Wie ein Wunderkind erzogen wird
Am 27. Januar 1756 kam um acht Uhr abends in Salzburg Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart als Sohn des Leopold Mozart und seiner Frau Anna Maria geb. Pertl auf die Welt. Die ersten beiden Vornamen würdigen den Namenstag eines Kirchenheiligen, dem der Geburtstag geweiht war; der letzte, Theophilus, wurde in das Synonym Gottlieb und schließlich Amadeus überführt. Mozart selbst benutzte nicht diese latinisierte Form; in Italien nannte er sich Wolfgango Amadeo und seit den endsiebziger Jahren Wolfgang Amadé.
Der Vater, 1719 zu Augsburg als Sohn eines Buchbindermeisters geboren, besuchte, für den geistlichen Stand bestimmt, die Jesuitenschule, schlug schließlich aber eine weltliche Karriere ein und ließ sich an der Salzburger Universität immatrikulieren, wo er es bis zum Bakkalaureus der Philosophie brachte. Indes wurde er wegen Bummelei von der Universität verwiesen.
Es scheint, dass ihn das Interesse an Musik die Wissenschaft vernachlässigen ließ. Leopold Mozart hatte sich bei den Jesuiten gründliche musikalische Kenntnisse angeeignet und als Sängerknabe sogar erste Routine erworben; er war für den Musikerberuf gut vorbereitet. 1740 trat er ins Gefolge des salzburgischen Domherrn und Konsistorialpräsidenten Graf Thurn-Valsassina und Taxis ein, musste hier aber – wie in kleineren Hofhaltungen für Musiker üblich – auch als Kammerdiener aufwarten. 1743 wechselte er in die fürsterzbischöflich-salzburgische Hofkapelle über. Als vierter Violinist beginnend, avancierte er zum Geigenlehrer der Sängerknaben, zum Hofkomponisten, zum zweiten Violinisten und schließlich zum Vizekapellmeister. Es hat ihn sehr gewurmt, dass er über diese Position nicht hinauskam und sieben verschiedene Hofkapellmeister erlebte, ohne je selbst diesen höchsten musikalischen Rang zu bekleiden.
Dabei war er namentlich als Pädagoge eine weit über Salzburg hinaus bekannte Kapazität. Seine Violinschule, 1756 erschienen, fortan in vielen Auflagen und Ausgaben nachgedruckt, 1766 ins Holländische, 1770 ins Französische übersetzt, gilt als Standardwerk ihrer Zeit; wie die anderen großen Schulwerke des 18. Jahrhunderts verbindet sie den technischen Lehrgang mit Überlegungen über Ausdruck und Ästhetik und beschreibt nicht nur zeitübliche Praktiken des Geigenspiels, sondern überhaupt die Musikauffassung. Von dem Ansehen, das sich Leopold Mozart erwarb, zeugen Einladungen, Lorenz Christoph Mizlers «Sozietät der musikalischen Wissenschaften» (die auf zwanzig Mitglieder beschränkt war) beizutreten und in Friedrich Wilhelm Marpurgs Berliner «Musikalische Gesellschaft» einbezogen zu werden.
Neben allen anderen Tätigkeiten war Leopold Mozart ein fleißiger Compositeur. Sein Schaffenskatalog verzeichnet Klavierwerke, Kammermusik, Konzerte, Sinfonien, Divertimenti, Kirchenmusik, Lieder, auch «theatralische Sachen». Er wollte damit durchaus auf der Höhe der Zeit stehen, andererseits aber auch Wirkung machen. Gewiss sollte er nicht auf die effektvollen Tonmalereien in seinen Kompositionen abgestempelt werden; doch spiegelt sich in der Neigung nicht nur sein Geschmack, sondern auch seine Weltanschauung wider: Er ist Utilitarist, zu einem guten Teil Opportunist, und zielt auf Erfolg und Popularität ab. In dem Stück «Die Bauernhochzeit» sind «Leyer», «Dudsack oder Pollnischerpock», «Hackbrettl oder Cymbal» vorgeschrieben.1 Dorfmusik im «klassischen» Orchester – aber nicht genug damit: «Bey dem Marche mag auch nach dem Jauchzen jedesmal ein Pistollen Schuss geschehen, wie es bey den Hochzeiten gebräuchlich ist. und wer recht auf den Fingern pfeifen kann, mag auch unter dem Jauchzen darein pfeifen.»2
Leopold Mozart. Ölgemälde, vermutlich von Pietro Antonio Lorenzoni, um 1765
Den Dienst in der Salzburger Hofkapelle, der ihn nie in die führende Rolle brachte, empfand er als Bürde. Seine Unzufriedenheit ließ ihn zu einem wenig umgänglichen Bediensteten werden. Mit seinem Brotherrn stand er, je länger, je mehr, in einem gespannten Verhältnis. Er hatte in der Kapelle kaum Vertraute und suchte auch keine. Einige Salzburger Freunde aber wussten ihn wohl zu schätzen. Unter ihnen Pater Dominicus Hagenauer, der nach seinem Tod am 28. Mai 1787 in sein Tagebuch schrieb: «Der heut verstorbene Vater war ein Mann von vielen Witz und Klugheit, und er würde auch ausser der Musick dem Staat gute Dienste zu leisten vermögend gewesen seyn. Seiner Zeit war er der regelmessigste Violinist, von welchem seine zweymal aufgelegte Violinschule Zeugniss gibt. Er war in Augsburg gebohren, brachte seine Lebenstäge meistens in hiesigen Hofdiensten zu, hatte aber das Unglück hier immer verfolget zu werden, und war lang nicht so beliebt, wie in andern grössten Ortens Europens. Erreichte ein Alter von 68 Jahren.»3
«Versuch einer gründlichen Violinschule» von Leopold Mozart. Titelseite. Augsburg 1756
Mozarts Geburtshaus in der Getreidegasse in Salzburg (hinten links). Öl auf Papier, anonym, Anfang des 19. Jahrhunderts
Sein Sohn Wolfgang Amadeus zeigte zeitig musikalische Neigung und Begabung. Er war drei Jahre alt, als er Gefallen daran fand, sich wohlklingende Terzen am Klavier zusammenzusuchen. Den Vierjährigen traktierte der Vater schon mit strengem Musikunterricht. Er benutzt hierfür ein für seine Tochter Nannerl angelegtes Übungsbuch. Stolz ist bei verschiedenen Stücken vermerkt, wann der Sohn sie gemeistert hat. Die Tochter berichtet später: «Es kostete so wohl seinem Vatter als diesen Kinde so wenig Mühe, daß es in einer Stunde ein Stück, und in einer halben Stunde ein Menuet so leicht lernte, daß es solches dann ohne Fehler, mit der volkomsten Nettigkeit, und auf das genaueste auf dem tact spielte.»4
Es dauerte nicht lange, und Mozart empfand Musik nicht nur nach, sondern erfand sie selbst. Das Notenbuch für Nannerl, seine Klavierschule, enthält auch seine ersten Kompositionen. Am Anfang steht ein zehntaktiges Andante C-Dur (KV 1 a), das zu Beginn des Jahres 1761 entstand – Mozart war knapp fünf Jahre alt! Der Vater schrieb auf, was der Sohn improvisierte. Die erste Piece zeigt das Tasten und Suchen: Der Meister fiel nicht vom Himmel. Was der Vater im Dezember notierte – Allegro F-Dur (KV 1 c) und Menuett F-Dur (KV 1 d) –, beweist erhebliche Fortschritte.
Der Ausdrucksdrang übertraf die Fähigkeit, das innerlich Gehörte zu fixieren, bei weitem. Johann Andreas Schachtner, schriftstellernder Salzburger Hoftrompeter und Freund der Familie Mozart, berichtet, wie ein Klavierkonzert entstand: «Der Papa nahm ihms weg, und zeigte mir ein Geschmire von Noten, die meistentheils über ausgewischte dintendolken geschrieben waren /:NB. der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder, aus Unverstand, allemal bis auf den Grund des Dintenfasses ein, daher musste ihm, so bald er damit aufs Papier kam, ein dintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der flachen Hand drüberhin, und wischte es auseinander, und schrieb wieder drauf fort:/ wir lachten anfänglich über dieses scheinbare galimathias, aber der Papa fieng hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, über die Noten, über die Composition an, er hieng lange Zeit steif mit seiner Betrachtung an dem Blate, endlich fielen zwei Thränen, Thränen der Bewunderung und Freude aus seinen Augen. Sehen sie, H:. Schachtner, sagte er, wie alles richtig und regelmässig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so ausserordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande ware. der Wolfgangerl fiel ein: drum ists ein Concert, man muß so lang exercieren, bis man es treffen kann, sehen Sie, so muß es gehn. er spielte, konnte aber auch just so viel herauswirgen, daß wir kennen konnten, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begrief, das, Concert spielen und Mirakel wirken einerley seyn müsse.»5
Sobald er mit der Musik sich abzugeben anfieng, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte, soviel als todt, und selbst die Kindereyen, und Tändelspiele mussten, wenn sie für ihn interessant seyn sollten, von der Musik begleitet werden.
Johann Andreas Schachtner, 1792
Vater Mozart erreichte es mit Beharrlichkeit, dass das Wunder geschah. Wolfgang Amadeus und das Nannerl, die um viereinhalb Jahre ältere Schwester, hatten tagtäglich ein gewaltiges Übepensum zu bewältigen. Der Plan war auf virtuose Leistungen gerichtet, die, da in zarter Jugend erzielt, als Sensation wirken und das Interesse der Öffentlichkeit auf sich ziehen mussten. Vater Mozart wollte aus der Begabung seiner Kinder Kapital schlagen – nicht nur zu seinem, vor allem zu ihrem Nutzen. Er gedachte die musikalischen Dressuren vorführen und sie sich gut bezahlen zu lassen. Bestrebt, Einsprüche von vornherein zu entkräften, begründete er die Schaustellungen freilich anders, nämlich religiös; er wolle «der Welt ein Wunder verkündigen, welches Gott in Salzburg hat lassen gebohren werden. Ich bin diese Handlung dem allmächtigen Gott schuldig, sonst wäre ich die undanckbarste Creatur: und wenn ich iemals schuldig bin die Welt dieses wundershalben zu überzeugen, so ist es eben ietzt, da man alles, was nur...