Professor Batschbrachte mich als Gast in den Klub der Professoren, und hier näherte sich mir ein kleiner freundlicher Mann, der mich gastfrei in sein Haus einlud; es war der Buchhändler Frommann. Er hatte, irre ich nicht, kurz vor meiner Ankunft sein Etablissement in Züllichau aufgehoben, um in dem Mittelpunkt einer bedeutenden literarischen Tätigkeit in Jena zu leben. Es war offenbar mehr ein geistiges Bedürfnis, genährt durch einen früheren Umgang mit Berliner Gelehrten, als eine eigentliche Finanzspekulation, die ihn herzog. Dieses höhere geistige Interesse ging ebensosehr von seiner Frau, einer gebornen Bohn aus. Die große Freundlichkeit dieser Familie, das lebhafte Interesse für die geistigen Angelegenheiten des Tages zog mich unwiderstehlich an, und ich trat schnell in ein vertrautes Verhältnis mit Mann und Frau. Die nordische Lebensweise, die durch die Frau in diesem Hause herrschte, war mir auch sehr angenehm. Gries war ein Hausfreund der Familie, und ich erfuhr bald, daß Goethe, wenn er von Weimar kam, nicht selten die Abende bei Frommann zuzubringen pflegte.
Indessen war A. W. Schlegel mit seiner geistreichen Frau angekommen, ebenso Schelling, der in dem großen öffentlichen Hörsaal sich durch eine Probevorlesung habilitieren sollte. Schelling war von Leipzig gekommen und eben, wie ich hörte, von einer bedeutenden Krankheit genesen. Professoren und Studenten waren in dem großen Hörsaal versammelt. Schelling betrat das Katheder, er hatte ein jugendliches Ansehen, er war zwei Jahr jünger als ich und nun der erste von den bedenkenden Männern, deren Bekanntschaft ich sehnsuchtsvoll zu machen suchte; er hatte in der Art, wie er erschien, etwas sehr Bestimmtes, ja Trotziges, breite Backenknochen, die Schläfen traten stark auseinander, die Stirn war hoch, das Gesicht energisch zusammengefaßt, die Nase etwas aufwärts geworfen, in den großen klaren Augen lag eine geistig gebietende Macht. Als er zu sprechen anfing, schien er nur wenige Augenblicke befangen. Der Gegenstand seiner Rede war derjenige, der damals seine ganze Seele erfüllte. Er sprach von der Idee einer Naturphilosophie, von der Notwendigkeit, die Natur aus ihrer Einheit zu fassen, von dem Licht, welches sich über alle Gegenstände werfen würde, wenn man sie aus dem Standpunkt der Einheit der Vernunft zu betrachten wagte. Er riß mich ganz hin, und ich eilte den Tag darauf, ihn zu besuchen. Der Galvanismusbeschäftigte damals alle Naturforscher; der große Moment, in welchem Elektrizität und chemischer Prozeß, in einer höhern Einheit verbunden, sich wechselseitig zu erklären schienen, trat eben mächtig hervor. Auch mich hatte dieser Moment mit großer Gewalt ergriffen. Schelling nahm mich nicht bloß freundlich, sondern mit Freude auf. Ich war der erste Naturforscher von Fach, der sich unbedingt und mit Begeisterung an ihn anschloß. Unter diesen hatte er bis jetzt fast nur Gegner gefunden, und zwar solche, die ihn gar nicht zu verstehen schienen.
Das mündliche Gespräch ist unbeschreiblich reich. Ich kannte seine Schriften,ich teilte, wenn auch nicht in allem, seine Ansichten, ich erwartete, wie er selber, von seiner Unternehmung einen großartigen Umschwung, nicht der Naturwissenschaft allein. Ich konnte den Besuch nicht verlängern, der junge Dozent war mit seinen Vorträgen beschäftigt. Aber die wenigen Augenblicke waren so reich gewesen, daß sie sich für mich in der Erinnerung zu Stunden ausdehnten. Es war durch die Übereinstimmung mit Schelling eine Zuversicht entstanden, die, ich will es bekennen, fast an Übermut grenzte. Zwar war er jünger als ich, aber unterstützt durch eine mächtige Natur, erzogen unter den günstigsten Verhältnissen, hatte er frühzeitig einen großen Ruf erworben und stand mutig und drohend dem ganzen Heer einer ohnmächtig werdenden Zeit gegenüber, deren Heerführer selbst, zwar polternd und schimpfend, aber dennoch furchtsam und scheu sich zurückzuziehen anfingen. Ich erinnere mich nicht genau, ob damals schon Röschlaubund Eschenmayersich ihm genähert hatten. Der letztere hatte eben einen Versuch, die Gesetze des Magnetismus a priori zu entwickeln, herausgegeben; aber diese Schrift war fast ganz im Kantschen Sinne geschrieben und hatte mit der Schellingschen Ansicht wenig gemein.
Von ahnungsvoller Tiefe hingegen erschien uns beiden Franz Baader,dessen Beiträge zur Elementarphilosophie schon früher als Schellings naturphilosophische Schriften gedruckt, und besonders das pythagoräische Weltquadrat, welches, irre ich nicht, soeben erschienen war. Aber Baader war aus den dunklen Gegenden des Mystizismus hervorgetreten; Schelling hingegen aus der hellen Region der wissenschaftlichen Reflexion der Zeit. Die Nacht des Mystizismus erhielt ihr Licht aus den entfernten Sternen, deren Bewegung uns unbekannt war, die nur im Dunkeln leuchten, nicht erhellen konnten. Aber die Sonne einer frühern Spekulation, seit der alten griechischen Zeit untergegangen, ging durch Schelling wieder auf und versprach einen schönen geistigen Tag. Ich erwachte an diesem hellen Morgen rüstig und mutig und wußte, daß ich mich dem Jüngern hingeben, meine Hingebung offen und unbefangen bekennen dürfte, ohne Furcht, mich selber zu verlieren.
Ich ging von Schelling zu Fichte, der eben seine Vorlesungen über die Bestimmung des Menschen eröffnete. Dieser kurze, stämmige Mann mit seinen schneidenden, gebietenden Zügen imponierte mir, ich kann es nicht leugnen, als ich ihn das erstemal sah. Seine Sprache selbst hatte eine schneidende Schärfe; schon bekannt mit den Schwächen seiner Zuhörer, suchte er auf jede Weise sich ihnen verständlich zu machen. Er gab sich alle mögliche Mühe, das, was er sagte, zu beweisen; aber dennoch schien seine Rede gebietend zu sein, als wollte er durch einen Befehl, dem man unbedingten Gehorsam leisten müsse, einen jeden Zweifel entfernen. – "Meine Herren", sprach er, "fassen Sie sich zusammen, gehen Sie in sich ein, es ist hier von keinem Äußern die Rede, sondern lediglich von uns selbst." – Die Zuhörer schienen so aufgefordert, wirklich in sich zu gehen. Einige veränderten die Stellung und richteten sich auf, andere sanken in sich zusammen und schlugen die Augen nieder; offenbar aber erwarteten alle mit großer Spannung, was nun auf diese Aufforderung folgen solle. – "Meine Herren", fuhr darauf Fichte fort, "denken Sie die Wand", – ich sah es, die Zuhörer dachten wirklich die Wand und es schien ihnen allen zu gelingen. – "Haben Sie die Wand gedacht?" fragte Fichte. "Nun, meine Herren, so denken Sie denjenigen, der die Wand gedacht hat." – Es war seltsam, wie jetzt offenbar eine Verwirrung und Verlegenheit zu entstehen schien. Viele der Zuhörer schienen in der Tat denjenigen, der die Wand gedacht hatte, nirgends entdecken zu können, und ich begriff nun, wie es wohl geschehen könnte, daß junge Männer, die über den ersten Versuch zur Spekulation auf eine so bedenkliche Weise stolperten, bei ihren ferneren Bemühungen in eine sehr gefährliche Gemütsstimmung geraten konnten, Fichtes Vortrag war vortrefflich, bestimmt, klar, und ich wurde ganz von dem Gegenstande hingerissen und mußte gestehen, daß ich nie eine ähnliche Vorlesung gehört hatte.
Ein Aufsatz, den ich in der naturforschenden Gesellschaft über den Oxydations- und Desoxydationsprozeßder Erde vortrug, ist in Schellings Zeitschrift für spekulative Physik und später in einer Sammlung meiner frühern Schriften unter dem Titel: "Alt und Neu, Breslau 1821" abgedruckt worden. Der Hauptgedanke hat in der Tat einigen spekulativen Wert. Es liegt ihm die Ansicht zugrunde, daß der vegetative Desoxydationsprozeß, durch welchen die rohen Elemente der Erde für das Leben gewonnen werden, nicht bloß in Beziehung auf die Vegetation selbst, sondern auch für die ganze Erde als ein belebender betrachtet werden muß; und was die Darstellung betrifft, darf man nicht vergessen, daß ich noch nicht Freiberg besucht hatte und mit der Wernerschen Geognosieso gut wie unbekannt war, Schelling war für diesen Aufsatz sehr eingenommen. Einige Fragmente, die ich niedergeschrieben hatte, wurden zufällig A. W. Schlegel bekannt, und er lud mich zur Teilnahme an dem Athenäum ein. Ich habe nichts für diese Zeitschrift geliefert, wie ich denn selten in meinem Leben Aufträgen der Art Genüge leistete. Fast alles, was ich habe drucken lassen, war das Produkt eines inneren Vorganges, der nur zufällig und höchst selten mit äußeren Aufforderungen zusammenfiel.
Ich war nun allmählich mit mehreren Familien bekanntgeworden. A. W. Schlegel und seine bedeutende und höchst geistreiche Frau, sowie die liebliche Tochter gehörten zu meinem angenehmsten Umgange.. Durch sie lernte ich auch den Justizrat Hufeland, den Mitredakteur der Allgemeinen Literaturzeitungkennen, der mich gastfrei und freundlich aufnahm. Er, Schlegel und Frommann bildeten den Kreis, in welchem ich fast täglich lebte. Grieserschien nur bei Frommann; auch ihn besuchte ich häufig und war nun ein lebhaft teilnehmendes Mitglied des engern Kreises, von welchem eine große, die ganze Literatur umgestaltende Tätigkeit ausging. In diesem Kreise unterhielt man sich fast ausschließlich von literarischen Gegenständen, von Streitigkeiten der Schriftsteller, von den Verhältnissen zu den Gegnern, und ich fand mich plötzlich, obgleich ich mich noch nicht als Schriftsteller hervorwagte, auf den Kampfplatz versetzt und sah wohl ein, daß ich früher oder später in den öffentlichen Streitverwickelt werden müßte. Ich war in beständiger Produktivität, ja fortdauernd in einer Art wissenschaftlicher Begeisterung. Ideen drängten sich, aber mir fehlte noch die besonnene Ruhe, die zur Ausarbeitung nötig ist. Ich...