1. Einführung:
Der eine und die vielen Buddhas
Schon in frühen buddhistischen Texten folgt das Leben eines Buddhas einer Gesetzmäßigkeit, die für jedes der in der buddhistischen Kosmographie zyklisch wiederkehrenden Weltzeitalter gilt. Dabei entspricht die Menschwerdung eines Buddhas einem Muster von zwölf Taten, das im Grunde für alle Buddhas gilt: Der Bodhisattva, ein Erleuchtungswesen, das zu Gunsten der Menschheit auf das Nirvana verzichtet hat, residiert im Tushita genannten Himmel (1) und beschließt herabzusteigen, um die Welt zu retten (2). Er betritt den Mutterschoß einer ausgewählten Frau (3), wird geboren und sagt: «Ich bin der Herr der Welt. Ich bin der Beste der Welt. Ich bin der Erste der Welt. Dies ist meine letzte Geburt. Es gibt keine weitere Existenz» (4). Er bewährt sich in den Künsten und Leibesübungen und heiratet (5). Es folgt ein Leben im Palast oder Haus sowie die Abkehr vom alltäglichen Leben (6) und schließlich die Flucht aus dem häuslichen Leben (7), die Askese (8), dann Versuchung und Erkenntnis (9) mit anschließender Erleuchtung (10) und Predigt (11) und am Ende der Eingang in das Nirvana (12).
Dies ist im Kern die Geschichte von Buddhas Leben. Sie ähnelt sich in etlichen Quellen, und es gibt kaum Unterschiede zwischen seinen Lebensberichten und denen über seine Jünger. Von den Örtlichkeiten abgesehen stimmt der Lebenslauf des Buddha in etwa mit dem seines Schülers Yashas überein. Viele Begebenheiten sind darin ins Übergroße gesteigert und idealisiert. Die Orte der Geschehnisse sind symbolisch zu verstehen und tauchen in etlichen Geschichten und Mythen auf. So muss die Mitteilung, dass Buddha seine Erleuchtung unter einem Baum erlangte, nicht ein historisches Faktum sein, sondern ist vielleicht eher literarischen, erzähltypischen Erfordernissen zuzuschreiben. Ohnehin ist sein Leben, wie es überliefert ist, eher eine Versinnbildlichung seiner Lehre als historische Realität.
Lange Zeit gab es kein Interesse an einer an der Wirklichkeit orientierten Buddha-Biographie. Das Genre der Biographie mit der Betonung des Individuums war den vormodernen Zeiten fremd, und wären die Lehren des Buddha nur die Aussage eines Einzelnen, könnten sie ohnehin im buddhistischen Kontext kaum Wahrheit beanspruchen. Wichtiger als das wirkliche Leben Gautamas war für die Buddhisten denn auch seine Lehre. So fragt im Milindapañha, einem Pāli-Text aus dem 4./5. Jahrhundert, der König Milinda den Mönch Nāgasena:
«Ehrwürdiger Nāgasena, gibt es den Buddha?»
«Gewiss, Großkönig, gibt es den Erhabenen.»
«Ist es denn möglich, ehrwürdiger Nāgasena, über den Buddha anzugeben: ‹Hier oder dort ist er?›»
«Der Erhabene ist völlig erloschen, Großkönig, in dem von jedem Daseinsrest freien Element der Erlösung. Und deshalb ist es unmöglich, über den Buddha anzugeben: ‹Hier oder dort ist er.› (…) Durch den Körper seiner Lehre aber, Großkönig, kann man den Erhabenen aufzeigen, denn die Lehre wurde ja durch den Erhabenen verkündet.»
«Da hast du recht, ehrwürdiger Nāgasena!» (Mil 73)
Im frühen Buddhismus war der Buddha nur einer von vielen Buddhas in den wiederkehrenden Weltzeitaltern, und Buddhas Leben ist nur eines von vielen in wiederholten Reinkarnationen bis zu seiner Erleuchtung. Daran erinnern schon die Vorgeburtsgeschichten (jātaka) von Buddhas Taten als Bodhisattva und die Vorausschau auf zukünftige Buddhas. Nach indischen Vorstellungen werden Wesen geboren und wiedergeboren. Das Leben Gautamas ist demnach nur sein letztes, in welchem er zum Buddha wurde und die Erleuchtung erlangte. Dem ging eine Kette von Wiedergeburten in tierischer, menschlicher und göttlicher Gestalt und als Bodhisattva voraus.
Damit stellt sich das Problem der Geschichtlichkeit des Buddha. Die historischen Anhaltspunkte sind so gering, dass immer wieder die Frage gestellt wurde, ob der Buddha überhaupt gelebt habe. Émile Senart hat 1882 als einer der Ersten die Ansicht vertreten, dass alle Hauptpartien der traditionellen Berichte von Buddhas Leben nicht aus der Erinnerung der Nachgeborenen stammen, sondern einem alten Naturmythos von der leuchtenden Laufbahn des Sonnenheros folgen. Und Richard Otto Franke behauptete noch 1913 in der Einleitung zu seiner Auswahlübersetzung des Dīghanikāya, dass die historische Gestalt Buddhas hinter dem altindischen Mythos vom zu erwartenden Welterlöser verschwinde.
Solchen Zweifeln ist der Indologe und Buddhismusforscher Hermann Oldenberg (1854–1920) bereits 1881 mit seinem einflussreichen Buch über den Buddha entgegengetreten. Seine wichtigsten Argumente sind die Folgenden (in absteigender Plausibilität): Immer wieder wird Buddha im Pāli-Kanon als Sohn des Shākya-Geschlechts bezeichnet und damit historisch verortet; wäre den Autoren nur an einem transzendenten Buddha gelegen, dann wäre diese Bezeichnung widersinnig, zumindest aber überflüssig. Ebenso wird wiederholt das historisch unbedeutende Kapilavastu als Geburtsort des Buddha erwähnt, doch hätte man im Falle einer reinen Legende sicherlich einen bedeutsameren Geburtsort gewählt. Auch gab es schon zur Zeit Ashokas, um 250 v. Chr. und damit etwa drei Generationen nach Buddhas Tod, als die Erinnerung durchaus noch lebendig war, eine Inschrift, in der die Geburt des Buddha bestätigt wurde (siehe unten S. 22). Die frühesten Quellen sind wohl hundert Jahre nach seinem Tod verfasst worden. In diesem vergleichsweise kurzen Zeitraum kann die Erinnerung an einen Lebenden noch nicht völlig verblasst sein, denn dazu ist die Sprache des Pāli-Kanons zu direkt und schnörkellos. Doch auch Oldenberg hatte nur «Vertrauen in die Überlieferung», wenngleich er glaubte, dass in der Erzählung davon, wie Gautama zum Buddha wurde, «ein Stück historischer Erinnerung» bewahrt worden sei.
Ganz ausgeräumt sind die Zweifel an der Geschichtlichkeit des Buddha bis heute nicht. Zwar wird Oldenberg Recht haben, wenn er sagt, dass es Gautama gegeben hat. Wie wäre sonst die Überlieferung von konkreten Namen und Orten zu erklären? Aber viel mehr weiß man eben nicht, vor allem nicht, welcher Teil der Lehre ihm zuzuschreiben ist und ob er bewusst einen Orden gestiftet hat. Sicher hatte er ein Charisma, das so deutliche Spuren hinterlassen hat, dass es zur Ausarbeitung der wirkmächtigen Lehre und zur Organisation einer Weltreligion kam; aber auf welchem Wege dies geschah, muss rätselhaft bleiben, zumal die ihm zugeschriebenen Worte nicht seine eigenen sind. Selbst diese sind nur Übersetzungen: Der Buddha sprach vermutlich Māgadhī, einen östlichen mittelindischen Dialekt, die frühesten Überlieferungen aber sind in Pāli oder Sanskrit verfasst.
Mit den ersten mündlichen Kanonisierungen und der Verschriftlichung dieser Lehren setzt ein historisch besser belegbarer Prozess ein, der indes unabhängig vom Stifter ist. Auch die Buddha-Legende mag mit dem Buddha nichts zu tun haben, ist aber selbst ein historisches Faktum, greifbar in den Texten, bildlichen Darstellungen und devotionalen Verehrungsformen.
Aus religionsvergleichender Sicht stellt sich zudem die Frage, inwieweit nicht jede Religion, die einen Stifterkult aufweist, früher oder später zu Vorstellungen kommt, in denen der Stifter zugleich als historischer Mensch, als Gott oder Gottgesandter und als Verkörperung einer Idee beziehungsweise Lehre erscheint. Wir haben diese Dreiteilung schon früh in der mahāyānis tischen Drei-Leiber-Lehre vor uns, in der der Buddha als Mensch, als überirdisch-transzendentaler Buddha und als philosophische Idee der absoluten Buddhaheit erfasst wird. Diese Vorstellungen wurden spätestens im 4. Jahrhundert in der sogenannten Drei-Leiber-Lehre (trikāya) in die folgenden drei Stufen gebracht:
1. «Dharma-Leib» (dharmakāya): Der unstoffliche Leib des Buddha-Prinzips, der allen Buddhas gemeinsam ist. In ihm sind sie identisch und eins. Es ist «der in den Daseinsfaktoren bestehende Körper» und die Verkörperung des Absoluten und der Leere (śūnyatā), die nur in der vollendeten Weisheit (prajñā) realisiert werden kann.
2. «Genuss-Leib» (sambhogakāya): Der Leib der himmlischen Buddha-Erscheinungen und der fünf Emanationen (tathāgata) des Ur-Buddha. Die Genuss-Leiber sind nur spirituell erfahrbar, nicht aber mit den Sinnesorganen. Nur Bodhisattvas, die fortgeschrittene geistige Fähigkeiten entwickelt haben, können sie sehen. Diese Buddhas sind von Weisheit (prajñā) und Mitleid (karuṇā) geprägt. Sie haben einen «Genuss-Leib», weil es nur von der Sambhoga-Ebene aus möglich ist, in den Genuss (sambhoga) der Erlösung zu kommen.
3. «Leib der grobstofflichen Manifestation» (nirmāṇakāya): Diese Buddhas haben Fleisch und Blut, sind deshalb dem Altern usw. ausgesetzt, aber geistig dem Menschen überlegen. Es ist ihre letzte irdische Manifestation vor der Erlösung.
Tatsächlich ist die Buddha-Biographie selbst ein Versuch, den Buddha auch personal zu erfassen und zu...