste Priorität, dem sich spezifische (Teil-)Ziele, wie das Erarbeiten von Lektionen oder das Springen über Hindernisse, unterordnen. Die spezifizierte Ausbildung im Springen, Dressur- und Westernreiten hat der Gesunderhaltung des Pferdes stets nachzukommen. Sie muss die anatomisch-physiologischen Gesetzmäßigkeiten des Pferdekörpers befolgen.
Abbildung 1: Unzählige Faktoren haben Einfluss auf das tägliche Training. Wir müssen sie planend berücksichtigen, um effektiv trainieren zu können.
Die Ausbildung als Reitpferd muss die anatomisch-physiologischen Gesetzmäßigkeiten des Pferdekörpers berücksichtigen und die Gesundheit des Pferdes unterstützen, egal, in welcher Disziplin man unterwegs ist.
Gesunderhaltung durch Muskelaufbau
In der Reiterei sind sich die Lehrmeister einig, dass die Muskelarbeit des Pferdes die Gesundheit maßgeblich bestimmt. Nur ein Pferd, das den Rücken aufwölben kann, schützt sich vor Überlastungen. Dazu muss der Reiter entsprechende Muskelgruppen aktivieren und kräftigen. In diesem Zusammenhang sprechen wir von der Reitpferdemuskulatur. Es reicht nicht, sich damit auszukennen, dem Pferd die Hilfen verständlich beizubringen und diese korrekt anzuwenden. Man muss seine Arbeit auch um das Wissen einer gezielten Trainingssteuerung erweitern. Nur dann kann eine pferdefreundliche Ausbildung stattfinden. Muskelaufbauprozesse und die Gesunderhaltung des Pferdes sind nicht einfach nur Nebeneffekte einer korrekten Ausbildung. Wir müssen sie als feste Bestandteile in den Ausbildungsprozess und die Planung einer jeden Trainingseinheit miteinbeziehen. So können wir Konflikte und Verletzungen aufgrund muskulärer Erschöpfungszustände verhindern.
Wie werde ich zum Pferdetrainer?
Durch kontinuierliche Trainingseinheiten beabsichtigen wir, dass unser Pferd Kraft und Kondition aufbaut, kurz, dass es leistungsfähiger wird.
Der Muskelaufbau kommt nicht von allein – er muss gezielt gesteuert werden. Jeder Reiter ist ein Trainer!
Je besser der Trainingszustand des Pferdes, desto geringer ist die Gefahr, dass es sich verletzt oder Überlastungsschäden davonträgt.
Je besser die Muskulatur des Pferdes ausgebildet ist, desto geringer ist das Risiko, dass das Pferd Schäden durch das Reiten davonträgt. Gut arbeitende Muskeln schützen die Gelenke, trainierte Sehnen sind weniger anfällig für Verletzungen. Aber hier verfallen leider viele Reiter einem weitverbreiteten Irrglauben: Viel Training hilft nicht immer viel!
Verlangen wir von unserem Pferd, dass es sogleich im zügigen Tempo lostrabt und sich anstrengen muss, bewirken wir, dass die Muskeln übersäuern, verspannen und frühzeitig erschöpfen. Auch unser Pferd wird dann höchstwahrscheinlich „sauer“ werden, wenig kooperationsbereit sein und nicht mit uns zusammenarbeiten wollen. Seine Motivation und die Freude an der Bewegung scheinen verloren zu sein. Das Pferd hat Muskelschmerzen.
Um diesem Missstand vorzubeugen, ist ein gutes Training in Phasen unterteilt.
Das Training sollte in Phasen unterteilt sein. Zum Aufwärmen kann man auch vom Boden arbeiten.
Die Phasen strukturieren das Training von einer niedrigen zur hohen Beanspruchung der Muskulatur. Sie bauen systematisch aufeinander auf. Das Training obliegt somit verschiedenen Prinzipien, die für den Muskelaufbau richtungweisend sind.
Wir trainieren täglich:
· vom Langsamen zum Schnellen
· vom Leichten zum Schweren
· vom Einfachen zum Komplexen
Die Trainingsphasen
Unter Berücksichtigung dieser Prinzipien unterteilen wir das Training in einzelne Phasen, die verschiedene Aufgaben und Funktionen für den Muskelaufbau haben. In jeder Trainingseinheit finden wir diese Phasen wieder. Die erste Phase, das Warm-up, dient der Erwärmung der Muskulatur, der Bandstrukturen und Gelenke. Das Pferd bewegt sich zunächst langsam auf großen gebogenen oder geraden Linien. Die Muskulatur wird vermehrt durchblutet und mit Sauerstoff versorgt. In der Hauptphase, der zweiten Phase, können wir dann entsprechende Belastungsreize setzen, die zur Leistungssteigerung und zum Muskelaufbau führen. Wir versammeln das Pferd zunehmend und erarbeiten neue Lektionen. Daran schließt sich eine Cool-down-Phase an, die zur Entspannung dient und den Organismus unmittelbar auf die nächste Trainingseinheit vorbereitet. Das Training wird positiv beendet.
Abbildung 2a: Diese Abbildung zeigt den Aufbau des täglichen Trainings in Phasen.
Abbildung 2b: Wenn die Warm-up- und Cool-down-Phase zu kurz geraten, steigt die Belastungsintensität zu schnell an. Das Training schadet mehr, als dass es nutzt.
Ich beginne immer langsam mit einfachen Übungen. Im weiteren Verlauf werden die Übungen und Lektionen, die ich von meinem Pferd verlangen kann, schwieriger und komplexer. Das Tempo ist ebenfalls erst langsam und wird zunehmend schneller. Verstärkungen reiten wir erst in der Hauptphase.
Wenn Sie Ihr Pferd langsam aufwärmen, bevor Sie es belasten, können Sie bereits einen erheblichen Beitrag zu seiner Gesunderhaltung leisten (siehe Kap. „Warm-up“,...