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Zweifelhaft glauben
Arne Bachmann
Ein mulmiges Gefühl im Magen.
Ein Gedanke, den man weit von sich wegschieben will und der immer wieder auftaucht.
Die Frage: Was wäre, wenn?
Was wäre, wenn es sich nicht so verhielte wie gedacht?
Was wäre, wenn sich alles als Schwindel herausstellte?
Wenn der Grund zum Abgrund wird, der sich vor den Füßen auftut?
Das Gefühl, aller Gewissheiten beraubt zu sein, keine Orientierung mehr zu haben, nicht mehr so recht zu wissen, wohin. Nicht mehr so recht zu wissen, wer das eigentlich ist, der sich diese Fragen stellt.
Skepsis und Zweifel
So oder so ähnlich mag es sich anfühlen, wenn man dem Zweifel verfällt. Manchmal überfällt er einen sehr plötzlich und manchmal wird eher sehr schleichend Vertrauen untergraben, Gewissheiten verlieren sich und Standpunkte lösen sich auf. Hier lohnt es sich, zunächst einmal zu betrachten, was wir genau meinen, wenn wir sagen: „Ich zweifle.“
Zum einen gibt es einen Zweifel aus der Distanz, man könnte auch von Skepsis sprechen: Jemand berichtet davon, dass er nicht glaubt, dass die Amerikaner auf dem Mond gelandet sind. Vielleicht präsentiert er sogar Beweise, die er bei einer „ganz sicheren Quelle“ im Internet gefunden hat. Der Zweifelnde hat eigentlich mit der Mondlandung nichts zu tun, er hat keinen Bezug zu den Geschehnissen im Jahr 1969. Er zweifelt ohne allzu großen existenziellen Bezug zu der Sache. Ähnlich verhält es sich, wenn zum Beispiel ein naturwissenschaftlich geprägter Bekannter an Gott zweifelt und sagt: „Bevor man mir nicht Beweise vorlegt, glaube ich nicht an Gott.“
Es geht hier um Beweise, um Evidenz, um Fakten. Der Zweifelnde ist wie ein Richter, der möglichst objektiv eine Sache betrachten soll, die ihm vorgelegt wird. Dazu gibt es eine Beweisaufnahme. Alles Relevante wird gesichtet, abgewogen und am Ende ein Urteil gefällt. Die Vernunft ist hier die Richterin und Gott der Angeklagte.
Doch ist das wirklich der Zweifel, um den es geht? Um das nüchterne Abwägen von Fakten? Um Beweisaufnahme und Suche nach Evidenz? Dann würde es reichen, Apologetik, also die vernünftige Verteidigung christlicher Wahrheitsansprüche, zu betreiben, wie beispielsweise C.S. Lewis es tat. Dann würde es genügen, zu argumentieren, zu diskutieren und zu zeigen, wie der Glaube sinnvoll, gar vernünftig sein kann.
Doch irgendwie scheint das nicht auszureichen. Das scheint nicht die Art von Zweifel zu sein, um die es hier geht. Die Art von Zweifel, die uns hier beschäftigt, dreht sich nicht um den unbeteiligten Beobachter, der hinter den Jalousien seines Verstandes steht und neugierig herausschaut, ob es da draußen noch eine andere Welt gibt.
Wenn wir Schwierigkeiten haben, unserem Bekannten, der an der Mondlandung Zweifel hegt, Glauben zu schenken, ist es schon etwas anderes. Dieser Zweifel spielt sich auf der Beziehungsebene ab. Wir zweifeln nicht nur Aussagen an, die wahr sein könnten oder nicht, sondern wir ziehen eine ganze Person in Zweifel. Wir stufen unseren Bekannten als nicht vertrauenswürdig ein und entziehen ihm unser Vertrauen. Das setzt voraus, dass wir bereits in einem (mehr oder weniger engen) Vertrauensverhältnis standen.
So scheint es ja auch beim Glauben an Gott zu sein. Der zweifelnde Gläubige steht ebenfalls nicht im Niemandsland, um sich zwischen zwei gleichwertigen Alternativen zu entscheiden, er sitzt nicht auf dem Richterstuhl der Vernunft, um Gott nach Beweisen für seine Existenz zu fragen. Er ist schon involviert, steht schon in einem Verhältnis, ist verstrickt. Er hat schon einen Bezug zu Gott. Er hat vertraut und sieht sein Vertrauen nun schwinden. Etwas, das Halt gab, droht wegzubrechen.
Das ist kein Zweifel aus der Distanz mehr, kein skeptisches Beäugen, sondern ein Prozess, der einem sehr nahegehen kann. Er kann sich als tiefe Verunsicherung, als Verzweiflung und Angst ausdrücken.
Wer so zweifelt, dem helfen keine Argumente, dem hilft kein gutes Zureden. So zu zweifeln, kann einen an Abgründe führen.
Doch noch schlimmer, als so zu zweifeln, ist es, so zu zweifeln und es nicht zu dürfen. Noch schlimmer ist es, diesen Zweifel verdrängen zu wollen. Ihn tief in sich zu verschließen. Mit niemandem so richtig darüber reden zu können. Zu merken, dass jedes Mal, wenn man darüber reden möchte, andere abblocken, weil sie fürchten, mit Zweifeln angesteckt zu werden. Oder zu merken, dass man plötzlich zum Seelsorgefall wird, der möglichst schnell therapiert werden muss. Man wird mit einem Mal anders behandelt – besonders freundlich oder besonders vorsichtig – und hat den Eindruck, man solle auf den rechten Pfad zurückgebracht werden.
Dadurch kann der Zweifelnde innerlich isoliert werden. Und irgendwann muss er sich entscheiden, entweder zu seinen Zweifeln zu stehen oder zu schweigen und so zu tun als ob. Vielleicht mag es ja genügen, etwas lauter zu singen, etwas mehr zu beten oder irgendeine geistliche Kur zu durchlaufen.
So wird der Eindruck genährt, Zweifeln wäre eine Ausnahmesituation. Ein Abfall vom rechten Glauben. Etwas, das man isolieren und durch Quarantänemaßnahmen eindämmen muss. Und in der Tat: In manchen Traditionen erwecken das Liedgut, die Predigten und die Gebete den Eindruck, als wäre der Glaube ein Höhenflug fernab des alltäglichen Lebens. Als wären Gewissheit, Vertrauen und spürbare Gottesnähe die Normalsituation des Glaubens.
Dazu müssen wir einen Blick darauf werfen, wie das Streben nach Sicherheit und unumstößlicher Gewissheit zu einem Götzen im westlichen Denken wurde.
Die Suche nach Sicherheit
Das westliche Denken wurde immer schon vom Zweifel begleitet. Von Sokrates wird berichtet, dass er durch Athen ging und die Gewissheiten seiner Mitbürger durch viele Fragen erschütterte. Er stellte alles infrage, damit die Leute darüber nachdachten, auf welchen Grundlagen sie ihr Leben aufbauten. Sokrates‘ berühmte Erkenntnis: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, war kein Ausdruck der Resignation. Es war nicht das schulterzuckende Zeichen, dass die Suche beendet war, sondern der Motor seiner Suche. Dieser Zweifel war ein Zeichen von Wachheit, vom Mut, (sich) Fragen zu stellen, und von Bewegung.
Doch benötigt diese Art des Fragestellens auch die Fähigkeit, Ungewissheit zu ertragen. Und das scheint nicht jedem Menschen gegeben zu sein. Deshalb wollte René Descartes ein für alle Mal mit dem Zweifel aufräumen. Sein Projekt, das als der Beginn der modernen Philosophie gilt, beginnt mit radikalem Zweifel. Was, wenn die ganze Welt da draußen nur ein schöner Schein ist? Was, wenn andere Menschen Automaten sind und mir nur etwas vorspielen? Was, wenn alles ganz anders ist?
Doch an einer Tatsache konnte Descartes nicht zweifeln: am denkenden und zweifelnden Ich. Das sollte fortan das Fundament sein, auf dem alle wahre Erkenntnis aufbaute. Von diesem Fundament ausgehend sollten durch komplizierte rationale Beweisführung alle weiteren Wissenschaften abgeleitet werden. Doch an einer Stelle konnte Descartes nicht ganz auf Gott verzichten: Er benötigte Gott, um sicherzustellen, dass nicht zum Beispiel ein böser Geist unser Denken verwirrt. So wurde Gott zum Lückenbüßer, der uns in unserem Denken Sicherheit geben soll. Gott wurde eingespannt in die Suche des Menschen nach unumstößlicher Sicherheit und sollte ein stabiles Fundament für unser Erkenntnisgebäude darstellen, an dem freilich allein der Mensch baut.
Auch wenn Descartes‘ Philosophie aus dem 17. Jahrhundert stammt, so sind wir doch in unserem Streben nach Sicherheit von ihr zutiefst geprägt. Besonders dort, wo sich unsere Welt immer schneller verändert, wo Ordnungen schwanken, Lebenskonzepte ihre Selbstverständlichkeit verlieren und unsere eigene Zukunft ungewiss erscheint, steigt die Tendenz, Gott als eine Art Rückversicherung zu nutzen. Dort, wo die gefühlten Risiken der Lebensführung steigen, wächst das Bedürfnis nach Stabilität. Diese wird in Form von bestimmten Vorstellungen gesucht, die absolute Wahrheit beinhalten. Zu Zeiten der Entstehung des christlichen Fundamentalismus waren das zum Beispiel die Jungfrauengeburt, die Irrtumslosigkeit der Bibel oder die Unfehlbarkeit des Papstes. Entscheidend ist hierbei, dass es sich um bestimmte Inhalte oder Institutionen handelt, auf die der Mensch sein Leben aufbaut, um dabei Gott als Garanten der eigenen Sicherheit zu benutzen.
Dies ist Götzendienst, da der Mensch Gott in sein eigenes Projekt der Selbstsicherung einspannt. Schon Luther erkannte das und nannte es die securitas: Gott wird dazu benutzt, um Sicherheit, Halt und Orientierung zu erlangen, und so wird die berechtigte Suche nach Gewissheit zu einem Götzen.
Gleichzeitig wird klar, warum Menschen sehr gereizt auf jeden Angriff auf ihr Gedankengebäude oder ihr sogenanntes Fundament reagieren: Mit dem Gedankengebäude selbst gerät die gesamte Identität ins Wanken. Und so muss der Mensch mit allen möglichen Mitteln jeden Zweifel von seinem eigenen Gedankengebäude fernhalten. Zuerst mit beißender Polemik, manchmal auch mit der Vermeidung von Situationen, in denen Zweifel aufkommen könnten, und nicht zuletzt auch mit Gewalt.
Ein Glaube, der zweifeln kann
An dieser Stelle wird plötzlich klar, dass das Projekt der Selbstsicherung, auch wenn es im frommen Gewand daherkommt, so gar nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hat. Denn da geht es doch darum, dass sich Gott immer wieder in Beziehung zu uns setzt. Folglich kommt es in letzter Konsequenz nicht auf unsere Stimmung, auf unsere Rechtgläubigkeit und unser Wohlverhalten an. Die göttliche Barmherzigkeit ist eine Grundlage, die gewisser ist als...