Walter Wippersberg
Der neue Kampf ums Urheberrecht
Wer ein Produkt herstellt, das andere haben wollen, der soll für dieses Produkt auch bezahlt werden. Und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein materielles oder ein geistiges Produkt handelt. Das war bis vor Kurzem allgemein akzeptierte Meinung. Geistiges Eigentum ist (seit mehr als 170 Jahren schon) durchs Urheberrecht geschützt. Wer sich fremdes geistiges Eigentum einfach aneignet, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Das war – mehr oder weniger – unbestritten, solange etwa die Herstellung von „Raubdrucken“ (Bücher) oder „Raubkopien“ (Filme) oder „Raubpressungen“ (Schallplatten) mit erheblichem Aufwand verbunden war.
Das ist nun ganz anders geworden. Auf elektronischem Weg können Filme, Musikstücke, Werke der bildenden Kunst und der Literatur so einfach vervielfältigt werden, wie man sich das vor ein paar Jahrzehnten noch nicht vorstellen konnte. Ist etwas einmal digitalisiert und „ins Netz gestellt“, dann kann jeder damit tun, was er will. Er darf es nicht, aber er kann, also tut er es. Viele tun es. Dass die, um deren geistiges Eigentum es dabei geht, sich dagegen wehren wollen, ist verständlich. Also verlangen sie, die Künstler nämlich, dass das Urheberrecht an die neuen Gegebenheiten angepasst wird. In Österreich wurde Ende 2011 die Initiative „Kunst hat Recht“ gestartet.
Doch gab es bald eine „Gegeninitiative“ aus den eigenen Reihen (wobei noch zu hinterfragen sein wird, ob das wirklich die eigenen Reihen sind). Neue experimentelle (oder auch schon wieder recht gängig gewordene) Kunstformen seien, heißt es, gefährdet, wenn man die Urheberrechte einklagen müsste. Die Kunst des Sampelns etwa. „Netzcommunitys und PiratInnen“, schreibt die Regisseurin Tina Leisch, „lehnen alle Versuche ab, das freie Fließen der Informationsströme im Sinne des alten Urheberrechts zu reglementieren.“ (Kommentar in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ vom 30. 1. 2012)
Konrad Becker meint, „keines der großen Hip-Hop-Alben der 1980er-Jahre könnte heute noch produziert werden“ und Andy Warhol hätte nicht zum großen Pop-Art-Künstler werden können. Dieser Einschätzung kann man zustimmen oder auch nicht (ich neige eher nicht dazu, vor allem, was das Beispiel Andy Warhol anlangt), doch verliert das Argument ohnehin an Gewicht, wenn man weiß, dass die Schöpfer dieser „großen Hip-Hop-Alben“ oder Andy Warhol durchaus nicht auf ihre Einkünfte aus der urheberrechtlichen Verwertung ihrer Arbeit verzichtet haben. „Viele der jüngeren, mit den Konzepten der Tausch- und Geschenkökonomie im Internet sozialisierten KulturmacherInnen“ seien über die Initiative „Kunst hat Recht“ verärgert, schreibt Tina Leisch.
„Tausch- und Geschenkökonomie“, das ist eine nette Formulierung, nur wird aus ihr nicht klar, dass hier Dinge getauscht und verschenkt werden, die jemand anderem gehören. Sorry, auch wenn man es gerne hätte und wenn das heute so einfach geworden ist, man kann sich nicht einfach nach Gutdünken an fremdem geistigen Eigentum bedienen. Sonst dürfte – auf den Bereich Wissenschaft umgelegt – ein Karl-Theodor zu Guttenberg nicht länger als Plagiator gelten, sondern müsste recht eigentlich als Avantgardist gepriesen werden, nämlich als einer der Erfinder der gesampelten Dissertation.
Was sich als Gegeninitiative zu „Kunst hat Recht“ präsentiert, ist nicht so eigenständig, wie es scheinen mag, vielmehr Teil der „Anti-ACTA-Bewegung“. Was allenfalls ACTA vorzuwerfen wäre, wird der Initiative „Kunst hat Recht“ vorgeworfen, und das ist unzulässig, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.
Schreckgespenst ACTA?
ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) ist ein multilaterales Handelsabkommen. Ein Handelsabkommen, wie es viele gibt. Dieses spezielle soll Produktfälschungen und Urheberrechtsverstöße zu verhindern helfen.
Gegen ACTA wurde und wird protestiert, im Internet sowieso, gelegentlich auf der Straße, wo vor allem junge Leute für ihre „digitale Freiheit“ demonstrieren. Sie kritisieren: Sie, die User, hätten bei ACTA nicht mitreden dürfen, das sei alles „hinter verschlossenen Türen“ ausgehandelt worden. Das ist nicht ganz falsch, und man sollte und wird wohl den einen oder anderen ACTA-Punkt noch diskutieren müssen. Und das geschieht ja auch. Vieles von dem, was die Anti-ACTA-Aktivisten kritisieren, steht gar nicht mehr im aktuellen Text. Vieles, was in ersten Entwürfen tatsächlich bedenklich war, wurde von der EU-Kommission längst „herausverhandelt“.
Der Schutz geistigen Eigentums, um den es geht, ist – meiner und nicht nur meiner Ansicht nach – allerdings nicht verhandelbar. Freilich wird er durch ACTA weder neu definiert noch in irgendeiner Weise ausgeweitet, es soll nur ein Instrumentarium geschaffen werden, das es ermöglicht, gegen die längst zur Gewohnheit gewordene Verletzung des Urheberrechts im Internet vorzugehen.
„ACTA ist nicht mehr und nicht weniger als ein Abkommen, das internationale Standards für 13 Vertragsparteien schafft, um Urheberrechte so durchzusetzen, wie sie bereits heute im europäischen Recht gewährleistet sind“, schreibt Karel de Gucht, der Handelskommissar der EU-Kommission. Dass das, was schon Recht ist, jetzt auch durchgesetzt werden soll, lässt manche manches befürchten. Es könnte, kann man auf Anti-ACTA-Internetseiten lesen, zur Beschlagnahmung von Laptops und Datenträgern an Staatsgrenzen kommen. Es könnten – was für eine unmenschliche Maßnahme! – bei nachgewiesenen Urheberrechtsverletzungen gar Schadenersatzansprüche erhoben werden. Und oft wird vor einer angeblich oder (so klar ist das alles nicht) tatsächlich geplanten „Three-Strikes-Regelung“ gewarnt: Nach zwei Vergehen, die milde (z. B. mit Verwarnungen) geahndet werden, könnte beim dritten Mal eine wirkliche Strafe folgen, etwa der Entzug des Internetzugangs für eine bestimmte Zeit.
Damit die User ein bisserl Angst kriegen, werden seltsame Worst-Case-Szenarien zusammengeschustert, zum Beispiel dieses: Da stellt ein harmloser Nutzer ein selbst verfertigtes Video ins Netz. In diesem Filmchen ist zufällig ein Fernseher zu sehen, auf dem eine urheberrechtlich geschützte Sendung läuft. Schon das könnte, prophezeit man, zu einer Sperre des gesamten Videoportals führen. Ein ziemlich blödes Beispiel, oder nicht? Aber es scheint Wirkung zu zeigen, es wird nicht nur an vielen Stellen im Internet, sondern auch in mancher Zeitung angeführt, um die Gefahren zu beschreiben, die uns von ACTA her drohen. Und manch eine(n) wird es dazu gebracht haben, auf der Straße gegen ACTA zu demonstrieren, zumal ja auch – auf welche Weise, wird nicht näher begründet – die Bürgerrechte eingeschränkt werden sollen, die Meinungsfreiheit in Gefahr ist etc. etc.
„Obwohl Sie vielleicht in den vergangenen Wochen das Gegenteil gehört oder gelesen haben mögen, wird ACTA nicht das Internet zensieren. Es wird nicht dazu berechtigen, einzelne E-Mails oder Blogs zu überwachen. Es wird private Internetdienstleister nicht zu Hilfssheriffs des Internets machen. Es wird nicht den Verkauf legaler Generika beschränken. Es wird nicht dazu berechtigen, Laptops oder MP3-Player von Zollbeamten durchsuchen zu lassen.“ Das behauptet Karel de Gucht. Aber darf man einem EU-Kommissar glauben, was er sagt? Die Politiker lügen doch alle, wenn sie nur den Mund aufmachen, und die in Brüssel lügen ganz besonders ungeniert, oder etwa doch nicht?
Welche Folgen es haben wird, wenn ACTA tatsächlich einmal in Kraft getreten sein sollte, lässt sich meiner Abschätzung nach heute noch nicht wirklich sagen. Da gibt es viele „Kann-Bestimmungen“ drin, da wird, vermute ich, vieles im Detail erst von Gerichten ausjudiziert werden müssen. Bis dahin halte ich da oder dort Skepsis für angebracht und eine kritische Beobachtung der Entwicklung für geboten. Aber, wie schon gesagt, „Kunst hat Recht“ ist die eine Sache, ACTA eine ganz andere. Und eins mit dem anderen zu vermischen oder gar gleichzusetzen, ist unredlich. Doch geschieht es.
Flennende Piraten
Auffällig ist, dass nicht wenige von denen, die da gegen ACTA demonstrieren und ganz unverhohlen für eine Außerkraftsetzung des Urheberrechts im Internet plädieren, sich selbst „Pirat“ oder „Piratin“ nennen oder gar, ein wenig tautologisch, „freier Pirat“ oder „freie Piratin“. Und schon hat sich – vage Stimmungen nutzend – eine „Piratenpartei“ gegründet.
Mit wem vergleicht man sich da? Eher wohl nicht mit jenen Kriminellen, die vor Somalia die internationale Schifffahrt bedrohen – mit beträchtlichem Risiko übrigens, denn die werden, wenn ihnen die Kaperung eines Schiffes nicht gelingt, oft einfach erschossen.
Die „Netzpiraten“ denken, vermute ich, in ihrer Selbststilisierung romantischer. Ihnen schweben als Leitbilder wohl Figuren vor, wie sie im Film früher einmal von Douglas Fairbanks, Errol Flynn oder Tyrone Power gespielt wurden und heute von Johnny Depp. Wie aber um alles in der Welt kommen Computer-Nerds auf den Gedanken, sich mit Männern (und übrigens auch der einen oder anderen Frau wie der Irin Anne Bonny) zu vergleichen, die ihr Piratenhandwerk mit der Waffe in der Hand, oft im Kampf Mann gegen Mann ausübten und dabei immer ihr Leben riskierten? „Bei Piraterie [...] oder Seeräuberei handelt es sich“, ich zitiere aus Wikipedia, „um Gewalttaten, Eigentumsdelikte oder Freiheitsberaubungen, die zu eigennützigen Zwecken unter Gebrauch eines See- oder Luftfahrzeugs auf hoher See oder in anderen Gebieten verübt werden, die keiner staatlichen Gewalt unterliegen.“ Vielleicht...