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Zur Bedeutung der Schriften Jesper Juuls für den gegenwärtigen pädagogischen Diskurs

Unter besonderer Berücksichtigung inklusiver Entwicklungen

AutorJohannes Ilse
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783656525912
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Didaktik - Allgemeine Didaktik, Erziehungsziele, Methoden, Note: 1,7, Universität Erfurt (Erziehungswissenschaftliche Fakultät, Fachgebiet Sonder- und Sozialpädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Schriften Jesper Juuls und ihrer Bedeutung für den gegenwärtigen pädagogischen Diskurs. Dafür arbeitet der Autor Grundelemente der erzieherischen und pädagogischen Konzeption Jesper Juuls heraus. Wenn der Autor sich mit dem theoretischen Fundament Jesper Juuls befasst, wagt er den Versuch dieses zu systematisieren, um es an konkrete theoretische Bezüge rückzubinden. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass eine Systematisierung nicht gelingen kann, da Juul eine ganz eigene Sichtweise vertritt, die sich weniger auf konkrete empirische Befunde stützt, sondern vor allem auf seiner klinischen Erfahrung als Familientherapeut aufbaut. Dennoch werden, auch im Hinblick auf inklusive Entwicklungen, drei wesentliche Schwerpunkte bzw. Grundannahmen in der Konzeption Juuls identifiziert, denen der Autor konkrete theoretische Bezüge zuweist. Ferner beschäftigt sich der Autor mit dem aktuellen inklusiven Diskurs. Hier versucht der Autor Juuls Konzeption mit den Zielen der Inklusion in Beziehung zu setzen. Wenngleich er an einigen Stellen Kohärenz nachweist, so weist er deutlich auf die Grenzen, insbesondere der schulischen Entwicklungen, im Feld der Inklusion hin. In einem abschließenden Fazit wird verdeutlicht, weshalb Juul als relevanter, d. h. kompetenter, Gesprächspartner im gegenwärtigen pädagogischen Diskurs begriffen werden muss. Dabei werden wesentliche Elemente der Konzeption Juuls betont und kritisch gewürdigt.

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Leseprobe

3 Juuls theoretisches Fundament


 

Ursprünglich hatte ich vor, das Konzept Jesper Juuls noch ausführlicher zu beleuchten. Ich wäre gern noch konkreter auf das Nein-Sagen, die unterschiedlichen Typen des Neins (es sind über sechs), die Rolle der Aggression und der Empathie eingegangen. Allerdings ist dieses Vorhaben aufgrund der begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit gescheitert. Ich hoffe dem Leser hier dennoch einen guten Einblick in die zentralen Gedanken Jesper Juuls gegeben zu haben.

 

Genauer eingehen möchte ich an dieser Stelle noch auf den Stil der Schriften Jesper Juuls. Grundsätzlich richtet er sich an verschiedene Zielgruppen: Eltern, Lehrer, Erzieher und andere professionelle Pädagogen, Männer und Väter, Frauen und Mütter, Jugendliche, Familien, Paare etc. Da das Werk gänzlich aus Übersetzungen ins Deutsche besteht, kommt es im hohen Maße auf das Feingefühl des Übersetzers an, Juuls Programmatik in den geeigneten begrifflichen Rahmen zu transponieren. Hier gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede. Juuls Titel sind in verschiedenen Verlagen erschienen, mit ebenfalls erheblichen Unterschieden in der Gestaltung des Textes, von sehr unterhaltend, bunt und mit aufgearbeiteten Elternbriefen über informativ mit gelegentlichen Grafiken, die Zusammenhänge visualisieren, über verschriftlichte Interviews bis zu sachlichen Darstellungen untermalt von Beispielen oder Schlüsselsituationen. Insofern kann man Kritik in diesen Punkten nicht zwingend am Autor selbst festmachen. Auch was die Wahl der Titel betrifft, äußert Juul selbst kritisch, dass die Verlage innerhalb der Vermarktung von „Ratgeberlektüre“ reißerische Titel bevorzugen. Diese zerstören teils die eigentliche Botschaft des Buches und das Selbstverständnis Juuls. Es gibt Schriften, die sich ausschließlich an Eltern richten und die zum Zweck des allgemeinen Verständnisses sprachlich sehr einfach und prägnant formuliert sind. Juul setzt besonders auf seine eigene langjährige Erfahrung als Familientherapeut und Berater. Daher sind seine Texte gespeist von diversen Beispielen. Schreibt Juul für die Zielgruppe der Eltern, so begrenzt er die theoretische Sicht auf ein notwendiges Minimum und macht über viele unterschiedliche Beispiele aus der Praxis das jeweilige Problem aus verschiedenen Perspektiven sicht- und greifbar. Dabei könnte der Eindruck entstehen, Juul würde den Eltern Handreichungen für den Alltag anbieten wollen und mit Allheilmitteln aufwarten, die jeder Familie die perfekte Lösung versprächen. Er selbst betont immer wieder, dass der Kontext der jeweiligen Familie bedacht werden muss und nur nach eingehender Analyse und Kenntnis des Familiensystems Empfehlungen ausgesprochen werden könnten. Die Beispiele dienen also vor allem als Illustration der Theorie – nicht mehr und nicht weniger. Auch möchte er nicht als der „Erziehungsexperte“ angesehen werden. Juul ist kein Guru, sondern postuliert Vielfalt im Handeln und Denken als gesellschaftliche Notwendigkeit. Er steht anderen Sichtweisen neutral gegenüber, begründet aber zugleich seinen Standpunkt.

 

Juul veröffentlicht auch Schriften, die sich vorrangig an pädagogisches Personal wenden (z. B. Vom Gehorsam zur Verantwortung). Hier halten sich theoretische und Anwendungsbezüge die Waage. Der Schreibstil wird wissenschaftlicher, d. h., es tauchen öfter auch pädagogische Fachbegriffe auf. Jedoch muss ich auch hier feststellen, dass konkrete wissenschaftliche Bezüge bzw. Querverweise und Belege relativ rar sind. Er bezieht sich nur gelegentlich auf andere Wissenschaftler, die sein Denken prägten. Erst in neuerer Literatur verweist er spärlich auf konkrete Studien und Projekte, die sein Denken inspirierten oder es stützen. Wer Juul versucht, in eine wissenschaftliche Schublade zu packen, wird sehr schnell resignieren. Wahrscheinlich ist dies sein Ansinnen. Er bemüht sich um einen fachneutralen Standpunkt, indem er nicht Erkenntnisse aus einer bestimmten Disziplin repliziert und befeuert. Vielmehr bedient er sich Ansätzen aus zahlreichen Konzepten, verdeutlicht zeitgeschichtliche Hintergründe und bezieht neueste Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen in sein Denken ein. Juul ist sehr reflektiert und kompetent. Seine mehrere Jahrzehnte umfassende professionelle Erfahrung ist spürbar. Zusätzlich macht seine Tätigkeit in über fünfzehn Ländern innerhalb Europas großen Eindruck. Allerdings wird er es m. E. schwer haben, sich die wissenschaftliche Geltung zu verschaffen, die er verdient. Ohne die Standards wissenschaftlicher Schriften zu beachten, kann sich Juul nicht das nötige Gehör verschaffen. Zu oft verweist er auf seine Erfahrungen und darauf, dass entsprechende seriöse empirische Studien, die diese Erkenntnisse stützen, noch nicht vorhanden wären. Dennoch fällt bei der Lektüre seiner Schriften auf, wie außerordentlich facettenreich dieses Konzept ausgearbeitet ist. Es ließen sich Bezüge zu Albert Ellis, Marshall Rosenberg, Maria Montessori, Sigmund Freud, Paul Watzlawick und der Palo-Alto-Gruppe und mindestens einem Dutzend weiterer namhafter Denker anstellen; auch wissenschaftliche und philosophische Bezüge zu Pragmatismus, Phänomenologie, Sozialem Konstruktionismus, Konstruktivismus, Psychoanalyse, direkte und indirekte systemische Sichtweisen, neuro-wissenschaftliche sowie Bezüge zur neueren Säuglings- und Beziehungsforschung. Aus diesem Fakt lässt sich schließen, dass Juul einen ganz eigenen Ansatz einer neuen auf die, in seinen Augen, wesentlichen Erfordernisse der Zukunft ausgerichteten Pädagogik ausgearbeitet hat, den er immer weiterentwickelt.

 

Juul macht auf die unterschiedlichen sprachlichen Ebenen von sozialer Sprache, akademischer Sprache, Fachsprache, pädagogischer Sprache und schließlich persönlicher Sprache aufmerksam (vgl. Juul 2012f, 295ff.). Auch dies ist ein Grund für seinen möglicherweise unkonventionell anmutenden Schreibstil. Er ist der Auffassung, dass lediglich die persönliche Sprache dazu geeignet ist, interpersonale Beziehungen adäquat zu beschreiben, wobei sie sowohl für die berufliche als auch persönliche Integrität immer die authentischste Form des Ausdrucks ist (vgl. Juul 2012f, 298; 2006, 158f.). Ebendiese möchte er auch in seinen Schriften vermitteln und bleibt damit sich selbst treu. Ein weiterer Grund, weshalb er auf einen wissenschaftliche Schreib- bzw. Sprachstil weitestgehend verzichtet.

 

Seine Auffassungen zu fundieren und systematisieren, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht gelingen. Gleichwohl möchte ich kurz drei wesentliche Bezüge besprechen, die m. E. seine Haltung auf bedeutsame Weise prägen und auch im Hinblick auf die inklusiven Entwicklungen von Bedeutung sind. Sie können als eine unter vielen Lesarten der Schriften Jesper Juuls angesehen werden. Gleichzeitig liegt hierin sowohl eine weitere Qualität seines individuellen Schreibstils als auch der Angriffspunkt, dass Juul für jede Interpretation offen ist.

 

3.1 Die Haltung des Nicht-Wissens


 

In Vom Gehorsam zur Verantwortung wird die amerikanische systemische Familientherapeutin Harlene Anderson als konkrete wissenschaftliche Referenz herangezogen. Sie bildet dort (vgl. 2012f, 242ff.) mit ihren Erkenntnissen den theoretischen Rahmen der Betrachtung der Zusammenarbeit von Pädagogen und Eltern, der häufig auf beiden Seiten (noch) verstanden werde als der Kontakt zwischen Experten und Nicht-Experten. Juul wie Anderson sind Therapeuten. Jedoch wird darauf hingewiesen, das Gespräch zwischen Pädagogen und Eltern nicht „therapeutisieren“ zu wollen, sondern es als „die intensivste und professionellste Gesprächsform [zu begreifen], die wir kennen“ (Juul 2012f, 245). Aber nicht nur auf dieser Ebene, sondern auch in Bezug auf das Selbstverständnis Juuls als ‚Ratgeber‘ für Eltern, Pädagogen etc. ist das Denken von Harlene Anderson von zentraler Bedeutung und innerhalb seiner Schriften an diversen Stellen nachvollziehbar.

 

Genauer geht es um einen bahnbrechenden Aufsatz, den Harlene Anderson zusammen mit ihrem Kollegen Harold Goolishian 1992 unter dem Titel: „Der Klient ist Experte: Ein therapeutischer Ansatz des Nicht-Wissens“ veröffentlichte. Die daraus zu entnehmende Haltung des Nicht-Wissens ist nicht nur in einem therapeutischen Setting anwendbar, sondern lässt sich ebenso auf die Eltern-Kind-Beziehung sowie jegliche Form von Lehrer-Schüler-Beziehungen übertragen. Die Beziehung Therapeut - Klient ist damit als Synonym mit den vorher genannten anzusehen.

 

Anderson/Goolishian setzen wie Juul auf den Dialog. Diese Gesprächsform ermöglicht durch eine geänderte Form von Fragen, gemeinsam neues Wissen zu erzeugen. Es wird darauf verzichtet, über geschlossene Fragen oder Kontrollfragen, bereits bekanntes Wissen abzufragen. Danach wüsste der Therapeut zwar mehr über den Klienten, der Klient aber nicht mehr über sich. Wenn der Therapeut neugierig und offen für die Erzählungen seines Klienten ist, versteht er sich nicht als Autorität, Ratgeber oder Experte, sondern tritt einen Schritt beiseite. Er versucht seinen Klienten besser zu verstehen, anstatt ihn zu begrenzen. Es ist die „Suche nach dem ‚Noch-nicht-Gesagten‘“ (Anderson/Goolishian 1992, 188).

 

Somit drückt sich auch hier die Verschiebung des Fokus aus: Von der statischen, einseitigen Betrachtung des „Problems“ des Klienten, das es zu beheben gilt, hin zur gleichwürdigen Beziehung zwischen zwei Gesprächspartnern, die beide bereichert. Der gemeinsame...

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