In diesem Kapitel erfahren Sie
- welche Teilleistungen Zuhörkompetenz erfordert
- wie Sie Kinder in der Entwicklung ihrer Hörfähigkeiten unterstützen können
- was phonologische Bewusstheit ausmacht
- wie Sie die Aspekte phonologischer Bewusstheit alltagsintegriert im Sprachspiel aufgreifen können
Sprachverstehen und Sprachbewusstsein
Sprache ist der Schlüssel für Kommunikation und Bildung. Der Sprache mächtig zu werden, sie zu erlernen, ist ein äußerst komplexer Prozess, den Kinder in den ersten Lebensjahren enorm schnell durchlaufen. Mit fünf Jahren verfügen sie bereits über einen Wortschatz von 5.000 bis zu 26.000 Wörtern. Der Prozess des Spracherwerbs verläuft bei jedem Kind unterschiedlich – viele kleine Schritte und Etappen sind auf diesem Weg zu meistern. Meistens gelingt dieser Prozess »ganz von selbst«, wenn auch heute immer häufiger Sprechstörungen bei Kindern zu beobachten sind.
Grundsätzlich haben alle Kinder ein natürliches Interesse am Sprechen, an der Sprache. Allerdings weiß man heute, dass Kinder, die in einer »gesprächigen« Umgebung aufwachsen, einen größeren Wortschatz haben als Gleichaltrige mit eher »schweigsamen« Bezugspersonen.
Der Spracherwerb wird angeregt durch kommunikative Situationen in vielfältigen Handlungszusammenhängen. Kinder setzten sich aktiv und neugierig mit ihrer Umwelt auseinander – und zwar von Anfang an, denn die Sprachentwicklung beginnt lange vor dem ersten Wort, das ein Kind spricht. Säuglinge beobachten die Mimik und Gestik ihrer Bezugspersonen und reagieren darauf. Diese nonverbalen Kommunikationsformen, das allmählich wachsende Verständnis von Signalen, die über Körper und Gesicht gesendet werden, sind zentraler Bestandteil der Sprachentwicklung. Ebenso wichtig sind akustische Signale: Die gesprochene Sprache, ihren Klang und Rhythmus nimmt das Kind bereits im Mutterleib wahr. In den ersten Wochen reagieren Säuglinge auf Töne und Geräusche, bevor sie mit drei Monaten selbstständig Laute modulieren. Über das Ohr werden (Sprach-)Laute aufgenommen, zum Gehörnerv weitergeleitet und im Hör- und Sprachzentrum des Gehirns entschlüsselt. So entwickelt das Kind im Dialog mit seiner Umwelt allmählich seine (sprachlichen) Kompetenzen, »ausgestattet mit einem reichen Verhaltensrepertoire zum sozialen Austausch sowie mit einer fast grenzenlosen Lernkapazität – vorausgesetzt, die ›Umwelt‹ bietet die für einen Erfahrungsgewinn nötigen Sinneseindrücke liebevoll zugewandt und angemessen« (Haug-Schnabel / Bensel 2011, S. 34).
Kinder brauchen Menschen, die ein ernsthaftes Interesse daran haben, was sie fühlen, denken und sprechen. Sie brauchen Bezugspersonen, die ihnen zuhören, die sie aussprechen lassen. Das heißt: Grundvoraussetzung für alle sprachbewussten Aktivitäten in der Kindertagesstätte sind »offene Ohren« – das gilt für die Kinder genauso wie für die sie betreuenden Erwachsenen.
Der Gehörsinn gehört, neben dem Tastsinn, zu den Sinnen, die am frühesten ausgebildet werden. Die Wahrnehmung und Verarbeitung von akustischen Sinnesreizen umfasst eine Vielzahl relativ komplizierter Vorgänge:
? Auditive Aufmerksamkeit: die Fähigkeit, hinzuhören, zuzuhören, zu lauschen – sich konzentriert Hörreizen zuzuwenden
? Auditive Lokalisation: die Fähigkeit, zu erkennen, aus welcher Richtung der Hörreiz kommt
? Auditive Figur-Grund-Unterscheidung: die Fähigkeit, »wichtige« von »unwichtigen« Hörreizen zu unterscheiden, z. B. in einem Raum mit hohem Geräuschpegel die Stimme der Mutter zu erkennen
? Laute erkennen und unterscheiden: Die Sprachentwicklung beginnt nicht mit dem ersten Wort, sondern mit dem Erkennen von Lauten
? Gehörtes erinnern: Ein Hörreiz wird nicht automatisch gespeichert, man muss sich an Gehörtes erinnern; ideales und von Kindern viel geliebtes Hilfsmittel ist der Reim
? Gehörtes inhaltlich einordnen: Geräusche, Gehörtes können wir erst verstehen, wenn wir es einem Sinn zuordnen können.
Akustische Wahrnehmungsspiele
Im Folgenden möchte ich einige »akustische Wahrnehmungsspiele« – förderlich im Hinblick auf die Sprach- und Sprechkompetenz – vorstellen. Auf eine Altersangabe habe ich hier verzichtet, denn grundsätzlich sind alle Kinder »gute Hörer« (sofern keine organischen Beeinträchtigungen vorliegen). Sie haben Lust, spielerisch zu hören und zu lauschen und mit der Sprache zu spielen. Jedes Kind bringt jedoch unterschiedliche Vorerfahrungen mit, hat unterschiedliche Anregungen oder Herausforderungen in diesem Bereich erfahren. Das bedeutet, dass die Angebote individuell und situativ angemessen zum Einsatz kommen sollten.
Auditive Aufmerksamkeit
Hörmemory
24 kleine, fest schließende Döschen werden paarweise mit sehr unterschiedlich klingenden Materialien gefüllt: z. B. mit zerschnittenen Gummibändern, Reiskörnern, Streichhölzern, kleinen Nägeln, Stecknadeln, getrockneten Erbsen, Zucker, Holzperlen, handgemachtem Papierkonfetti aus dem Locher. Die Kinder ordnen die passenden Geräuschpaare einander zu und können anschließend selbst mithilfe der gleichen Markierung am Dosenboden die Richtigkeit überprüfen. Eine Spielvariante besteht darin, die Geräusche in der Reihenfolge von leise nach laut zu ordnen.
Flüsterrohr
Geflüsterte Worte wahrzunehmen erfordert konzentriertes Hören. Als Impuls bekommt jedes Kind ein Flüsterrohr (längere Pappröhre). Im Kreis sitzend, flüstern Sie dem Kind, das sich neben Ihnen befindet, durch das Flüsterrohr ein Wort ins Ohr. Das Kind flüstert das Gehörte durch sein Rohr ins Ohr des neben ihm sitzenden Kindes usw. Wenn die »Flüsterei« wieder bei Ihnen angekommen ist, sagen Sie das Wort laut.
Auditive Lokalisation
Das Richtungshören fördern so traditionelle Spiele wie »Hänschen, piep einmal« oder »Jakob, wo bist du?«.
Auditive Figur-Grund-Unterscheidung
Wer spricht?
Ein kurzer Text, ein Abzählvers oder eine Formulierung, die sich die Kinder ausgedacht haben, wird von verschiedenen Personen auf ein Aufnahmegerät gesprochen. Die Aufnahme wird abgespielt und das Publikum soll erraten, wer da spricht. Bei diesem Spiel ist darauf zu achten, dass den Mitspielern alle Stimmen aus den Sprachaufzeichnungen bekannt sind. Für die Kinder ist es ein Erlebnis, ihre Stimme gespeichert zu erleben, abzuspielen und sich selbst zu hören.
Gehörtes inhaltlich einordnen
Geräuschetheater
Alltägliche Geräusche werden, hinter einem Tuch versteckt, produziert und von den Kindern erraten, z. B.:
? Flüssigkeit in einen Behälter gießen
? Papier zerreißen
? mit der Schere schneiden
? mit einem Stift kritzeln
? ein Streichholz anzünden
? eine Kerze ausblasen
? in einen Apfel beißen
? einen Würfel über den Tisch rollen
? in einem Buch blättern
? eine Murmel in der Kugelbahn rollen lassen
? einen Ball prellen
? einen Turm bauen und umstoßen
? ein Aufziehspielzeug aufziehen und ablaufen lassen
? eine Fahrradklingel betätigen
? einen Regenschirm aufspannen
? die Nase putzen
? die Hände flach zusammenschlagen
? mit den Füßen stampfen
? mit der Zunge schnalzen
? mit den Lippen schmatzen.
Mit der Zeit werden die Kinder geübte Zuhörer und suchen sich als Akteure selbst gerne Geräusche aus, mit denen sie das Programm des Geräuschetheaters umgestalten und selbstbestimmt inszenieren können.
Gehörtes erinnern
Hör-Kim
Hierzu wird eine überschaubare Anzahl von Geräuschen, Klängen oder Stimmen aus dem Umfeld der Kinder auf Kassette aufgenommen: das Brummen des Teddybären, eine Kinderstimme, ein bimmelndes Glöckchen ein bellender Hund, ein Flötenton … Diese Serie wird für das Hör-Kim noch einmal aufgenommen. Allerdings fehlt dann bei dieser zweiten Aufnahmereihe ein Geräusch, weil der Geräuschezwerg es sich geholt hat, oder ein bestimmtes Geräusch wurde durch ein anderes ausgetauscht. Die Kinder werden die Ohren spitzen und die Lösung heraushören. Beim ersten Hör-Kim sollte man mit wenigen Geräuschaufnahmen beginnen und die Anzahl dann langsam steigern.
Phonologische Bewusstheit: die Lautgestalt der Sprache erkennen
Um seine Muttersprache zu lernen, muss ein Baby erst einmal das Klangbild-Betonungsmuster und das Lautrepertoire erschließen, das in seiner sprachlichen Umgebung gilt. Die kleinste sprachliche Einheit ist der Laut, der nur in der verschriftlichten Sprache als Buchstabe bezeichnet wird. Laute nennt man auch Phoneme, man unterscheidet Konsonanten und Vokale. Grundlage der Sprachentwicklung ist, dass Laute und Lautabfolgen vom Kind richtig wahrgenommen, differenziert und artikuliert werden. Dazu müssen Kinder aus dem kontinuierlichen Lautstrom die verschiedenen Laute, aus denen sich Wörter...