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Wie ich Livingstone fand

Reisen und Entdeckungen in Zentral-Afrika

AutorHenry M. Stanley
VerlagEdition Erdmann in der marixverlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783843802932
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
'Dr. Livingstone, wie ich vermute?' - fünf Wörter, die dem Angesprochenen das Leben retteten und zum geflügelten Wort nicht nur der abendländischen Entdeckerliteratur wurden. Mit diesen Worten begrüßt der junge ambitionierte Reporter Henry Morton Stanley den bis dato verschollenen Afrikaforscher David Livingstone am 10. November 1871 in einem kleinen Dorf am Tanganjikasee. Acht strapaziöse und mitunter lebensgefährliche Monate war Stanley im Auftrag seines exzentrischen Verlegers auf der Suche nach dem berühmten Afrikaforscher durch den 'Schwarzen Kontinent' gezogen, hatte unzählige Männer durch Krankheit und Erschöpfung verloren, bis er schließlich dem Totgeglaubten gegenübersteht, ihm die Rettung vor dem sicheren Tod bringt und unter seinem Einfluss schließlich sogar selbst zum renommierten Afrikaforscher wird.

Henry Morton Stanley (1841 als John Rowlands in Wales geboren-1904) war ein britisch-amerikanischer Journalist, Autor und Afrikaforscher. Mit fünfzehn Jahren wanderte er nach Amerika aus. Nachdem er im amerikanischen Bürgerkrieg erste Erfahrungen als Journalist gesammelt hatte, heuerte ihn der Verleger James Gordon Bennett Jr. für den New York Herald an. Seine Reiseberichte aus Afrika, vor allem Die Entdeckung des Kongo, dienten wahrscheinlich als Quelle für Joseph Conrads Heart of Darkness. Dr. Heinrich Pleticha (1924-2010) ist u.a. Herausgeber von Mungo Parks Reisen ins innerste Afrika.

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Leseprobe

LIVINGSTONE UND STANLEY – BEGEGNUNG ALS SCHICKSAL


»Dr. Livingstone, I presume?«

Kaum ein anderer Satz aus den Reisewerken der Entdecker ist so populär geworden wie diese steife Frage des jungen Journalisten Henry Morton Stanley am Freitag, dem 10. November 1871, bei seiner ersten Begegnung mit dem berühmten Afrikaforscher David Livingstone in Udschidschi, einem Sklavenhändlerdorf am Ostufer des Tanganikasees. 236 Tage war Stanley unterwegs gewesen und hatte in dieser Zeit von der ostafrikanischen Küste aus gut tausend Kilometer zurückgelegt, um im Auftrag eines amerikanischen Zeitungsverlegers den im Herzen Afrikas verschollenen Livingstone zu suchen.

Man kann sich kaum größere Gegensätze vorstellen als die beiden Männer, die an diesem abgelegenen Fleck der Erde zusammentrafen: der achtundfünfzigjährige erschöpfte und schwerkranke Arzt, der, ohne es zu ahnen, nun schon am Ende seiner Forscherlaufbahn stand, und der einunddreißigjährige energische Journalist, der über keinerlei Erfahrungen als Afrikareisender verfügte und völlig unbekümmert in dieses Abenteuer gezogen war. Für den einen war die Begegnung ein letzter Lichtblick in einer schwierigen Lage, für den anderen sollte sie zum Schicksal werden, sollte ihn entscheidend verändern und prägen und ihn auf seine eigentliche Bestimmung als Forscher verweisen. Nur eines hatten diese beiden Männer gemeinsam, beide stammten sie aus einfachsten Verhältnissen und hatten sich ihren Weg nach oben, der zugleich ein Weg in den dunklen Erdteil war, ebenso mühsam wie energisch erkämpfen müssen1.

David Livingstone wurde am 29. März 1813 in Blantyre in der Nähe von Glasgow in Schottland geboren. Er stammte aus einer alten Bauernfamilie, doch hatte schon der Großvater seinen kleinen Besitz verkauft und sich in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen Arbeit in einer der damals gerade aufblühenden Baumwollspinnereien gesucht. Der Vater verdiente sein Geld als Teekrämer, die Mutter musste mehr schlecht als recht die Kinder versorgen. Kein Wunder also, dass David schon mit zehn Jahren in die Fabrik geschickt wurde, um durch seinen kleinen Verdienst zur Verminderung der familiären Sorgen beizutragen. Der Junge war aber nicht gewillt, sich mit diesem Schicksal abzufinden. Für einen Teil des ersten Wochenverdienstes kaufte er sich ein Lehrbuch der lateinischen Sprache. Nach der Arbeit besuchte er von acht bis zehn Uhr eine Feierabendschule, die von den Fabrikbesitzern eingerichtet worden war. Dann studierte er daheim bis Mitternacht weiter, obgleich er um sechs Uhr früh schon wieder mit der Fabrikarbeit beginnen musste. Nebenbei verschlang er in seiner Lesewut alle Bücher, die er nur auftreiben konnte, besonders naturwissenschaftliche Werke und Reiseliteratur.

Schließlich reifte in ihm der Plan, als Missionar nach China zu gehen. Es war kennzeichnend für Livingstones praktische Einstellung, dass er zugleich beschloss, sich eine solide medizinische Ausbildung zu verschaffen, um für den erstrebten Beruf besser geeignet zu sein. So kaufte er sich einige ältere medizinische Werke und setzte mit ihrer Hilfe zuerst einmal sein Selbststudium fort. Eine Lohnaufbesserung nach einigen Arbeitsjahren ermöglichte es ihm, im Sommer genug für den Unterhalt der Familie zu verdienen und im Winter an der Universität Glasgow Vorlesungen über Medizin und Theologie zu besuchen. Auf Empfehlungen einiger Freunde schloss er sich einer konfessionell nicht gebundenen Missionsgesellschaft in London an, die den strebsamen jungen Mann unterstützte, der schließlich seine medizinischen Studien erfolgreich abschloss. Sein Plan, nach China zu gehen, scheiterte allerdings an den politischen Verhältnissen, da der sogenannte Opiumkrieg dort jede missionarische Tätigkeit verhinderte. Dafür lenkte der Missionar Robert Moffat (1795–1883), einer der besten Kenner Südafrikas, Livingstones Aufmerksamkeit auf das noch weitgehend unerschlossene Gebiet. Dieser nahm die Anregung dankbar auf und reiste 1840 nach Afrika.

Die folgenden Jahre verbrachte er zuerst als Arzt und Missionar auf der Station Moffats, dessen Tochter er 1844 heiratete. Zusammen mit ihr zog er nördlich in das Landesinnere und gründete 1847 eine neue Missionsstation in Kolobeng. Die dort lebenden Buren zwangen ihn aber, seine Tätigkeit wieder aufzugeben, und deshalb entschloss er sich 1849 zu einer ersten größeren Entdeckungsreise durch die Kalahari, um den Ngamisee zu suchen, von dessen Vorhandensein er Kenntnis erhalten hatte. Als er ihn tatsächlich entdeckte, war das ein beachtenswerter Erfolg für den damals in der wissenschaftlichen Welt noch völlig unbekannten Missionar, der zugleich sein Leben von Grund auf verändern sollte; denn von nun an widmete er sich in zunehmendem Maß der wissenschaftlichen Forschung. Da die Kenntnis des südlichen Afrika um die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch ausgesprochen dürftig war, entschloss er sich 1852 zu einer großen Reise, die ihn berühmt machte2.

Er zog erst am Sambesi aufwärts, überquerte dann die Wasserscheide zum Kongo, wandte sich nach Nordwesten und erreichte schließlich nach erheblichen Strapazen Ende Mai 1854 die portugiesische Niederlassung Loanda an der Atlantikküste. Die Reise war zwar ein wesentlicher Beitrag zur Erforschung Afrikas, doch bewies sie gleichzeitig, dass sich im Gegensatz zu Livingstones Vermutung die verfolgte Route nicht praktisch nutzen ließ. Kurz entschlossen kehrte er deshalb auf dem fast gleichen Weg wieder zurück und wandte sich im November 1855 nach Osten, um dem Sambesi abwärts bis zum Indischen Ozean zu folgen. Gleich zu Beginn dieses neuen Reiseabschnitts entdeckte er die großen Wasserfälle des Sambesi, die er nach seiner Königin Victoriafälle benannte. Ende Mai 1856 erreichte er die Ostküste des Erdteils und hatte damit innerhalb von vier Jahren als erster europäischer Reisender das südliche Afrika durchquert.

In den Jahren zwischen 1858 und 1864 unternahm er acht kleinere, weniger beachtete Reisen, auf denen er den Unterlauf des Sambesi genauer erforschte. 1864 bereitete er dann im Auftrag der Königlichen Geographischen Gesellschaft ein neues großes Unternehmen vor, bei dem er das Rätsel der Nilquellen lösen wollte. Schon 1858 hatten Richard F. Burton und John H. Speke von Ostafrika aus das zentralafrikanische Seengebiet erreicht und den Tanganika- und den Victoriasee entdeckt, doch war es ihnen nicht gelungen, die Trennung der Flusssysteme von Nil und Kongo zu klären. Livingstone plante, an ihre Erfolge anzuknüpfen. Er zog 1865 von der Ostküste bis zum Njassasee und an dessen Westufer vorbei nach Norden, bis er im April 1867 das Südende des Tanganikasees erreichte. Von hier aus wandte er sich westwärts zum Merusee und kam im Juli 1868 an den Bangweolosee. Von da aus kehrte er wieder nach Norden zurück, wo er in Udschidschi, das wir in dem folgenden Text näher kennenlernen, Nachschub an Lebensmitteln und Medikamenten vorzufinden hoffte. Aber diese Vorräte waren gestohlen worden. Statt daraufhin die an sich schon langdauernde und erfolgreiche Expedition abzubrechen und auf dem bekannten Karawanenweg an die Ostküste zurückzukehren, beschloss er, trotz aller Schwierigkeiten erneut in das Gebiet westlich des Sees vorzustoßen und dort die Flusssysteme zu erkunden.

Livingstone war zu diesem Zeitpunkt der Lösung des Problems sehr nahe, wenn er auch seine Aufmerksamkeit zu stark auf mögliche Quellflüsse des Nils konzentrierte und die Möglichkeit einer Verbindung dieser Flüsse mit dem Kongo außer Acht ließ. Immerhin gelangte er westwärts bis Njangwe (Nyangwe), einem wichtigen Stützpunkt der Sklavenhändler am Lualaba, den er für den Oberlauf des Nils hielt. Unruhen der Eingeborenen und Intrigen der Sklavenhändler verhinderten eine Weiterfahrt flussabwärts und damit die Erkenntnis, dass es sich hier um einen der Quellflüsse des Kongo handelte, wie erst neun Jahre später Stanley beweisen sollte. So aber kehrte er nach Udschidschi zurück. Seine lange Abwesenheit und Aussagen von Eingeborenen hatten in Europa das Gerücht von seiner Ermordung aufkommen lassen und schwere Besorgnis ausgelöst. Deshalb sandte der New Yorker Zeitungsverleger James Gordon Bennett im November 1869 den jungen Reporter Henry Morton Stanley auf die Suche nach Livingstone.

Dieser hieß eigentlich John Rowlands und wurde 1841 als uneheliches Kind einer Magd und eines kurz zuvor verstorbenen Landwirts in dem kleinen Dorf Denbigh, unweit Liverpool, geboren. Not und tiefstes Elend zeichneten die Kindheit des kleinen John, der von niemandem geliebt, von allen aber als Last empfunden und dementsprechend umhergestoßen wurde. Mit siebzehn Jahren hielt er es schließlich nicht mehr daheim in England aus und ging als Schiffsjunge nach Amerika. In New Orleans fand er Unterkunft bei einem Kolonialwarenhändler, der den aufgeweckten Jungen schließlich als Pflegesohn annahm und ihm auch seinen Namen – Henry Stanley – gab. Aber schon 1861 starb der Pflegevater, und der nun zwanzigjährige Stanley war wieder auf sich selbst gestellt. Während des Sezessionskrieges kämpfte er als Freiwilliger in der Armee der Südstaaten, diente dann in der...

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