I. Aus dem Stammbuch eines Kardinals …
Nahperspektive – Weltkirche
Herr Kardinal, wir haben beide – wie der heilige Paulus schreibt – „unsere Heimat im Himmel“ – unsere irdischen Heimaten liegen hingegen recht weit voneinander entfernt: die Ihre ist die Schweiz, meine Polen. Einige „polnische“ Spuren lassen sich gleichwohl in Ihrer Vita entdecken …
Das ist eine überraschende Perspektive! Sie spielen vermutlich vor allem darauf an, dass ich am 6. Januar 1996 von Papst Johannes Paul II. zum Bischof geweiht worden bin. Ich war selbst überrascht, als ich die Sukzessionsreihe anschaute und dabei polnischen Namen begegnete. Ich wurde von Papst Johannes Paul II. am 6. Dezember 1995 zum Bischof von Basel ernannt und der Heilige Vater hat gewünscht, dass ich in Rom geweiht werde. Im Bistum Basel hat es damals einige Unruhe gegeben, dass die Weihe nicht in Solothurn stattfinden sollte. Auf der anderen Seite war es auch ein sehr schönes Zeichen: Man ist Bischof einer Diözese und zugleich Mitglied des Bischofskollegiums. In Rom vom Papst am Grab des heiligen Petrus zusammen mit sechzehn anderen Bischöfen aus aller Welt geweiht zu werden, war ein sehr schönes und tiefes Erlebnis.
Die Bischofsweihe in Rom hat dazu beigetragen, dass Sie sich von Beginn an als Teil der Weltkirche erfahren haben?
Ja, die Kollegialität der Bischöfe ist eine grundlegende Erkenntnis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Als Bischof ist man kein Einzelkämpfer. Gerade weil man als Bischof die Verantwortung für eine Diözese trägt, ist man Mitglied des weltweiten Bischofskollegiums. Dass dies bereits bei der Weihe sichtbar wurde, hat mich und mein Verständnis des Bischofsamtes geprägt.
Lassen Sie uns zurückblicken in die Zeit, lange bevor Sie Bischof und später in Rom Kardinal geworden sind: Wann hat Kurt Koch begonnen, daran zu denken, Priester zu werden?
Der Gedanke daran entstand in der ersten Klasse der Grundschule. Mein erster Wunsch war, etwa mit drei Jahren, St. Niklaus zu werden, und dann, mit fünf Jahren, war Musikant mein Berufswunsch. Aber in der ersten Grundschulklasse, mit sieben Jahren, stand für mich fest, dass ich Priester werden wollte. In meiner Heimatpfarrei hatte ich einen sehr guten Pfarrer und es hat mir damals sehr imponiert, was er tat. Da dachte ich mir: „Was er macht, das möchte ich auch einmal sein und tun.“ Dieser Wunsch ist immer geblieben, bis heute. Es ist einer der schönsten Berufe, den man haben kann, auch auf verschiedenen Ebenen. Ich wollte zwar ursprünglich Pfarrer werden, was ich leider nie geworden bin. Denn ich bin als Lehrer an die Theologische Fakultät gekommen, dann Bischof und später Kardinal geworden. Aber für mich ist es entscheidend, dass man als Priester und Seelsorger für die Menschen da ist.
Gelassene Leidenschaft und leidenschaftliche Gelassenheit
Sie haben während Ihrer Amtszeit als Bischof erfahren müssen, wie schwer das bischöfliche Brustkreuz zu tragen ist. Es gibt sicherlich viele Gründe, die dazu beitragen, dass auch der Bischof leiden muss. „Es gilt, das Kreuz eines Bischofs in gelassener Leidenschaft und in leidenschaftlicher Gelassenheit zu tragen“, haben Sie einmal gesagt. Was ist darunter zu verstehen?
Ich kann vielleicht an die letzte Begegnung anknüpfen, die ich mit Papst Johannes Paul II. (1978–2005) vor seinem Sterben hatte. Als er mich fragte, wie es mir gehe, habe ich ihm geantwortet: „Wissen Sie, je länger ich Bischof bin, desto weniger kann ich jemanden verstehen, der das werden will!“ Darauf gab er mir zur Antwort: „Da haben Sie etwas sehr Wahres gesagt, aber es gibt immer noch einige, die das nicht einsehen wollen.“ Das Bischofsamt ist in der heutigen Situation gewiss keine leichte Aufgabe. Denn es ist ein Dienst an der Einheit in einer doch recht stark polarisierten Kirche und Gesellschaft. Dieser Dienst ist deshalb nicht einfach, aber er ist ein schöner Dienst und ihn auszuüben ist eine wichtige Aufgabe. Auch das Kreuz gehört zum Bischofsamt. Jesus selbst hat verheißen, dass wir in seiner Nachfolge auch an seinem Kreuz Anteil erhalten. Und wenn man das Bischofsamt ganz ernst nimmt, kommt die Kreuzesnachfolge von selbst zum Tragen.
Es gibt also kein Christentum ohne Kreuz und es gibt kein Bischofsamt ohne Kreuz?
Im ersten Johannesbrief gibt es die tiefe Stelle, bei der gesagt wird, dass Wasser, Blut und Geist zusammengehören (1 Joh 5,6). Johannes schärft diese Zusammengehörigkeit ein, weil die Gläubigen offenbar nur das Wasser der Taufe und nicht das Blut der Eucharistie beziehungsweise das Blut des Kreuzes als wichtig betrachten. Wenn man aber nur das Wasser der Taufe und nicht das Blut der Eucharistie will, entsteht ein „verwässertes“ Christentum. Und dann ist die Versuchung groß, das Wunder von Kana gleichsam auf den Kopf zu stellen: Während Jesus in Kana Wasser in Wein verwandelt hat, gibt es in der Kirche heute durchaus Tendenzen, den am Kreuz Jesu gekelterten und in der Eucharistie gegenwärtigen Wein wieder in Wasser zu verwandeln. Demgegenüber erinnert Johannes daran, dass es kein Christentum ohne Kreuz geben kann.
Das eigentliche Kreuz eines Bischofs besteht – Ihrer Meinung nach – in der „Sandwich“-Lage, in der sich der Bischof befindet. Er muss zwischen der eigenständigen Physiognomie seiner Ortskirche und seiner Einbindung in die Weltkirche stehen. Diese unvermeidliche Polarität dürfte heute zweifellos jenes Spannungsfeld ausmachen, unter dem ein Ortsbischof am meisten zu leiden hat.
Diese Spannung gehört wesentlich zur Struktur des Bischofsamtes. Der Bischof ist Bindeglied der Katholizität zwischen der Ortskirche, der er vorsteht und die er leitet, und der Universalkirche. Dies ist in der eigentümlichen Verfassungsstruktur der Katholischen Kirche begründet, die man am besten mit einer Ellipse mit zwei Brennpunkten vergleichen kann, nämlich der Einheit der Universalkirche und der Vielfalt der Ortskirchen. Der Bischof hat die Aufgabe, die Anliegen, Leiden und Freuden der Ortskirche in die Universalkirche und die Anliegen der Universalkirche in seine Ortskirche hineinzutragen. Heute besteht freilich bei nicht wenigen Gläubigen die Tendenz, diesen notwendigen Gegenverkehr nicht mehr sehen zu wollen, sondern nur noch eine Einbahnstraße in dem Sinn, dass der Bischof all das, was die Ortskirche beschäftigt, nach Rom tragen, nicht aber das, was die Universalkirche beschäftigt, in die Ortskirche hineintragen soll. Demgegenüber besteht die undelegierbare Verantwortung des Bischofs darin, den Dienst der Einheit zwischen der eigenen Ortskirche und der Universalkirche in beider Richtung wahrzunehmen.
„Christus hat in allem Vorrang“
Als Bischof wählten Sie den Leitsatz: Ut sit in omnibus Christus primatum tenens – Christus hat in allem Vorrang (Kol 1,18). Heute, als Kardinal und Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, ziert dieser Spruch Ihr Wappen. Welche Bedeutung hat der Leitsatz für Sie?
Ich habe diesen Leitsatz gewählt, weil ich überzeugt bin, dass die tiefste Krise, die wir heute in der Kirche erleben, nicht eine Krise der Kirche, sondern eine Krise des Christusglaubens ist. Diese Krise besteht im Kern darin, dass viele Christen in Jesus Christus durchaus seine menschliche Seite wahrnehmen und ihn als guten Menschen erkennen und anerkennen, dass es ihnen aber schwerfällt, den christlichen Glauben zu bezeugen, dass Jesus Christus der eingeborene Sohn Gottes ist und dass die Kirche mit diesem Glauben an Jesus Christus steht oder fällt. Um dies in Erinnerung zu rufen, dass Kirche ohne Christus keinen Sinn macht und dass Christus in allem den Vorrang haben muss, habe ich den Satz aus dem Kolosserbrief zu meinem bischöflichen Leitwort gewählt. Dieses Wort behält auch heute seine Aktualität in meiner Verantwortung für die Ökumene. Denn ich bin überzeugt, dass wir Christen nur zueinanderfinden, wenn wir uns gemeinsam in den Glauben an Jesus Christus vertiefen. Je näher wir zu Christus kommen, desto näher werden wir auch zueinanderkommen. Es ist der entschiedene Wille unseres gemeinsamen Herrn, dass seine Jünger eins sein sollen. Wenn wir dem Willen des Herrn treu bleiben wollen, gibt es zur Ökumene keine Alternative. Von daher ist der bischöfliche Leitsatz jetzt auch in meiner ökumenischen Verantwortung sehr wichtig.
Ich sehe auf Ihrem Kardinalswappen drei Kochlöffel, einen Stab, in der Mitte einen dreiblättrigen grünen Zweig und eine Friedenstaube. Könnten Sie die Bedeutung erklären?
Die Kochlöffel weisen auf meinen Namen hin. Der Stab gibt den Baslerstab wieder. Ich wollte dieses Zeichen bewahren, da ich Bischof von Basel war, als Papst Benedikt XVI. mich berufen hat, nach Rom zu kommen. Als besonderes Zeichen für die ökumenische Verantwortung, die mir übertragen ist, habe ich die Taube mit dem grünen Zweig gewählt, und zwar als Zeichen dafür, dass...