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E-Book

Wenn Frauen zu sehr lieben

Die heimliche Sucht, gebraucht zu werden

AutorRobin Norwood
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783644017719
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
«Ein Buch, das das Leben von Frauen verändert.» Erica Jong «Zu sehr lieben» bedeutet etwas ganz anderes als «zu viele Männer lieben» oder «sich zu oft verlieben» oder «einen anderen Menschen zu aufrichtig und tief lieben». «Zu sehr lieben» bedeutet: • sich für einen Menschen bis zur Selbstaufgabe verzehren, • diese Besessenheit mit Liebe gleichsetzen, • zulassen, dass sie die eigenen Gefühle und einen Großteil des Verhaltens bestimmt, • erkennen, dass sie sich auf die eigene körperliche und seelische Gesundheit negativ auswirkt, • und trotzdem nicht loslassen können. Es bedeutet, den Grad der Liebe zu einem anderen Menschen am Grad der mit ihr verbundenen Qualen zu messen.

Robin Norwood, Jahrgang 1945, unterhält als staatlich anerkannte Ehe-, Familien- und Kindertherapeutin eine private Praxis in Santa Barbara, Kalifornien. Sie hat sich sowohl auf die Behandlung von neurotischen Beziehungsmustern als auch von Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Esssucht und Depressionen spezialisiert. Sie lebt in Santa Barbara.

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Leseprobe

Wenn Liebe nicht erwidert wird


Victim of love,

I see a broken heart.

You’ve got your story to tell.

 

Victim of love;

It’s such an easy part

And you know how to play it so well.

 

… I think you know what I mean.

You’re walking the wire

Of pain and desire,

Looking for love in between.

– Victim of Love

In unserer ersten Sitzung machte Jill, eine junge, zierliche Frau mit blondem Lockenkopf, einen eher unsicheren Eindruck. Verkrampft saß sie mir gegenüber, auf dem äußersten Rand ihres Stuhles. Dabei wirkte alles an ihr rundlich: die Gesichtsform, die etwas mollige Figur und ganz besonders die blauen Augen, die jede einzelne der gerahmten Urkunden an der Wand musterten. Nachdem sie mir ein paar Fragen über meine akademische Ausbildung und die Praxiszulassung gestellt hatte, erwähnte sie mit deutlich hörbarem Stolz, dass sie Jurastudentin sei.

Danach entstand ein kurzes Schweigen. Sie blickte auf ihre gefalteten Hände hinunter. «Vielleicht sollte ich Ihnen besser gleich erzählen, warum ich hier bin», sagte sie hastig, als wollte sie sich mit dieser Eröffnung selbst Mut zusprechen.

«Ich habe mich zu diesem Schritt entschlossen – eine Therapeutin aufzusuchen, meine ich –, weil ich sehr unglücklich bin. Natürlich geht es um Männer. Ich meine, um mich und Männer. Immer tu ich irgendetwas, womit ich sie vertreibe. Dabei fängt es jedes Mal so gut an. Ein Mann interessiert sich ernsthaft für mich, und wenn er mich erst einmal richtig kennengelernt hat –» in diesem Moment verkrampfte sie sich, als könnte sie den aufkommenden Schmerz damit abwehren – «dann bricht alles auseinander.»

Sie sah zu mir hoch. In ihren Augen schimmerten Tränen. Etwas langsamer fuhr sie fort:

«Ich will wissen, was ich falsch mache, was ich an mir ändern muss – weil es so einfach nicht weitergehen kann. Ich werde auch alles tun, was dazu nötig ist. Ich kann wirklich hart arbeiten.» Sie sprach wieder schneller.

«Dabei will ich mich doch gar nicht verweigern. Das Problem ist nur: Ich weiß nicht, warum mir so was immer wieder passiert. Mittlerweile habe ich schon Angst vor Beziehungen – es ist jedes Mal bloß schmerzhaft und sonst nichts. Ich bekomme allmählich schon richtige Angst vor Männern.»

Sie schüttelte den Kopf und erklärte mit Nachdruck: «Ich will nicht, dass es so weitergeht. Ich bin sehr einsam. Das Studium fordert eine Menge Verantwortung von mir, und außerdem arbeite ich für meinen Lebensunterhalt. Allein diese Verpflichtungen könnten mich schon voll auslasten. Das ganze letzte Jahr habe ich praktisch kaum etwas anderes getan als arbeiten, zur Uni gehen, studieren und schlafen. Aber was mir fehlte, war ein Mann in meinem Leben.»

Dann sprudelte es aus ihr heraus: «Als ich vor zwei Monaten Freunde von mir in San Diego besuchte, lernte ich einen Mann namens Randy kennen, einen Rechtsanwalt. Eines Abends ging ich mit meinen Freunden tanzen, und da begegnete ich ihm. Na ja, wir haben uns sofort unheimlich gut verstanden. Wir redeten sehr viel miteinander – wobei ich sagen muss, dass ich wohl die meiste Zeit geredet habe. Aber das schien ihm wirklich zu gefallen. Und es tat mir einfach auch gut, mit einem Mann zusammen zu sein, der an denselben Dingen interessiert war wie ich.»

Sie zog die Augenbrauen zusammen. «Er schien tatsächlich etwas für mich übrig zu haben. Zum Beispiel fragte er mich, ob ich verheiratet bin – ich bin seit zwei Jahren geschieden – und ob ich allein lebe, in dieser Richtung eben.»

Ich konnte mir vorstellen, dass Jills Eifer, diesem Mann zu gefallen, schon am ersten Abend deutlich gewesen sein musste, als sie sich über die dröhnende Musik hinweg angeregt mit Randy unterhielt. Genauso eifrig versuchte sie, ihm zu gefallen, als sie ihn eine Woche später willkommen hieß – er hatte eine Geschäftsreise nach Los Angeles für einen Abstecher von hundert Meilen genutzt, um sie zu besuchen. Beim Abendessen bot sie ihm an, in ihrer Wohnung zu übernachten, damit er die lange Heimfahrt bis zum nächsten Tag aufschieben konnte. Er nahm ihre Einladung an, und in dieser Nacht begann die Affäre zwischen beiden.

«Es war toll. Ich konnte ihn bekochen, und es war ihm anzumerken, wie sehr er es genoss, dass ich mich um ihn kümmerte. Am nächsten Morgen bügelte ich ihm sogar noch sein Hemd. Ich kümmere mich einfach gern um einen Mann. Wir kamen unwahrscheinlich gut miteinander aus.» Sie lächelte wehmütig. Als sie dann ihren Bericht fortsetzte, wurde deutlich, dass sich Jill schon nach kürzester Zeit ausschließlich auf Randy fixiert hatte.

Kaum war er in seiner Wohnung angekommen, klingelte bereits das Telefon. Jill erzählte ihm, wie viel Sorgen sie sich wegen der langen Fahrt gemacht hätte und wie sehr es sie nun beruhigen würde zu wissen, dass er gut angekommen sei. Offenbar hatte Randy mit dem Anruf nicht gerechnet – zumindest reagierte er leicht verwirrt – und so entschuldigte sie sich für die Störung und legte auf. Aber schon bald machte sich ein nagendes Gefühl von Unruhe in ihr breit, von dem Bewusstsein geschürt, dass ihr schon wieder ein Mann weitaus mehr bedeutete als sie ihm.

«Randy hat mir einmal erklärt, ich solle ihn ja nicht unter Druck setzen, oder er würde verschwinden. Ich bekam schreckliche Angst. Alles hing an mir. Ich sollte ihn lieben und gleichzeitig in Ruhe lassen. Das konnte ich nicht, und dadurch wurde meine Angst immer größer. Und je panischer ich wurde, desto mehr lief ich ihm hinterher.»

Nach kurzer Zeit rief Jill fast jeden Abend bei ihm an. Sie hatten zwar vereinbart, sich wechselseitig anzurufen, aber wenn Randy an der Reihe war, saß sie oft so lange am Telefon, bis sie nicht mehr warten konnte. An Schlaf war sowieso nicht zu denken. Deshalb war sie es dann immer wieder, die den Hörer aufnahm. Diese Telefongespräche zogen sich jedes Mal in die Länge, ohne Klarheit zu bringen.

«Er sagte immer, er hätte vergessen, mich anzurufen, und ich sagte: ‹Wie kannst du so etwas nur vergessen?› Schließlich habe ich immer daran gedacht. Und genau um dieses Thema drehten sich dann unsere Gespräche. Er schien Angst davor zu haben, sich richtig auf mich einzulassen, und ich wollte ihm helfen, diese Angst zu überwinden. Er sagte immer, er wüsste nicht, was er vom Leben wollte, und ich bemühte mich, ihn darin zu unterstützen, seine Wünsche und Ziele herauszufinden.» Jill verfiel in die Rolle eines «Seelendoktors», indem sie ihm zu helfen versuchte, sich gefühlsmäßig tiefer auf sie einzulassen.

Dass er keine enge Bindung zu ihr wollte, war etwas, das sie nicht akzeptieren konnte. Für sie stand schon längst fest, dass er sie brauchte.

Zweimal flog Jill nach San Diego, um das Wochenende mit ihm zu verbringen; bei ihrem zweiten Besuch kümmerte er sich den ganzen Sonntag über nicht um sie, sondern saß vor dem Fernseher und trank Bier. Es war einer der schlimmsten Tage ihres Lebens.

«Hat er eigentlich viel getrunken?», fragte ich Jill. Sie sah überrascht aus.

«Also nein, das würde ich nicht sagen. Das heißt, ich weiß nicht. Natürlich trank er an dem Abend, als wir uns kennenlernten, aber das ist schließlich normal. Wir waren ja in einer Bar. Wenn ich mit ihm telefonierte, konnte ich manchmal Eiswürfel im Glas klirren hören, und ich habe ihn deswegen schon ein bisschen aufgezogen – warum er denn allein trinkt und so. Wenn ich mir’s recht überlege, hat er eigentlich immer etwas getrunken, wenn wir zusammen waren, aber ich muss wohl gedacht haben, dass er einfach ganz gerne mal einen trinkt. Das ist doch auch normal, oder?»

Sie brach ab und überlegte. «Wissen Sie, manchmal hat er am Telefon schon ein bisschen komisch geredet – vor allem, wenn man bedenkt, dass er Anwalt ist. Ziemlich unklar oder verschwommen; als ob er manchmal den Faden verloren hätte. Aber das brachte ich nie in Zusammenhang mit Alkohol. Ich weiß eigentlich auch nicht, womit ich es mir erklärt habe. Wahrscheinlich mochte ich überhaupt nicht darüber nachdenken.»

Sie sah mich traurig an.

«Vielleicht hat er wirklich zu viel getrunken, aber das lag sicher daran, dass es ihm mit mir langweilig war. Ich nehme an, er fand mich einfach nicht interessant genug und wollte deshalb auch nie richtig mit mir zusammen sein.» Nervös fuhr sie fort: «Mein früherer Mann wollte jedenfalls nicht mit mir zusammen sein, das war offensichtlich!» Ihre Augen schwammen in Tränen, als sie mühsam weiterredete. «Mein Vater übrigens auch nicht … Was ist denn nur mit mir los? Was mache ich bloß falsch?»

Sobald sich Jill darüber klar wurde, dass es massive Probleme zwischen ihr und einem Mann gab, der ihr wichtig war, entschloss sie sich nicht nur zu dem Versuch, diese Probleme zu lösen, sondern übernahm auch die Verantwortung für deren Entstehung. Wenn Randy, ihr früherer Mann und ihr Vater – wenn alle diese Männer sie nicht lieben konnten, dann musste der Grund dafür in etwas liegen, das sie getan hatte oder nicht hatte tun können.

Jills Verhalten, ihre Gefühle, Einstellungen und Lebenserfahrungen entsprechen genau denen einer Frau, für die Liebe und Leiden zusammengehören. Sie hat viele der Eigenschaften, die charakteristisch für Frauen sind, die zu sehr lieben. Trotz der Unterschiede in ihren Lebensgeschichten und unabhängig davon, ob sie nun eine lange, schwierige Beziehung mit einem einzigen Mann durchgemacht haben oder eine Reihe von unglücklichen Affären mit mehreren Männern – alle diese Frauen weisen typische...

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