»Taktlos durch den Tag zu gehen widerspricht nicht nur unseren Konventionen, sondern auch unserer Biologie. Wir sind nun einmal Rhythmuswesen. Und das besagt, wir sind im Gegensatz zu Maschinen nicht auf kontinuierliche Leistung, auch nicht auf eine längere Arbeitsleistung eingestellt, sondern wir leben und arbeiten im Rhythmus. Nur im Takt bleiben wir intakt.«
So bringt es Professor Jürgen Zulley, einer der bekanntesten Schlafforscher Deutschlands, von der Universität Regensburg auf den Punkt.
Unsere innere Uhr ist tief in uns verankert. Seit Jahrtausenden tickt sie im gleichen Rhythmus: Ihr 24-Stunden-Takt wird durch die Rotation der Erdkugel vorgegeben. Aus dem damit einhergehenden Hell-Dunkel-Wechsel ergibt sich eine natürliche Abfolge von Tag und Nacht, die als externer Faktor ganz entscheidend an der Steuerung vieler unserer Körperfunktionen beteiligt ist.1 Der natürlich immer wiederkehrende Wechsel von Licht und Dunkelheit im 24-Stunden-Takt – von Sonnenaufgang zu Sonnenaufgang – wird als zirkadianer Rhythmus bezeichnet.
Der Lichtreiz des Sonnenlichts synchronisiert unsere biologische Uhr ein Leben lang. Und sie reguliert auch die Physiologie des Körpers entscheidend mit. So sind beispielsweise die Körpertemperatur, die Ausschüttung von Wachstums- und Stresshormonen, die Herzfrequenz und der Blutdruck tageszeitabhängig. Auch wenn Sie beispielsweise Tag für Tag sogar ohne Wecker etwa zur gleichen Zeit erwachen, geht dies auf Ihre innere Uhr zurück.
Trotz der Orientierung am Tag-Nacht-Wechsel hat jeder Mensch seinen ganz persönlichen Biorhythmus. Bekanntlich unterscheidet man »Lerchen« von »Nachteulen«, also Menschen, deren Leistungsfähigkeit schon morgens hoch ist, von jenen, die erst abends so richtig aufdrehen.
Der wesentliche Taktgeber ist jedoch das Licht. Allerdings reagiert der menschliche Organismus nur auf Lichtquellen, die wie das natürliche Tageslicht mit einer Intensität von mindestens 2.500 Lux scheinen. Selbst bei bedecktem Himmel erreicht die Lichtintensität unter freiem Himmel 8.000 Lux, bei strahlendem Sonnenschein sogar etwa 300.000 Lux. Eine künstliche Innenraumbeleuchtung erreicht diese Werte nur in den seltensten Fällen.
Zusätzlich wirken weitere, ganz individuell geprägte Taktgeber, wie etwa soziale Kontakte, der Turnus unserer Tagesaktivitäten sowie der Zeitpunkt der Mahlzeiteneinnahmen.1 Alle diese Faktoren zusammen prägen den individuellen Biorhythmus. Das ist mittlerweile anerkannt. Nur im Gleichklang mit dem eigenen natürlichen Biorhythmus lebt es sich so richtig gut. Wer die innere Uhr ignoriert, hat ein höheres Risiko zu erkranken und gerät öfter in soziale Konflikte. Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass eine Vielzahl von Katastrophen, hinter denen »menschliches Versagen« steckt, auf ein solches Leben gegen selbige zurückzuführen sind.
Beispiele typischer Beleuchtungsstärken
Sommertag in der Sonne | 100.000 lx |
trüber Sommertag | 20.000 lx |
Sommertag im Schatten | 10.000 lx |
bedeckter Wintertag | 3.500 lx |
Büro-/Zimmerbeleuchtung | 500 lx |
Kerze ca. 1 Meter entfernt | 1 lx |
Nachthimmel (Neumond) | 0,001 lx |
bewölkter Nachthimmel | 0,00013 lx |
Im Takt der inneren Uhr
Bei einem Großteil der Menschen sinkt die Körpertemperatur zum Abend hin unmerklich ab. Damit setzt eine natürliche Müdigkeit ein. In den frühen Morgenstunden erreicht die Körpertemperatur dann ihren tiefsten Punkt, bevor sie langsam wieder ansteigt und am Nachmittag ihren Höhepunkt erreicht. Diese Schwankung um etwa ein Grad Celsius im Laufe eines 24-Stunden-Tages scheint gering – doch die physiologischen Auswirkungen sind bedeutend! So schüttet zum Beispiel die Zirbeldrüse im Gehirn umso mehr des Schlafhormons Melatonin aus, je weiter die Körpertemperatur absinkt: Der Melatoninspiegel steigt kurz nach Einsatz der Abenddämmerung rapide an und fällt vor der Morgendämmerung wieder ab. Wer erst in den frühen Morgenstunden zu Bett geht, wird aufgrund des zirkadianen Rhythmus meist schon nach sehr kurzer Zeit wieder wach. Denn das Ansteigen der Körpertemperatur und die sinkende Melatoninkonzentration leiten trotz Schlafmangel den Aufwachprozess ein. Und wer sich nachts hellem Licht aussetzt, sei es bereits vor dem Zubettgehen oder beim nächtlichen Erwachen, kann anschließend nur schlecht einschlafen, weil die Helligkeit zur rasch eintretenden Hemmung der Melatoninausschüttung führt.
Der Versuch vorzuschlafen, indem man sich einfach früher ins Bett legt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit misslingen. Denn die innere Uhr ist dann noch nicht auf Schlafen eingestellt, die Körpertemperatur noch zu hoch und man ist aufgrund des Biorhythmus noch fit. Statt bald einzuschlafen, wälzt man sich mit hoher Wahrscheinlichkeit unruhig im Bett hin und her.
Unser eingespielter Schlaf-Wach-Rhythmus kann nicht einfach unterbrochen werden. Selbst nach einer völlig schlaflosen Nacht verschwindet die quälende Müdigkeit in den Vormittagsstunden zumindest für eine Weile und kehrt wahrscheinlich erst nach dem Mittagessen wieder, dann allerdings verstärkt. Denn uns alle überkommt im Vier-Stunden-Rhythmus ein kleines Tief. Das wäre jeweils ein guter Zeitpunkt für ein kleines Nickerchen. Einige Studien deuten darauf hin, dass ein Mittagsschlaf im Tagesablauf vorgesehen ist.
Längst ist aber auch erwiesen, dass nicht jeder Mensch schon sehr früh am Morgen seine optimale Betriebstemperatur erreicht. Manche sind einfach so früh noch nicht richtig wach und dementsprechend weder leistungsfähig noch besonders kommunikationsfreudig. Ein Umstand, der entschuldigt werden sollte – auch wenn es vielen unbegreiflich ist – da es nachweislich Morgen- und Abendtypen gibt: Der freiwillige Frühaufsteher ist bereits in den frühesten Morgenstunden gut gelaunt und leistungsfähig. Der Abendtyp läuft hingegen teilweise erst in den frühen Nachtstunden zur Hochform auf. Schätzungsweise jeweils 15 Prozent der Bevölkerung gehören zu einem dieser beiden Chronotypen. Es liegt also in den Genen und wird darüber hinaus auch durch das Alter bestimmt, ob Lerche oder Eule. Diese unterscheiden sich gravierend in ihren Gewohnheiten, was den Zeitpunkt des Zubettgehens und Aufstehens angeht. Und auch darin, ob sie eher am Vormittag oder am Nachmittag besonders wach sind. Einfach umpolen lassen sich solche Menschen nicht!1
Aus dem Takt …
So unantastbar der individuelle Rhythmus auch ist, lässt sich der Taktgeber doch durch Manipulation erheblich aus dem Rhythmus bringen. So verwirrt es den Takt definitiv, wenn man um zwölf Uhr mittags München im Flieger nach New York verlassen hat und nach neun Stunden Flug um 16 Uhr am John-F.-Kennedy-Flughafen landet. Im Grunde ist es für den Organismus ja bereits 21 Uhr und er läutet die abendliche Müdigkeit ein. Aber die Freunde wollen noch feiern, die Stadt will erkundet werden, die Gastgeber warten … – Und so zeigt die Uhr am Times Square Mitternacht, während die innere Uhr noch im heimatlichen Rhythmus tickt und darauf programmiert ist, jetzt das morgendliche Aufwachen einzuleiten. Lernfähig wie unser innerer Zeitgeber ist, passt sich der Körper innerhalb weniger Tage an den neuen Rhythmus an. Und genau da steht für die meisten Menschen schon wieder der Rückflug an.
Übrigens ist der Jetlag noch stärker ausgeprägt, wenn man nach Osten fliegt. Denn die Zeitverschiebung bei einem Flug nach Osten entspricht einer Tagesverkürzung. Eine solche verursacht deutlich stärkere Störungen als ein Flug nach Westen, der einer Verlängerung des Tages entspricht. Der Körper gewöhnt sich nach einem Flug gen Westen um 20 Prozent schneller an die neue Tageszeit. Im Schnitt benötigt das Organsystem jeweils etwa 24 Stunden, um zwei Stunden Zeitverschiebung zu kompensieren. Jeder, der schon einmal eine Fernreise unternommen hat, wird dieses klassische Phänomen eines desynchronisierten zirkadianen...