Achtung Wildwechsel!
Kennen Sie auch solche Tage? Nach dem Aufwachen hatte ich mich noch bärenstark gefühlt, ich hätte Bäume ausreißen können. Nach dem Aufstehen waren es nur noch kleine Bäume, wenig später gerade mal Blümchen. Na gut, Gras. Katzengras.
Was war geschehen? Ich hatte vor meinem Schrank gestanden, diverse Outfits anprobiert, um sie kurz darauf erbost auf den Boden zu schleudern. Damit hatte ich alle Schleusen für den großen Weltschmerz geöffnet. Inzwischen stand mir nicht nur der Kleiderberg bis zum Hals. Nichts passte mehr; die Blusen spannten, die Hosen zwickten, vom Reißverschluss bei den Röcken und Kleidern gar nicht zu sprechen.
Kein Zweifel: Ich saß in der Kalorien-, Jo-Jo-, Hormon-, Fett-, Figur-Falle oder was auch immer. Es war zum Verzweifeln. Die Alterskeule samt Wechseljahren hatte mit voller Kraft zugeschlagen. Bisher hatte es doch immer nur die anderen getroffen, aber jetzt war offensichtlich ich an der Reihe. Ich brauchte dringend eine Pause von der Menopause.
Jede Frau weiß, wenn es so weit ist. Denn es gibt neben vielen möglichen Warnzeichen wie leichter Irrsinn ein klares Indiz: Die Tage bleiben aus. Endgültig.
Wenn es nur das wäre … Aber dieser Wechsel in die neue Lebensphase ist ein wilder Ritt, der auch mir nicht erspart blieb. Irgendwann erwischt es jede, das sei an dieser Stelle als kleines Trostpflaster gesagt. Egal, ob Sie in ferner Zukunft einmal die Königin von England werden, ein derzeit international gefeierter Hollywoodstar oder ein Supermodel sind, jede kommt an die Reihe. Ausnahmslos! Und geteiltes Leid ist halbes Leid, da kommt bei uns Vertreterinnen aus der Babyboomer-Generation ganz schön was zusammen in puncto Mitleid: Rund acht Millionen Frauen in Deutschland stecken derzeit in den Wechseljahren, also jede fünfte Frau.
Auch ich, die immer gedacht hatte, dass die 50 gaaanz weit weg sind, habe inzwischen den runden Geburtstag und die »Tage« weit hinter mir gelassen. Ich glaube, keine Frau trauert ernsthaft ihrer Menstruation nach. Aber dem, was sich damit ebenfalls sang- und klanglos verabschiedet, schon: glatte Haut, volles Haar, festes Gewebe, sprudelnde Libido …
Apropos Verlangen. Eine meiner Freundin, die in dieser Tiefphase etwas verwirrt nach dem Hormon-Rettungsanker aus Östrogen und Testosteron gegriffen hatte, entwickelte daraufhin völlig ungeahnte Triebkräfte. Sie sei kurz davor gewesen, sich an ihrem Postboten zu vergehen, hatte sie mir in einer stillen Stunde entsetzt gestanden. Wir hatten Tränen gelacht. Wofür diese Pflaster so taugen …
Aber was soll ich angesichts einiger Veränderungen, die ich plötzlich an mir wahrnahm, groß sagen: Es verschlug mir die Sprache. Zahnfleisch- statt Monatsblutung, war es das, was auf uns zukam? So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Plötzlich war ich gereizt und unberechenbar wie ein pubertierender Teenager. Litt ich jetzt am Tourettesyndrom? Es kam nun regelmäßig vor, dass meine Gefühle Achterbahn mit mir fuhren. War das vielleicht eine bipolare Störung? Und auch die Gelegenheits-Depri war mir mittlerweile nicht mehr fremd, vor allem dann, wenn ich nachts stundenlang wach gelegen hatte, weil ich nicht hatte einschlafen können. Die Gedanken ums Älterwerden und die Zukunft waren durch mein Gehirn gekreiselt, als hätte ich zu tief ins Glas oder in die Glaskugel geschaut.
Und dann dieser Körper. Hallo??? Er veränderte sich auf unerhörte Weise. Was für eine Zumutung! Jetzt verstand ich meine Oma, die oft zu mir gesagt hatte: Kind, genieße dein Leben, vergeude keine Zeit, denn es geht so schnell vorbei. Ja, dieses Leben verhielt sich wie ein Temposünder. Der miese Verräter fuhr mit Vollgas in Richtung Sarg. Heul! Wo, verdammt noch mal, war die Handbremse? Den Hersteller würde ich verklagen!
Ich werde nicht auf all die möglichen Wechseljahre-Symptome eingehen. Wie es sich wirklich anfühlt, über 50 zu sein, muss ich Ihnen bestimmt nicht erzählen. Wir Frauen sollten auch nicht alles vor der ganzen Welt ausbreiten, manches darf doch unser Geheimnis bleiben, oder? Und jede Frau erlebt diese Zeit anders: Ein Drittel merkt so gut wie nichts davon, ein Drittel spürt die Symptome ein wenig, ein Drittel leidet wirklich. Einziges verbindendes Element scheint eigentlich nur die Lesebrille zu sein, die alle ab Ende 40 brauchen. Männer übrigens auch. Aber um die geht es hier nicht!
Bei mir begann es mit der Fernsehzeitung; ich konnte eines Tages das Programm nicht mehr entziffern, weil mein Arm zu kurz geworden war. Das war vielleicht der erste Schicksalswink nach dem Motto: Jetzt wirst du alt, aber vielleicht wenigstens weitsichtig. Ich ignorierte diese Entwicklung vorerst. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Irgendwann saß ich an der Bar eines Münchner In-Lokals und wartete auf meine Freundin Yvonne, mit der ich dort verabredet war. Sie rief an und teilte mir mit, dass sie sich verspäten würde, weil sie keinen Parkplatz finden konnte. Na toll, schoss mir durch den Kopf, ich soll hier still auf sie warten, während mein Magen schon Selbstgespräche führt.
Da ich mächtig Hunger hatte und das Rumoren den anderen Gästen nicht länger erklären oder zumuten konnte, entschied ich, mir vorab eine Kleinigkeit zu essen zu bestellen. Doch ein unüberwindbares Hindernis tat sich auf. Ich hatte meine bis dahin noch einzige Brille zu Hause gelassen, weil ich mich nicht damit zeigen wollte – ja, ich weiß, verdammte Eitelkeit! –, und nun konnte ich die Speisekarte nicht entziffern. Wie peinlich war das denn? Ich konnte den blutjungen Barkeeper ja nicht bitten, mir alles vorzulesen. So wartete ich mit knurrendem Magen und wachsendem Unterzucker, bis meine Freundin endlich eintraf.
Die Begrüßung fiel entsprechend giftig aus. Mit zitternden Fingern fuchtelte ich vor ihrer Nase herum. »Gib mir deine Brille! Aber dalli! Ich brauch sofort was zu essen.« Zum Glück verstand Yvonne augenblicklich meine Notlage, reagierte besonnen und zauberte ein paar Kalorien aus ihrer Handtasche. »Hier hab ich einen Müsliriegel. Runter damit!«
Heute bin ich bestens ausgerüstet und im Besitz von fünf Brillen, die ich an strategisch wichtigen Orten verteilt habe, eine davon, die schönste, liegt natürlich in der Handtasche.
Damit möchte ich das müßige Kapitel der nervigen Begleiterscheinungen beenden. Wenn jedoch eine Frau sagt, sie freue sich aufs Alter, dann lügt sie. »Endlich werde ich alt« klingt doch ungefähr so wie »Hurra, ich habe Hühneraugen, Hallux und Hammerzehen!« Nein, dazu sind die Nebenwirkungen und Risiken einfach zu groß. Und wer einen Blick in die Zukunft werfen möchte, braucht ja nur die eigene Mutter zu mustern oder ganz mutig deren Mutter, falls noch auf Erden, um zu wissen, was voraussichtlich auf sie zukommt. Gene lügen nicht.
An dieser Stelle möchte ich Sie noch vor zwei Tests warnen: dem Vierfüßlerstand und dem Joop-Test. Den Vierfüßlerstand, den ich eingangs bereits erwähnt habe, hatte ich unfreiwillig gemacht, weil mir nach dem Duschen ein Ohrring heruntergefallen und unter den Schrank gerollt war. Und den Joop-Test habe ich im Fernsehen gesehen. Den hatte der Modemacher höchstpersönlich einmal in einem TV-Interview beschrieben: Man nehme einen Handspiegel, lege ihn auf den Tisch und beuge sich darüber. Der tibetische Faltenhund lässt grüßen. Nach Meinung des Erfinders ist alles, was da herunterhängt, Hautüberschuss, der wegmuss. Vom Ergebnis kann man sich heute selbst ein Bild machen. Die Flugente lässt grüßen. Dann lieber Hautüberschuss.
Also nicht nachmachen, denn manchmal ist Verdrängung einfach der bessere Weg! Sie schützt auch vor gelegentlichen Panikattacken. Ich fand es außerdem ziemlich ermüdend, mich ständig mit PMS, dem »postmenstruellen« Syndrom, beschäftigen zu müssen. Ich wollte auch keine albernen TV-Serien sehen, die sich dieses Themas annehmen und blöde Menopause-Geschichten mit völlig hysterischen Schauspielerinnen als Unterhaltung verkaufen.
Und worauf ich am allermeisten verzichten konnte, waren diese Werbespots. Ich brauchte weder Einlagen gegen Blasenschwäche noch Haftcremes für Drittzähne, Bleichmittel für weißere Altzähne, Lasertherapie gegen Barthaare, reichhaltige Gesichtscremes für mehr Spannkraft und weniger Altersflecken, Koffeinshampoos gegen Haarausfall, Mittel zum Entwässern und gegen Schwindel, Herzrasen, Muskelsteife, Konzentrationsprobleme sowie Vergesslichkeit, die gleichzeitig im Untertitel das demenzielle Syndrom behandeln. Ich brauchte auch keinen Treppenlift oder Rollator.
Was ich wirklich brauchte, war ein Wunder! Dieser Phasenwechsel war keine Krankheit, sondern eine Zumutung. Denn mein eigentliches Problem waren nicht die eben genannten Symptome, es war dieser Wechselwanst. Der musste weg. Schnell. Spurlos. Nachhaltig.
Natürlich beriet ich mich mit Leidensgenossinnen, bei denen ich ebenfalls die verdächtige Wölbung des neuen Apfelbauchs unter der Bluse oder dem T-Shirt entdecken konnte. Aber keine hatte sinnvolle Ratschläge, und mit den anderen Kommentaren konnte ich mich auch nicht anfreunden.
Meine Freundin Susanne jammerte ständig über ihren Bauch, wollte aber auf keinen Fall etwas an ihrem Lebensstil ändern. Sie hatte mir mal gezeigt, wie man sich den Finger in den Hals steckte, damit die Lasagne wieder zurückkam. Ich hatte meine Hand in den Mund geschoben, so weit es ging, aber außer einem roten Kopf und einem nahezu ausgerenkten Kiefer überhaupt nichts damit bewirkt. Mein Magen hatte sich beharrlich geweigert, auch nur einen Fingerhut meines Essens wieder herzugeben.
»Früher hatte ich so eine tolle Figur, aber die Schwangerschaft hat meinen Grundumsatz und meine Figur total ruiniert«, jammerte Tanja, als ob...