SUCHTFAKTOR ZUCKER
Dass zu viel Zucker riskante Folgen für den Stoffwechsel hat, ist schon länger bekannt. Doch neueste Untersuchungen zeigen, dass Zucker regelrecht süchtig machen kann. Denn er spricht dieselben Regionen im Gehirn an wie Drogen. Und genau deshalb fällt es auch so schwer, die Finger von dem »süßen Gift« zu lassen.
ZU VIEL ZUCKER
IST GEFÄHRLICH
Sucht ist ein unheimliches Wort und mit Giften und Stoffen assoziiert, die nach jahrelangem Missbrauch zum absoluten Kontrollverlust und zur Zerstörung der Gesundheit und/oder Persönlichkeit führen. Bei Zuckersucht denken viele außerdem erst einmal an eine Essstörung, die mit dem Phänomen des Überessens in Verbindung gebracht wird. Dieses Dauerfuttern geschieht aus verschiedenen Gründen: Zuerst ist da, wie wir auf den letzten Seiten dargestellt haben, der süße, verführerische Geschmack vieler Nahrungsmittel, dem sich kaum jemand entziehen kann. Dem folgt eine Phase des verstärkten Konsums, der dann fließend in die Phase des Missbrauchs mündet. Natürlich klingt Missbrauch im Zusammenhang mit Süßem extrem. Aber sobald der ständige Gebrauch oder Konsum einer Substanz zu körperlichen und infolgedessen auch zu seelischen Befindlichkeitsstörungen führt, haben wir es im Sprachgebrauch eben mit Missbrauch zu tun. Es geht wie gesagt nicht um den an einem heißen Tag genussvoll verzehrten Eisbecher oder ein feines Dessert nach einem Menü, sondern um große Mengen von flüssigem oder festem, purem oder verstecktem Zucker in seinen unzähligen Erscheinungsformen, auf die man ab einem gewissen Zeitpunkt einfach nicht mehr verzichten kann. Deutlich bemerkbar macht sich jede Sucht erst, wenn man versucht, den glücklich, entspannt oder leistungsfähig machenden Stoff wegzulassen. Bei Zuckermangel sinkt dann die Laune, es kommt zu Depressionen, Abgeschlagenheit, Unkonzentriertheit und Reizbarkeit. Alles typische Zeichen für einen niedrigen Blutzuckerspiegel und eine veränderte Chemie im Gehirn, die sich nur wieder ins Lot bringen lässt, wenn ganz schnell etwas Süßes nachgeschoben wird. Doch wo beginnt ein »normaler« Zuckerkonsum zu entgleisen? Wann wird aus dem Genusserlebnis von Süßem Missbrauch? Wann setzt der Kontrollverlust ein? Welche Kreisläufe im Organismus verändern sich derartig, dass man eine Abhängigkeit von süßem Zeug entwickelt? Beginnen wir von vorn und sehen uns an, was genau im Körper passiert, wenn wir Zucker zu uns nehmen – egal ob pur oder gut versteckt.
Ein sensibles Gleichgewicht
Wie bereits ab > beschrieben, kann der Körper den Zucker, der aus der Nahrung über den Darm ins Blut gelangt, nicht einfach so nutzen. Er braucht dazu das Hormon Insulin, das die Körperzellen »öffnet«. Erst dort, genauer gesagt in den Zellkraftwerken (Mitochondrien), kann der Zucker in Energie umgewandelt werden. Diese Energie, ATP genannt, benötigt der Körper für alle in ihm ablaufenden Prozesse – von der Zellteilung über das Wachstum bis zur einzelnen Muskelbewegung.
Wenn die Nahrung sehr zuckerreich ist, der Blutzucker nach dem Essen also rasant nach oben steigt, schüttet die Bauchspeicheldrüse entsprechend viel »Schlüsselhormon« Insulin aus. Die Folge: Der Blutzucker sackt ebenso schnell wieder nach unten, wie er kurz zuvor gestiegen ist. Auch dies wiederum nicht folgenlos, denn der Zuckerabfall macht sich durch ein bohrendes Hungergefühl oder Heißhungerattacken, gerne auf einen süßen Snack, eine Scheibe Brot oder etwas Ähnliches, bemerkbar. Je schneller der Blutzuckerspiegel dabei sinkt, umso intensiver ist dieses Gefühl, das im Gehirn durch Unterzuckerung entsteht. Denn das Gehirn ist auf Zucker angewiesen. Die Steuerzentrale im Kopf verbraucht fünf bis sechs Gramm Glukose pro Stunde. Das ist etwa die Hälfte der gesamten Tagesdosis an Zucker, den der Körper zur Energiegewinnung benötigt. Dabei hat ein durch Zuckerüberschuss im Blut verursachter Hunger nichts mit dem Energiegehalt der vorher verzehrten Mahlzeit zu tun. Das Sättigungsgefühl nach einer Mahlzeit hängt nicht mit den aufgenommenen Kalorien zusammen, sondern damit, wie eine Mahlzeit zusammengestellt ist. Je mehr Zucker und Stärke in der Nahrung stecken, desto schneller stellt sich erneut ein Hungergefühl ein. Auch wenn die Reserven eigentlich gut gefüllt sind.
Eine stoffwechselangepasste Ernährungsweise aus frischen, pflanzlichen Lebensmitteln, hochwertigen Proteinen und gesunden Zuckern (ab >), genug Flüssigkeit und ausreichend lange Essenspausen von mindestens vier Stunden zwischen den Mahlzeiten schonen das empfindliche Blutzucker-Insulin-Gleichgewicht und entlasten die Bauchspeicheldrüse.
Der Gegenspieler des Insulins
Kaum sinkt der Blutzucker infolge der Insulinausschüttung wieder, kommt ein anderes Hormon ins Spiel: Glukagon. Der Gegenspieler des Insulins wird immer dann ausgeschüttet, wenn zu wenig Zucker im Blut ist. Im Normalfall sorgen Insulin und Glukagon im Rahmen eines gesunden Insulinstoffwechsels dafür, dass der Blutzucker ständig zwischen 80 und 180 Milligramm Glukose pro 100 Milliliter Blut gehalten wird. Dazu dockt das Glukagon vor allem an den Leberzellen an, in denen Zuckerketten in Form von Glykogen gespeichert sind (Glykogen ist die körpereigene Speicherform von Glukose). Der Botenstoff gibt das Signal für die Auflösung der Ketten, um Glukose ins Blut abzugeben, und sorgt zugleich dafür, dass in der Leber neuer Zucker aus Eiweißbausteinen gebildet wird. So beugt das Hormon möglichen Schädigungen des Gehirns durch eine Unterzuckerung vor. Indirekt wird durch Glukagon auch Fett aus den Fettzellen freigesetzt und zu Zucker umgebaut. Infolgedessen steigt der Blutzucker wieder an – und damit auch der Insulinspiegel. Bei einer der körperlichen Aktivität angemessenen Nährstoffzufuhr ist auch alles in Ordnung. Wenn jedoch der Stoffwechsel über einen langen Zeitraum aufgrund einer falschen Ernährungsweise – sprich zu viel Zucker – aus dem Gleichgewicht geraten ist, beginnt ein verheerender Kreislauf. Ist dieses ...