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Cicero

oder Der letzte Kampf um die Republik

AutorWolfgang Schuller
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783406651793
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Über keinen anderen Menschen der Antike wissen wir so viel wie über Marcus Tullius Cicero (106-43v.Chr.). Wolfgang Schuller hat in jahrelanger Forschung Reden und Briefe seines Protagonisten ausgewertet und lässt in dieser spannend erzählten, faktenreichen Biographie den großen Staatsmann noch einmal lebendig werden. Zugleich entwirft er ein grandioses Panorama der dem Untergang geweihten römischen Republik. Seit dem Jahre 60v.Chr. versuchen Caesar, Pompeius und Crassus mit ihrer geballten wirtschaftlichen und militärischen Macht, die Geschicke Roms den eigenen Interessen zu unterwerfen. In dieser Situation taktiert Cicero und hofft, mit Pompeius den gefährlichsten Widersacher der Senatsherrschaft - Caesar - ausschalten zu können. Der Bürgerkrieg bricht aus, Pompeius wird ermordet, Caesar ernennt sich zum Diktator auf Lebenszeit, aber Cicero kämpft weiter - jetzt durch seine Schriften. Als der Tyrann im Jahre 44v.Chr. einem Attentat zum Opfer fällt, hofft Cicero, die Freiheit der Republik könne noch einmal gerettet werden. Doch nicht einmal sich selbst kann er noch retten. Leidenschaftlich attackiert er in seinen sprichwörtlichen Philippika Marcus Antonius, den Gefolgsmann Caesars, bis dieser ihn schließlich ermorden lässt.

Wolfgang Schuller - Jurist und Historiker - lehrte bis zu seiner Pensionierung als Ordinarius für Alte Geschichte an der Universität Konstanz. Er ist Mitglied der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt.

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Leseprobe

2.
FRÜHE PRÄGUNGEN


Marcus Tullius Cicero wurde am 3. Januar 106 v. Chr. als Sohn des Marcus Tullius Cicero und der Helvia auf dem Landgut seines Großvaters in der Nähe der Landstadt Arpinum südöstlich von Rom geboren. Seine Familie gehörte zwar dem Ritterstand an, war aber in vielfältiger Weise mit senatorischen Familien eng verbunden. Auch deshalb war ständig von Politik die Rede, so dass Cicero schon als Kind von den Erschütterungen hören musste, denen die römische Republik ausgesetzt war. Demgemäß konnte Cicero im Jahr 90 nach Anlegen der Männertoga, der toga virilis, in die Welt der Erwachsenen eintreten und als Hochbegabter die beste Ausbildung erhalten. Sein Vater schickte ihn zu Q. Mucius Scaevola Augur, dem führenden Juristen seiner Zeit, der 117 Konsul gewesen war. Zu Beginn des Dialogs Laelius aus dem Jahr 44 schildert Cicero diesen und den nachfolgenden Unterricht so:

Der Augur Quintus Mucius wusste von seinem Schwiegervater Gaius Laelius vieles aus der Erinnerung reizvoll zu erzählen und pflegte ihn, sooft er sprach, ohne Bedenken «den Weisen» zu nennen. Mich aber hatte mein Vater, als man mir die Männertoga angelegt hatte, dem Scaevola zur Unterweisung anvertraut mit dem Wunsche, dass ich, so lange es möglich und schicklich war, keinen Schritt von der Seite des greisen Lehrers wich. So habe ich mir viele seiner klugen Erörterungen, auch zahlreiche zwar kurze, aber treffende Aussprüche von ihm gemerkt und mich stets bemüht, aus seiner Klugheit höhere Bildung zu gewinnen. Nach seinem Tode schloss ich mich dem Pontifex Maximus Scaevola an. Er ist der einzige, den ich in unserem Staate als den hervorragendsten Vertreter des Geistes und der Gerechtigkeit zu bezeichnen wage.[1]

Auch dieser mit dem Augur nur weitläufig verwandte Q. Mucius Scaevola Pontifex war einer der glänzendsten Juristen, so dass Cicero kaum eine bessere Ausbildung bekommen konnte. Ohnehin hatte Cicero auch durch seine Familie und den Umgang mit den führenden Kreisen Roms bereits umfangreiche Kenntnis von der unmittelbaren und weiter zurückliegenden Vergangenheit bekommen. Er erlebte aber auch und vor allem die politischen Kämpfe seiner Gegenwart mit, die sich nicht nur in heftig umkämpften Wahlen und politischen Prozessen erschöpften, sondern gewalttätige, ja mörderische Züge annahmen. Für den jungen Mann war dies die traumatische Erfahrung, die ihn für sein gesamtes weiteres Leben prägen sollte. Zu Marius allerdings war sein Verhältnis zunächst doch von einer Art Stolz gekennzeichnet, denn Marius stammte ja auch aus Arpinum. Der junge Cicero hatte sogar ein Epos Marius gedichtet, das fast ganz verloren ist, aus dem er aber in seinem späteren Dialog Über die Wahrsagung, de divinatione, seinen Bruder Quintus zitieren lässt. Darin ist von einem Adler die Rede, der eine Schlange besiegt und dann auf zur Sonne fliegt, und danach stehen folgende Verse:

Als ihn Marius sah – auf glückverheißenden Schwingen
glitt er dahin –, da nahm der gottbegeisterte Augur
das zum glücklichen Zeichen ruhmvoller Heimkehr. Und oben
donnerte gleich zur Linken der Vater der Himmlischen selber,
Jupiter, billigte so das glänzende Omen des Adlers.
[2]

Ciceros Urteil über Marius änderte sich später erheblich ins Negative, behielt aber immer noch einen Rest lokalpatriotischen Stolzes. Zunächst aber hatte er wie jeder junge Römer Wehrdienst zu leisten, der, weil Rom ja fast unausgesetzt Kriege führte, meistens gleichzeitig auch Kriegsdienst war. Diesmal aber war es ein besonderer Krieg. Im Jahr 91 hatten sich nämlich die Italiker gegen Rom erhoben, weil ihnen trotz verschiedener Anläufe immer noch keine Gleichberechtigung gewährt worden war. Im Laufe dieses Bundesgenossenkrieges waren ihnen diese Rechte dann Stück für Stück zuerkannt worden, so dass er schon 89 beendet werden konnte. Dennoch hatten die Erbitterung und Grausamkeit, mit der der Krieg geführt worden war, tiefe Wunden geschlagen. Cicero leistete seinen Dienst zunächst im Stab des Cn. Pompeius Strabo, der im Jahr 90 zum Konsul für das Jahr 89 gewählt worden war, und anschließend unter L. Cornelius Sulla, dem späteren Diktator. Diese beiden Jahre hatten ihm die Furchtbarkeit des Krieges nachhaltig vor Augen geführt, auch wenn er selbst militärisch nicht sehr in Anspruch genommen worden sein kann. Seine Ausbildung ging nämlich weiter; er konnte Prozessen beiwohnen, wenn es auch, des Krieges wegen, eine Zeitlang nur Strafprozesse waren, und insbesondere fand er Zeit, fast täglich die Debatten zu verfolgen, die in den römischen Volksversammlungen dieser stürmischen Zeit besonders heiß waren.

Der Dienst im Stab von Befehlshabern im Bundesgenossenkrieg und die Erfahrung erregter und turbulenter Vorgänge auf dem Forum waren allerdings nicht zu vergleichen mit den dramatischen Umschwüngen und Grausamkeiten, die der junge Cicero anschließend miterleben musste. Die zeitweilig überdeckten Kämpfe zwischen Popularen und Optimaten brachen mit gesteigerter Heftigkeit wieder auf. Sulla war im Krieg so erfolgreich gewesen, dass man ihn für das Jahr 88 zum Konsul gewählt und ihm das Kommando im Krieg gegen den Rom bedrohenden kleinasiatischen König Mithridates übertragen hatte. Aber als er schon mit dem Heer auf dem Wege war, erfuhr er, südlich von Rom stehend, dass ihm in seiner Abwesenheit auf Antrag des Volkstribunen P. Sulpicius Rufus das Kommando entzogen und auf Marius übertragen worden war, ein unerhörter Vorgang; es wurden zudem von popularer Seite Straßenkämpfe begonnen. Sulla machte auf dem Absatz kehrt, brachte Rom militärisch in seine Gewalt, und die Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs wurde dadurch noch gesteigert, dass er zwölf Gegner zu Staatsfeinden erklären ließ, die straflos getötet werden konnten. Gleichwohl konnte für das Jahr 87 der Populare L. Cornelius Cinna zum Konsul gewählt werden, Sulla nahm das hin, ließ ihn jedoch schwören, nichts gegen inzwischen erlassene Gesetze zu unternehmen, und zog nach Osten in den Krieg gegen Mithridates. Cinna hielt sich aber nicht an den Eid, wurde vertrieben, eroberte Rom zurück und ließ Feinde der Popularen massakrieren.

Immer wieder kam Cicero später auf diese Zeit zurück und sprach mit spürbarem Entsetzen von diesen Blutbädern, denen herausragendste Männer zum Opfer gefallen waren: Cinna hatte seinen Kollegen im Konsulat Cn. Octavius köpfen lassen, ebenso P. Licinius Crassus Dives, Konsul des Jahres 97, und L. Iulius Caesar Strabo, Konsul des Jahres 90. Dasselbe geschah dem M. Antonius, Konsul des Jahres 99, dem Vater von Ciceros späterem Konsulatskollegen und Großvater des Triumvirn. Sein Kopf wurde zum Hohn für seine glänzenden Erfolge als Redner auf den Rostren aufgestellt; auch C. Iulius Caesar Strabo, der geistreichste Redner seiner Zeit, wurde geköpft. Hinzu kam, dass Marius kurz vor seinem eigenen Tod Anfang 86 seinen ehemaligen Kollegen im Konsulat von 102 Q. Lutatius Catulus mit Morddrohungen in den Selbstmord getrieben hatte – Marius gefiel sich in einem altrömisch knappen moriatur!, er soll sterben!, wenn er um Milde gebeten wurde –, und noch 82 wurde Cn. Domitius Ahenobarbus, Konsul 96, erdolcht, ja, Ciceros Lehrer Scaevola Pontifex wurde im selben Jahr von Popularen vor dem Götterbild der Vesta erschlagen.[3] Cinna bekleidete, abermals gegen das Herkommen, aber ohne erkennbaren Anlass wie noch bei Marius, Jahr für Jahr das Konsulat bis zu seinem Tod, im Einzelnen ist über diese Zeit merkwürdig wenig bekannt. Jedenfalls wurde Cinna im Jahr 84 ebenfalls umgebracht, und zwar diesmal von seinen eigenen meuternden Soldaten. Alle diese Vorgänge erfüllten Cicero noch Jahrzehnte später mit Entsetzen, ständig kommt er auf sie zurück.

Sulla nun wurde während der Herrschaft Cinnas nicht nur abermals seines Kommandos beraubt, sondern es wurde, um die Absurdität auf die Spitze zu treiben, sozusagen ein Konkurrenzheer gegen Mithridates entsandt, das durchaus Erfolge erzielte, aber schließlich doch zu Sulla überlief. Dessen Befehlshaber C. Flavius Fimbria hatte die Verfolgung des Catulus betrieben und beging nun wie sein seinerzeitiges Opfer Selbstmord. Sulla drängte Mithridates zurück, konnte Frieden schließen und erschien im Frühjahr 83 wieder in Italien, zusammen mit seinem siegreichen Heer. Es war ihm treu ergeben, in einer Mischung aus persönlicher Anhänglichkeit, traditionellen Klientelgefühlen und Aussicht auf weiteren Beutegewinn, und folgte ihm, wohin und wozu er wollte. Zwar hatte schon Marius seine Veteranen ungewöhnlich eng an seine Person gebunden und so der römischen Innenpolitik ein neues Element hinzugefügt, aber Sulla ging noch einen Schritt weiter, indem er gestützt auf seine ihm persönlich verbundenen Soldaten einen Bürgerkrieg begann.

Cicero, der Sulla und Marius in persönlichen Begegnungen kennengelernt hatte, erlebte damals abermals einen Umschwung, der in doppelter Weise die bisherigen Wechselfälle noch übertraf: Als Sulla in Italien landete, bot ihm Cn. Pompeius, der Sohn des Pompeius Strabo, in dessen Stab Cicero Dienst getan hatte, seine Unterstützung an...

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