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E-Book

Wie frei ist die Kunst?

Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus

AutorHanno Rauterberg
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783518760451
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR

Gemälde werden abgehängt, Skulpturen vernichtet, Filmhelden ausradiert: Ein heftiger Kulturkampf durchzieht die Museen, Kinos und Theater. Sogar ein Gedicht wird übermalt. Droht das Ende der Kunstfreiheit, wie manche sagen? Eine Zensur von unten? Oder ist es höchste Zeit, wie andere meinen, dass die Kulturwelt der Metoo-Bewegung folgt und mehr Gleichheit einklagt? Hanno Rauterberg zeigt, was sich hinter der Debatte um Moral und Ästhetik verbirgt: Warum wirken Bilder so bedrohlich? Gefährdet politische Korrektheit die Autonomie der Künstler? Und wieso streiten wir gerade heute über diese Fragen? Ein Essay über die wichtigste Kunstdebatte seit Langem, die viel verrät über die Krise des Liberalismus und die neuen Tabus einer sich wandelnden Gesellschaft.



<p>Hanno Rauterberg, geboren 1967, ist promovierter Kunsthistoriker und schreibt als Redakteur im Feuilleton der Wochenzeitung <em>DIEZEIT</em> regelmäßig über Architektur und Stadtentwicklung.</p>

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Leseprobe

7Einleitung oder: Wie unfrei ist die Gegenwart?


Die Kunst war immer auch Gegner, ein Hassobjekt, ein Popanz, der unbedingt zerstört werden muss. So ziemlich jedes Mittel schien dafür recht. Gleich mehrfach kam ein Teppichmesser zum Einsatz, um die Gemälde von Barnett Newman aufzuschlitzen. Mit einem Hammer ging es gegen den David von Michelangelo, mit einem Hackebeil gegen die Venus vor dem Spiegel von Diego Velaźquez. Sogar Schrotflinten dienen gelegentlich der Kunstvernichtung, so wie bei einer Zeichnung von Leonardo da Vinci, die man aus drei Metern Entfernung beschoss. Das Lieblingsobjekt der Ikonoklasten ist und bleibt aber die Mona Lisa: Sie wurde mal mit Säure angegriffen, mal mit roter Farbe, einer warf einen Stein auf das Bild, ein anderer einen Kaffeebecher, erworben im Souvenirshop des Louvre. Nichts in der Kunst ist sicher.

Offenbar weckt sie in einigen Menschen das schier unbezähmbare Verlangen, ihre eigene sterbliche Existenz mit der Unsterblichkeit der Kunst zu konfrontieren. Ungezählt sind die Opfer dieser Wut, unüberschaubar die politischen, religiösen, manchmal auch dem Irrsinn geschuldeten Motive der Täter. Diese Täter wähnen sich nicht selten als die eigentlichen Opfer, sie sagen, ästhetische Übermächte hätten sie dazu verführt, einem Porträt die Augen auszustechen oder einer Skulptur den Kopf abzuschlagen. In jedem Fall zeigt sich im Furor der Attacke, welche Macht die vermeintlich ohnmächtige Kunst zu besitzen vermag. Im Augenblick ihrer Auslöschung offenbart sich ihre still gehütete Gewalt.

Allerdings braucht es so weit gar nicht erst zu kommen. In 8einer liberalen Gesellschaft, die viel gibt auf ihre Museen, ihre Theater, Kinos und Konzerthäuser, reicht oft schon die angedrohte Vernichtung oder Verdrängung eines Werks, um allgemeines Entsetzen auszulösen ‒ und damit die verblüffende Wirkmächtigkeit der Kunst zu bestätigen. So war es, als ein Gedicht von Eugen Gomringer auf der Fassade einer Berliner Hochschule übermalt werden sollte ‒ und allein dieser Beschluss die höchsten politischen Kreise der Bundesrepublik derart aufbrachte, dass die Kulturstaatsministerin Monika Grütters von einem »erschreckenden Akt der Kulturbarbarei« sprach und der Deutsche Kulturrat vor den »Konsequenzen einer solchen Zensur« warnte.1 Ähnlich verhielt es sich, als in Manchester vorübergehend ein Nymphen-Bildnis des Präraffaeliten John William Waterhouse abgehängt wurde ‒ und der Kunsthistoriker Horst Bredekamp dies prompt als Indiz dafür verstand, dass die Freiheit der Kunst gefährdet sei: »Uns trennt nurmehr eine papierdünne Wand vor dem, was die ›Entartete Kunst‹ und der gedankliche Rahmen der Säuberung einmal fabriziert haben.«2

In beiden Fällen ging es nicht um Teppichmesser oder Säu9re, nicht um Zensur oder ikonoklastische Zerstörung, es ging lediglich darum, ein Kunstwerk dem öffentlichen Blick zu entziehen. Das Gomringer-Gedicht wurde nicht ausgelöscht und für immer verboten; jeder, der möchte, kann es weiterhin lesen, in gedruckter oder digitaler Form, einzig auf der besagten Berliner Häuserwand nicht. Das Waterhouse-Gemälde musste nur wegen einer institutionskritischen Performance für kurze Zeit ins Depot; nun wird es ‒ nach einer Abwesenheit von wenigen Tagen ‒ wieder in der ständigen Sammlung des Museums in Manchester gezeigt. Die alarmierten Reaktionen mögen somit auf den ersten Blick verwundern. Grütters wie Bredekamp verweisen mit ihrer Wortwahl ‒ »Kulturbarbarei«, »Säuberung« ‒ auf jene kunstfeindlichen Zeiten, als tatsächlich Bücher und Bilder verbrannt wurden, man Künstler verfolgte und die Freiheit der Kunst systematisch zersetzte. Von dieser Art systematischer Auslöschung kann indes in den liberalen Demokratien des Westens keine Rede sein. Wenngleich rechtspopulistische Parteien davon träumen mögen, die Kritik der Künstler unterdrücken zu können, sind doch die rechtlichen Spielräume des Sag- und Darstellbaren nur in Ausnahmefällen eingeschränkt worden. Die Kunstfreiheit genießt in Deutschland als Grundrecht nach wie vor uneingeschränkten Schutz, ja, über die Jahre haben sich die Grenzen des Sag- und Zeigbaren aus Sicht der Gerichte sogar noch ausgeweitet.3

Die »Kulturbarbarei«, will man die Diagnose für einen Augenblick gleichwohl ernst nehmen, vollzieht sich offenbar im Rücken des Rechts. Es ist eine »Diktatur«, die inmitten 10der Freiheit erwächst; eine »Säuberung«, die keiner staatlichen Schergen bedarf, um bedrohliche Ausmaße anzunehmen. Diese Zerstörung der Kunst, folgt man Grütters und Bredekamp, muss nicht handgreiflich werden, um ihre destruktive Macht zu entfalten.

»Die Rolle der Bilder«, so hat es der Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans Belting dargelegt, »wird manifestiert in den symbolischen Handlungen, welche Anhänger und Gegner schon immer an ihnen vollzogen, seit man überhaupt Bildwerke errichtete.«4 Vor allem dieser Symbolcharakter ist es, der die legalistischen Erwägungen und möglichen Einwände der Vernunft in den Hintergrund treten lässt. Sie werden überblendet von dem Gefühl, es stehe etwas weit Grundsätzlicheres auf dem Spiel als das, was sich auf dem Rechtswege einklagen lässt: jene gesellschaftliche Übereinkunft, aus der die Gesetze erst hervorgegangen sind. In Abwandlung des bekannten Diktums von Ernst-Wolfgang Böckenförde ließe sich sagen: Die Kunstfreiheit lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann.5 Und die nun, geschützt nur von einer »papierdünnen Wand«, gefährdet scheinen.

In diesem Sinne wäre das Überpinseln eines Gedichts nicht deshalb ein Akt der »Kulturbarbarei«, weil Gomringers Verse damit aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht würden. Vielmehr ist es die »symbolische Handlung«, die viele beunruhigt: Aus dieser Handlung spricht ein gewandeltes Verständ11nis dessen, was die Freiheit der Kunst noch bedeutet und verlangt.

Mit diesem Wandel vor allem will sich dieser Essay befassen. Mit einer Zeit, die unbeschränkter ist denn je ‒ und zugleich das Bedürfnis nach starker Befestigung, nach neuen Grenzen hervortreibt, so dass manche den Eindruck haben, dass »unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz gelebt« werde und »unsere Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt« sei.6 Wie frei die Kunst denn tatsächlich ist und wie frei sie sein soll, was sie sich herausnehmen darf und welche Rücksichten sie üben muss, um all diese Fragen ist ein Kulturkampf entbrannt, der mit überraschender Schärfe geführt wird und in dem nicht zuletzt die tiefe Krise des Liberalismus zutage tritt.

Nie war die Freiheit der Kunst eine totale Freiheit, das ist bekannt: Sie wird durch andere Rechte begrenzt, wenn es um den Schutz der Jugend oder den Persönlichkeitsschutz geht. Ebenso kennt die Freiheit materielle Grenzen, ein Künstler muss es sich leisten können, seinem freien Schaffen nachzugehen, ungezwungen von finanziellen Nöten. Zudem kommt es vor, dass die Kunst ihre Autonomie freiwillig preisgibt und sich in den Dienst der politischen oder ökonomischen Macht stellt. In solchen Fällen entwirft die freie Kunst ein unfreies Bild ihrer selbst, sie erscheint auf postautonome Weise als befangen.7

12Doch widmet sich dieser Essay nur am Rande diesen juristischen, politischen und ökonomischen Aspekten der Kunstfreiheit, denn in gewisser Weise sind sie nachgeordnet. Sie gewinnen ihr Gewicht erst durch eine ideelle Aufladung der Freiheit. Die Kunst ist frei, weil sie etwas bedeutet. Was diese Bedeutung ausmacht und worin also die Freiheit gründet, musste in der Moderne immer wieder ausgehandelt werden und wird nun, in der Digitalmoderne, auf denkbar grundsätzliche Weise in Zweifel gezogen. Es ist ein Zweifel am Wert der Freiheit, und er macht aus dem Streit um die Kunst einen gesellschaftlichen Konflikt.

Die Frontverläufe dieses Kulturkampfs abzuschreiten ist schon deshalb erhellend: Dort lässt sich besichtigen, wie Ausstellungen verhindert, Theaterstücke abgesetzt, Schauspieler aus Filmen herausgeschnitten werden. Und ebenso wird sichtbar, wie sehr sich das geistige Klima wandelt und das Wertebild der liberalen Gesellschaft in Bewegung gerät. Diese Bewegung verhilft der Kunst zu unerwarteter Brisanz, verwickelt sie in ungewohnte Konflikte und...

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