4. Methodenteil
4.1 Tabellarischer Verlaufdes Forschungsprozesses
4.2 MethodeLeitfadeninterview
„Im Bereich der qualitativen Forschung wurden zahlreiche neue Verfahren entwickelt, die differenzierte Einblicke in die subjektive Weltsicht der untersuchten Personen ermöglichen sollen“ (Bortz, Döring 1995: 281). Das Leitfadeninterview ist eines dieser Verfahren, welches in Studien mit qualitativem Forschungsdesign als Befragungsmethodeeingesetzt wird. Da wir in unserer Arbeit den Fokus auf die Sicht einzelner Heranwachsenden, als die primär Betroffenen in diesem Prozess, legen wollen, wählen wir die Technik des Leitfadeninterviews für die Befragung aus. Dadurch ist gesichert, dass wir ganz individuelle Meinungen beziehungsweise Perspektiven zu unserer Forschungsfrage bekommen werden.
Befragter und Interviewender kommen zu einem vorher verabredeten Gespräch zusammen. Dazu werden vorher klare Vereinbarungen getroffen (Gesprächsregeln), die die Rollenverteilung im Interview festlegen soll. Es gibt nun unterschiedliche Interviewtechniken: narratives/erzählgenerierendes/episodisches, leitfadenorientiertes, fokussiertes/problemzentriertes, biographisches, klinisches, tiefenpsychologisches, standardisiertes, teilstandardisiertes, ethnographisches oder Foto-Interview (vgl. Friebertshäuser et al. 2010: 438ff.).
Die Wahl der zweckmäßigsten Interviewmethode bemisst sich immer am Gesamtpaket der Untersuchung: ihrem Forschungsdesign. Je nach dem, welches Anliegen ich verfolge, welchem Zweck meine Studie dient, wie meine Fragestellung formuliert ist beziehungsweise welches Themenfeld ich erkunden möchte (Was schließe ich ein und was aus?) und natürlich auch in Abhängigkeit der zu befragenden Zielgruppe, muss die Wahl der Untersuchungsmethode wohlüberlegt abgewogen werden. Dabei hat jeder Typ des Interviews seine Vor- und Nachteile und ist eingebettet in seine wissenschaftliche Entstehungsgeschichte und Forschungstradition.
Mit der Art des Aufbaus eines Interviews nach einer speziellen Methode erhalte ich immer unbewusst oder bewusst gelenkte Informationen. Die Qualität der Daten bemisst sich einerseits an der Vertrautheit des Interviewers mit der Interviewmethode, andererseits am Ziel der Untersuchung. „Erzählgenerierende Interviewtechniken bringen andere Arten und Themen sowie anders strukturierte Daten als ein Leitfaden-Interview hervor“ (ebd.). Es ist eine Sache der Lenkung des Interviewers. Braucht der Interviewer möglichst konkrete Antworten auf seine Fragen, will er das Interview bei einer möglichst großen Gruppe anwenden, soll der Ablauf immer gleich sein, sollen die Antworten der Befragten miteinander vergleichbar sein, dann müssen kurze und prägnante Fragen gestellt werden, die in einem Fragenkatalog vorbereitet sind.Man spricht dann von einem „vollstandardisierten Interview“. Oft wird für solche Zwecke auch auf Fragebögen und ein quantitatives Forschungsdesign zurückgegriffen.
Will man zum Beispiel biographische Analysen betreiben und die Lebensgeschichte von bestimmten Personen erfahren, beschränkt man sich zunächst auf eine vergleichsweise geringe Anzahl von Befragten. Das Interview wird so gestaltet, dass die Interviewerin lediglich einen kurzen Input gibt (zum Beispiel: Erzähl doch mal, wie war deine Schulzeit?) und höchstens ab und an ein „Hm“ von sich gibt. Sie lenkt den Befragten überhaupt nicht, sondern lässt ihn frei erzählen. Hier hat man das große Risiko, dass der Befragte nicht so umfassend antwortet, wie man das vielleicht gern hätte oder aber auch viele irrelevante Informationen von sich gibt. Zu dem kann man einzelne Aussagen verschiedener Befragter nicht miteinander vergleichen. Das ist aber in dem Fall auch so gewollt, weil der Befragte als Individuum in den Mittelpunkt gestellt wird und gerade der Reiz des Nichtwissens, was der Befragte zum Thema beitragen wird, macht das ganze Interview spannend. Es ist auch möglich, dass der Befragte dem Interviewer zum Forschungsthema vollkommen neue Perspektiven eröffnet, sodass bei künftigen Befragungen dieses neue Wissen mit in Betracht gezogen werden kann.
Nicht selten kommt es auch zum Einsatz von Mischformen mehrerer Interviewtypen oder zum zusätzlichen Einsatz quantitativer Erhebungen. Da gibt es zum Beispiel Phasen, in denen der Befragte zu einem Thema erzählen darf, was ihm in den Sinn kommt und wieder Phasen, in denen ganz klar Informationen abgefragt werden oder der Interviewer daran interessiert ist, dass der Befragte bestimmte Dinge reflektiert, sich gedanklich in Situationen begibt, um zu erfahren wie dieser reagieren würde. Oftmals erfolgt am Anfang, beziehungsweise auch erst zum Ende, eines Interviews eine Befragung über Angaben zur Sozialstatistik (Geschlecht, Alter, Schulabschluss etc.), die dann mit in die Auswertung des Interviews einfließt. Man spricht in solchen Fällen auch von „Methodentriangulation“. So ist auch unser Leitfaden für das Kinderinterview kein klassischer, sondern enthält zum Anfang kurze Fragen zu statistischen Angaben und wird im weiteren Verlauf durch narrativ gestaltete Fragen sowie motivierende Einladungen zum Erzählen aufgelockert.
Unser Leitfadeninterview ist teilstandardisiert. Wir haben uns also im Vorfeld Gedanken gemacht, was wir die Kinder fragen könnten, damit wir Antworten auf unsere Forschungsfrage und die Hypothesen bekommen können. Wir formuliertenoffene Fragen, die wir durchaus so hätten stellen können. Die Reihenfolge und der genaue Wortlaut waren allerdings variabel. Da das gesamte Interview wie ein lockeres Alltagsgespräch wirken sollte, kam es im hohen Maße auf den Verlauf des Gesprächs beziehungsweise auf die Beiträge des Kindes an. In welcher Verfassung ist es? Was erzählt es uns? Wo lässt sich anknüpfen? Wo muss zusätzlich nachgefragt werden, um einen bestimmten Sachverhalt eindeutig zu klären? Der Leitfaden gibt dem Interviewer die Sicherheit, keine relevanten Themen zu vergessen.
Das Interview ist, gerade für noch unerfahrene Interviewer, eine besondere Situation. Sie müssen hochkonzentriert sein und eine theoretische Methode in der Praxis anwenden. Es ist ratsam, die Interviews im Anschluss durch Supervision im Team mit erfahrenen Interviewern zu besprechen. Es kann passieren, dass man vor Aufregung mal eine Frage aus dem Auge verliert. Wenn man einen Gesprächsleitfaden vorbereitet, sich dabei kurze Notizen zum Ablauf (Einstieg und Ende), macht, kann man als Interviewer wesentlich sicherer in ein Interview gehen und verschwendet keine unnötigen Aufmerksamkeitsressourcen. Man kann sich viel besser auf den Befragten einlassen, ihn den Gesprächsverlauf bis zu einem gewissen Grad mitbestimmen lassen und hat dennoch einen Fahrplan in der Hand. Was sich mit einem solchen Verfahren erreichen lässt, „sind unstandardisierte Antworten, die meist durch kleinere oder größere narrative Sequenzen durchsetzt sind (wenn die Interviewerin dies zulässt)“ (Trautmann 2010: 74).
Mit den beiden Erzieherinnen führten wir ebenfalls Interviews mit Interviewleitfaden durch, allerdings interessierten uns die Erzieherinnen weniger als Personen, sondern vielmehr als Experten für das Feld Heimerziehung und die Abläufe im jeweiligen Heim. Aus diesem Grund wählten wir hier die Form des Experteninterviews als spezielle Form des Leitfadeninterviews (vgl. Trautmann 2010: 79f.). Das Interview fand unter einem gewissen Zeitdruck statt, was den Einsatz des Experteninterviews zusätzlich rechtfertigt. Es sollte zur Systematisierung bzw. Einordnung der Aussagen der Kinder dienen und wurde im Nachgang zur Ergänzung der eigentlichen Untersuchung geführt.
4.3 Hypothesen
Die im Theorieteil dargestellten Punkte veranlassten uns dazu, folgende Forschungshypothesen zu formulieren:
1. Das Heim kann dem Heranwachsenden mindestens eine adäquate Familienergänzung schaffen und somit die sozial-emotionale Entwicklung fördern.
2. Heimunterbringung ist oft der letzte Ausweg, Heranwachsende aus desolaten Familienverhältnissen zu befreien.
3. Heranwachsende in der stationären Jugendhilfe sind weitaus selbstständiger als ihre Altersgenossen und können sich realistisch einschätzen.
4. Heranwachsende aus der stationären Jugendhilfe werden sozial benachteiligt und stigmatisiert.
5. Der regelmäßige Kontakt zu den Eltern ist eher förderlich für die sozial-emotionale Entwicklung der Heranwachsenden.
Diese Hypothesen konstituieren die Fragen im Interviewleitfaden und werden in der Auswertung (siehe 5.) jeweils zugeordnet. Es wird im Folgenden geprüft, ob die Hypothesen durch die Interviewaussagen gestützt werden können oder zurückgewiesen werden müssen. Dabei beziehen sich Hypothese 2 und 5 mehrheitlich auf die Informationen, die sich aus den Experteninterviews gewinnen lassen. Dagegen lassen sich Informationen zur Überprüfung der Hypothesen 1, 3 und 4 vor allem aus den Kinderinterviews ableiten.
4.4 Probanden
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