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E-Book

Programme zur Minderung aggressiven Verhaltens bei Grundschülern

AutorIsabell Kallis
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783638481991
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Pädagogik - Pädagogische Psychologie, Note: 1,5, Universität Lüneburg (Psychologie), 41 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Aggression und Gewalt an Schulen' ist ein besonders in den letzten Jahren häufig diskutiertes Themengebiet. 'Immer häufiger ist von körperlichen und psychischen Belästigungen und Übergriffen in der Schule die Rede. Viele Lehrerinnen und Lehrer berichten, die Kinder seien heute schon in der Grundschule... nicht nur zappeliger, unruhiger und nervöser als in den früheren Jahrgängen, sondern es nehme auch die Minderheit der ruppigen, aggressiven, gewalttätigen und sogar brutalen SchülerInnen zu' (Hurrelmann, 1995, S. 75). Empirische Studien zu diesem Themengebiet weisen eindeutig darauf hin, dass '...die Entwicklung von und die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten bei einem Teil der Kinder sehr frühzeitig einsetzen kann und dass diese Kinder dann eine schlechte Prognose haben (Loeber, 1990)' (Cierpka, 1999, S.3). Aus diesem Grund muss möglichst früh im Leben eines Kindes interveniert werden, wenn eine effektive Einflussnahme angestrebt wird. Die vorliegende Arbeit trägt den Titel 'Programme zur Minderung aggressiven Verhaltens bei Grundschülern'. Das Ziel der Arbeit ist es, einen repräsentativen, wenn auch nicht vollständigen Überblick über solche Maßnahmen zu geben, die zur Realisierung in der Grundschule durch die Lehrkräfte vorgeschlagen werden. Insbesondere sollen dabei folgende Fragen geklärt werden: Ist es überhaupt möglich im schulischen Rahmen eine Minderung aggressiven Verhaltens zu erreichen? Welche Ansatzpunkte zur Aggressionsminderung an der Grundschule sind erfolgversprechend und welche psychologischen Annahmen und Mechanismen liegen ihnen zugrunde? Lassen sich durch Programme, die die Veränderung des schulischen Kontext als Mittel der Reduktion aggressiven Schülerverhaltens nutzen positivere Effekte erzielen, als durch solche, die die Minderung über die Ausbildung kompetenten Lehrerverhaltens oder prosozialen Schülerverhaltens erreichen wollen?

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Leseprobe

3.  Klassische psychologische Aggressionstheorien


 

Um der Bereitschaft zu aggressivem Verhalten vorzubeugen, sie abzubauen bzw. einzu-grenzen, sind Kenntnisse über Genese, Funktion und detaillierte Mechanismen nötig. So müssen sich Konzepte zur Minderung aggressiven Verhaltens nicht nur mit der Begriffsbestimmung, sondern vor allem mit den Ursachen und Motiven für Aggression auseinandersetzen um ein effektives Programm zu entwerfen.

 

Bisher wurde eine terminologische Abgrenzung der Begriffe ‘Aggression‘, ‘Aggressivi-tät‘ und ‘Gewalt‘ vorgenommen und geklärt, wie diese Begriffe in der vorliegenden Arbeit verwendet werden. Auch wurden verschiedene Ausdrucksformen aggressiven Verhaltens aufgezeigt. Wie aber kommt es zu aggressivem Verhalten?

 

Man unterscheidet in der Psychologie im Wesentlichen drei klassische Theorieansätze, die sich dem Thema ‘Aggression‘ von unterschiedlichen Perspektiven nähern: Die Trieb- bzw. Instinkttheorien, die Frustrations-Aggressions-Theorie und die Gruppe der Lerntheorien. Sie beanspruchen zunächst einmal jede für sich, das Phänomen Aggression als Ganzes zu klären. Im Folgenden werde ich die grundlegenden An-nahmen der einzelnen Theorien kurz erläutern und erste Überlegungen anstellen, inwieweit sie als Ausgangspunkt zur Minderung aggressiven Verhaltens genutzt werden können.

 

3.1  Trieb- bzw. Instinkttheorien


 

Bis heute konnten die Trieb- und Instinkttheorien nicht empirisch belegt werden und finden so in der wissenschaftlichen Psychologie kaum Resonanz. Sie zu akzeptieren würde bedeuten, dass aggressives Verhalten ein angeborener und unabänderlicher Bestandteil des Menschen ist. Diese Theorien ignorieren die Vielfalt der möglichen Ursachen. Aus diesem Grunde soll ihre Grundannahme nur kurz erläutert werden:

 

Trieb- wie auch Instinkttheorien beruhen auf der Annahme, dass im Organismus eine angeborene Quelle existiert, die fortwährend aggressive Impulse erzeugt. Diese müssen in der einen oder anderen Form (nicht zwingend zerstörerisch) zum Ausdruck kommen. Andernfalls führen sie zu einem Aggressionsstau bzw. zu seelischen Störungen. In diesem Zusammenhang wird auch von einem ‘hydraulischen‘ Energiemodell ge-sprochen. Anschaulicher könnte es auch als ‘Dampfkesselmodell‘ bezeichnen. Nach diesem wird ein Mensch aggressiv, weil sich sein spontaner Trieb entladen muss. Danach kommt er zur Ruhe, bis wieder ein gewisser ‘Dampfdruck‘ erreicht ist.

 

Trieb- und instinkttheoretische Konzepte stammen vor allem aus der Psychoanalyse (v. a. von Sigmund Freud) und der Ethologie (v. a. von Konrad Lorenz).

 

Melzer, Schubarth & Ehninger (2004, S.57) meinen, dass die Triebtheorien „... in gewisser Hinsicht durchaus als anregend für die Entwicklung von Präventions- und Interventionsmöglichkeiten ...“ sein können. Auch Valtin und Portmann (1995, S. 60/61) meinen, dass bei der Zurückweisung der Triebtheorie nicht übersehen werden sollte, dass Zerstören, Beschädigen, verbale und körperliche Aggressionsakte in vielen Fällen Lust, Entspannung und Befriedigung verschaffen. Man solle keine Aggressionstriebe unterstellen, um dies zu erklären, dürfe aber endogene Spannungszustände nicht leugnen. “Alle empirischen Befunde sprechen jedoch dafür, dass sich durch ‘Ausleben‘ von Aggression dieselbe steigert, da ein ungünstiger Prozess der Selbstverstärkung einsetzt. So wird die Spannungsabfuhr als angenehm erlebt, weil der Ärger verschwindet. Folgerichtig wird ein Kind immer häufiger zu diesem Mittel greifen, da es immer ausgedehnter das angenehme Gefühl erleben möchte. Dies bedeutet nicht, dass man die Kinder in ihrer aggressiven Spannung belassen soll, vielmehr wird nur ein Spannungsabbau durch das Ausleben von Aggression abgelehnt“ (Petermann & Petermann, 2001, S. 103). Inhaltlich könne trainiert werden, spontane aggressive Impulse zu kanalisieren bzw. umzuwandeln. Auch solle den Schülern Raum für ihr Aktivitätsbedürfnis gegeben werden, damit sie so emotionale Spannungszustände ausleben können. Dies könne durch gemeinsames Spiel und Sport erreicht werden, wobei Spielregeln, Gewohnheiten und Rituale eingeübt werden sollten, um die Grenzen des Spielerischen nicht zu überschreiten.

 

3.2  Die Aggressions- Frustrations- Theorie


 

Im Gegensatz zu den Triebtheorien entsteht Aggression nach der Frustrations-Aggressions-Theorie nicht spontan, sondern reaktiv auf störende, unangenehme Reize.

 

Die Frustrations-Aggressions-Theorie wurde 1939 von der sog. Yale-Gruppe (eine Forschergruppe bestehend aus Dollard, Doob, Miller, Mowrer und Gears) erstmals formuliert und beruhte ursprünglich im Wesentlichen auf zwei Annahmen:

 

1. Aggression ist immer eine Folge von Frustration.

2. Frustration führt immer zu einer Form von Aggression.

 

Der Frustrationsbegriff wurde ursprünglich eng definiert als eine Störung einer zielgerichteten Aktivität. Gemeint war dabei eine Frustrationssituation und nicht das Frustrationserlebnis (= die innere Folge auf die Verhinderung der Zielerreichung).

 

Diese Annahmen wurden aufgrund fehlender Belege bald modifiziert. “Frustration er-zeuge, so hieß es dann, Anreize für verschiedene Verhaltensweisen – einer dieser Reize führe stets zur Aggression. Frustration erhöhe also die Wahrscheinlichkeit von Aggression“ (Melzer et. al, 2004, S.57). Aggression wurde dann als eine (dominante) von vielen möglichen Reaktionstendenzen auf Frustration gesehen.

 

Seit 1964 untersuchte Leonard Berkowitz Bedingungen (‘aggressive Hinweisreize‘) der Frustration und der Aggression. Eine weitere Ausdifferenzierung hatte zur Folge, dass verschiedene Frustrationsformen unterschieden wurden:

 

 Hindernisfrustration: Eine ‘Barriere‘ stört eine zielbezogene Aktivität, wodurch die erwartete Erreichung bzw. Befriedigung des Ziels verhindert wird. Die Folge kann dann Misserfolg sein. “Insgesamt spricht jedoch wenig dafür, daß [sic] das bloße Scheitern an einer Barriere, der bloße Fehlschlag, ein durchschlagender Aggressionsfaktor ist“ (Nolting, 2004, S. 71).

 

 Provokation: Angriffe, Belästigungen und Obstruktionen (z. B. wird das Vor-drängeln eines anderen an der Supermarktkasse als Missachtung empfunden) stören nicht die Zielaktivität, sondern wirken aversiv auf den Menschen ein. Provokationen sind immer auf das empfundene Fehlverhalten anderer Personen zurückzuführen und können sich in psychischen (z. B. Beleidigung) oder physischen Angriffen (z.B. Anrempeln) ausdrücken.

 

Provokationen scheinen eine große Rolle innerhalb der Frustrations-Aggressions-Theorie zu spielen. Entscheidend ist, dass das Ereignis subjektiv auch tatsächlich als solche empfunden wird.

 

 Physische Stressoren wie Hitze, Lärm, schlechte Luft und Menschengedränge können als unangenehm empfunden werden und können so die Aggressions-bereitschaft fördern. Viele äußere aversive Bedingungen können offenbar aggres-sives Verhalten erleichtern, haben aber nicht dasselbe Gewicht wie die zuvor erörterten Provokationen.

 

Aggressionen als Folge einer Frustration erfüllen den Zweck, das ursprünglich angestrebte Handlungsziel mit verstärktem Energieeinsatz zu erreichen (vgl. Merkens, 1993, S.14). Das Ausmaß aggressiver Reaktionen wird durch belastende Vorer-fahrungen, Dauer und Intensität der Frustration, die individuelle Frustrationstoleranz sowie durch Vermeidungs- und Ausgleichsmöglichkeiten mitbestimmt. Auch narzis-tische Bedürfnisse und überhöhte Anforderungen können der Frustrations-Aggressions-Theorie zu Folge aggressionsbegünstigend wirken.

 

Im Gegensatz zu den Triebtheorien konnte die Frustrations-Aggressions-Theorie empirisch durchaus belegt werden. Die eingangs erwähnten Annahmen erwiesen sich jedoch als zu eng gefasst. Nach heutiger Auffassung mussten also zwangsläufig einsetzende Frustrations-Aggressionsabfolgen abgelehnt werden. “Als konsensfähig gilt heute, dass ein frustrierendes Erlebnis außer Aggression auch konstruktive Reaktion oder Ausweichen, Resignation, Selbstbetäubung (z. B. durch Alkohol) oder andere Reaktionen nach sich ziehen kann und dass eine aggressive Reaktion nur unter bestimmten Bedingungen wahrscheinlich ist, z. B. wenn das Ereignis als „ärgerlich“ bewertet wird, wenn die Person dies als Verhaltensgewohnheit gelernt hat oder wenn sie keine Aggressionshemmung empfindet. Frustrationen führen also nicht immer automatisch zu Aggression. Umgekehrt ist nicht jede Aggression auf Frustration zurückzuführen (z. B.  bei Raubmord, Kriegshandlungen)“ (Melzer et.al, 2004, S. 59).

 

Nach Melzer et.al (2004, S.59) kommt der Frustrations-Aggressions-Theorie bei der Erklärung von Aggression und Gewalt an Schulen ein hoher Stellenwert zu. “Schule ist für Kinder und Jugendliche eine der Hauptquellen für Frustrationen. Diese Frustrationen müssen “zivilisiert“ und “kultiviert“ werden, was zumindest einem Teil der Schüler-schaft...

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