Der Begriff Automobilmarkt bezeichnet im Folgenden den Markt für Neuwagen. Dieser Schwerpunkt wurde gewählt, weil der Verkauf eines fabrikneuen Fahrzeuges gewissermaßen den Motor des Automobilmarktes darstellt. Erst durch den Neuwagenverkauf werden eine ganze Reihe weiterer wirtschaftlicher Aktivitäten ausgelöst, die dem Neuwagenverkauf teilweise vorgelagert (upstream), teilweise nachgelagert (downstream) sind. Downstream-Aktivitäten umfassen die Bereiche Absatzförderung, Versicherung, Ersatzteilverkauf sowie Kundendienstleistungen (vgl. Abschnitt 5.1.2). Diese Arbeit fokussiert im Folgenden den Neuwagenverkauf und die nachgelagerten Aktivitäten.
Das Automobil weist als langlebiges Konsumgut eine Reihe von Besonderheiten auf, die es aus dem Kreis der anderen Konsumgüter deutlich heraushebt. Dies führt zu einigen Besonderheiten im Kaufverhalten. Der Automobilkauf kann dabei nach dem Käuferverhalten und dem Typ des zugrunde liegenden Produktes charakterisiert werden.
Die Typologisierung des Käuferverhaltens[33] erfolgt anhand von zwei Kriterien. Nach dem Grad der Kollektivität unterscheidet man individuelle Entscheidungen sowie Entscheidungen von Familien oder familienähnlichen Gemeinschaften. Nach dem Grad der Rationalität werden Impulskäufe, Wiederholungskäufe und Entscheidungskäufe differenziert. Bei Entscheidungskäufen kann weiter zwischen extensiven und limitierten Kaufentscheidungen unterschieden werden.[34]
Im Rahmen der Produkttypologisierung sind zwei Besonderheiten entscheidend. Zum einen handelt es sich beim Automobilkauf um einen High-Involvement-Kauf (vgl. Abschnitt 2.2.1). Zum anderen ergeben sich aus informationsökonomischer Sicht[35] Besonderheiten bezüglich der Produkteigenschaften. Es wird hierbei zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften unterschieden.[36]
Das Automobil verfügt sowohl über Sucheigenschaften (z.B. Raumangebot, Ausstattung), Erfahrungseigenschaften (z.B. Zuverlässigkeit, Verbrauch) als auch Vertrauenseigenschaften (z.B. Sicherheit). Eine eindeutige Zuordnung zu einer der genannten Produkttypologien ist somit nicht möglich.[37] Durch technische Sicherheitsstandards und Garantiezusagen der Hersteller ist davon auszugehen, dass sich der Automobilkauf in einem Kontinuum zwischen Such- und Erfahrungskauf bewegt.[38]
Aus der Typologisierung des Automobils als High-Involvement-Produkt mit ausgeprägten Such- und Erfahrungseigenschaften folgt, dass der Automobilkauf durch einen hohen Kollektivitäts- und Rationalitätsgrad gekennzeichnet ist.[39] Diese Tatsache hat vor allem Auswirkungen auf die Ansprache der Kunden durch ausländische Automobilhersteller (vgl. Abschnitt 5.4).
Das Käuferverhalten im Automobilmarkt wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die teils aus externen Rahmenbedingungen, teils aus marketingtechnisch steuerbaren Variablen bestehen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die relevanten Einflussfaktoren. Auf die globalen Bestimmungsfaktoren wird im Rahmen der strategischen Situationsanalyse in Kapitel 3 eingegangen, Kapitel 4 hingegen vertieft die spezifischen Bestimmungsfaktoren.
Tabelle 1: Bestimmungsfaktoren des Kaufverhaltens
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Trommsdorff (1993)
Um das Kaufverhalten im Speziellen zu charakterisieren, wird im Folgenden auf die wesentlichen Merkmale der Automobilkaufentscheidung eingegangen. Ein wesentliches Merkmal ist das hohe Involvement.[40] Mit dem Kauf eines Automobils ist eine hohe finanzielle Belastung verbunden, die kurzfristig nicht reversibel ist. Daraus folgt ein großes wahrgenommenes Kaufrisiko, das den Automobilkauf zu einem High-Involvement-Kauf macht.[41]
Eine weitere aus psychologischer Sicht wichtige Besonderheit des Kaufverhaltens bei Automobilen ist die Tatsache, dass das Automobil sehr viele Motive beim Konsumenten anspricht. Bei einem Motiv handelt es sich im Gegensatz zu einer Emotion um ein auf ein bestimmtes Objekt gerichtetes Bedürfnis, dessen Befriedigung angestrebt wird.[42]
Anhand der maslowschen Bedürfnispyramide werden Motive anhand von fünf aufeinander aufbauenden Bedürfnisebenen klassifiziert (vgl. Abbildung 1).[43]
Abbildung 1: Motivstruktur der Automobilkaufentscheidung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bösenberg (1987)
Die Vielzahl der Motive, die beim Kauf eines Automobils wirksam werden, ist ein wesentlicher Grund für die hohe Bedeutung des Automobilkaufs im Konsumsystem der Verbraucher.[44]
Ein weiteres für das Kaufverhalten wesentliches psychisches Konstrukt als Ergebnis von Lernvorgängen[45] stellen schließlich Einstellungen dar. Unter Einstellungen versteht man die Bereitschaft zur konsistent positiven oder negativen Bewertung von Produkten und Dienstleistungen. Unter Image ist die Gesamtheit aller Einstellungen zu verstehen, die Menschen mit einem bestimmten Gegenstand verbinden.[46] Aufgrund der Kaufentscheidungsrelevanz sind die Einstellungen und das Image in einer ganz besonderen Weise Gegenstand marketingpolitischer Aktivitäten. Die Beeinflussung dieser beiden Konstrukte stellt einen Schwerpunkt im Rahmen des Marketing ausländischer Automobilhersteller dar und wird in Kapitel 5 erneut aufgegriffen.
Neben psychischen Determinanten haben auch soziale Bestimmungsfaktoren einen großen Einfluss auf das Käuferverhalten. Dazu zählen allgemeine sozio-kulturelle Einflüsse[47], vor allem Werte und Normen. Werte sind innere Steuerungsgrößen für das Handeln von Menschen. Normen hingegen stellen verbindliche Handlungsregeln für das Leben in der Gemeinschaft dar.
In der chinesischen Kultur kommt den Werten und Normen eine besondere Bedeutung zu. Dabei hat die traditionelle Prägung der Gesellschaft maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten der Konsumenten. Durch den wirtschaftlichen Umbruch (vgl. Abschnitt 3.1.1) ist allerdings ein Wandel der Werte und Normen zu verzeichnen. Für die Marketingaktivitäten ist die Berücksichtigung dieses Einflussfaktors daher von großer Wichtigkeit (vgl. Abschnitt 3.3).
Neben psychischen und sozialen Faktoren wird das individuelle Kaufverhalten bei einem hochpreisigen Produkt wie dem Automobil auch durch ökonomische Faktoren beeinflusst. Den größten Einflussfaktor stellt hierbei das verfügbare Einkommen dar. Vor dem Hintergrund des Entwicklungsstadiums und der Wohlstandsentwicklung kommt diesem Faktor in China ein hoher Stellenwert zu. Insbesondere die stark begrenzte Verfügbarkeit finanzieller Mittel übt einen großen Einfluss bei der Entscheidung zur Anschaffung eines Automobils aus. Daraus resultiert wiederum eine starke Abhängigkeit der Automobilmarktentwicklung von den ökonomischen Rahmenbedingungen. Auf diese Problematik wird im zweiten Teil dieser Arbeit näher eingegangen werden (vgl. Abschnitt 3.2).
Die Kaufentscheidung für ein Automobil ist ein dynamischer Prozess. Für den Einsatz der Marketinginstrumente ist es daher entscheidend, welche Bestimmungsfaktoren das Kaufverhalten grundsätzlich beeinflussen und wie Kaufentscheidungen im zeitlichen Ablauf erfolgen. Die Effizienz der Marktbearbeitung hängt wesentlich davon ab, dass der Käufer zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Instrumenten angesprochen wird.
Der Ablauf des Kaufentscheidungsprozesses bei Automobilen gliedert sich in drei Phasen: Informationsphase, Kaufentscheidungsphase und Nachkaufphase (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Ablauf der Automobilkaufentscheidung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Motor Presse Stuttgart (1999)
Die Informationsphase kann in einen passiven und einen aktiven Teil gegliedert werden. Der passive Teil kann nach Unger auch als Phase der Bedürfnisweckung bezeichnet werden und umfasst den relativ schwer bestimmbaren Zeitraum zwischen den ersten Überlegungen zum Kauf und dem Auftreten einer konkreten Bedarfssituation.[48] Nach Auftreten...