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E-Book

Zerebralparese

Diagnose, Therapie und multidisziplinäres Management

VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783132026216
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis59,99 EUR
<p><strong>Alle für einen!</strong></p> <p>Die Zerebralparese ist eine Gesundheitsstörung, die ein Leben lang besteht und sie stellt auch die behandelnden Ärzte und Therapeuten vor große Herausforderungen. Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf der integrativen Multidisziplinarität in der diagnostischen Beurteilung und dem therapeutischen Management der Patienten.</p> <ul> <li>Epidemiologie, Ursachen und Auswirkungen der Zerebralparese</li> <li>Alters- und fachspezifische Diagnostik</li> <li>Komorbiditäten</li> <li>Therapieoptionen, Orthetik und Hilfsmittelversorgung</li> <li>Interdisziplinäre Handlungsanweisungen für eine fachübergreifende Patientenversorgung</li> </ul> <p>Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.</p>

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Leseprobe

1 Einleitung


1.1 Bedeutung der Zerebralparese


Die Zerebralparese (engl. cerebral palsy, CP) ist der häufigste Grund für eine motorische Behinderung im Kindesalter. Neben der motorischen Störung können – abhängig vom Schweregrad – weitere Komorbiditäten oder kognitive Einschränkungen hinzukommen. Nach der großen Unsicherheit bis hin zur Diagnosestellung folgen zahlreiche weitere Untersuchungen, medizinische Maßnahmen und gegebenenfalls Eingriffe im Verlauf der kindlichen Entwicklung. Hinzu kommt die Gefahr sozialer Isolierung und beeinträchtigter Zukunftserwartungen bezüglich Beruf, Familie und Lebensqualität. Eltern erleiden eine große Enttäuschung, kein „gesundes“ Kind zu haben; es können in der Folge spezielle Eltern-Kind-Beziehungen entstehen mit Entwicklung von Ablehnung oder verstärkter Bindung. Diese teils symbiotischen Beziehungen können ihrerseits die Autonomieentwicklung des behinderten Kindes erschweren.

Die Kinder mit Zerebralparese werden erwachsen. In der Adultmedizin sind die Patienten auch heute noch allzu oft mit ungenügenden Ressourcen und Wissen konfrontiert.

Die Zerebralparese kann nicht geheilt werden. Auch Frühestdiagnose und -behandlung haben daran nichts geändert. So wird versucht mit verschiedenen Maßnahmen, Hilfsmitteln, Operationen und Förderung die Folgen der Zerebralparese für das Kind möglichst zu minimieren. Jede Altersstufe zeigt spezifische Problemstellungen und benötigt deshalb ein entsprechend differenziertes Augenmerk und eine langjährige ärztliche, therapeutische und pädagogische Begleitung der Kinder und ihrer Familien.

Es gibt auf dem Gebiet der pädiatrischen Neurorehabilitation keinen Goldstandard. Die Meinungen ändern sich, und die Methoden sind nicht zuletzt abhängig vom Zeitgeist und von den aktuellen Strömungen im Umfeld, in dem sich der behandelnde Arzt und die Eltern gerade befinden. Zwar versucht die Gesellschaft, insbesondere die Schule, durch integrative und inklusive Modelle, die Integration des behinderten Kindes zu fördern. Aber gerade das schwer zerebral bewegungsgestörte Kind profitiert davon wenig. Von der Integration des Behinderten im Leben der Erwachsenen sind wir noch weit entfernt.

Merke

Die von Heinen et al. postulierten Grundsätze sind noch aktuell ▶ [1]:

  • Zerebralparese ist häufig.

  • Zerebralparese steht für einen Sammelbegriff („umbrella term“).

  • Zerebralparese ist nicht heilbar.

  • Zerebralparese wird als diagnostische Aufgabe unterschätzt.

  • Zerebralparese entzieht sich einer einfachen Prognose.

  • Zerebralparese ist keine isolierte motorische Störung, sondern häufig mit weiteren Krankheiten und Beeinträchtigungen verbunden.

  • Zerebralparese bedeutet eine therapeutische Herausforderung.

  • Zerebralparese bedeutet für die Betroffenen und deren Umfeld oft eine (unnötige) Stigmatisierung.

  • Zerebralparese hat, bei entsprechender Unterstützung und Behandlung, keine aussichtslose Prognose.

Dieses Buch versucht die aktuellen Erkenntnisse in der Diagnose und Behandlung der zerebralen Bewegungsstörung zu bündeln und zu kommentieren. Das Management der Zerebralparese kann nicht durch eine Einzelperson abgedeckt werden; es bedingt zwingend den Einbezug und die Abstimmung eines multiprofessionellen Teams. Noch wichtiger als die ausgeklügelte Erfassung und Therapierung von Defiziten ist es, auch die Stärken der Kinder und Jugendlichen zu fördern und sie darin zu motivieren.

Die Fachliteratur für Ärzte im Bereich der Rehabilitation des Kindes ist im deutschen Sprachraum immer noch spärlich. Vornehmlich befassen sich die bisher aufgelegten Bücher mit orthopädischen Fragestellungen. Diese zu besprechen sind im Kontext der Rehabilitation des Kindes mit Zerebralparese zwar wichtig, aber nicht allein bestimmend. Deshalb versucht dieses Buch neben den orthopädischen Gesichtspunkten, denen eigene Kapitel gewidmet sind, den Schwerpunkt auf eine umfassende biopsychosoziale Gesamtsicht und ein ebensolches Therapiemanagement zu setzen. Da es sich bei den Autoren um Ärzte handelt, sind diejenigen Kapitel, welche die ärztlichen Alltagstätigkeiten und Wissensinhalte beschreiben, tiefgreifender formuliert. Für viele der therapeutischen Inhalte besteht bereits ausgezeichnete Literatur, so dass wir uns dort auf Übersichtskommentare beschränken können, mit dem Ziel, vor allem auch jüngere oder mit dem Thema weniger vertraute Kollegen mit den therapeutischen Konzepten bekannt zu machen. Die weiterführende Literatur wird jeweils erwähnt.

Es ist den Autoren bewusst, dass – streng genommen – der Begriff „Habilitation“ zur Beschreibung der therapeutischen Maßnahmen bei Zerebralparese verwendet werden sollte, da es bei Kindern mit Zerebralparese darum geht, Fähigkeiten überhaupt zu erwerben. Allerdings ist im deutschen Sprachraum der Begriff der „Habilitation“ durch die akademische Lehre (Habilitationsschrift) besetzt, und auch im englischen Sprachraum wird meist Habilitation synonym mit „Rehabilitation“ gebraucht, weshalb wir im Weiteren den Begriff „Rehabilitation“ benutzen.

1.1.1 Literatur


[1] Heinen F, Bartens W (Hrsg). Das Kind und die Spastik. Bern: Huber; 2001

1.2 Definition der Zerebralparese


Das Wort Zerebralparese ist zusammengesetzt aus dem Lateinischen Wort „cerebrum“ (= Gehirn) und dem Altgriechischen entstammenden Wort πάρεση „paresis“ (= Lähmung).

Die aktuelle Definition gemäß der „Surveillance of Cerebral Palsy in Europe (SCPE)“ geht auf Bax (1964) zurück und lautet folgendermaßen ▶ [2]:

Die Cerebralparese (CP) beinhaltet eine Gruppe von Krankheitsbildern, diese führen zu einer Störung von Bewegung, Haltung und motorischer Funktion, sind permanent, aber nicht unveränderlich und entstehen durch eine nicht progrediente Störung/Läsion/Auffälligkeit des sich entwickelnden/unreifen Gehirns.

Eine neuere Definition stammt von Rosenbloom et al. (2007) ▶ [2]:

Die Cerebralparese (CP) beschreibt eine Gruppe von dauerhaften Störungen der Entwicklung von Bewegung und Haltung, was zur Einschränkung der Aktivität führt, die aufgrund einer nicht-progressiven Störung des sich entwickelnden fetalen und/oder kindlichen Gehirns hervorgerufen wird. Die motorischen Störungen der zerebralen Lähmung sind oft von Störungen der Empfindung, der Wahrnehmung, der Kognition, der Kommunikation, des Verhaltens und von Epilepsie begleitet. Die Störung führt auch zu sekundären Erkrankungen des Bewegungsapparates.

Der Begriff „Infantile Zerebralparese“, wie er in der deutschsprachigen Version der ICD-10 gebräuchlich ist, wird in diesem Buch bewusst ersetzt durch den Begriff der „Zerebralparese“ unter Weglassung des Wortes „infantil“, entsprechend der „G80 – cerebral palsy“ in der englischsprachigen Version der ICD-10. Das Wort „infantil“ impliziert, dass die Ätiologie in der Kindheit liegt, was in der Mehrheit der Fälle nicht zutrifft, da über 80 % der Pathologien bereits pränatal entstehen, und dass es sich um ein Bild ausschließlich der Pädiatrie handelt, was ebenfalls nicht zutrifft; denn die große Mehrheit der Patienten erreicht heute das Erwachsenenalter und muss durch die Adultmedizin weiterbetreut werden.

1.2.1 Literatur


[2] Bax MCO. Terminology and classification of cerebral palsy. Dev Med Child Neurol 1964; 6: 295–297

[3] Rosenbloom L. Definition and classification of cerebral palsy. Definition, classification and the clinician. Dev Med Child Neurol 2007; 49 (109): 43

1.3 Geschichtliches zur Zerebralparese


Der erste bekannte Patient mit Zerebralparese ist der Pharao Siptha, welcher am Ende der 19. Dynastie von 1196–1190 v. Chr. (nach anderen Quellen von 1198–1193) herrschte. Bei seiner Mumie wurden eine Spitzfußdeformität links und eine Inversion des Fußes rechts sowie verkürzte Achillessehnen gefunden, die gut zu einer bilateral-spastischen Zerebralparese passen. Ein Handdeformität im Sinne einer Fauststellung lässt in der paläontologischen Differenzialdiagnostik eher auf eine Zerebralparese schließen als auf die Folgen einer Poliomyelitis oder einer kongenitalen Klumpfußdeformität ▶ [10], ▶ [17], ▶ [18], ▶ [19]. Interessanterweise wird diese Fußdeformität auf dem Wandgemälde in der Grabstätte im Tal der Könige, welches das Gegenübertreten Siptah’s vor Re-Horakhty, dem Sonnengott, darstellt, nicht gezeigt. Offenbar sind Negierung und Verstecken von Symptomen und Deformitäten im menschlichen Umgang mit Behinderungen ähnlich alt wie die Behinderung selbst.

Antike Die ersten Beschreibungen der Zerebralparese wurden bereit im antiken Griechenland und Rom gefunden. So bespricht...

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