Kapitel 1
Yoga jeden verdammten Tag
Ich glaube fest daran, dass echter Wandel und wahres Glück aus Akzeptanz geboren werden. Wir müssen unseren Körper annehmen, unsere Persönlichkeiten, unsere Lebenssituationen. Ein großer Teil der Unsicherheiten, mit denen wir jeden Tag kämpfen, beruht auf der Vorstellung, dass sich etwas ändern müsste.
Wir leben in einer Gesellschaft, die ständig betont, dass wir unser Leben optimieren sollen. Wir müssen alles besser machen, besser aussehen, uns besser fühlen. Wir sollen abnehmen, Muskeln aufbauen, gesünder essen, attraktivere Jobs finden, hübschere Kleidung kaufen, glänzenderes Haar haben, mehr Geld verdienen. Nur ganz selten sagt man uns, dass wir so, wie wir sind, vollkommen in Ordnung sind.
Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Gefühl, wirklich etwas an seinem Leben ändern zu wollen, und dem Gefühl, dass man etwas ändern muss, um akzeptiert zu werden und dazuzugehören. Wo befindest du dich auf dieser Skala? Und was willst du ändern? Wenn du wie die meisten Menschen bist, dann würdest du wahrscheinlich gern vieles in deinem Leben anders sehen. Warum? Wer hat dir dein ganzes Leben lang eingetrichtert, dass du nicht gut genug bist? Woher kommt dieser Eindruck? Meistens urteilen nämlich wir selbst so hart über uns, nicht andere. Kein anderer bewertet einen so gnadenlos wie man sich selbst. Daher müssen wir am richtigen Punkt anfangen, wenn wir unser Leben glücklicher und gesünder gestalten wollen. Egal, was du an deinem Leben ändern willst – abnehmen, weniger Stress, eine Karriere aufbauen –, es muss aus einem wahrhaften Grund geschehen.
Veränderungen in unserem Leben können aus Liebe oder aus Angst erwachsen. Willst du fünf Kilo abnehmen, weil du weißt, dass es gut fürs Herz ist und du dich danach viel besser fühlst? Oder willst du fünf Kilo abnehmen, damit die enge Jeans passt und du im Bikini besser aussiehst? Vielleicht ist die Antwort eine Mischung aus allem, aber es besteht ein großer Unterschied zwischen diesen Gründen. Wahre, dauerhafte und mühelose Veränderung ist nur möglich, wenn man es wirklich möchte. Kümmert es dein Herz, wie du in einem Bikini aussiehst? Ich wage es zu bezweifeln. Aber es ist ihm sicher wichtig, dass du dich frei bewegen kannst, stark und gesund bist.
Die Sorge um unser Wohlbefinden muss von innen heraus kommen, und das ist eine der wichtigsten Grundlagen für Yoga. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit nach innen richten und uns mit unserem Atem verbinden. Durch die Konzentration aufs Atmen bleiben wir im gegenwärtigen Moment. Sie beruhigt den Geist und ermöglicht es uns, eine Achtsamkeit gegenüber unserem Körper zu entwickeln, die wir sorgfältig und mitfühlend üben müssen. Wenn wir nicht aus tiefstem Herzen dabei sind, praktizieren wir nicht Yoga, sondern machen einfach nur Übungen auf einer Yoga-Matte. Diese Achtsamkeit zu kultivieren beginnt mit dem Atem und verwandelt nach und nach unseren unruhigen Geist zu einem stillen Ort der Kontemplation und Akzeptanz.
Nimm dir entweder direkt vor oder direkt nach den Übungen die Zeit, eine Weile ruhig dazusitzen. Setz dir Ziele für den Tag, atme tief ein und aus und sei dankbar für all die wunderbaren Dinge in deinem Leben. Beug deinen Kopf zur Erde. Dies ist eine kleine Geste der Ehrfurcht und Dankbarkeit, mit der wir nach innen blicken und unsere Aufmerksamkeit auf das Glück in unserem Leben richten. Nach den Übungen trinke ich immer einen großen grünen Smoothie oder einen großen grünen Saft, bevor ich mit offenen Armen das empfange, was das Leben an diesem Tag für mich bereithält.
»Man muss nichts an sich ändern, um mit Yoga zu beginnen.«
Das mag etwas kompliziert klingen, ist es aber nicht. Es ist tatsächlich so einfach, dass unser Geist es viel komplexer machen will! Das macht er übrigens gern. Das Ego verwandelt oft eine einfache Tatsache in ein Problem, das es lösen kann und wodurch es ständig beschäftigt ist. Oft stellt man mir die Frage: »Wie kann ich ein Yogi werden? Ich kann ja nicht einmal stillsitzen!« Oder: »Ich kann kein Yoga praktizieren, denn ich esse gern Fleisch.«
Wer glaubt, Yoga bedeutet, um vier Uhr morgens aufzustehen, nur Reis und Gemüse zu essen und den Großteil des Tages im Lotossitz zu verbringen, während man »Om« vor sich hin summt – kann das ganz schnell vergessen. (Nach viel Übung stellt man möglicherweise fest, dass langes Verweilen im Lotossitz durchaus bereichernd sein kann. Man erkennt aber auch, dass die Übungen nicht der einzige Grund sind, warum wir Yoga praktizieren.) Als Yogis streben wir einfach nach einem Gleichgewicht in Körper, Geist und Seele. Beachte dabei das Wort streben. Es bedeutet, dass wir beständig auf das Gleichgewicht hinarbeiten, das nicht plötzlich eines Tages da ist und so bleibt; nur indem man täglich Momente der Achtsamkeit und Dankbarkeit schafft, erreicht man eine innere Balance. Daher nennen wir es auch Übung oder Praxis – man muss ständig daran arbeiten.
Um mit Yoga zu beginnen, muss man erst einmal überhaupt nichts an sich ändern. Yoga in seinen Alltag zu integrieren bedeutet nicht, dass man sein Leben komplett umwerfen muss. Man kann ein Yogi sein und trotzdem ein Glas Wein zum Essen genießen. Man kann trotzdem einen normalen Bürojob haben oder an einem stressigen Tag den Müll nicht trennen. Die Definition eines echten Yogi ist nicht jemand, der alle Menschen mit einem Lächeln und einer Verbeugung begrüßt, sondern jemand, der dem Fluss des Lebens folgt und jeden Moment annimmt. Ein echter Yogi hat Hochs und Tiefs wie jeder andere auch. Ein echter Yogi bemüht sich zwar tatsächlich, jeden Menschen mit einem Lächeln zu begrüßen, respektiert aber auch die Achterbahnfahrt namens Leben und gibt Emotionen ihren nötigen Raum. Echte Yogis sind einfach diejenigen, die gut leben und das Beste aus dem machen, was sie haben. Auf und neben der Yoga-Matte.
Gleichgewicht ist der Schlüssel zu allem, was wir tun. Also tanz die Nacht durch und mach am nächsten Tag deine Yoga-Übungen. Trink Wein, vergiss aber nicht den grünen Saft. Iss Schokolade, wenn das Herz danach begehrt, und Kohlsalat, wenn der Körper ihn braucht. Trag am Samstag High Heels, und geh am Sonntag barfuß. Geh ins Einkaufszentrum und meditiere danach in deinem Schlafzimmer. Lebe intensiv und gemäßigt. Beweg dich und steh still. Nimm all deine Seiten an und lebe deine authentische Wahrheit! Sei mutig und frech und spontan und laut und ergänze damit deine Fähigkeit, Stille zu finden, Geduld, Bescheidenheit und Frieden. Strebe nach Gleichgewicht. Stell deine eigenen Regeln auf und lass dir von niemandem sagen, wie du zu leben hast.
»Yoga schafft dort Raum, wo wir steckengeblieben sind.«
Wenn du mit Yoga beginnst, ruf dir in Erinnerung, dass wir alle verschieden sind, mit unterschiedlichen Hintergründen, Körpern und Lebensumständen. Man muss daher von sich selbst ausgehen. Konzentrier dich darauf, was in deinem Körper vorgeht, und bleib während der Übungen so achtsam wie möglich. Hab Geduld. In dem Moment, in dem sich dein Kopf einschaltet – ich sollte viel besser sein; der/die neben mir ist viel beweglicher als ich; ich bin nicht gut genug (Gedanken, die am Anfang gern kommen) –, lenk deine Aufmerksamkeit zurück auf den Atem. Beginne, wo du bist. Nutz, was du hast. Tu, was du kannst. Besinn dich auf die Übung und versuch, dich nicht auf das Ergebnis zu fixieren.
Mit der Zeit wirst du Veränderungen an Körper, Geist und Atem feststellen. Yoga macht uns stark und biegsam. Yoga schafft dort Raum, wo wir steckengeblieben sind. Yoga kultiviert einen ruhigen Geist und regt die Konzentration an. Durch Yoga wird die Atmung tiefer. Yoga ist ein Raum, in dem wir mit Übung unseren Tag bewusster wahrnehmen. Und je mehr wir uns in die Übungen vertiefen, desto selbstverständlicher übertragen wir Yoga von der Matte auf das restliche Leben.
Der Geist hat die Tendenz, sich die schlimmstmöglichen Szenarien auszumalen. Wenn wir in Gedanken vertieft sind, stecken wir oft fest in Grübeleien, Verurteilungen, Schubladen und Negativität. Der Geist ist ein großartiges Werkzeug – wenn wir ihn richtig anwenden. Doch wenn er die Führung übernimmt und wir nicht länger kontrollieren können, was in unseren Köpfen vor sich geht, entstehen negative Gefühle wie Angst oder Reue. Indem wir unsere Körper mit dem Atem bewegen und Momente tiefer Präsenz kultivieren, können wir den Geist beruhigen – genau das ist Yoga. Bewegung. Atem. Körper und Geist vereinen und einen Ort der Stille schaffen. Wer nur im Geist lebt, wird ständig allein auf die Umgebung reagieren, oft mit Angst oder Besorgnis. Wir alle haben negative Erfahrungen gemacht, große und kleine. Und um uns vor zukünftigen Verletzungen zu schützen, will der Geist verhindern, dass wir diese noch einmal erleben. Zum Beispiel wenn man von einem geliebten Menschen verletzt wurde. Beim nächsten Menschen, in den man sich verlieben könnte, reagiert man vielleicht anders auf diesen oder behandelt ihn, wie man es zuvor nicht getan hätte. Indem man aber immer nur auf das Leben reagiert, lebt man aus der Vergangenheit heraus.
Yoga gibt uns die Werkzeuge, jeden Moment unseres Lebens mit den neuen Augen des Hier und Jetzt zu begrüßen. Nur weil eine verflossene Liebe geschmerzt hat, muss die nächste nicht genauso verlaufen. Wenn wir mit ausgestreckten Händen durchs Leben gehen, um rechtzeitig alle Hürden zu ertasten, verpassen wir so viel von der...