Tricks I
Zwei junge Männer kommen von der anderen Straßenseite, etwa 30 Meter vor mir, auf mich zu. Auch ohne konzentriert darauf zu achten, bekomme ich mittlerweile mit, wenn sich hier in Dakar eine irgendwie unangenehme Situation anbahnt. Und wenn zwei junge Männer in einiger Entfernung die Straße wechseln, in meine Richtung kommen, einer ein Stück Papier auf der Hand mit einem Warenangebot, werde ich aufmerksam. Ich habe keine Lust meinerseits die Straße zu wechseln und erwarte den Lauf der Dinge, den ich zu kennen meine.
"Monsieur, bonjour, wie geht es Ihnen?" werde ich angesprochen. "Es geht", erwidere ich den üblichen Gruß ohne stehen zu bleiben, worauf die beiden, links und rechts von mir, in meine Richtung mitgehen. "Schauen Sie, ein schöner Armreif. Möchten Sie ihn nicht mal anprobieren?" Er hält mir das Papier hin, auf dem sich drei Armreifen befinden, aus Kupfer, mit eingearbeiteter Kaurimuschel, wie man sie oft hier sieht. "Nein danke", sage ich, und weiß, dass ich die Hemdtaschen zugeknöpft, nichts in den Hosentaschen und auch keine Armbanduhr oder Schmuck an mir habe. Denn der Trick beruht darauf, durch Ablenkung der Aufmerksamkeit, behinderte Sichtmöglichkeit und möglichst noch einen kleinen Rempler eine Situation zu schaffen, in der mit Geschick in die Taschen des Opfers gegriffen werden kann. So habe ich es mehrfach im Zentrum von Dakar erlebt.
Da werde ich auch schon von rechts ein wenig geschubst, "Pardon", murmelt der junge Mann, mit seinem Kollegen an der linken Seite bekomme ich Körperkontakt, spüre seine tastende Hand an meinem Körper, bin mit einem Schritt zurück außerhalb des Zugriffsbereichs und sage, es tue mir leid, ich hätte heute weder Geld noch sonst irgendetwas Interessantes bei mir. Die Jungen schauen etwas verdutzt, versuchen noch einmal, ihren Verkaufsvorwand anzubringen und sich mir zu nähern, ich zeige ihnen freundlich meine leeren Hosentaschen, sage auf Wolof, "amul xalis", hab' kein Geld, was sie zwar nicht glauben, aber mit einem Grinsen zur Kenntnis nehmen. "Kein Problem", meint der eine freundlich, dann wenden sie sich zögernd von mir ab. – Sich in einer solchen Situation zu empören, laut oder aggressiv zu werden, bringt nichts. Oft haben die Trickdiebe Kumpel in der Nähe, "Blitzableiter" gewissermaßen, die dann verständnisvoll und beschwichtigend eingreifen, die Klage des Opfers anhören, aber deutlich machen, es sei ja nichts Schlimmes passiert, man könne ja froh sein, die Jungs seien harmlos, die Polizei zu holen nütze nichts usw.
Als ich einem solchen "Blitzableiter" gegenüberstand und er mit den selben Worten wie ein anderer beim letzten Mal mich zu beruhigen versuchte, mir dabei auf den Arm klopfte, hatte ich den Eindruck, dass dies der geeignete Augenblick wäre, die echte Abzocke durchzuziehen ...
Bei meinem zweiten Aufenthalt in Dakar wurde ich innerhalb von zwei Tagen dreimal so oder ähnlich angegangen. Einmal hatte der freundliche junge Mann schon meine Armbanduhr in der Hand, die er nach meinem unsanften Zugriff wieder loslassen musste, ein anderes Mal waren einige Briefmarken die Beute, die ich in die nicht zugeknöpfte Brusttasche gesteckt hatte, der dritte Trick war eben jener mit den Armreifen auf einem Stück Papier.
Ich hielt mich danach zwei Wochen im Landesinneren auf, wo man als weißer Reisender solche Probleme überhaupt nicht hat. Vor der Rückkehr nach Dakar und in Erwartung ähnlicher Situationen hatte ich aus Spaß einen kleinen Zettel geschrieben mit der französischen Verwünschung "Dass Gott dir die Hand abhacke, du Dieb!" Darunter setzte ich die gefälschte Unterschrift des senegalesischen Oberheiligen Amadou Bamba, des Gründers der einflussreichen islamischen Bruderschaft der Mouriden. Da würde jemand einen gehörigen Schrecken bekommen! Was der wohl denken würde? Hoffentlich konnte er überhaupt lesen! Voller grimmiger Vorfreude und mit dieser Botschaft in der unverschlossenen Brusttasche gehe ich am nächsten Tag durch Dakar und warte ungeduldig auf einschlägige Annäherungen.
Was geschieht? Ich bleibe zwei Tage völlig unbehelligt, kein Trick- oder Taschendieb will etwas von mir wissen, selbst die üblichen dreisten Verkäufer sprechen mich viel seltener an. Ich flaniere abends lange durch die für die Kleinkriminellen idealen Seitengassen des Zentrums, will unbedingt meinen Zettel an den Mann bringen. Keine Chance, es ergibt sich diesmal nicht der Ansatz der erwünschten unerwünschten Begegnung. Schließlich gebe ich auf und setzte mich enttäuscht ins Café de Paris. Bei einem Bier zolle ich der Macht Amadou Bambas Respekt und nehme mir vor, diesen Zettel für die nächste Senegalreise sorgfältig aufzubewahren.
Deutsche Sandalen
Wieder hatte mich ein junger Mann angesprochen, wieder war ich auf ein Gesprächsangebot eingegangen in den anstrengenden ersten Tagen in Dakar. Die Skepsis, die sich nach einigen Begegnungen mit den zahlreichen, oft aufdringlichen Straßenhändlern gebildet hatte, wich einer Überraschung, da dieser junge Schwarze mir anscheinend nichts verkaufen wollte. Wir kamen über dies und das ins Gespräch. Welch schöne Sandalen ich hätte, meinte mein Begleiter nach kurzer Zeit. Ob ich ihm nicht das Paar verkaufen könne? Sein Vater sei Schuhmacher und brauche unbedingt ein Paar dieser hervorragenden deutschen Sandalen als Modell. Ich wisse ja gar nicht, wie gefragt die hier seien. Da war sie wieder, meine Skepsis, und er sah sie auf meinem Gesicht. Nein, wirklich, sein Vater würde mir für das Paar 70.-, nein, sogar 100.- Mark bieten. Es sei auch gar nicht weit zur Werkstatt seines Vaters, gleich hier um die Ecke ...
Je begeisterter er sprach, desto skeptischer wurde ich. Hundert Mark für diese abgelaufenen Sandalen, die gerade die Hälfte gekostet hatten, und das hier, wo 100.- Mark ein kleines Vermögen waren? Der Redefluss, mit dem der junge Mann auf meine Zurückhaltung reagierte, verstärkte diese nur noch. Verwundert und ungläubig nahm Mamadou, so hatte er sich zwischendurch vorgestellt, meine Weigerung auf, gleich jetzt mit ihm zur Quelle dieses unverhofften Reichtums zu gehen. Ich muss gestehen, dass ich einen Moment tatsächlich dachte, wie jetzt schnell 100.- Mark zu machen wären. Gleichzeitig konnte ich mir gut vorstellen, wie sich die Situation in der Werkstatt des Vaters ganz anders darstellen würde. Ich stellte mir lebhaft das Staunen des Vaters, aller Mitarbeiter und Anwesenden vor über dieses Missverständnis meinerseits, über meine plötzliche Weigerung, seine aus Elefantenhaut handgeschnitzten Sandalen mit Goldverzierung nicht mehr für den Spottpreis von 100.-Mark kaufen zu wollen, wie ich es doch eben noch seinem Sohn, der dazu eifrig mit dem Kopf nicken würde, zugesagt hätte. Und wie ich unter dem Druck der Situation wenn schon nicht die hässlichen Sandalen, dann ein anderes, kleineres, aber ebenso überteuertes Teil aus dem Angebot kaufen würde. Eigentlich war ich ganz sicher, dort gleich um die Ecke alles andere vorzufinden als einen auf deutsche Sandalenwracks wartenden senegalesischen Schuhmachermeister. In einer anderen als der etwas gestressten Stimmung heute hätte die Neugier gesiegt, doch so ließ ich einen ungläubig blickenden Mamadou an jener Ecke zurück, an der es für einen sandalentragenden Weißen so einfach gewesen wäre, hundert Mark zu verdienen ...
Tricks II
Ich biege um die Ecke der Hauptpost in Dakar, schlängle mich durch eine Gruppe junger Männer, die müßig herumstehen, und hoffe, dass das Wechseln der Travellerschecks in der Bank einigermaßen zügig verlaufen wird.
Da höre ich eine Stimme hinter mir: "Monsieur! S'il vous plaît!" Die üblichen Verkaufsangebote erwartend, reagiere ich nicht, doch dann ist der junge Mann neben mir und beginnt mir eifrig zu erklären, was eben, unbeachtet von mir, passiert sei.
Als ich nämlich durch die dicht stehende Gruppe gegangen sei, hätte ich ihn angestoßen und da sei seine Ampulle mit der Medizin heruntergefallen und zerbrochen. Er sei gerade von der Apotheke gekommen, wo er sich immer das Medikament holen müsse. Es sei Interferon, ein teures Medikament, und er brauche es täglich. Und jetzt sei die Ampulle kaputt; er zeigt mir auf seiner Handfläche einige kleine Scherben: kaputtes Glas. Ich bin völlig überrascht, weiß nicht gleich, was ich sagen soll, tatsächlich hatte ich beim Passieren der Gruppe eine leichte Berührung mit einem der Männer; es ist fast unmöglich, im Gedränge nicht gelegentlich jemanden anzustoßen. Es war kein Stoß, und dass etwas heruntergefallen ist, hatte ich nicht bemerkt.
Der etwas abgerissen wirkende Mann von wenig mehr als 20 Jahren klingt ernst und spricht mit einen leicht jammernden Ton. Zwei, drei seiner Kollegen nähern sich aus dem Hintergrund, stellen sich dazu und geben ihrem Freund moralische Rückendeckung. Dieser wird sicherer und etwas fordernder im Ton und meint, ich hätte das sicher nicht gemerkt, aber es sei mir nun mal passiert und da er das Medikament brauche, müsse er sich ein neues kaufen und ich müsse die Kosten jetzt ersetzen. Er holt mit der...