Traurig, müde, leer und zu nichts mehr Lust: Kennst du das?
Sicherlich ist nicht jede Phase von Traurigkeit gleich eine Depression. Traurigkeit gehört zum Leben dazu und ist ein wichtiges Gefühl. Sie kann uns zeigen, was uns fehlt und was uns guttut. Sie hilft uns, Dinge zu verarbeiten, die uns belasten. Traurigkeit kann Ausdruck davon sein, dass wir uns mit den wichtigen und manchmal schwierigen Fragen im Leben auseinandersetzen. Und sie kann uns dabei unterstützen, neue Wege zu finden und auszuprobieren, wenn andere Wege in eine Sackgasse geführt haben. Wenn die Traurigkeit allerdings sehr lange anhält, immer größer wird und immer mehr Teile unseres Lebens in Mitleidenschaft zieht, kann die Traurigkeit zu einer Depression werden.
ALINA, 16 »Ich kam mir unendlich dumm und schlecht vor. Allen schien es gut zu gehen, nur ich fühlte mich so unendlich leer und verzweifelt. Ich dachte oft, ich bin an allem schuld und ich habe es verdient, mich so schlecht zu fühlen.«
Auch wenn man sich in dieser Situation kaum vorstellen kann, dass so ein Gefühl der Leere und Verzweiflung wieder weggehen wird, möchten wir dir eines an dieser Stelle schon sagen:
Es gibt gute Hilfe gegen Depression! Sicher, es geht nicht von heute auf morgen, aber du kannst dir helfen lassen und dir auch selbst helfen. Eine Depression ist gut behandelbar und geht irgendwann vorbei. Vor allem wenn du dir selbst hilfst und bereit bist, Hilfe anzunehmen. ×
Bevor wir zeigen, wie du dir selbst helfen und wo du Hilfe finden kannst, wollen wir dir zeigen, dass du nicht allein bist.
Wie geht es anderen?
Stimmungstiefs und Depressionen kennen viele junge Menschen, wir werden von einigen erzählen. Manches wird dir vielleicht bekannt vorkommen, anderes nicht, denn letztendlich sehen solche Phasen bei jedem Menschen etwas anders aus. Dennoch gibt es einige gemeinsame Merkmale, die wir benennen können. Wir machen auch deutlich, wann eine traurige Stimmung in eine Depression umschlägt, was typische Anzeichen und Kriterien für eine Depression sind und wann man sich in jedem Fall professionelle Hilfe suchen sollte. Dabei werden auch die möglichen Ursachen und Folgen einer Depression zur Sprache kommen.
JULIA, 18, besucht die 13. Klasse eines Gymnasiums. Sie ist eine gute Schülerin, hat Freunde und eine nette Familie. Kaum einer ahnt, wie schlecht es ihr geht. Sie weiß schon morgens, wenn der Wecker klingelt, nicht, wie sie den Tag überstehen soll. Sie fühlt sich kraftlos und matt. In der Schule fällt es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Sie hört die Fragen, die Antworten, doch sie ist wie taub und innerlich teilnahmslos. Sie müsste sich mehr melden, die mündliche Mitarbeit ist doch so wichtig, aber es geht einfach nicht. »Ich muss endlich wissen, was ich nach dem Abi machen will. Alle anderen wissen auch schon, was sie werden wollen. Ich brauche unbedingt ein gutes Abi!«, hämmert es in ihrem Kopf. Ihr ist zum Heulen zumute.
Nachmittags trifft sie sich mit ihren Freundinnen, dann geht es ihr etwas besser. Oft würde sie am liebsten absagen, aber sie weiß, dass es dann nur schlimmer wird. Zu Hause ist sie gereizt, vor allem ihr jüngerer Bruder nervt sie, obwohl sie ihn eigentlich gern mag. Ihre Familie merkt, dass es ihr nicht gut geht. Ihre Mutter hat ihr erzählt, dass Julias Opa auch schwermütig gewesen und wegen Depressionen mehrfach im Krankenhaus behandelt worden sei. Alle geben sich ganz viel Mühe und sind nett zu ihr.
Deshalb ist sie auch so wütend auf sich selbst. Sie bereitet allen Kummer und hat noch nicht einmal einen richtigen Grund. Abends ist sie in ihrem Zimmer, dann ist es am schlimmsten. Dann fühlt sie sich so schlecht, dass sie es kaum noch aushalten kann. Sie denkt, ob es nicht besser wäre, wenn sie tot wäre, dann würde sie niemandem mehr zur Last fallen. Vielleicht einfach Tabletten nehmen, die Pulsadern aufschneiden, sich vor einen Bus werfen oder von einem Hochhaus springen! Diese Gedanken machen ihr Angst, sie kann nicht mehr. Sie nimmt eine Rasierklinge und schneidet in ihren Unterarm, bis es blutet. Die Gedanken an den Tod und die Anspannung in ihr verschwinden dann für kurze Zeit. Sie hat viele Wunden und Narben an den Armen und Oberschenkeln, sie schämt sich dafür. ×
KARL, 14, war immer schon schüchtern. Im letzten Jahr ist es aber noch schlimmer geworden. Vor allem in Gegenwart von Mädchen wird er schnell rot. Die anderen Jungs aus seiner Klasse machen sich über ihn lustig. Auch weil er so viele Pickel bekommen hat, machen sie noch blöde Sprüche auf seine Kosten.
Karl sagt zu alledem nichts. Er tut so, als mache es ihm nichts aus, aber das stimmt nicht. Seine Mutter sagt, er lasse sich zu viel gefallen, müsse sich mehr wehren, sich mehr durchsetzen. »Du bist doch groß, größer als die meisten anderen, das kann doch nicht so ein Problem sein!«, meint sein Vater.
Karl hat den Eindruck, dass seine Eltern ihn nicht verstehen, und zieht sich immer mehr zurück. Seine Eltern streiten sich in letzter Zeit häufig, wegen des Geldes und wegen ihm. Er hat Angst, dass sie sich scheiden lassen.
Meistens ist Karl zu Hause in seinem Zimmer. »Ruf doch mal Timo an!«, schlägt sein Vater vor. Selbst für ein Treffen mit seinem besten Freund, den er schon seit der Grundschule kennt, fehlt ihm die Energie. »Timo hat eh mittlerweile andere Freunde«, denkt Karl.
Nachts schläft er schlecht und wird oft wach. Morgens ist er erschöpft und müde. Er isst weniger als früher, er hat einfach keinen Appetit. ×
FINN, 15, sitzt am Computer und spielt seit mehreren Stunden ein Computerspiel. Eigentlich muss er am Freitag seinen Praktikumsbericht abgeben. Aber er kann sich nicht aufraffen. Sein Vater sagt, dass er endlich mit dem Bericht anfangen soll, das ganze Aufschieben mache es ja nicht besser. Als wüsste er das nicht selbst. Er hat ihm angedroht, den Computer aus seinem Zimmer zu holen, wenn er nicht bald mehr für die Schule macht. »Ich habe es satt, dass du nur vor dem Bildschirm hockst oder im Bett liegst. Steh endlich auf und mach was!«, platzt es aus dem Vater heraus.
Seit seine Mutter vor einem Jahr einen Suizidversuch unternommen hat, lebt er bei seinem Vater. Seine Mutter war lange in einer Klinik. Er wollte sie dort nicht besuchen und will sie auch jetzt nicht sehen. Er ist viel allein, sein Vater arbeitet den ganzen Tag. Das ist Finn auch am liebsten so. Dieses ständige Nachfragen seines Vaters, wie es ihm geht, nervt ihn.
Finn ist wütend auf seine Mutter, dass sie sich einfach umbringen wollte und dabei gar nicht an ihn gedacht hat. Er ist wütend auf seinen Vater, der seit der Trennung von Finns Mutter vor vier Jahren den 14-Tage-Wochenend-Vater gespielt und sich sonst nicht groß um ihn gekümmert hat. Er ist traurig, fühlt sich allein – aber das zeigt er niemandem. Dass seine Versetzung gefährdet ist, dass er nicht weiß, wie es weitergehen soll, daran mag er nicht denken. Er spielt lieber Computer, dann kann er alles vergessen, dann fühlt er keinen Schmerz, keine Wut und alles ist einfach. ×
9. Februar
Fühle mich: müde. Müde ist kein Gefühl, sagt mein Vater.
Er hat unrecht. Müde ist ein alles entscheidendes Mistgefühl.
Wie geht es dir?
In unserem Leben haben wir es mit ganz verschiedenen Gefühlen und Stimmungen zu tun: Mal sind wir besser drauf, mal schlechter. Manchmal fühlen wir uns glücklich und fröhlich, manchmal traurig und verzweifelt. An einigen Tagen sind wir ängstlich und verzagt, an anderen Tagen mutig und voller Tatendrang. In einigen Momenten sind wir verärgert und wütend, in anderen ausgeglichen und entspannt.
Gerade wenn es dir schon länger nicht so gut geht, kann es sinnvoll sein, deine Stimmung zu beobachten und auf dich zu achten. Gerade wenn du besonders traurig und verzweifelt bist und nicht mehr so richtig weißt, wie es weitergeht, solltest du vielleicht ehrlich zu dir selbst sein. Das kann der Ausgangspunkt dafür sein, wieder nach vorn zu schauen, dir etwas Gutes zu tun, Probleme anzugehen und auch Hilfe von anderen zu bekommen. Umso eher kann es dir wieder besser gehen.
Nimm dir einen Moment Zeit, denke über dich, dein Leben und deine momentane Gefühlslage nach. Hier ist ein kleiner Selbsttest mit verschiedenen Fragen zu deiner Stimmung. Denke an die letzten Tage und Wochen und versuche, die Fragen im Kasten spontan und ehrlich zu beantworten.
ARBEITSBLATT Wie geht es dir? Fragen, die auf eine Depression hinweisen können
Wie geht es dir aktuell? Wie war deine Stimmung in den letzten Tagen und Wochen? | Nein | Ja |
Fühlst du dich traurig und bedrückt? |
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Bist du schnell gereizt, fühlst dich schnell angegriffen und ungerecht behandelt? ... |