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E-Book

Zur Bedeutung interkultureller Kommunikation für die Gesundheitsförderung von Migranten

Beispiel russisch-deutsche Kommunikation

AutorAnna Schmidt
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl135 Seiten
ISBN9783656334866
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,7, Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau, Sprache: Deutsch, Abstract: Migration beeinflusst die Menschen, die unterwegs sind, jene die zurückbleiben und auch diejenigen, welche die Migranten aufnehmen. Den Implikationen für die Gesundheitssysteme der betroffenen Gesellschaften kommt dabei eine große Bedeutung zu. Diese betreffen politisch- rechtliche, ökonomische, ökologische, soziale und gesundheitliche Fragen sowie Aspekte der Information und der Kommunikation. Die gleichberechtigte Teilhabe von Migrantinnen und Migranten an gesundheitlicher Versorgung sollte ein wichtiges Ziel integrationspolitischer Maßnahmen in Deutschland sein. In der Migration stehen ökonomische und ökologische Faktoren im Vordergrund, in den industrialisierten Ländern sind dies vor allem Fragen der Partizipation und Unterschiede in den Gesundheitssystemen. Dies gilt speziell für die Kommunikation, die den Zugang zur Gesundheitsversorgung in hohem Masse beeinflusst. In der Praxis stehen Migrantinnen und Migranten jedoch oftmals vor erheblichen Schwierigkeiten, wenn sie gesundheitliche Vorsorge, Beratung oder Behandlung in Anspruch nehmen wollen. Diese Hürden können rechtlicher oder sozialer Natur sein oder sich aus sprachlichen und kulturellen Kommunikationsbarrieren zwischen Arzt, Pfleger oder Therapeuten einerseits und Patienten andererseits ergeben. Dabei sind Informationen über institutionelle Strukturen der Gesundheitssysteme sowohl für die Migranten als auch für ihre Betreuer wichtig. Qualitative Informationen zu Gesundheitsund Krankheitsvorstellungen der Migrantengruppen fördern das Verständnis und ermöglichen eine kompetente, beide Seiten befriedigende Lösung von Gesundheitsproblemen. Die Kommunikation umfasst jedoch auch die vielfältigen Interaktionen zwischen Migranten und Gesundheitsanbietern. Wesentlich ist auch ein bewusster Umgang aller Beteiligten mit kultureller Differenz. Die Fragestellung der Arbeit richtet sich auf die Rolle der Kommunikation bei der Gesundheitsförderung von Migranten. Es werden dabei auch Aspekte der Kultur wie nationale Stereotype und ihre Rolle bei der Konfrontation mit einer fremden Kultur, Kulturstandards sowie Verhaltensmuster beleuchtet.[...]

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Leseprobe

2.5 Auswertung


Kurzfragebogen: Die Fragen 1-8 lassen sich am übersichtlichsten in einer Tabelle darstellen:


LF1: Wie nehmen Sie russischsprachige Migranten wahr?

1) A: Ähm, zunächst mal sprachliche Unterschiede und natürlich auch kulturelle, soweit die mir bekannt sind, kann ich schon sagen, gibt es Unterschiede zu einem der aus Mali kommt. Das schon, ja doch, es gibt Unterschiede. 00:02:03-9

A: Sprachliche, die sprechen eine andere Sprache. Häufig ist es tatsächlich so, dass rus- Eltern -, die Kinder - das ist ja nun ein anderes Thema - sprechen in aller Regel gut deutsch, die herkommen aus Russland. Wobei die Frage ist, was jetzt unter Russland zu verstehen ist. Ob jetzt Russland die russische Föderation oder ob Kirgisien oder Ukraine jetzt alles unter Russland zu verstehen ist. 00:02:39-7

2) B: Sprachlich? Ja, klar sind Unterschiede da, sicher. Also ich denke sicher schon was zum einen die Anspruchshaltung angeht, aber ja (..) soziokulturellen Bereich und dann gibt es natürlich auch Sprachbarrieren, das ist ja auch ganz klar. Es gibt auch sehr gut sprechende deutsche Migranten, russische Migranten und weniger gut sprechende. 00:00:58-0

B: .. Das ist auch ganz unterschiedlich, ich würde das (nicht formalisieren?). Ich denke, es gibt sowohl bei deutschen Klienten eine sehr hohe oder auch sehr niedrige, die große Anspruchshaltung sozusagen und bei russischen Patienten genauso. Und das hängt, denke ich schon, offensichtlich vom Ausbildungsgrad ab, also vom sozialen Status, schon, aber die Tendenz, ähm .. ich glaube, die Deutschen sind anspruchsvoller. 00:01:29-4

3) C: Also den größten Unterschied finde ich ähm, dass Leute, die eben erst später aus Russ- gekommen sind, in Russland behandelt wurden, dass die manchmal wahnsinns Diagnosen haben und auf diese Behandlung und den Umgang mit den Krankheiten, das wollen die auf hier übertragen haben und sind dann ganz .. - ja, es ist schwierig zu vermitteln, dass das hier einfach anders ist oder dass man das nochmal aufrollt und nicht so macht wie in Russland. Das fällt mir bei Russen mehr auf als bei anderen Ausländern. 00:02:14-6

C: (Pause) Also ich .. sehe viele, die wenn sie dann leichte oder mittelschwere Krankheiten haben, dann schon relativ sehr krank dann sind, wobei - das ist mein Eindruck jetzt - dass die einfach auch entwurzelt sind und sehr viele psychosomatische Probleme haben, die sie vielleicht in Russland nicht hätten. 00:04:15-3

Zusammenfassung:

A und B fallen vor allem die sprachlichen Probleme bzw. Unterschiede auf, im kulturellen Bereich trauen sie sich eine Beurteilung nicht zu. C stellt fest, dass viele seiner russischsprachigen Patienten sich für sehr viel kränker halten, als sie nach seiner Anschauung eigentlich sind.

Bewertung:

Alle drei Interviewten nehmen bei ihren russischsprachigen Patienten Unterschiede zu ihren restlichen Klientel wahr, betonen aber vor allem sprachliche Unterschiede, weil sie am offen-

sichtlichsten sind und sind bezüglich der anderen Unterschiede, die sie in der Herkunft ver- sehr unsicher. Sichtlich herrscht auch über die geografische Zuordnung Unsicherheit und so entsteht die Frage, ob man bei den verschiedenen russischsprachigen Migranten überhaupt von einem Kulturkreis ausgehen kann.

Kontext:

- Sprachbarrieren

- Informationsdefizite

Die fünf Fragen zu den Kulturdimensionen nach Hofstede:

I. „Russen sind Individualisten, Deutsche sind eher kollektivistisch geprägt?“

1) A: ... Nee, da würde ich sagen, die Aussage ist so falsch. Also so flach sie auch ist und so plump sie ist, so falsch ist sie auch. Das kann ich genauso gut anders herum sagen. 00:04:32-9

2) B: (Pause) Russen sind Individualisten... das ist schwierig zu beurteilen, ob die individua- ausgeprägt sind (.), das kann ich mir eigentlich fast nicht vorstellen. Also vom Auftreten, was ich jetzt bei äh russischen Mitbewohnern hier im Land mitbekomme, würde ich eher sagen, Russen sind eher so ein kollektives Völkchen, die so in sich bleiben…. 00:04:24-1

B: Da habe ich schon den Eindruck, dass das schon so eine eingeschworene Gemeinschaft ist, also doch eher kollektivistisch (...) 00:04:38-7

3) C: ... Das ähm kann ich jetzt auch nicht, nicht so - nein, das kann ich nicht unterstreichen. Also ich denke, dass die Russen auch, die treten oft im Kollektiv auf, dann kommt die ganze Familie und... die kommen dann oft auch mit den gleichen Symptomen, also ich finde eher, dass meine deutschen Patienten eher individueller hier ankommen. 00:05:26- 7

Zusammenfassung:

Es lässt sich festhalten, dass die Ärzte unterschiedlich auf die Aussage reagieren. Während A sie schlicht als plump und falsch bezeichnet und somit sofort ganz deutlich seine Meinung äußert, nehmen die anderen zwei sie ernst, gehen darauf ein und begründen ihre Einschätzung. B ist sich zunächst nicht so sicher, letztendlich stimmen aber alle darin überein, dass nach ihren Erfahrungen die russischen Patienten eher kollektivistisch geprägt sind.

Bewertung:

Die Reaktion der Interviewten legt den Schluss nahe, dass ihr Wissen über die russische Gesellschaft überwiegend von Stereotypen geprägt ist: „Russen sind eher so ein kollektives Völkchen“ und fundierte Kenntnisse darüber nicht vorhanden sind. Dennoch und ohne den theoretischen Hintergrund (Hofstedes Kulturdimensionen) zu kennen, waren sich die Befragten in ihrer Einschätzung einig, dass die Russen eher kollektivistisch geprägt sind. Das bedeutet, dass sie die provokant ins Gegenteil verkehrte These von Hofstede durch ihre Verneinung bestätigten.

Kontext:

- Kulturelle Konzepte

II. „Die russischen Frauen sind selbständiger als die deutschen Frauen?“

1) A: Das, glaube ich, ist so! 00:05:16-0

A: Das habe ich - vielleicht hängt es noch mit dem Bildungssystem zusammen, ich glaube, dass die äh Frauen, die herkommen ähm, oder ich erlebe, dass die russischen Frauen oder aus der ehemaligen GUS ähm .. dass die ähm (f) praktisch alle einen Beruf haben oder eine Ausbildung haben und hier unter Wert arbeiten. Also, dass die durchaus ein vergleichsweise hohes und auch höheres Bildungsniveau haben als in Deutschland. 00:05:52-5

2) B: Pff haha, ... Russische Frauen sind selbständiger (sehr leise), da fehlt mir die Erfahrung. (Pause) Bei türkischen Frauen könnte ich eine Aussage dazu treffen, aber bei russischen

Frauen (Pause). Also ich kann es nicht sicher beurteilen, ich würde russische und deut- Frauen gleichsetzen, aber das fehlt mir einfach Hintergrundwissen. 00:06:47-2

3) C: …Also aus meiner Erfahrung scheint es jetzt oft so, dass die - das kommt immer darauf an, wenn der Mann krank ist, dann - oder schwerer krank, dann nimmt die Frau das schon in die Hand, aber das sehe ich bei Deutschen genauso und wenn die Frau krank ist, nimmt's der Mann in die Hand. Der Mann an sich kommt schon seltener in die Praxis, also das ist - viele Männer kommen in die Praxis und sagen: „Meine Frau schickt mich, ich wäre nicht gekommen“. 00:07:05-5

Zusammenfassung:

Die Meinungen sind sehr unterschiedlich. A ist der Ansicht, dass die russischen Frauen tatsächlich selbständiger sind als die deutschen und führt dies auf das Bildungssystem in der Sowjetunion zurück. B glaubt, dass kein Unterschied zwischen russischen und deutschen Frauen besteht, hält sich aber mangels Hintergrundwissen für nicht kompetent, darüber eine Aussage zu treffen. C beantwortet die Frage eher im familiären Kontext, also im Verhältnis zu den Ehemännern und kommt zu dem Schluss, dass da kein Unterschied zu deutschen Paaren auszumachen ist.

Bewertung:

Es entsteht der Eindruck, dass die Interviewten eher im gesellschaftlichen Kontext überlegt und geantwortet haben und nicht - wie eigentlich indentiert - in Bezug auf das Verhalten in der Arztpraxis. Auch hier wird die provokante Umformulierung der landläufigen Vorurteilshaltung von den Interviewten nicht aufgegriffen. Nur C bezieht sich mit seiner Antwort auf den medizinischen Kontext, streift aber eher das in beiden Kulturen vorhandene Problem, dass Männer ungern zum Arzt gehen.

Kontext:

- Kulturelle Konzepte

- Informationsdefizite

III. „Glauben Sie, dass russischsprachige Migranten eher autoritäre Anweisungen bzw. klare Ansagen erwarten?“

1) A: Mhmmm .. nee, also ganz plakativ würde ich sagen, dass die das so gewohnt sind. Was ich tatsächlich, also von Georgien z.B. sehr häufig höre, ist, dass man es gewohnt ist, dass man da ähm ein Antibiotikum spritzt und dass sie sehr verwundert sind, wenn man dann hier rumdiskutiert und macht und ob ja und ob die Leute einverstanden sind und das ist doch eher, dass sie es gewohnt sind, dass man sagt: „Das und das machst du jetzt! Punkt!“ Impfdiskussionen mit russischen Müttern habe ich fast noch nie erlebt und mit deutschen eigentlich immer. 00:06:51-9

2)...

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