Leseprobe Einleitung Sich in Widersprüchen zu bewegen, gehört zu den alltäglichen Anforderungen in der modernen Gesellschaft und ihren Institutionen. Institutionalisierte Bildung wird von den darin agierenden pädagogisch Handelnden und von denen, die als Studierende, Weiterbildungsteilnehmende und Schüler/innen diese Institutionen besuchen, als widersprüchlich erfahren. Einerseits bietet institutionalisierte Bildung formale Abschlüsse und inhaltliches Wissen, um sich in der Gesellschaft zu etablieren, sich versorgen zu können und gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten sowie die eigenen Lebensbedingungen wenigstens partiell zu durchschauen. Andererseits wird jede Form institutionalisierter Bildung auch in ihren Zwangsverhältnissen erlebt - sei es durch festgelegte Leistungs- und Prüfungsverfahren, sei es durch den vorgegebenen Zeittakt und dadurch, dass jede/r sich darin in eine bürokratische Ordnung einfügen muss, innerhalb derer er/sie verwaltet wird. Institutionalisierte Bildung verspricht, sich in der bestehenden bürgerlichen Gesellschaftsordnung als freier Mensch, als selbst bestimmte/r, verantwortliche/r und mündige/r Bürger/in bewegen zu können. Aber dieses Versprechen erfolgt um den Preis der Selbstunterwerfung unter die Regeln der Institutionen und ihrer Anforderungen. In der kritischen Bildungstheorie ist dieser Widerspruch von Freiheit und Unterwerfung von Gernot Koneffke als innerer Widerspruch der Bildung beschrieben und analysiert worden. Koneffke macht deutlich, dass es in der bürgerlichen Gesellschaft "keine Durchsetzung der Befreiung ohne Herrschaft" gibt (Koneffke 2006, S. 32), dass aber zugleich damit der Befreiung Bedingungen gesetzt werden, deren Rationalität Herrschaft rechtfertigen muss. Durch den Widerspruch, der jeder institutionalisierten Bildung innewohnt, ist die "Heteronomie des Herrschaftsanspruchs" nicht aufgehoben, "der in aller realen Schule zwar die Ermöglichung der Befreiung sichert, doch nur zum Zweck der Dienste, die sie der Herrschaft leisten soll" (ebd., S. 33). Die materialistische Analyse des Bildungswiderspruchs arbeitet heraus, "dass in der und über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft die Befreiung nur gebrochen gelang" (ebd.), weil in ihr der Erwerb von Eigentum zum Maß der Freiheit geworden ist und eine "Identifikation von Freiheit und Reichtum" erfolgte (ebd., S. 36). Der Gleichheitsanspruch, der genauso wie der Anspruch auf Autonomie zum Grundprinzip der bürgerlichen Gesellschaft gehört, ist dadurch gebrochen worden. In der Konsequenz lässt sich von einem doppelten Widerspruch in der Bildung sprechen, einem von Befreiung und Herrschaft und einem von Gleichheit und Herrschaft. Mit dem Hinweis auf den Widerspruch von Gleichheit und Herrschaft in der Bildung verlagert sich die Aufmerksamkeit einer kritischen Bildungstheorie auf die sozialen Beziehungen in Bildungsprozessen, auf die kommunikativen Interaktionen der in den Bildungsinstitutionen Agierenden, und zwar sowohl der qua Profession agierenden Pädagog/innen wie derer, die sich in diese Institutionen begeben, um sich zu bilden, weiter zu bilden und um formale Qualifikationen zu erlangen. Beziehungen unter den Bedingungen gebrochener Gleichheit rücken in den Blick, wenn gefragt wird, unter welchen Bedingungen es überhaupt möglich ist, Kritik zu üben und wer aus welcher Perspektive Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen übt. Zugrunde liegt dieser Frage der methodologische Ansatzpunkt kritischer Bildungstheorie, den Brüchen nachzugehen, die mit den Bildungsversprechen von Aufklärung, Autonomie und Gleichheit einher gehen, und diese Brüche jeweils aktuell an den gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen heraus zu arbeiten. Koneffke spricht davon, dass es im 20. Jahrhundert zu einer "Sublimierung der Gewalt" kommt, "für die auch das Bildungswesen steht" (ebd., S. 41). Dieser Gewalt wird in den folgenden Überlegungen nachzugehen sein, wobei heraus gearbeitet wird, dass die Subjekte in den globalisierten Verhältnissen, im Kontext von Migrationsgesellschaften und in der Beziehung zu den zu unterscheidenden Gewaltgeschichten von Nationalsozialismus und Kolonialismus auf sehr unterschiedliche Weise dieser Gewalt unterworfen sind beziehungsweise diese Gewalt selbst ausüben. Die folgenden Studien zum pädagogischen Umgang mit Globalisierung, Migration und den Nachwirkungen von zeitgeschichtlichen Gewalterfahrungen und Gewaltausübungen arbeiten mit dem Instrumentarium bildungstheoretischer Widerspruchsanalysen. Sie problematisieren dabei aber weniger die ökonomischen Bedingungen von Bildungsprozessen, sondern fragen nach den Subjektbeziehungen innerhalb von Bildungsprozessen. Sie fassen den Bruch der Gleichheit hinsichtlich der ungleichen Ausgangsbedingungen, unter denen Erfahrungen mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte reflektiert und repräsentiert werden können. Die Einsicht in den "Widerspruch, dem man nicht nur unterliegt, sondern der man selbst ist" (ebd., S. 38f) wird dabei zur Voraussetzung für eine Bildungskonzeption, die eigene Verstrickungen in kritisierte und problematisierte Verhältnisse sichtbar macht. Nicht die Unterwerfung unter Herrschaftsverhältnisse, steht hier im Mittelpunkt sondern eher die eigene Beteiligung an und das eigene Profitieren von Herrschaftsverhältnissen, die durch fundamentale Ungleichheiten stabilisiert werden. Herrschaft wird dabei nicht als etwas Äußerliches verstanden, dem zu unterliegen zwangsläufig erfolgt, sondern als eine Struktur, der bereitwillig entsprochen wird, weil sie denjenigen Vorteile sichert, die ihr entsprechen. Die Mittäterschaft an Herrschaft bei gleichzeitiger Kritik an herrschaftlich strukturierter Bildung macht die innere Zwiespältigkeit von Bildungsprozessen aus, die sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in einer globalisierten Einwanderungsgesellschaft auseinander setzen und die von diesen Verhältnissen bedingt sind. Mit dem methodologischen Ansatzpunkt immanenter Widerspruchsanalysen wird die Pädagogik als Wissenschaft und Praxis in einem inneren Zusammenhang mit den hier diskutierten gesellschaftlichen Feldern der Globalisierung, der Migration und der zeitgeschichtlichen Nachwirkungen von Nationalsozialismus und Kolonialismus verstanden. Pädagogik hat Anteil an der Art und Weise, wie Globalisierung aufgefasst und gestaltet wird; sie ist beteiligt an den Wahrnehmungen von Migrationen und Migrant/innen sowie an den gesellschaftlichen Platzzuweisungen, die daraus erfolgen; und sie trägt bei zu zeitgeschichtlich bedingten Welt- und Selbstbildern. Deshalb wird in den folgenden Ausführungen auch nicht von 'Konsequenzen für die Pädagogik' gesprochen, womit meistens eine Handlungsanweisung für gelingende Praxis gemeint ist. Sondern es geht um die Auseinandersetzung mit Prozessen, in die Pädagogik mit ihren Begriffen und ihren Handlungsansätzen involviert ist. Anhand von drei Feldern wird im Folgenden reflektiert, wie Bildungsprozesse verlaufen, in denen keine Distanz zu ihrem Gegenstand vorausgesetzt werden kann. Alle Beteiligten, Lernende wie Lehrende sind involviert in die Problematiken von Globalisierung, Migration und zeitgeschichtlichen Nachwirkungen, wodurch die Positionen, die mit den Bezeichnungen 'Lernende' und 'Lehrende' unterschieden werden, ineinander übergehen. Wer lernt hier von wem, wenn sich beide Seiten ihrer zu thematisierenden Gegenstände keineswegs sicher sein können? Ihre Unsicherheit ergibt sich weniger aus Wissensmangel, sondern vielmehr aus ihren sozialen Beziehungen zu den Gegenständen. Wie sehen sie sich selbst in einer globalisierten Gesellschaft, welches Verhältnis haben sie zur Einwanderungsgesellschaft entwickelt und in welcher Beziehung stehen sie zu den historischen Bedingungen ihrer Gegenwart, in der die Erfahrungen von Kolonialismus und Nationalsozialismus nachwirken? Gemeinsam ist den Auseinandersetzungen mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte, dass sie nicht abzuschließen sind, man mit ihnen nicht fertig werden kann und dass es dabei immer um Selbstbilder und Weltbilder geht. Die Selbstbilder betreffen die eigene soziale Position in globalisierten Verhältnissen in der Einwanderungsgesellschaft nach 1945. Die Weltbilder beziehen sich darauf, wie 'Andere' in diesen Verhältnissen gesehen werden und wie dadurch die sozialen Beziehungen zur 'Welt' wahrnehmbar und beschreibbar sind. Beide Dimensionen beeinflussen Bildungsprozesse und strukturieren die Art und Weise, wie aus Informationen über Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte Wissen wird. Der konzeptionelle Ausgangspunkt für die folgenden Untersuchungen besteht in der Annahme, dass es sich um involvierte Bildungsprozesse handelt, wenn sich Lernende und Lehrende mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte befassen. Mit der Einsicht, selbst drin zu stecken in dem, was zu erarbeiten, zu analysieren und zu reflektieren ist, verändert sich der Bezug zum jeweiligen Gegenstand, und es verändert sich die Beziehung aller am Bildungsprozess Beteiligten. Es können keine distanzierten Positionen eingenommen werden, sondern die Arbeit der Reflexion besteht gerade darin, die unterschiedlichen Beziehungen der Beteiligten zu den verhandelten Problematiken offen zu legen. Bildungsarbeit wird in diesem Prozess zu einer kontextbezogenen Arbeit an den eigenen Verhältnisbestimmungen zu den gesellschaftlichen Gegenständen, um die es in den vorliegenden Studien geht. Involvierte Bildungsprozesse werden als ein soziales Geschehen betrachtet, und zwar nicht nur, weil sich diese Prozesse im Austausch mit anderen und in der Beziehung zu anderen abspielen, sondern weil sie soziale Voraussetzungen haben. In der Konsequenz einer involvierten Perspektive sind die Bedingungen meines eigenen Blicks auf Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte zu kennzeichnen, um damit den begrenzten Blickwinkel anzugeben, den ich einzunehmen in der Lage bin. Dieser Blickwinkel ist bedingt von meiner eigenen sozialen Position, die durch ein relativ hohes Maß an Privilegierung zustande kommt. Zur Kennzeichnung des eigenen Involviertseins in die diskutierten Problematiken halte ich es für erforderlich, die persönliche Eingebundenheit auch sprachlich zu verdeutlichen und ein neutralisierendes Sprechen zu begrenzen, soweit dies im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit möglich ist. Aufgrund meiner sozialen Verankerung, die mir ein relativ hohes Maß an Existenzsicherheit bietet, muss ich nicht jeden Tag über meine Versorgungssituation nachdenken, und wenn ich das tue, dann auf relativ hohem Niveau. Das unterscheidet mich von der großen Mehrheit der Menschen, die sich nicht sicher sein können, dass sie auch morgen genug zum Leben haben werden. Meinem Blick auf die Globalisierung fehlt somit eine wesentliche Erfahrungsdimension globaler Lebenswirklichkeiten. Als Angehörige einer etablierten Mehrheitsgesellschaft bin ich nicht veranlasst, meine Zugehörigkeit zu eben dieser Gesellschaft zu legitimieren, da mir diese Zugehörigkeit selbstverständlich zugestanden wird, solange ich die Bedingungen zur Integration erfülle. Das unterscheidet mich von allen sichtbar gemachten Minderheiten in dieser Gesellschaft, die ihre Integrationsleistungen immer wieder unter Beweis stellen müssen und auch dann noch lange keine Garantie dafür haben, fraglos dazu zu gehören. Damit fehlt mir eine wesentliche Erfahrungsdimension, die sich insbesondere auf Migrant/innen und deren Nachkommen in der Einwanderungsgesellschaft bezieht. In meinem Verhältnis zu den zeitgeschichtlichen Nachwirkungen des Nationalsozialismus kann ich nur den Blick der 'Tätergesellschaft' repräsentieren, auch dann, wenn ich versuche, der Opfer zu gedenken und mich mit den Erfahrungen derer, die selbst oder deren Vorfahren verfolgt gewesen sind, konfrontiere. Damit fehlt mir eine wesentliche Dimension im Verhältnis zur Zeitgeschichte, die sich auf die Erfahrungen des Verlustes, der Verletzung, Verfolgung und der Auslöschung bezieht. In meiner eigenen Auseinandersetzung mit dem NS und in dem Bemühen, die Nachwirkungen des NS in Bildungskontexten zu bearbeiten, kann ich die Thematik nie so repräsentieren, wie es erforderlich und angemessen wäre. Ausgehend davon, den Antisemitismus als wesentlichen Gegenstand in der Aufarbeitung des NS zu betrachten, ergibt sich auch hier eine spezifische Beschränkung meiner Perspektive, weil mir die Erfahrung antisemitischer Diskriminierung und Stigmatisierung äußerlich bleibt. In meinem Verhältnis zu den zeitgeschichtlichen Nachwirkungen des Kolonialismus kann ich mir die Geschichte nur aus dem zeitgeschichtlichen Kontext einer Gesellschaft von Kolonisatoren aneignen. Damit fehlt mir eine wesentliche Dimension im Verhältnis zu den Nachwirkungen von Kolonialismus, da ich die durch den Kolonialrassismus erzeugten Selbstbilder der Kolonisierten nicht repräsentieren kann. Auch wenn ich eine rassismuskritische Perspektive einzunehmen versuche, ist eben diese Perspektive bedingt von einem 'weißen' Blick, den ich auch dann wiederhole, wenn ich mich kritisch mit Kolonialismus und Rassismus auseinander setze. Die Bedingungen meiner Sicht auf die Themen, die hier bearbeitet werden, bilden eine Grenzbestimmung und sind zugleich systematischer Ansatzpunkt für Bildungsprozesse, die in Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte involviert sind. In der Konsequenz dieser Einsichten in die eigenen Verstrickungen in Machtverhältnisse wird in den vorliegenden Studien versucht, im Nachdenken über Bildungsprozesse und in der Entwicklung von Bildungskonzeptionen genau dieses eigene In-Beziehung-sein zu den Problemen und Thematiken zu betonen und als eine Bedingung für Bildung als kritische Selbstreflexion anzusetzen. Über Globalisierung kann ich andere nicht aufklären, ohne meine eigene Verwicklung in globalisierte Verhältnisse dabei zu reproduzieren, indem ich eben meine Sicht dieser Verhältnisse vermittle. Über Migration kann ich andere nicht belehren, ohne dass dabei meine Erfahrungen in der Migrationsgesellschaft meine Darstellung eben dieser Gesellschaft bedingen. Zu einer Aufarbeitung der Ideologien und Praktiken des NS kann ich andere nicht anleiten, ohne dass meine Geschichtsbeziehung dabei mitspielt. Ebenso wenig kann ich eine Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus in der Bildungsarbeit fördern, ohne dass meine soziale Positionierung dabei eine Rolle spielt. Ob ich die Bedingungen des eigenen Sprechens über Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte aber sichtbar werden lasse und zum Gegenstand von pädagogischer Reflexion mache, hängt von einem Bildungsverständnis ab, bei dem Bildung nicht als etwas erscheint, das ich anderen abverlange, sondern als eine soziale Interaktion, die mich mit den Gegenständen und den Beteiligten an den Erkundungsprozessen dieser Gegenstände in Beziehung setzt. Für den systematischen Ansatzpunkt der vorliegenden Studien, das eigene "Drinstecken" in den Dynamiken von Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte explizit werden zu lassen und dadurch Bildungsprozesse in Bewegung zu bringen, ist im Folgenden an diejenigen Positionen aus den pädagogischen Fachdebatten anzuknüpfen, die nach den Grenzen und Bedingungen ihrer eigenen Perspektive auf Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte fragen. Die eigene Beziehung zu den Thematiken wahrnehmen zu können, sich in Beziehung zu denselben zu verstehen, lässt mich auch in der institutionalisierten Funktion der Lehrenden andauernd selbst Lernende sein. Dies zuzugeben und anzunehmen, verändert auch die Beziehung zu jenen, denen als 'Lernende' in institutionalisierten Bildungszusammenhängen eine andere Funktion zugewiesen wird. Insbesondere für die vielfältigen Arbeitsfelder der Erwachsenenbildung halte ich einen bildungstheoretischen und bildungspraktischen Zugang über das eigene Involviertsein in die Zusammenhänge, um die es in Bildungsprozessen geht, für angemessen. Zu entwickeln ist dabei die Bereitschaft zur Selbstreflexion bei allen Beteiligten und damit die Fähigkeit, unabgeschlossene und uneindeutige Verhältnisbestimmungen zuzulassen und disparate Zugänge zu ermöglichen. In die Zielperspektive einer solchen Bildungstheorie und -praxis rückt ein unabschließbarer Prozess der Auseinandersetzung mit sozialen Verhältnissen und zeitgeschichtlich bedingten Erfahrungen, die mich mit den Begrenzungen meiner eigenen Welt- und Selbstbilder konfrontieren, und mit den Erfahrungen anderer, die mit meinen eigenen nicht zu vereinbaren sind. Der bildungstheoretische Zusammenhang der drei Themenfelder von Globalisierung, Migration und zeitgeschichtlichen Nachwirkungen kommt dadurch zustande, dass in allen drei Feldern die Begrenztheit und Bedingtheit der eigenen Perspektiven auf eben diese Felder zu einem konstitutiven Bestandteil der Auseinandersetzung wird und zu einer Bedingung dafür, Bildungsprozesse im Kontext von Globalisierung, Migration und zeitgeschichtlichen Nachwirkungen zu ermöglichen. In allen drei Bereichen sind in der Pädagogik Ansätze und Konzepte entwickelt worden, die auffälligerweise immer mit dem Lernbegriff bezeichnet worden sind und nicht mit dem Bildungsbegriff. Bekannt geworden sind diese Ansätze und Konzepte als 'globales Lernen', 'interkulturelles Lernen' und 'Lernen aus der Geschichte'. Alle drei Lernbezeichnungen legen ein Verständnis nahe, bei dem völlig klar zu sein scheint, was es zu lernen gäbe, obwohl gerade das in allen drei Feldern gerade das Problem ist. Den inneren Widersprüchen, die aus der pädagogischen Konzeptualisierung von Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte entstanden sind, gehen die folgenden Untersuchungen nach und sprechen deshalb von Bildungsprozessen, nicht ohne zu vernachlässigen, dass es dabei auch etwas zu lernen gibt. Von Bildung ist hier also nicht deshalb die Rede, weil dies etwas Höheres oder Tiefgründigeres wäre, sondern weil anhand des Bildungsbegriffs die innere Widersprüchlichkeit jeder pädagogischen Unternehmung heraus gearbeitet worden ist. Für die Analyse und Kritik von Bildungsprozessen in zwiespältigen Globalisierungsverhältnissen gehe ich den uneindeutigen Erfahrungen nach, die in einer als 'globalisiert' gekennzeichneten Welt gemacht werden. Globalisierung wird dabei weder als neokapitalistische Weltvergesellschaftung verworfen, noch als postnationalistische Weltgemeinschaft begrüßt. Es werden Analyseperspektiven vorgestellt, die eine nicht vereindeutigende Globalisierungskritik ermöglichen und die eigene Integration in globalisierte Ökonomien reflektieren. Analysiert und reflektiert werden die Bedingungen, unter denen Sichtweisen auf die Dynamiken der Globalisierung entwickelt werden. Dafür befasse ich mich mit Ansatzpunkten entwicklungspolitischer Bildungsarbeit und des globalen Lernens und gehe insbesondere auf Konzeptionen ein, die für sich eine globalisierungskritische Sichtweise beanspruchen. Diskutiert werden Perspektiven aus der Tradition kritischer Pädagogik, die auf weltweite Ungleichheitsverhältnisse eingehen, um zu fragen, inwiefern heute an diese Perspektiven anzuknüpfen ist und welche Ansprüche an eine Bildungsarbeit zu stellen sind, die Globalisierung zu ihrem Gegenstand macht. Für eine Rekonstruktion des pädagogischen Diskurses um Migration diskutiere ich die Kategorien von Fremdheit und Differenz, gehe auf den Kulturalismus der interkulturellen Pädagogik ein und entwickle anknüpfend an eine kritische migrationspädagogische Debatte eine Perspektive für das Bildungshandeln in der Einwanderungsgesellschaft. Der Kontext der Einwanderungsgesellschaft wird als ein zu reflektierender gesellschaftlicher Rahmen für Bildungsprozesse in den Blick genommen. Anhand des pädagogischen Diskurses um Migration mache ich deutlich, wie Identitäten erzeugt und Unterscheidungen vorgenommen werden. In Bildungsprozessen wird der Kontext der Einwanderungsgesellschaft in bestimmter Weise repräsentiert, und zugleich sind Bildungsprozesse in diesem Kontext situiert, so dass es nicht möglich ist, von außen einen Blick auf Migrationsverhältnisse und deren Dynamiken zu werfen. Alle Beteiligten in pädagogischen Zusammenhängen sind selbst Teil der Migrationsgesellschaft, und Bildungsarbeit hat die Aufgabe, das eigene Involviertsein einer Reflexion zugänglich zu machen. Eine Auseinandersetzung mit den zeitgeschichtlichen Bedingungen von Bildung unternimmt das dritte Kapitel, wobei ich eine Analyse von zwei zeitgeschichtlichen Zusammenhängen verfolge. Zugrunde liegt dem die geschichtsphilosophische Einsicht historischer Diskontinuitäten und unabgeschlossener Vergangenheiten, wie sie von Walter Benjamin in seinen Überlegungen zum Begriff der Geschichte formuliert worden ist (vgl. Benjamin 1974). Für Benjamin ist Geschichte ein Ausdruck der Aneignung von Vergangenheit und damit immer bereits auf die Gegenwart bezogen und in der Gegenwart repräsentiert. Jenseits dieser Repräsentation ist Geschichte nicht zugänglich. Von der Gegenwärtigkeit angeeigneter geschichtlicher Zusammenhänge gehe ich aus, wenn ich von Kolonialismus und Nationalsozialismus spreche und danach frage, wie beide Komplexe heute erinnernd repräsentiert werden. Mit der Analysekategorie der Postkolonialität gehe ich auf die Nachwirkungen kolonialer Selbst- und Weltbilder ein und diskutiere eine postkoloniale Perspektive in der Brechung des bundesdeutschen Kontextes hinsichtlich der Nachwirkungen des Nationalsozialismus in gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen. Erforderlich ist dafür eine Analyse der Verhältnisbestimmungen beider Themenfelder historisch orientierter Bildungsarbeit. Für die Analyse der Nachwirkungen kolonialistischer und nationalsozialistischer Herrschaftspraktiken werden gegenwärtige Rassismen und Antisemitismen dargestellt, wobei auf die Unterscheidung beider Problemfelder Wert gelegt wird. Bildungskonzepte diskutiere ich insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit dem Nationalsozialismus, wobei die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhältnis zum NS Ausgangspunkt für Perspektiven einer postnationalsozialistischen Bildungsarbeit ist. In spezifischer Weise stellen sich im bundesdeutschen Kontext die Beziehungen zum Kolonialismus dar. Um hier von einer postkolonialen Bildungsarbeit sprechen zu können, bedarf es einer unterscheidenden Verhältnisbestimmung zur Erinnerungsarbeit, wie sie bisher hinsichtlich des NS erfolgt und weiter zu entwickeln ist. Ich gehe von einer doppelten Perspektiventwicklung für die historische Bildungsarbeit aus, die sich nicht vereinheitlichen lässt. Den Zusammenhang beider Themenfelder historischer Bildungsarbeit sehe ich nicht in einer Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit der geschichtlichen Vorgänge, sondern darin, dass in beiden Feldern spezifische Auseinandersetzungen mit Opfer- und Täterperspektiven erforderlich sind und dass diese Perspektiven sich in Bildungsprozessen widerspiegeln. Das vierte und letzte Kapitel widmet sich den Bedingungen und Formen von Kritik, die in einer Bildungstheorie beansprucht wird, die von sich selbst behauptet, kritisch zu sein, oder der eben diese Kennzeichnung des Kritischen zugeschrieben wird. Indem ich die Diskussion des Umgangs mit Kritik in der Erziehungswissenschaft nachzeichne, versuche ich eine selbstkritische Perspektive einzunehmen, die es ermöglicht, in Bildungsprozessen Zugänge zu einer radikalen Selbstreflexion zu fördern, ohne dadurch in Resignation fallen zu müssen. Die Ausarbeitung dieser Perspektive erfolgt als eine Konsequenz aus den diskutierten Formen des Umgangs mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte. Mit dem Versuch einer selbstkritischen Konzeptionsentwicklung verabschiede ich mich weder von der Orientierung an Kritik als Kategorie der Bildung, noch bestätige ich eine kritische Bildungstheorie in ihren Begründungen und Bestimmungen. Heraus gearbeitet werden Ansprüche an eine Bildungskonzeption, die in der Lage ist, die selbstkritischen Debatten um den pädagogischen Umgang mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte aufzunehmen für eine nicht-ignorante Bildungsarbeit unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen. Bildung verstehe ich als eine Praxis der Reflexion in umstrittenen gesellschaftlichen Feldern. Sie entgeht einer eindeutigen Besetzung, da sie weder Voraussetzung noch Ergebnis der Auseinandersetzung mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte ist, sondern sich abspielt in der Auseinandersetzung mit uneindeutigen Verhältnissen. Anknüpfend an die vielfältigen Einsprüche gegenüber einem in sich ungebrochenen Bildungsbegriff erscheint es mir angemessen, von einem Konzept der Bildung auszugehen, das es mir ermöglicht, Brüche und Infragestellungen meiner eigenen durch Bildung angeeigneten Selbst- und Weltbilder zu artikulieren. Brüchen und Infragestellungen nachzugehen, gibt auch die methodologische Richtung an, in der für die vorliegenden Studien mit dem Bildungsbegriff umgegangen wird. Ein Bildungsbegriff, der abgesichert den diskutierten Problemfeldern vorausgesetzt werden könnte, bliebe ignorant gegenüber den vielfältigen Einsprüchen einer unhinterfragt aufklärerischen, emanzipatorischen Bildung, wie sie in den letzten Jahren erfolgt sind. Formuliert worden sind diese innerhalb der feministischen Kritik der Bildung (vgl. Borst 2003), in postkolonialen und postmodernen Kritikbewegungen, denen bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam ist, dass sie das Subjekt der Bildung in vielfältigen Brechungen sehen und repräsentieren und dass sie die europäische Bildungstradition selbst in Herrschaftszusammenhängen verankert betrachten (vgl. Schirilla 2003). Bildungsansprüche und Bildungsvorstellungen lassen sich somit nicht einfach den diskutierten Problemzusammenhängen von globalisierter Ungleichheit, Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung gegenüberstellen. Bildung macht keinen Gegensatz dazu auf, sondern ist selbst involviert in die Probleme, die durch Bildungsarbeit einer Reflexion und Aufarbeitung zugänglich gemacht werden sollen. Die Gegensätze sind keine äußerlichen, aber sie sind auch nicht suspendiert, liegen sie doch im Subjekt selbst, in der Entfaltung seiner Funktionalität und seiner herrschaftsförmigen Integration. Wie sich diese Integration in globalisierten Zusammenhängen, in der Einwanderungsgesellschaft und im zeitgeschichtlichen Kontext nach 1945 darstellt, ist Gegenstand der vorliegenden Studien. Für die Analyse und bildungspraktische Reflexion der drei Themenfelder wird die innere Widersprüchlichkeit von Bildung, wie sie mit der kritischen Bildungstheorie herausgearbeitet worden ist, im Folgenden als eine strukturelle Bedingung betrachtet, die sich in der Bildungsarbeit zu den drei Themenfeldern widerspiegelt, wenn es darum geht, andere über Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte aufklären zu wollen, ohne selbst aufgeklärt zu sein. Eine kritische Bildungstheorie, die Engagement nicht suspendieren will, muss sich mit tief greifenden Verunsicherungen auseinander setzen, die ihre Protagonist/innen im Zentrum ihrer Überzeugungen treffen und von ihnen verlangen, das eigene Involviertsein in die kritisierten Verhältnisse offen zu legen.