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E-Book

Wenn Diäten dick machen

Warum in der Darmflora der Schlüssel zum Wunschgewicht liegt

AutorTim Spector
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783827078797
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wieso nimmt der eine zu und ein anderer, der das Gleiche isst, verliert sogar Gewicht? Die Gene sind nur ein Teil der Antwort. Ebenso wichtig ist unsere individuell verschiedene Darmflora, deren Mikroben vor Krankheiten und Gewichtzunahme schützen - wenn wir ihre Vielfalt fördern und nicht durch falsche Diäten zerstören. Auf der Grundlage neuester genwissenschaftlicher Erkenntnisse erklärt Tim Spector, was wir praktisch tun können, um unseren Mikroben-Garten zu pflegen - und so schlank und gesund zu sein, ohne verzichten zu müssen. Lebendig und spannend erzählt der renommierte Professor für Genetische Epidemiologie vom Londoner King's College von überraschenden Fallbeispielen und seiner bahnbrechenden Forschung mit über 10 000 Zwillingen. Für ein Fast-Food-Experiment stellte sich sein eigener Sohn zur Verfügung. Selbst für Leser, die schon alles über Ernährung zu wissen glauben, wird Tim Spectors Anti-Diätbuch so zur fesselnden Lektüre.

Tim Spector, 1958 geboren, ist Arzt und Professor für Genetische Epidemiologie am King's College London, Direktor der Abteilung für Zwillingsforschung am St Thomas' Hospital und Leiter des »British Gut Project« zur Erforschung der Darmflora. Seit 1993 baute er die weltweit größte Zwillings-Datenbank zum Verständnis des Einflusses von Genen und Umwelt auf. 2011 startete er ein Projekt zur Sequenzierung der DNA von Darmmikroben und konnte zeigen, welche Bedeutung die individuelle Besiedlung des Darms für Gesundheit und Gewicht hat. Er ist Entdecker der genetischen Basis zahlreicher Krankheiten und Verfasser von über 600 Fachartikeln und mehrerer Bücher.

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Leseprobe

Nicht auf dem Etikett:
Mikroorganismen

Würde ich Ihnen von einem Wesen erzählen, das uns begleitet und unsere Nahrung sowie unsere Gewohnheiten mit uns teilt, mit uns auf Reisen geht, mit uns eine Evolution durchlaufen hat und daher weiß, was wir mögen und nicht mögen, und das wir beschützen, so würden Sie vielleicht davon ausgehen, dass ich über Ihren Hund oder Ihre Katze spreche. Doch in Wahrheit rede ich von etwas, was millionenfach kleiner und für das bloße Auge unsichtbar ist.

Mikroorganismen sind primitive Lebensformen – sie waren die ersten Einwohner auf Erden. Sie sind Lebewesen, die wir im Allgemeinen ignorierten oder als selbstverständlich hinnahmen. Man nahm an, dass diese winzigen, für uns unsichtbaren Organismen vor allem in Dreck und in oder auf Tieren zu finden seien, da sie sich nicht waschen. Doch unser Körper enthält 100 Billionen von ihnen; allein die Mikroorganismen in unseren Eingeweiden wiegen mehr als 2 Kilogramm. Vertraut sind sie den meisten von uns nur, weil sie mit den seltenen Anfällen von Lebensmittelvergiftung zu tun haben – etwa Salmonellen in rohen Grillhähnchen oder E. coli in einem am Ende einer Nacht unüberlegt vertilgten Döner Kebab. Von solchen Fällen abgesehen, so glaubten wir trotz unserer ständig zunehmenden wissenschaftlichen und technologischen Kenntnisse, könnten diese winzigen und scheinbar banalen Wesen unsere überaus starken Körper keinesfalls beeinflussen. Und damit lagen wir gründlich falsch.

TANZENDE »ANIMALCULES«

Frühjahr 1676: Antoni van Leeuwenhoek hatte wieder einmal verschlafen, und es war schon hell, als er aufwachte. Drunten in den Straßen von Delft ging es laut und geschäftig zu. Er hatte bis spät in die Nacht an seinem letzten Experiment gearbeitet und war immer noch müde, aber begeistert von seinen jüngsten Entdeckungen. Mit Hilfe seines selbstgebauten besonderen Mikroskops hatte Antoni herauszufinden versucht, warum Chilischoten scharf sind, doch per Zufall war er auf etwas gestoßen, was noch weit umwälzender war.

Antoni war gelernter Textilkaufmann und ungeheuer neugierig. Anders als die meisten seiner Freunde hatte er noch alle Zähne und war streng darauf bedacht, sie täglich zu reinigen – erst rieb er sie heftig mit harten Salzkristallen ab, dann benutzte er einen hölzernen Zahnstocher, spülte nach und polierte sie schließlich mit seinem speziellen Zahntuch.

Heute sah er sich mit seinem Vergrößerungsspiegel den teigig-weißen (heute als Plaque bekannten) Belag auf seinen Zähnen an. Im Vergleich zu anderen Leuten, die Antoni untersucht hatte, war bei ihm nur wenig Belag vorhanden, doch selbst nach dem Zähneputzen schien er nie vollständig verschwunden zu sein. Er schabte ein wenig davon auf ein Glasplättchen und gab ein paar Tropfen frisches Regenwasser dazu. Was er in der Vergrößerung sah, erstaunte ihn. Überall waren winzige herumwimmelnde Wesen zu beobachten. Diese »animalcules« (so nannte er sie) wiesen alle möglichen Formen und Größen auf – es gab mindestens vier Familien, die alle »hübsch umhertanzten«. Schockiert war er nicht wegen ihrer Anwesenheit, sondern wegen ihrer Vielzahl. »Diese animalcules im Abgeschabten von den Zähnen eines Menschen sind so zahlreich, dass ich glaube, sie übersteigen die Zahl der Menschen in einem Königreich«, schrieb er.

Antoni Leeuwenhoek war möglicherweise der erste Mensch, der einen Mikroorganismus (darunter verstehen wir ein Lebewesen, das nur mittels eines Mikroskops sichtbar wird) gesehen hat. Mit Sicherheit war er der Erste, der sie beschrieben und erkannt hat, dass es in den Eingeweiden und auf der Haut gesunder Menschen von diesen Wesen geradezu wimmelt. Er fand sie, wo immer er hinschaute, von unserem Mund bis zu unserer Nahrung, vom Trinkwasser bis hin zu Urin und Stuhlproben. Anders als Newton und Galilei – Wissenschaftler der gleichen Epoche, die ihre Erkundungen nach außen auf die Sterne richteten und so Ruhm erlangten – blieb er trotz dieser erstaunlichen Entdeckung relativ unbekannt.

Möglicherweise haben Sie auf Mikroorganismen bislang wenig Gedanken verschwendet, weil Sie sie ohne Hilfe eines Vergrößerungsglases nicht sehen können. Stellen Sie sich einmal vor, wie viele Sandkörner es auf der Erde gibt – oder, wenn Ihnen das lieber ist, wie viele Sterne es im Universum gibt. Jemand hat die Sterne gezählt – na gut, es war eine sehr gute Schätzung – und kam auf eine Zahl von 1024 (eine 1 mit 24 Nullen – eine unfassbare Menge). Wenn Sie die Schätzung für alle Sterne mit einer Million multiplizieren, erhalten Sie die riesige Zahl 1030, und das ist die geschätzte Anzahl der Bakterien auf der Erde. Sollten Sie Gärtner sein und zufällig ein winziges Krümelchen Erde verschlucken, sind darin Milliarden Bakterienzellen enthalten; schon eine Handvoll Erde enthält mehr Mikroorganismen, als es Sterne im Universum gibt. Wer im Wasser schwimmt, ist keineswegs »sicherer«, denn dort finden sich in einem Milliliter – ob Süß- oder Salzwasser – eine Million Bakterienzellen. Diese Mikroorganismen sind die eigentlichen und ständigen Bewohner der Erde; wir Menschen sind nur zeitweilige Besucher.

Mikroorganismen sind in den meisten Lebensräumen präsent – von den normalen bis hin zu den extremsten. Bakterien leben in sauren heißen Quellen, radioaktivem Abfall und den tiefsten Schichten der Erdkruste. Bakterien haben sogar im Weltraum überlebt. Wir haben uns nicht aus Adam und Eva entwickelt, sondern aus Mikroorganismen, und unsere enge Verbindung mit ihnen haben wir bis heute beibehalten. Am auffälligsten ist das in unseren Eingeweiden, wo Tausende verschiedener Spezies, die sich so sehr voneinander unterscheiden wie wir von Quallen, eine weit größere Rolle spielen, als wir je erkannten.

Mikroorganismen haben in der Regel einen schlechten Ruf, doch nur ein winziger Teil von ihnen ist für uns schädlich, und in Wahrheit sind die meisten entscheidend für unsere Gesundheit. Mikroorganismen sind nicht nur wichtig dafür, wie wir unsere Nahrung verdauen; sie kontrollieren die Kalorien, die wir aufnehmen, liefern lebenswichtige Enzyme und Vitamine und halten zudem unser Immunsystem gesund. Über Millionen von Jahren hinweg haben wir uns gemeinsam mit Mikroorganismen entwickelt, was uns wechselseitig das Überleben sicherte, doch zuletzt sind die Feinabstimmung und die Selektion falsch gelaufen. Verglichen mit unseren letzten Vorfahren, die außerhalb von Städten lebten, sich reicher und vielfältiger Nahrung erfreuten und keinerlei Kontakt mit Antibiotika hatten, lebt in unseren Eingeweiden nur ein Bruchteil der Vielfalt mikrobieller Arten. Erst jetzt verstehen Wissenschaftler allmählich die langfristigen Auswirkungen, die das für uns alle hat.

FRÜHE KOLONISTEN AUF JUNGFRÄULICHEM BODEN

Unser persönlicher Kontakt mit Mikroorganismen fängt bei der Geburt an. Ein gesundes steriles Baby wird während der Geburt innerhalb von Minuten von Mikroorganismen wimmeln: Millionen Bakterien und noch mehr Viren, die sich von den Bakterien ernähren, und dazu sogar ein paar Pilze. Innerhalb weniger Stunden wird das Baby von weiteren Millionen übersät sein.

Kopf, Augen, Mund und Ohren sind die ersten Körperteile, die besiedelt werden, während das Baby den weichen Geburtskanal der Mutter passiert; in der feuchten und warmen Schleimhautschicht warten viele eifrige Mikroorganismen darauf, umsteigen zu können. Wegen der räumlichen Nähe und des Drucks auf die Schließmuskeln wird dann eine leichte Mischung aus Urin- und Fäkalmikroorganismen über Gesicht und Hände verteilt; anschließend überzieht eine andere Gruppe von Mikroorganismen den übrigen Säuglingskörper, was auf den Kontakt mit der Haut an den Beinen der Mutter zurückzuführen ist.

Diese winzigen Mikroorganismen werden gewöhnlich mit den Händen des Babys auf Lippen und Mund übertragen. Normalerweise können sie die Ozeane aus Speichel, von denen sie fortgespült werden, nicht überwinden, und wenn doch, sind sie der feindlichen sauren Umgebung des Magens und dessen Säften ausgesetzt, wo die meisten vernichtet werden.

Beim ersten Schluck einer kleinen Menge alkalischer Muttermilch (die wie ein Säurehemmer wirkt) bleiben ein paar glückliche Bakterien verschont, die entweder auf Lippen oder Mund oder auf den Brustwarzen der Mutter warten, und schaffen es durch die säurehaltigen Fluten. Diese unerschrockenen Entdecker können dann eine ganz neue Kolonie gründen, indem sie sich in der Sicherheit der Darmschleimhäute des Babys wie wild vermehren und auf die Ankunft weiterer Milch und anderer mikrobieller Gefährten warten. Selbst wenige Kolonisten können – wenn die Bedingungen stimmen – mit einer Teilung in jeweils 40  60 Minuten über Nacht zu Millionen oder Milliarden Zellen werden.

Bis Mitte der 1990er Jahre galt das Dogma, die meisten Körperflüssigkeiten seien keimfrei, enthielten also keine Mikroorganismen. Als ein Team aus Madrid behauptete, aus der Muttermilch einer gesunden Frau Dutzende Mikroorganismen kultiviert zu haben, wurde es ausgelacht.1 Heute wissen wir, dass menschliche Milch Hunderte Arten enthält, obwohl wir immer noch keine Ahnung haben, wie sie dorthin gelangen. Wir können nicht länger sicher sagen, dass irgendein Teil unseres Körpers – das betrifft also auch Bauchhöhle und Augapfel – absolut frei von Mikroorganismen ist, und möglicherweise bewegen sie sich sogar unbemerkt durch unseren Körper.2 Wenn Sie das nächste Mal auf die Toilette gehen, sollten Sie einen Gedanken für Ihre Billionen Mikroorganismen übrig haben. Fast die Hälfte der Masse, die Sie fortspülen, besteht...

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