Heinz D. Kurz
William Petty
(1623–1687)
1. Leben
William Petty wird am 26. Mai 1623 in Romsey, Hampshire, als drittes von sechs Kindern geboren.[1] Das Gewerbe des Vaters, er ist Tuchhändler, erlaubt nur ein Leben in einfachen Verhältnissen. In der Schule lernt Petty u.a. Latein und Griechisch. Im Alter von dreizehn Jahren heuert er auf einem englischen Handelsschiff als Kabinensteward an. Wegen eines Beinbruchs wird er jedoch an der französischen Küste ausgesetzt. Selten ein Schaden ohne Nutzen: Petty wird auf Grund seiner Sprachkenntnisse am Jesuitenkolleg von Caen aufgenommen, wo er außerdem Französisch lernt und in Mathematik, Astronomie und Navigation unterrichtet wird. Anfang der 1640er Jahre kehrt er nach England zurück und dient für kurze Zeit bei der Royal Navy. Nach Ausbruch des ersten englischen Bürgerkriegs zwischen König und Parlament flüchtet er – gleich vielen anderen – 1643 auf den Kontinent. In den Niederlanden studiert er an den Universitäten von Utrecht, Leyden und Amsterdam Medizin. Er setzt seine Studien in Paris fort, wo er Thomas Hobbes kennenlernt.
Der Tod des Vaters bringt ihn 1646 nach Romsey zurück. Er sucht das elterliche Geschäft fortzuführen. Aber bereits im folgenden Jahr zieht es ihn nach London, u.a. um das erworbene Patent einer von ihm erfundenen Druckmaschine zu verwerten. Es ist nicht die einzige technische Erfindung, die Petty machen sollte, und die Beleg seiner großen Originalität und Vielseitigkeit ist. (Eine andere, 1663 vorgestellte, betrifft ein «Double-Bottom»-Schiff, d.h. ein Wasserfahrzeug mit zwei Rümpfen, die fest durch ein Tragdeck miteinander verbunden sind – einen Katamaran.) In London lernt Petty führende Vertreter der englischen Gesellschaft, Politik und Wissenschaft kennen und schließt sich dem Kreis um Samuel Hartlib Er korrespondiert mit führenden Intellektuellen seiner Zeit über Fragen der Naturwissenschaften, Politik, des Bildungswesens usw. (siehe Lansdowne, 1927 und 1928). Er studiert die Geschichte der Handelsverflechtungen Englands und anderer Länder. An der Universität Oxford schließt er 1648 sein Medizinstudium ab und promoviert im folgenden Jahr daselbst. Der politische Wind steht günstig für ihn, und so wird er bereits 1650 Professor für Anatomie und Vizepräsident des Brasenose College. Kurz danach wechselt er auf eine Professur für Musik ans Gresham College in London. Anatomie und Musik befassen sich mit den Gesetzen richtiger Proportionen und gelten insofern als eng miteinander verwandt. Petty kommt dem alten Ideal eines homo universalis in einer Zeit sich ausdifferenzierender Wissenschaften noch bemerkenswert nahe.
1651 wird er zum obersten medizinischen Offizier der englischen Armee in Irland ernannt und folgt dem in Cromwellschen Diensten stehenden General Fleetwood als Leibarzt auf die grüne Insel. Nach Cromwells blutiger Niederschlagung des Aufruhrs katholischer Rebellen wird Petty beauftragt, einen topographischen Überblick über die irischen Ländereien zu verfassen (1655–1658). Die Sieger – Soldaten, englisches Schatzamt und private Financiers der kriegerischen Expedition – sollen durch Zuteilung von irischem Grund und Boden großzügig belohnt werden. Petty erledigt die Aufgabe der Vermessung der konfiszierten Ländereien, der Einschätzung ihrer Ertragskraft sowie der Anlegung eines Katasters mit Hilfe mehrerer hundert Helfer zur großen Zufriedenheit seiner Auftraggeber. Bei der als «Down Survey» bekannt gewordenen umfänglichen Studie handelt es sich um die wohl erste große empirische Arbeit zur Einschätzung des Produktionspotentials einer Ökonomie. Petty erhält als Lohn die beträchtliche Summe von £ 10.000 sowie Ländereien vorwiegend im County Kerry und wird auf diese Weise mit einem Schlag zu einem der größten Grundbesitzer Irlands. Die Verwaltung seines großen und wachsenden Besitzes sollte ihm in den folgenden drei Jahrzehnten viel Zeit und Kraft kosten. Er muß diesen in nicht enden wollenden Gerichtsverfahren gegen dessen frühere Eigentümer verteidigen; dabei wird er in die eine oder andere tätliche Auseinandersetzung und sogar in ein Duell verstrickt. Die mangelhafte rechtliche Regelung der Eigentumsverhältnisse und andere Mißstände fördern seinen Einsatz für tiefgreifende institutionelle Reformen.
Die Restauration von 1660 bringt Petty kurzzeitig in Schwierigkeiten, aus denen er sich jedoch bald befreien kann. Er tritt für einen starken Staat ein, aber auch für religiöse Toleranz und Gewissensfreiheit. 1662 kehrt er nach London zurück, wo er zwischenzeitlich ein stattliches Anwesen erworben hat, und wendet sich wieder seinen vielfältigen wissenschaftlichen Interessen zu. Petty ist einer der Mitbegründer der später «The Royal Society» genannten wissenschaftlichen Gesellschaft. Das Ziel der Gesellschaft ist die Förderung und Verbreitung von wissenschaftlich fundierten Aussagen auf allen Wissensgebieten mit dem Ziel der Enthüllung der in die Natur geschriebenen mathematischen Gesetze. Diese Gesetze spiegeln sich in empirischen Zusammenhängen wider, die statistisch erfasst werden können. Pettys Wissenschaftsverständnis ist beeinflußt von Francis Bacons Novum Organum (1620) sowie Thomas Hobbes’ logica sive computatio und beinhaltet eine Korrektur und Ergänzung von Aristoteles’ deduktiver Methode. Petty bleibt es vorbehalten, die neue empiristisch-objektivistisch-mathematische Methode auf den Bereich der Sozialwissenschaften und speziell der Ökonomik anzuwenden. Er tut dies erstmals 1662 in einem seiner ökonomischen Hauptwerke, der Treatise on Taxes and Contributions. Die meisten seiner zahlreichen Arbeiten zu ökonomischen Fragen erscheinen indes erst posthum – nach der Glorreichen Revolution von 1688, in deren Gefolge sich das politische Klima zugunsten der Verbreitung neuer und unkonventioneller Ideen merklich verbessert. 1672 entsteht The Political Anatomy of Ireland, 1676 Political Arithmetick. Seine mannigfaltigen technischen Kenntnisse und Erfindungen setzt Petty auf seinen irischen Gütern, die er häufig besucht, praktisch um.
Pettys Versuch, ein höheres politisches Amt zu erlangen, ist kein Erfolg beschieden. Seine guten Beziehungen zu König und Hof tragen ihm unter Charles II. immerhin den Adelstitel ein. Privat hat er mehr Glück. 1667 heiratet er Elizabeth Waller, eine wohlhabende Witwe, die ihm fünf Kinder schenkt. Die beiden ältesten sterben allerdings schon im Kindesalter. Darüber hinaus hat er zumindest ein uneheliches Kind. Von einer seiner Töchter, Anne, stammen die in England wohlbekannten Familien der Fitzmaurices und Lansdownes ab. Aus ihren Reihen kommen mehrere englische Staatsmänner und ein Premierminister. Petty beteiligt sich finanziell an dem Kolonialunternehmen seines Freundes William Penn, des Gründers von Pennsylvania, und wird so Besitzer eines großen Stückes Land in Philadelphia, welches seine Erben jedoch während der Amerikanischen Revolution von 1776 verlieren.
1676 zieht Petty wieder nach Irland und gehört für zwei Jahre dem dortigen Parlament an. Nach der Krönung von James II. kehrt er nach London zurück und dient diesem als Berater. Daneben arbeitet er fieberhaft an seinem literarischen Werk. Die Arbeit wird jedoch durch eine sich beinahe zur völligen Blindheit steigernde Kurzsichtigkeit erschwert.
Petty stirbt am 16. Dezember 1687 in London an einem Wundbrand im Fuß.
2. Werk
Methode. Petty nennt die neue Wissenschaft, die ins Leben zu rufen er sich anschickt, in den Titeln zweier seiner Hauptwerke «Politische Anatomie» bzw. «Politische Arithmetik». Marx bezeichnet Petty nicht zu Unrecht als «Vater der politischen Ökonomie» und «Erfinder der Statistik» (Marx, [1867] 1967, S. 280).[2] Im Vorwort zur Political Arithmetick umreißt Petty sein Forschungsprogramm samt der von ihm verwendeten Methode wie folgt:
Die Methode, die ich hierbei anwende, ist noch nicht sehr üblich. Anstatt nur vergleichende und superlative Wörter und intellektuelle Argumente zu verwenden, habe ich mich dazu entschieden, mich nur mittels von Größen wie Anzahl, Gewicht oder Maß auszudrücken (als Objekte der Politischen Arithmetik, die mir seit langem vorschwebt); nur Argumente der Wahrnehmung zu verwenden und nur solche Bestimmungsgründe zu betrachten, die sichtbare Grundlagen in der Natur haben; und dagegen solche, die von den schnell wechselnden Gemütslagen, Meinungen, Vorlieben und Leidenschaften der Menschen abhängen, der Betrachtung durch andere zu überlassen (Petty, [1676] 1986, S. 244).
Petty vertritt einen strengen Objektivismus, der sich an den Gesetzen der Anatomie ausrichtet. In Anlehnung an Francis Bacon propagiert er in der 1664 geschriebenen, aber erst 1691 veröffentlichten Abhandlung Verbum Sapienti eine Betrachtungsweise des «Body Politick» (des politischen Körpers) in Analogie zum «Body Natural» (des natürlichen Körper): «Da die Anatomie die beste Grundlage für den einen ist, ist sie es auch für den...