1 Ein Wesen von einem anderen Stern
Geschafft! Die Geburt ist überstanden und Sie halten endlich Ihr Kind in den Armen. Atmen Sie gut durch – denn das Abenteuer geht jetzt erst richtig los!
Neugeborene wirken mit ihren unverwandten Blicken und ihren kleinen, zarten Körpern, als seien sie nicht von dieser Welt. Doch dieser Eindruck täuscht. Sie sind für das Abenteuer Erde top ausgerüstet! Ihr Körper verfügt über ein Abwehrsystem gegen Krankheitserreger, das sich über Hundertausende von Jahren bewährt hat, und sie sind ausgestattet mit vielen Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, sich ihrer neuen Umwelt anzupassen und in ihr zu bestehen. Neugeborene sind also alles andere als schutzlose Nichtskönner und auch keine unbeschriebenen Blätter. Ihre Entwicklung wird bestimmt durch ihre einzigartige Anlage – und die Umwelt, in die sie hineingeboren werden. Wächst ein Kind in einem liebevollen, aufmerksamen Umfeld auf, braucht es für seine Entwicklung im Grunde nicht viel mehr und es entfaltet sein ganz besonderes Potenzial von ganz allein. Entwicklung passiert dabei auf verschiedenen Ebenen: auf der körperlichen – vor allem sichtbar am Wachstum und an der Motorik – und der psychischen – zu erkennen an den kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. All diese Entwicklungen greifen ineinander und beeinflussen sich gegenseitig. »Die kindliche Entwicklung« ist also ein enorm vielschichtiger Prozess und verläuft alles andere als geradlinig. Es folgt nicht immer lehrbuchmäßig ein Entwicklungsschritt auf den anderen. Wie oft ist es so, dass Eltern sehnsüchtig darauf warten, dass ihr Kind endlich richtig krabbelt, doch das Kind zieht es vor, sich kreativ von A nach B zu rollen, bis es dann vom einen auf den anderen Tag beschließt, loszulaufen und das Krabbel-Stadium ganz sein zu lassen. Manchmal lassen sich die Kleinen scheinbar endlos Zeit und plötzlich vollziehen sich fünf Entwicklungsschritte auf einmal oder es wird einfach einer übersprungen.
1.1 Zu vergleichen bringt gar nichts
Am besten fängt man gar nicht erst damit an, sein Kind mit den anderen zu vergleichen. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Sitzt man erst einmal beim Pekip, wandert der Blick doch zum Nachbarskind und man ist verunsichert, wenn der Spross der Sitzkreisnachbarin schon munter nach einem Holzring greift, während das eigene Kind so etwas noch nicht im Ansatz tut – und das, obwohl es 3 Wochen älter ist … Berichtet dann die stolze Nebensitzerin auch noch unaufgefordert: »Ja, Leon greift jetzt schon seit zwei Wochen wie ein Weltmeister!«, gibt einem das den Rest und es ist erst einmal aus mit dem unbeschwerten, zufriedenen Blick auf das eigene Kind. Die Angst vor der unzureichenden Entwicklung ist gesät und es dauert meist nicht mehr lange und der Meilenstein-Terror hat einen fest im Griff. Wir zerbrechen uns den Kopf, unser Kind könnte sich nicht richtig entwickeln, und im schlimmsten Fall überschattet diese Sorge die einzigartige und unwiederbringliche Babyzeit – und das mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit völlig umsonst. Denn die Bandbreiten einer »normalen« Entwicklung sind einfach ziemlich groß.
Aber bevor wir in das Thema Entwicklung richtig einsteigen, schauen wir uns erst einmal an, was diese kleinen Wesen überhaupt bereits alles mitbringen!
1.2 Was nimmt Ihr Baby wahr?
Ihr Baby ist von Anfang an mit allen Sinnen da! Es kann sehen und hören, schmecken und riechen, es fühlt Schmerz und spürt, wenn es berührt, gehalten, getragen oder bewegt wird. Allerdings sind seine Sinnesempfindungen anfangs noch unterschiedlich stark ausgeprägt und einzelne Sinnesbereiche müssen noch weiter ausreifen. Ihr Kleines braucht wesentlich mehr Zeit als Sie, um Reize aus seiner Umwelt aufzunehmen und zu verarbeiten, und die Reize müssen verhältnismäßig stark sein, lange andauern und sich wiederholen. Eltern stellen sich in der Regel ganz intuitiv auf diese besondere Wahrnehmung ihrer kleinen Babys ein.
Wenn Sie z. B. mit Ihrem Baby sprechen, halten Sie Ihren Kopf vermutlich von ganz alleine nah an den Ihres Kindes, reden langsam und deutlich in simplen Sätzen und Worten, untermalen das Gesagte mit einer ausgeprägten Mimik und wiederholen sich oft.
1.2.1 Die kleinen Lauscher sind voll aktiv
Schon im 4. Schwangerschaftsmonat kann Ihr Kind hören. Daher kennt es auch bereits Ihre Stimme, wenn es zur Welt kommt.
Liegt es auf Ihrer Brust und hört Ihren Herzschlag (den kennt es nämlich auch schon aus dem Bauch) und Ihre Stimme, wirkt das auf Ihr Kleines beruhigend und es fühlt sich geborgen. Sein Mittelohr ist unmittelbar nach der Geburt noch mit Fruchtwasser gefüllt und schützt vor allzu lauten Geräuschen. Das Fruchtwasser wird vom Ohr erst innerhalb der ersten Tage nach der Geburt absorbiert. Dann hört Ihr Kind ganz ausgezeichnet. Allerdings wird es erst ungefähr ab dem vierten Lebensmonat anfangen, sein Köpfchen in Richtung einer Geräuschquelle zu drehen.
1.2.2 100 % Gefühl
Auch fühlen kann Ihr Kind schon lange bevor es auf die Welt kommt. Der Tast- oder Hautsinn entwickelt sich wie das Gehör schon sehr früh. Allerdings ist er bei der Geburt noch nicht voll ausgereift. Ihr Baby kann Berührungen noch nicht richtig orten. Aber es spürt genau, wenn Sie es berühren, und dieser Körperkontakt ist für Ihr Baby überlebensnotwendig. Es empfindet alles: Wärme und Liebkosungen, aber auch Kälte und Schmerzen. Schmerzen spürt es schon im vollen Umfang, nur leicht verzögert, da seine Nervenleitungen noch nicht so schnell sind. Temperaturschwankungen registriert Ihr Kleines erst, wenn sie mindestens fünf Grad betragen. Daher können Sie nicht davon ausgehen, dass es sich gleich meldet, wenn es ihm zu warm oder zu kalt ist. Besonders gut ist der Tastsinn bei Neugeborenen im Bereich Lippen und Zunge entwickelt.
1.2.3 Mamas Duft und süße Milch – was will man mehr!
Auch riechen und schmecken kann Ihr Kind schon, wenn es zur Welt kommt. Diese beiden Sinne sind eng miteinander verknüpft und beide sind bei Neugeborenen noch nicht ganz so empfindlich wie später. Allerdings kann Ihr Kind Sie schon wenige Tage nach seiner Geburt an Ihrem Geruch erkennen. Und was seine geschmacklichen Vorlieben angeht: Die sind ganz klar süß, wie seine Leibspeise, die Muttermilch.
1.2.4 Sehen nur in Tuchfühlung
Babys können zwar von Geburt an sehen, ihre Augen sind jedoch noch nicht ganz ausgereift. Alles, was weiter als 30 Zentimeter entfernt ist, nimmt Ihr Neugeborenes nur unscharf wahr. Vor allem starke Kontraste sind für kleine Babys erkennbar und können daher für sie spannend sein. Besonders interessiert ist es an Gesichtern. Liegt es in Ihren Armen, hat Ihr Gesicht genau die richtige Entfernung und Ihr Kind kann es aufmerksam studieren – wenn auch meist nur für kurze Zeit. Das Gucken ist noch recht anstrengend.
Im 2. Lebensmonat beginnen Babys, Gegenstände oder Gesichter für längere Zeit zu fixieren. Auch das räumliche Sehen setzt ungefähr zu diesem Zeitpunkt ein und Farben sowie Helligkeitsunterschiede werden recht gut erkannt.
1.3 Was braucht Ihr Baby?
In erster Linie braucht es Sie – aufmerksame, liebevolle und verlässliche Eltern. Am besten frei von allzu vielen Erwartungen und Plänen, wie das Leben mit einem Baby auszusehen hat. Denn diese ganzen Vorstellungen machen es häufig komplizierter und versperren den Blick darauf, was so ein kleines Geschöpf gerade tatsächlich braucht.
Die Kleinen sind zwar zu 100 % abhängig von unserer Hilfe, aber sie sind keineswegs passiv. Sie sagen uns, was sie brauchen, wir müssen nur lernen, sie zu verstehen. Das beste Mittel dafür ist, viel Zeit miteinander zu verbringen, aufmerksam zu beobachten und auszuprobieren. Besonders wichtig für Neugeborene oder überhaupt für kleine Babys ist, dass ihre Eltern unmittelbar auf die geäußerten Bedürfnisse reagieren. Und das heißt wirklich: sofort! Oma findet das vielleicht übertrieben oder sogar schlicht falsch. Doch abzuwarten ist bei kleinen Babys fehl am Platz. Und das gilt sowohl für die Befriedigung körperlicher als auch seelischer Bedürfnisse. Wenn ein kleines Baby Hunger hat, dann sollte es gleich Milch bekommen und nicht erst in einer halben Stunde, wenn es der Plan vorsieht. Wenn es müde ist, sollte es jetzt schlafen dürfen und nicht erst eine halbe Stunde später, weil es dann besser passt. Wenn das Baby weint, sollte es sofort getröstet werden, auch wenn es ihm äußerlich gesehen an nichts fehlt. Leider gibt es immer noch den verbreiteten Irrglauben in unserer Gesellschaft, man könne ein Baby verwöhnen, indem man ihm ständig und unmittelbar seine Bedürfnisse erfüllt.
Es ist aber vielmehr so, dass Eltern ihrem Kind damit einen wertvollen Dienst erweisen. Und der zahlt sich ein Leben lang aus. Durch das unmittelbare und einfühlsame...