Zur herkömmlichen Sauberkeitserziehung
Sauberkeitserziehung in Ost und West
Um eventuellen Spekulationen vorzubeugen – ich komme nicht aus der DDR. Allerdings zählen viele Menschen der ehemaligen »Ostzone« zu meinem engsten Freundeskreis. Vieles, was angeblicher Kommunismus war, wird heute meiner Meinung nach leider unüberlegt pauschalisiert und verteufelt.
Kollektiv-Erziehung hat weitreichende Folgen und schon haben wir die ersten Schuldigen dingfest gemacht. So sorgte unter anderem die Sendung »Kontraste« des RBB mit dem Thema »Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit: Ist die DDR-Erziehung schuld?« am 18.03.1999 für Furore. Dort findet sich auch das folgende interessante Zitat:
»Ein Buch – ›Kinder-Erziehung in der DDR‹ und das schlug ich zu Hause auf und sah ein Bild, was mich irritierte: Lauter kleine Kinder im Alter von 12 Monaten sichtlich, 13, 14, 15 Monate, die alle gleichzeitig auf ihren Töpfen saßen unten drunter stand ›Topfzeit‹ und dann wurde erläutert: ›Erst die Pflicht und dann das Vergnügen‹ und dann wurde detailliert beschrieben für die Eltern, wie man Kinder dazu erziehen kann, dass sie im Alter von 12 Monaten so eine Leistung bringen«3
Der gemeine Wessi staunt. Es ist nicht zu übersehen, dass bei einer solchen Maßnahme nicht das Individuum im Mittelpunkt steht. Dennoch dürfte diese Art der Sauberkeitserziehung vielen älteren Westlerinnen keineswegs fremd sein und »bei uns« gab es auch schon immer Rechtsradikale.
Werfen wir einmal einen kurzen Blick in große Babyratgeber des Westens der Achtziger. Mütter werden dazu ermuntert ihre Kinder nach dem Essen auf ein Töpfchen zu setzen und an das Tischbein zu binden. So können sie ihrer Beschäftigung nachgehen, bis sich das Kleine entsprechend entleert hat. Selbstverständlich fördert so ein Vorgehen die individuellen und nicht die gemeinschaftlichen Störungen, obwohl das Topfen in Gesellschaft und ohne Fesseln sicherlich mehr Spaß bringt.
Auch im Osten wurden die Kinder in den Krippen gut behandelt und wenn nötig gewickelt. Aber es gab bestimmt Betreuerinnen, die mit den Kindern schlimme Dinge angestellt haben, um sie zum Schlafen oder Pullern zu bewegen. – Ausnahmen bestätigen, wie wir wissen, die Regel – und wurden nicht auch im Westen so manche Missbrauchsskandale in Kindergärten aufgedeckt?
Die Kinder der ehemaligen »Zone« wurden konsequent und regelmäßig aufs Töpfchen gesetzt – in den Krippen gemeinsam, daheim einsam. Daher ist es kein Wunder, dass viele Frauen aus der DDR bei dem Gedanken an 18-monatige Wickelkinder den Kopf schütteln. Ob man es glaubt oder nicht: Mit 12 Monaten waren einige Kinder bereits trocken, mit dem zweiten Geburtstag das Thema meist gänzlich abgeschlossen. Dreijährige Wickelkinder stellten eine Seltenheit dar.
Warum war das so? Ganz einfach – Plastikwindeln machen bequem, was ich zu meiner Schande immer wieder selbst feststellen musste, wenn ich längere Zeit mit meinem Kleinen unterwegs war und die schweren Stoff-Back-Ups zu Hause blieben.
Doch denken Sie einmal darüber nach, wie es wäre, wenn Ihnen nur einige Stoffwindeln zur Verfügung ständen, die Sie in einem großen Kochtopf auskochen müssten, weil Sie keine Waschmaschine haben. Das rückt das leidige Gewickel in ein gänzlich anderes Licht.
Die Erziehungsmethoden beider Länder haben sich tatsächlich wenig unterschieden. Ich denke da etwa an das »pünktliche Ernährungsregime« der Siebziger, bei dem der Säugling ausnahmslos alle vier Stunden gestillt wurde und nachts gar nicht, damit die Windel trocken blieb.4 Im Westen nannte sich das nur anders und meine Mutter hat mir nach der Geburt meines Sohnes mit Begeisterung erzählt, dass diese Art zu stillen bei uns hervorragend funktionierte.
Der Töpfchenzwang bestand in beiden Teilen Deutschlands gleichermaßen und auch heute noch üben viele Erwachsene – Ost wie West – unnötigen Druck auf Babys aus, die ihre frisch gewechselten Windeln gefüllt haben. Zur Strafe lassen sie ihre Kinder schon mal eine Weile in den Exkrementen sitzen. Das steht in etwa auf einem Blatt mit erwähntem DDR-Töpfchendienst und ist sicherlich nur eine von vielen Ursachen, mit denen sich gesteigerte (Auto-)Aggressivität und Extremismus erklären lassen.
Das Märchen vom Schließmuskel und die heutige Sauberkeitserziehung
Die ringförmigen Schließmuskel benötigen wir zum Verschließen röhrenförmiger Organe, wie zum Beispiel After- oder Blasenschließmuskel.
Beim Darm sprechen wir von einem inneren und einem äußeren Schließmuskel. Der Innere funktioniert sozusagen automatisch, während der äußere Schließmuskel an unseren Willen gekoppelt ist – ein Muskel wie etwa der, mit dem wir unseren Mund bewegen oder unsere Augen öffnen.
Instinkte sind tierischer Art und so wird auf sie in einer Zeit der technischen Errungenschaften oft nur wenig Wert gelegt. Ein Kaspar Hauser oder zahlreiche Überlieferungen von Wolfskindern5 belegen jedoch, dass auch Menschen mit Fähigkeiten geboren werden, die sie aufgrund von »Nutzlosigkeit« im Laufe der Jahre einbüßen.6 Junge Eltern glauben heutzutage jedoch eher dem, was sie gelesen haben, im Fernsehen sehen oder gesagt bekommen, als ihrem Gefühl zu vertrauen.
Es wird gemeinhin immer wieder behauptet, bei kleinen Kindern wäre die Fähigkeit ihre Schließmuskel zu bewegen noch nicht ausgeprägt. Doch ist es nicht viel eher so, dass wir unseren Kleinsten diese Fähigkeit ganz selbstverständlich abtrainieren?
Da Babys und kleine Kinder nicht selber auf die Toilette gehen können, geben sie uns Signale als Reaktion auf den Drang zu müssen. Wenn Eltern beharrlich nicht auf dieses Signal regieren, wird der Drang selbst schließlich nicht mehr wahrgenommen, sondern die damit zusammengehörigen Informationen gezielt ausgeblendet, sprich die Sinneswahrnehmungen werden gefiltert.
Auf dieser Grundlage erklärt sich auch, warum das spätere Sauberkeitstraining vielen Kindern und Eltern so sehr zu schaffen macht. – Ganz einfach, weil jahrelang Signale als bedeutungslos »wahrgenommen« und somit abgehakt worden sind.
Der Elternbrief
Der Elternbrief ereilt für die ersten drei Jahre nach der Ankunft eines neuen Erdenbürgers unaufgefordert alle Haushalte innerhalb Berlins sowie zweihundert weiterer deutscher Städte. Der Rundbrief ist ein Ableger des Arbeitskreises Neue Erziehung e. V. und wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
Ich zitiere hier eine Passage aus dem Elternbrief für 7 Monate:
»Fürs Töpfchen ist es noch zu früh!
Wenn Ihnen das Wickeln allmählich lästig ist und Sie auch noch von Ihrer Mutter hören, Sie selbst seien bereits mit einem knappen Jahr trocken gewesen, überkommt Sie vielleicht der Wunsch, jetzt so langsam mit der Sauberkeitserziehung anzufangen. Tun Sie es nicht! Es ist einfach noch viel zu früh für Ihr Kind. Wenn Sie sich einmal klarmachen, was alles dazugehört, damit Ihr Kind sauber wird, und wenn Sie sich Ihr Kind genau ansehen, dann erkennen Sie selbst, dass es das noch gar nicht leisten kann:Es muss Ihnen vorher sagen können, dass es »muss«, es muss seinen Schließmuskel willentlich kontrollieren können (das kann es erst mit etwa zwei Jahren), es müsste eigentlich auch in der Lage sein, selbst auf den Topf zu gehen, d. h. laufen können, sich allein hinsetzen und wieder aufstehen – kann Ihr Baby das? Vermutlich nicht.Mit einigen Tricks können Sie Ihr Kind zwar dazu bringen, dass es mit neun Monaten statt in die Windel ins Töpfchen macht. Das könnte dann etwa so aussehen: Sie geben Ihrem Kind jeden Tag zur gleichen Zeit sein Essen, beobachten eine Weile, wann das »große Geschäft« in der Windel landet und kommentieren das vielleicht noch mit einem angeekelten »Iih« oder »Bäh«. Dann setzen Sie Ihr Baby zu genau dieser Zeit regelmäßig auf den Topf und bringen es dazu, so lange sitzen zu bleiben, bis was im Topf gelandet ist. Es »funktioniert« tatsächlich – aber Ihr Kind ist daran eigentlich nicht beteiligt, denn Sie sind es, die seinen Stuhlgang in die rechten Bahnen lenken, Sie sind es, die seine Reflexe kontrollieren. Das ist keine Sauberkeitserziehung, das ist einfach Dressur. Mit Selbstständigkeit oder Selbstkontrolle hat das nichts zu tun – denn dazu gehört der Wille des Kindes, seine willentliche Beteiligung. Wenn Sie mit Ihrem Kind zusammen diese wichtige Fähigkeit erarbeiten wollen, dann sollten Sie abwarten, bis es selbst dazu bereit ist. Das kann dauern, bis es anderthalb oder zwei Jahre alt ist. Aber schließlich geht es ja um seinen Erfolg, nicht um Ihren. Jetzt ist Ihr Kind gerade erst dabei, seinen Körper auszuprobieren: zu robben, zu krabbeln, zu sitzen, zu stehen – kontrollieren kann es ihn noch nicht! Und es interessiert sich zur Zeit auch noch nicht die Bohne für Toiletten und ihre Funktionen.
Auch wenn die Tagesmutter oder Krippenerzieherin Ihres Kindes es vielleicht gerne sähe, wenn die Wickelei bald ein Ende hätte: Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Schließlich gibt es Wegwerfwindeln, die es doch sehr viel leichter machen, Geduld beim Thema Sauberkeit zu haben. Wenn Ihr Kind dann etwa an seinem dritten Geburtstag so weit ist, können Sie ganz sicher sein, dass es viel mehr gelernt hat als nur aufs Töpfchen zu gehen: nämlich Selbstständigkeit! Es ist ein weiter Weg für Ihr Kind: vom krabbelnden...