Wimmern darfst Du …
Amun Gard
Wimmern darfst du. Ja, mein Liebes. Wimmern, das ist die Musik, die zu unserem Ritual paßt.“ Das hattest du gesagt. Immer wieder und mich dabei angesehen, mit diesem Blick, der nicht aus dieser Welt ist. Den ich unter meiner Haut spüre. Deine und meine Augen bilden dies verschlungene Band, das sich in meinem Körper verzweigt und aus meinen Fingerspitzen wieder herauskriecht. Anfangs, zu Beginn unserer Ehe, eigentlich schon beim ersten Mal, als deine Augen meine berührten, und später, noch gestern, nein, noch heute morgen, endete dieser Blick nicht in meinen Fingerspitzen. Er kriecht in eine andere Spitze meines Körpers. In die, die zwischen feinen Lippen versteckt mehr und mehr zum Zentrum unseres Seins geworden war.
„Wimmern darfst du“, frißt es sich in meinen Kopf. Unaufhörlich dieser Satz, der als einziger eine Brücke zu schlagen fähig ist zwischen dem abgrundtiefen Glück, das mich noch vor wenigen Augenblicken umfangen hat, und dieser unfaßbaren Verlorenheit, die nun um mich ist. Mir jedes Gefühl für den Augenblick unmöglich macht. Ich hatte es dir ja versprochen.
„Zwei Dinge dürfen niemals geschehen, und ich sage dir das nur ein einziges Mal. Du darfst niemals schreien und niemals einen Orgasmus haben, von dem ich nichts weiß. Wirst du diese Gesetze befolgen, zeige ich dir ein Glück, das du in deinem Leben nicht für möglich gehalten hast. Brichst du eines davon, verlasse ich dich sofort. Für immer.”
Warum, warum war aus meinem Wimmern ein Schrei geworden? Ich kenne doch unser Ritual so gut, ich liebe es. Ich bin süchtig danach!
Immer und immer wieder hämmert dieses „Wimmern darfst du ...“ und der nicht verhallende Nachklang meines verfluchten, alles zerstörenden Schreies in mir. Die unzähligen Bilder, die durch meinen Kopf schießen, geben mir ein Gefühl von Wahnsinn. Und doch ist das alles wie eine Beschwörung. Eine in, Todesängsten hastig und immer wieder zwanghaft rasend ausgestoßene, rettende Lüge, daß dieser eine Moment, diese eine Unkontrolliertheit doch nicht gewesen ist.
„Es war doch nur ein Wimmern, ein etwas lauteres. Bitte hör doch, hör mich doch an!“
Aber meine Ohren sind noch jetzt so voll von diesem Schrei, daß es mich würgt.
Wahrscheinlich war ich einige Zeit ohnmächtig gewesen. Ich spürte eine Art Erwachen und sah mich nun zum erstenmal da liegen, wo ich schon seit Stunden gelegen haben muß. Die Kälte, die meine nackten Füße, Beine, ja längst einen entblößten Po erreicht hat, sitzt wie eine eisige Klammer auf meiner schutzlosen, einsamen Schnecke. Ich liege, hänge auf dem Fußboden vor deinem Schreibtisch. Noch mit meiner linken Schulter und dem verdrehten, inzwischen völlig verzerrten Nacken und meinem Ohr, das glühend heiß an die Unterkante unseres Schreibtisches drückt. Ich bin nicht in der Lage, mich irgendwie zu rühren. Nur meine Augen versuchen, Bilder aufzunehmen.
Bilder, die mir meine Lage wie auch immer verstehbar zu machen versuchen. Über mir nehmen sie die beiden offenen Lederriemchen wahr, aus denen ich mich offensichtlich gelöst haben muß, denn du hattest sie nicht mehr geöffnet. Ohne nur eine Sekunde zu zögern, daran erinnere ich mich nun langsam, drehtest du dich um und warst weg. Nach diesem Schrei, dem ersten. Und wie ich später wußte, dem ersten, dem unzählige folgen sollten, als ich begriffen hatte, daß du mich wirklich verlassen hattest.
Heute — oder war es schon gestern, ich habe kein Gefühl dafür, wie lange ich schon hier kauere — war es wieder soweit gewesen. Endlich war der Tag, an dem unser Ritual, nach dem ich mich sehnte wie ein durstiges Tier nach Wasser, wieder angekündigt. So hattest du es immer gemacht. Am Nachmittag, genau 24 Stunden vorher, zogst du mich an dich. Strichst mir mit deinen festen Händen meine Haare von der Stirn hinter das Ohr, um es mir zuzuflüstern.
„Morgen ist es wieder soweit, Liebes.“
Während du das sagst, fährt deine rechte Hand jedesmal sanft und unnachgiebig zugleich über die untere Bindung meiner linken Pobacke. Diesem Augenblick, deinen Lippen an meinem Ohr und deiner Hand fest auf meinem Po, fieberte ich oft wochenlang entgegen. Was für ein Strahl aus lichtvoller Energie, aus Hitze und Kälte zugleich, der eine Achse bildete zwischen deinen Lippen und deiner Hand. Diese Achse, die mich unbegreiflich stark und einzigartig werden ließ. Die mich zu deinem Werkzeug machte, zum wertvollsten Werkzeug unserer Liebe. Es ist so klug, so gut von dir, daß du mir diesen Tag, diese Nacht zur Vorbereitung jedesmal gegeben hast. „Alles, alles, Liebster, war klug und gut. Niemals zuvor habe ich eine so vollkommene Liebe erleben dürfen. Du weißt es doch!“
Daß ich auch niemals nach diesem Augenblick wieder diese deine Liebe erleben werde, das weiß, wußte ich jetzt, damals, hier an diesem Schreibtisch hockend noch nicht. Noch ist das Rauschhafte, das Dämonische so gegenwärtig. Noch ist der ganze Raum von deinem, von unserem Duft durchwoben, daß ich dieses „Sofort-für-immer“ überhaupt nicht fassen will. Fassen kann.
„Nein, nein“, jammerte es in mir, „wir haben doch vom ersten Augenblick an gewußt, daß wir — und nur wir! — wie ein Gedanke, wie ein Körper, eine Sehnsucht zusammengehören. Bitte, es war doch kein wirklicher Schrei! Du hast dich verändert. Du bist strenger geworden. Immer längere Keuschheit hast du von mir verlangt. Und wenn du mich dann endlich, endlich befriedigen wolltest, dann hast du vor meiner Erlösung unsere Gerte immer schärfer über meinen Po gezogen. Früher habe ich nie geschrien. Du weißt doch, Liebster, mein gurgelnder, feiner Gesang galt doch der Vorfreude. Bitte, bitte verzeih mir. Reiß mich nicht auseinander! Wirf mich nicht weg wie ein abgerissenes, nicht mehr gebrauchtes Teil von dir!“
Und so liege ich hier wie ein lebloses Stück Fleisch.
„Du mußt deinen Kopf anders hinlegen“, hämmert es hinter meiner Stirn. Doch alles, was mir gehorchen will, sind meine Augen. Sie streifen wieder die beiden herunterhängenden Lederriemen, mit denen du mich vor unserem Ritual an den Schreibtisch bindest. Damit es mir leichter fällt, auch deine letzten Schläge demütig entgegenzunehmen und ich mich nicht, einem vegetativen Reflex erliegend, auch nur einen Moment lang ungewollt deiner Liebe entziehe. Immer wieder unser süchtiges, vollkommenes Spiel. Immer läuft es so ab. In meinem Kopf. Die Bilder stehen auf in mir. Das Gefühl, diese unsagbare Mischung aus ängstlicher Spannung und tiefem Glück, greift plötzlich nach meiner Kehle, und wieder würgt es mich, erwürgt mich.
„Liebster, ich hatte mich doch so vorbereitet, wie du es mich gelehrt hast. Wie du es wolltest“
Diese 24 Stunden, von denen ich wußte, daß du mich in dieser Zeit auf keinen Fall berühren würdest. In denen wir miteinander sprachen, sprechen. In denen alles gesagt werden kann. Ich dir meine Ängste anvertraue. Ängste, die erst durch dich ihren Namen wiederbekamen. Endlich erlöst aus ihrem Käfig des Unbewußtseins. Meine Sehnsüchte, Kindheitsgefühle, Verlorenheitsgefühle. Dann die Dankbarkeit, dich getroffen zu haben. Dann strömte sie klar und einfach von mir zu dir, die Liebe. Was hast du mir nicht alles anvertraut in diesen heiligen Stunden. Ich beschwöre dich. Ich weiß doch alles von dir: Ich bin doch die einzige, die den Blick deiner Mutter nachmachen kann. Den Blick, nach dem du so begierig bist. Wenn sie deinen Vater ansah. Den du verschlungen hast. Um den du deinen Vater beneidest und für den du ihn bewundert hast. Den du mir ausgemalt hast in unzähligen Bildern.
„In ihm liegt das Geheimnis der untrennbaren Liebe und Hingabe. Er hat diesen beiden Menschen eine Aura verliehen. Sie hatten nur eine Aura, weil sie nur eine brauchten.“
Und das, das war mir doch gelungen. Du hast selber fassungslos vor mir gestanden, als du sagtest:
„Jetzt beweg dich nicht! Um Himmels willen, bleib so!“ Und dein Gesicht zerfloß.
„Jetzt hast du ihren Blick gehabt, mich angesehen wie sie ihn.“
Das war es, was du dir von Kindheit an ersehnt hattest. Daß dich einmal deine Frau so ansieht wie sie deinen Vater. Ich, ich allein habe dir dieses Geschenk gemacht. Du hast kein Recht, mich zu verlassen. Ich habe dir zuviel von dem gegeben, was du brauchst. Du bist verloren ohne mich. Du wirst dich auflösen ohne meine Sehnsucht!“
Ich bin es, die sich auflöst. Alles um mich herum zerfällt in diese Lüge, die ab jetzt zu meiner einzigen, unbarmherzigen Wahrheit wird.
War ich eingeschlafen? War ich wieder ohnmächtig geworden? Es ist hell. Ein Lichtstrahl gleitet über meine Leblosigkeit. Ich bin inzwischen ganz auf den Boden geglitten. Die Schmerzen in meinem Nacken sind von einer Starre zu einem dumpfen Pochen geworden. Ich friere. Die Kälte, die immer tiefer in meinen nackten Körper eindringt, zwingt mich endlich doch zu einer Bewegung.
Ich muß aufstehen, eine Decke holen, mir etwas überziehen. Auch wenn du sterben willst; so hier liegen zubleiben, ist nicht länger möglich. Aber ich will nicht weg! Nicht weg von genau diesem Platz! Hier habe ich dich zuletzt gespürt. Hierher wirst du zurückkommen. Und dann wirst du sehen, daß ich mich nicht bewegt habe, daß ich genau hier, voller Reue, voller Zuversicht auf dich warte. Dann brauchst du mich einfach nur wieder mit den Riemchen festzubinden. Mir wieder so zärtlich über die Innenseite meiner Schenkel z streichen, mit der Gerte oder mit der Hand, wie du es willst, so soll es geschehen. Und ich, ich werde nie wieder auch nur den leisesten Schrei ausstoßen. Du wirst weitermachen beim...