Fragen an Günther Bloch
1. Du unterbrichst deine Forschungen in Kanada jedes Jahr und hältst mehrere Wochen Vorträge in ganz Deutschland. Dabei nimmst du dir jedes Mal viel Zeit für die Fragen deiner Zuhörer. Ist dir der Kontakt zu ganz normalen Hundehaltern wichtig?
Ich fühle mich normalen Hundehaltern viel mehr verpflichtet als irgendwelchen wichtigen Größen der „Szene“. Ich bin ja selber kein studierter Wissenschaftler, trage keine Titel. Aber ich arbeite stets so methodisch wie irgend machbar. Mit anderen Worten: Meine Verhaltensbeobachtungen müssen immer nachvollziehbar sein, ein anderer muss das jederzeit wiederholen können.
Meine Verbundenheit zur „Basis“, also dem ganz normalen Hundehalter, kommt vielleicht daher, dass ich selber so angefangen habe: Ich hatte einen eigenen Hund und habe irgendwann anderen Freunden mit der Betreuung ihrer Hunde geholfen. Und dann habe ich mein erstes Buch von Eberhard Trumler gelesen und dachte: Der spinnt! Aber mein Besuch in seiner Station der Gesellschaft für Haustierforschung in Wolfswinkel war eines der Dinge in meinem Leben, die mich zutiefst beeindruckt haben. Er hat vergleichende Studien an Dingos und Pariahunden durchgeführt, um mehr über den Verlauf der Domestikation des Haushundes zu erfahren. Er war ein begnadeter Beobachter, von dem ich viel lernen konnte. So entstand bei uns die erste Pensionshundehaltung in Deutschland. Hier konnte ich dann klar sehen, wie Gruppen optimal zusammengesetzt sein müssen, wer in der Gruppe zum Mobbingopfer wird und wie man am effektivsten richtig eingreift. So habe ich selber angefangen, Hunde zu „lesen“ und dieses Verhalten den Menschen zu erklären. Und schließlich haben mich all die unerzogenen Hunde in der Pension derart genervt, dass ich angefangen habe, sie zu trainieren und den Menschen zu erklären, wie sie ihre Hunde erziehen könnten. Ich war auch der Erste, der den Leuten zuhause ein Einzeltraining angeboten hat. Aus gutem Grund: Im häuslichen Umfeld entstehen die Probleme, alles andere ist für mich ein fauler Kompromiss. Hunde muss man nicht auf einem eingezäunten Platz unterrichten, sondern dort, wo die Verhaltensanpassungen und potentiellen Probleme sind: bei den Menschen zuhause oder beim täglichen Spaziergang.
2. Ist die Beziehung zwischen Hund und Mensch einzigartig?
Es gibt auch in freier Wildbahn mehrere Arten, die in der Lage sind zum Beispiel bei der Nahrungssuche zu kooperieren. So jagen Eisbär und arktischer Fuchs oder Koyoten und Dachse häufig zusammen und die kleine Vogelart „Honiganzeiger“ führt den Honigdachs regelmäßig zuverlässig zu Bienenstöcken, um ihm dann beim Öffnen der Honigvorräte zuzusehen und später zusammen zu speisen.
Hier tut man sich zusammen, um den Erfolg bei der Nahrungssuche zu optimieren. Voraussetzung ist natürlich, dass man das Verhalten der anderen Art einschätzen und vorhersagen kann. Es ist also eine frühe Form von Einfühlungsvermögen in die Fähigkeiten der anderen Spezies nötig und das Tier muss in der Lage sein, Motivationen wie das Verscheuchen von der gemeinsamen Fressstelle zurückstellen zu können.
In der Hund-Mensch-Beziehung gibt es natürlich noch viel mehr Aspekte, die über eine rein funktionale Beziehung hinausgehen. Wir teilen uns Bett, Sofa, Wohnung, Garten, unternehmen gemeinsame Aktivitäten außerhalb der Nahrungssuche, sind zärtlich und vertraut miteinander.
Zwischen Mensch und Hund können sich sehr enge Bindungen entwickeln, doch auch Raben und Wölfe knüpfen Freundschaften.
In freier Wildbahn ist mir eine vergleichbare Form so eines soziopositiven Zusammenlebens zwischen zwei Arten nur von Wölfen und Raben bekannt: Im Banff Nationalpark konnten Paul Paquet und ich über 15 Jahre hinweg dokumentieren, wie einige Rabenfamilien im engen Kontakt mit jeweils einer bestimmten Wolfsfamilie zusammenleben. Dazu gehört, dass sie ihre Nester in der Nähe von den Höhlenkomplexen der Wölfe bauen und dadurch die Jungen zusammen aufwachsen. Wir konnten dabei nicht nur gemeinsame Streifzüge und Jagden beobachten, sondern auch ganz einzigartige Formen von spielerischer Interaktion zwischen bestimmten Raben und Wölfen, die es uns möglich machten, die schwer zu unterscheidenden Raben anhand dieser Rituale zu identifizieren. So konnte ich mehrfach beobachten, wie Raben den Wölfen an den Ruten ziehen, auch die Welpen und Jungwölfe werden „gepiesackt“. Raben genießen hier teilweise eine Form von „Narrenfreiheit“. Gleichzeitig hat das Zusammenleben auch eine deutliche Funktion: Bei der Suche nach Wild werden die Wölfe von den Raben unterstützt, sie fliegen voraus und zeigen von oben an, wenn sie etwas entdeckt haben, zum Beispiel ein geschwächtes Beutetier. Nordamerikanische Indianer haben übrigens schon lange von dieser Beziehung gewusst, sie nennen Raben „die Augen der Wölfe“. Nachdem die Wölfe gefressen haben, dürfen dann auch die Raben zuschlagen, bei besonders vertrauten Individuen stillen beide Arten sogar manchmal zeitgleich ihren Hunger an der Beute. Wer weiß, vielleicht ist diese „Offenheit“ des Wolfes für das Zusammenleben mit einer anderen Art ein Grund, warum er sich dem Menschen angeschlossen hat? Jedenfalls kann nicht mehr behauptet werden, dass die Mensch-Hund-Beziehung einzigartig ist. Auch Raben und Wölfe leben anscheinend über lange Zeiträume eng zusammen, teilen Ruheplätze, interagieren vertraut und gehen gemeinsam auf die Jagd.
Zwischen Wolfs- und Rabenindividuen entwickeln sich enge Bindungsbeziehungen, die man an individuellen Ritualen beim Spielen und Fressen erkennen kann.
Forschungsstudie | Es gibt ein sozial-kooperatives Gemeinschaftsleben zwischen Raben und Wölfen
Im Zeitraum von 1993 bis 2002 haben Paul Paquet und Günther Bloch systematisch Langzeitbeobachtungen zum Zusammenleben von Wölfen und Raben an den Höhlenkomplexen der Wölfe im Banff Nationalpark/Kanada durchgeführt. Dabei konnte dokumentiert werden, dass es nur zwischen bestimmten Raben- und Wolfsindividuen zu einer frühen Prägung in der Jugendphase kam, die im Erwachsenenalter durch häufige soziale Interaktionen aufrechterhalten und stetig verstärkt wurde. Dies könnte möglich sein, da Wölfe genau wie Raben in monogamen Langzeitbeziehungen zusammenleben.
Die deutlich gehäufte Ansiedlung von Rabennestern in der Nähe von Höhlenkomplexen und die gemeinsamen Jagd- und Streifzüge (80 Prozent der Territoriumsexkursionen durch Wölfe fanden in Begleitung der Raben statt) unterstützt die Hypothese einer sozialen Verbundenheit zwischen Wolfs- und Rabenfamilien. Untermauert wurde diese Annahme zusätzlich durch die Beobachtung von einzigartigen, ritualisierten Verhaltensweisen zwischen den verschiedenen Wolfs- und Rabenfamilien, die einen bestimmten Grad von gewachsener Vertrautheit zwischen den Individuen nahelegen. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass es sich beim Zusammenleben von Wolf und Rabe um eine Form von sozialer Langzeitbeziehung handelt, die über den Zusammenschluss als zeitweise kooperative Jagdgemeinschaft weit hinausgeht.
Bloch, Günther & Paul C. Paquet (2011): Wolf (Canis lupus) & Raven (Corvus Corax): The co-evolution of „team players“ and their living-together in a social mixed group.
Auch zum Mensch können Rabenvögel Vertrauen fassen, sie sind wie Menschen und Wölfe hoch soziale Lerntiere.
3. Seit 24 Jahren erforschst du die Wölfe – lernst du immer noch Neues über sie dazu?
Manchmal täglich! Klar: In einem bestimmten Kontext beobachtest du immer dieselben Dinge – doch dann verhalten sie sich plötzlich ganz anders. Oft genau dann, wenn du gerade dachtest, du hättest etwas verstanden, musst du wieder ganz neu denken. Wahrscheinlich liegt es daran, dass hier Emotionen und Persönlichkeiten im Spiel sind. Aber Verhaltensweisen oder Strategien ändern sich auch, weil sich der Lebensraum durch Klimawandel und Massentourismus in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat. Die Wölfe müssen darauf reagieren und angepasste, also adaptive Taktiken entwickeln. Deshalb beobachte ich immer neue Verhaltensstrategien, die praktisch mit den Generationen wechseln. Der Nachwuchs lernt bestimmte Dinge von den Eltern, optimiert dieses Wissen aber während des eigenen Lebens mit den eigenen Erfahrungen. Als ich angefangen habe hier zu beobachten, gab es zum Beispiel deutlich weniger Straßenverkehr und Menschen. Wenn ein Fotograf in diese Gegend kam und ein Foto machen wollte, dann hat er zwei Stunden hinter einem Baum gestanden und geduldig gewartet. Heute in Zeiten von Facebook & Co. sind viele zu Paparazzi geworden! Wildtiere werden hier regelrecht gehetzt. Manchmal kommen die Fotografen drei- bis vierhundert Meter vor eine Wurfhöhle der Wölfe, ohne es zu wissen. Die Wölfe sind das mittlerweile gewöhnt, möchten aber verhindern, dass die Welpen entdeckt werden. Deshalb fangen sie an, die Menschen auszutricksen: Sie laufen Umwege und locken sie damit immer weiter weg von ihrer Höhle oder den Liegeplätzen. Auch ihr Heulverhalten hat sich komplett verändert. Nur wo wenig Menschen sind, wird viel geheult. Hier bei uns wollen die Wölfe nicht bekannt geben, wo sie sich gerade aufhalten oder ihre Kinder aufziehen – deshalb verhalten sie sich viel stiller als vor zwanzig Jahren. Sie möchten ihre Rückzugsgebiete erhalten, in denen sie in Ruhe ihre Welpen aufziehen können, und haben ihr Verhalten dementsprechend angepasst.
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