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E-Book

Warten auf Foucault

Anleitung zum Nicht-Studieren

AutorTom Kraftwerk
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl221 Seiten
ISBN9783732549276
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Immer mehr Bachelor-Studenten hetzen durch ihre paar Jahre an der Uni und verpassen dabei die wichtigste Lektion: Denn es geht beim Studium nicht darum, abkömmliches Fachwissen anzuhäufen, sondern um Lebenserfahrung. Und die bekommt man am besten in ungewöhnlichen Nebenjobs, überfüllten WGs und experimentellen Beziehungsformen. Als vorlauter Vertreter seiner Generation erzählt Tom Kraftwerk aus seinem Studentenleben und wirft liebgewonnene Bildungs-Dogmen über den Haufen. Ein Mutmach-Buch für trödelnde Studenten, ein erhobener Zeigefinger für alle Streber und eine Beruhigungspille für hysterische Eltern.


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Leseprobe

Kapitel 2:


Aller Anfang ist Bier


Da ich unbedingt studieren wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Bewerbungen fertigzustellen. Psychologie sollte aber nach dem Jobinterview mit der Psychologin nicht die einzige Option bleiben. Ich bewarb mich nach dem Wikipedia-Prinzip: Fachrichtung googeln – Wikipedia-Eintrag lesen – entscheiden, ob ich das cool finde oder nicht. Eine engere Auswahl traf ich anhand der Dinge, die mir in der Schule Spaß machten.

In meinem Politik-Leistungskurs hatte ich mal eine Arbeit über Monetarismus und Keynesianismus angefertigt und das ziemlich spannend gefunden. Nächtelang zerbrach ich mir während meiner Schulzeit den Kopf über Gesellschaftstheorien. Geschichte und Politik waren meine Lieblingsfächer. Einer meiner engsten Freunde, David, leistete mir bei meinen Überlegungen häufig Sparring. Während ich mich für Marx und die Idee des Sozialismus begeisterte, war er immer etwas nationalistischer und neoliberaler. Die Gespräche, die wir führten, endeten nie in Mord und Totschlag, sondern basierten stets auf gegenseitigem Respekt, auch wenn wir unterschiedlicher in unseren Meinungen nicht hätten sein können. Links und rechts waren für uns Überzeugungen, die man in Diskussionen vertreten konnte, mit denen wir uns aber nicht voneinander abgrenzten oder Gewalt gegen wen oder was auch immer rechtfertigten. Heute bin ich übrigens deutlich konservativer, und er ist der linke Spinner.

Ich bewarb mich meinen Interessen entsprechend für Wirtschaftswissenschaften. Da man bei einigen Universitäten auch einen Zweit- und Drittwunsch angeben konnte, fügte ich meinen Bewerbungen häufig Politikwissenschaften hinzu. Auch Psychologie war ein Fach, auf das ich mich bewarb, aber nicht mehr mit dem Ziel, Therapeut zu werden, sondern weil die Inhalte spannend waren. Wenn die Uni es anbot, wählte ich auch Soziologie aus. Insgesamt muss ich mich an zirka dreißig Universitäten auf eine Kombination aus diesen Studiengängen beworben haben.

Relativ schnell bekam ich die ersten Rückmeldungen per Post. Allesamt Absagen. Das machte mir aber nichts, ich wusste ja, dass ich enorm viele Bewerbungen geschrieben hatte, und irgendeine Uni würde schon zusagen. Einen Favoriten hatte ich nämlich nicht. Hauptsache, erst mal an die Uni, alles Weitere würde sich dann ergeben. Es dauerte nicht lange, bis auch die ersten positiven Rückmeldungen ankamen.

Bielefeld war die erste Universität, die mich haben wollte. Eine Google-Suche ergab, dass Bielefeld die Adresse für Soziologen war, da die Uni bei theoretischen Grundlagen ganz vorn mitspielte. In Bielefeld hatte ich eine Bekannte, die ich mal auf einer Party in Hannover kennengelernt hatte, und ich empfand die Zusage als Aufforderung, mich mal wieder bei ihr zu melden. Sie lud mich ein und zeigte mir die Stadt. Es war Hochsommer, und im Oetkerpark saßen viele junge Menschen, spielten Spiele auf dem Rasen oder chillten in der Sonne. Die Stadt selbst war nicht sonderlich hübsch, und ich vermisste das Wasser (und vermisse es bis heute): Bielefeld hat keinen Fluss, keine Badeseen, kein Meer. Aber Bielefeld hat eine wahnsinnig tolle Uni, eins der coolsten Gebäude, die ich je gesehen habe. Während die Studenten in Hannover von einem Ende der Stadt zum anderen fahren mussten, um Seminarräume zu wechseln, war in Bielefeld alles auf einem Fleck. Eine Campus-Uni. Mit eigener Post, Sparkasse, Dönermann (!) und sogar einem eigenen Schwimmbad. Auch die Verbindung war super: Aus Hannover brauchte ich zirka anderthalb Stunden mit der Bahn. Ich sagte mir zwar von Anfang an, dass der Standort egal sei, doch die Tatsache, dass ich auch in Zukunft noch leicht meine Familie und Freunde besuchen könnte, gefiel mir dann doch recht gut.

Pumpen

»Guck mal, die Wohnung kostet nur 250 Euro.« Begeistert lenkte ich die Aufmerksamkeit meiner Bielefelder Freundin auf das entsprechende Angebot in der Zeitung.

»Joa, aber das ist in Baumheide«, entgegnete Eva.

Wir saßen seit einigen Minuten an ihrem Küchentisch in Bielefeld und studierten den Wohnungsmarkt in der Zeitung, die uns ihre Mutter gegeben hatte.

»Und?«, fragte ich unwissend.

»Da willst du nicht wohnen.«

Woher will sie das denn wissen, dachte ich mir. Ich habe Zeit meines Lebens auf einem Dorf mit nicht mal 200 Einwohnern gelebt, mir war eigentlich recht egal, wo ich wohnte, Hauptsache, es war bezahlbar und was los!

»Komm mal mit«, forderte mich Eva auf. Ich folgte ihr kommentarlos, wir gingen ins Büro und setzten uns vor den PC. Sie öffnete YouTube und tippte »hardsoul pumpen« ein. Bei dem Musikvideo, das jetzt abspielte, dachte ich anfangs, es handelte sich um ein Comedy-Format.

»Das ist Baumheide«, sagte Eva ziemlich ernst, während eine Horde südländischer Typen mit kurdischer Flagge zu elektronischem Beat vor einem Baumheide-Schild poste. Das Video sah aus, als hätte ein Zwölfjähriger eine Kamera mit Fischaugenobjektiv geschenkt bekommen und müsste die jetzt auf Teufel komm raus mit seinen Kollegen ausprobieren.

»Das ist …« Ich pausierte. »… ernst?« Ich war etwas verwirrt und konnte meine Augen nicht vom Bildschirm lösen. Ich verstand nur die Hälfte des undeutlichen Raps und war zunehmend amüsiert über die Performance der Darsteller.

»Lass uns weitersuchen.« Eva lachte und riss mich aus meiner Vorstellung, wie es wohl in Baumheide aussehen mag. Ich stimmte ihr aber zu, und wir gingen wieder an den Küchentisch.

Eine Stunde später verließ ich ihre Wohnung mit einem Zettel, auf dem drei Telefonnummern und Notizen standen, und fuhr nach Hause.

Ich hatte mich längst damit angefreundet, nach Bielefeld zu ziehen. Zwar bekam ich nach wie vor Zusagen von anderen Universitäten, doch die waren mir egal. Ich wollte nur raus, eine eigene Wohnung haben und mein Studium aufnehmen. Und das machte ich jetzt eben in Bielefeld. Also verabredete ich mich zu drei Wohnungsbesichtigungen, legte sie mir alle auf einen Tag und lieh mir das Auto meiner Eltern, um auf eigene Faust meine neue Wohnung zu finden.

»Wo ist die Toilette?«, fragte ich den Hausmeister.

»Aus der Wohnungstür raus, gegenüber«, antwortete der graue Mittfünfziger, der die gesamte Führung über mit einem Minimum an Worten ausgekommen ist. »Bis Mittwoch brauche ich Bescheid, ob du es nimmst«, sagte er mir zum Abschied.

Ich war leicht verwirrt und verließ das Haus, das von außen aussah, als wäre es im Krieg zerstört und nie wiederaufgebaut worden. Die Adresse in der Nordstadt war mein erster Termin, und ich war trotz des Rückschlags noch recht gelassen und zuversichtlich, heute endlich meine neue Wohnung zu finden.

Die Uni hatte mir bereits bestätigt, dass mein Semesterbeitrag eingegangen war, und mir daraufhin einen vollgepackten Umschlag geschickt, in dem sich neben einer Broschüre über die Stadt laut Anschreiben auch der sogenannte Leporello befand. Ich hatte das Wort bis zum Zeitpunkt des Öffnens nie gehört, war mir aber sicher, dass das irgendwas Cooles, Studentisches sein musste. Und tatsächlich: Auf einem gefalteten DIN-A4-Blatt stand mehrfach mein Name und dass ich als Haupthörer in den Studiengang »1-Fach-B.A. Soziologie« eingeschrieben sei. Ich konnte mich daran erinnern, bei der Bewerbung ein Häkchen bei »1-Fach-B.A.« gemacht zu haben, doch ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Zusätzlich waren zwei abtrennbare Teile dabei. Einer für die Krankenkasse und einer, auf dem nur »Bescheinigung nach § 9 BAföG« stand. Ich hatte die Sachen erst mal liegen gelassen und mir vorgenommen, mich später darum zu kümmern. Zunächst musste ich eine Wohnung finden.

Wohnung Nummer zwei war in der Innenstadt, und das Haus war von außen das Gegenteil von dem, das ich eben gesehen habe. Ein älterer Herr öffnete mir die Tür und führte mich zu seiner Nachbarwohnung.

»Meine Tochter hatte die Wohnung lange, aber die ist jetzt zum Studieren nach Berlin gegangen.«

Hmm, dachte ich und betrat die Wohnung. Sie bestand aus einem langen Flur und drei Zimmern, eines davon war die Küche, die wie aus dem Ei gepellt vor mir lag.

»Haben alles neu machen lassen«, erklärte mir der alte Mann das Offensichtliche.

Na endlich, dachte ich ungeduldig und richtete meine neue Wohnung in Gedanken bereits ein. Hier das Wohnzimmer, da das separate Schlafzimmer, Küche war groß genug für einen massiven Esstisch …

»Der Preis in der Zeitung war noch der alte, wir sind jetzt bei 150 Euro Miete mehr, haben das noch nicht geändert«, warf der Opa ein, und schon zerplatzten meine Einrichtungsträume.

Zwei Wohnungen an einem Tag, und ich war bereits fertig mit den Nerven. Wie hart musste das erst für Studenten in Städten sein, in die die Leute wirklich hinziehen wollten? Umziehen ist Scheiße, ganz besonders in eine neue Stadt. Ich hatte früh aufstehen müssen, um die 150 Kilometer mit dem Auto zurückzulegen, war trotz vier Kaffee immer noch müde und wollte einfach, dass es klappte. Mit der Wohnung, dem Umzug, der neuen Stadt und mir. Zur Not hätte ich sicher in der ersten Wohnung wohnen können, aber nicht auf Dauer. Gut, an den Geruch hätte ich mich gewöhnt, und nach einem bisschen Putzen und mit neuen Vorhängen hätte man durchaus was rausholen können, aber … Allein zu wohnen schien wirklich teuer zu sein, zumindest für meine Verhältnisse.

Ich setzte alle Hoffnung in die dritte Besichtigung und fuhr in eine recht ländliche Gegend im Süden der Stadt. Bielefeld war sehr weitläufig, in einem Moment war man noch in der Innenstadt, und...

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