Ein so vielschichtiger Begriff wie die Strafe ist schwerlich in eine einzige Definition zu stecken. Im Laufe dieses Kapitels möchte ich mich auf mehrere Definitionsansätze beziehen. Laut Reble gehört die Strafe
„zu den negativen Einwirkungen des Menschen. Mindestens etwas an ihm wird negiert, eine bestimmte Handlung mit ihren Folgen, bestimmte Motive einer Handlung, eventuell seiner ganzen Haltung. Etwas, was in ihm ist, soll nicht sein, wird angerechnet und verurteilt, soll gesühnt und geändert werden“ (Reble, 1980, S.20)
Strafe gibt es sowohl im Rechtswesen als auch in der Erziehung. Dabei gibt es fünf grundlegende Momente, die beide gemein haben.
Im Allgemeinen liegt der Grund der Strafe in der Verfehlung eines Gebots oder einer Norm, die von einer Autorität gesetzt und von der zu Bestrafenden verletzt wird. Maßgeblich ist, dass das Gebot erfüllbar ist. Nur so kann man der zu Bestrafenden eine gewisse Schuld zuweisen, dadurch kann man dem Gebot Respekt verschaffen. Das Gefühl der Angemessenheit einer Strafe spielt dabei stets eine wichtige Rolle, denn nur so kann Strafe die vor ihr bestehende Beziehung zwischen Strafender und Bestraften wiederherstellen (vgl. Reble, 1980, S.12f.).
Rombach (1967) führt eine, meines Erachtens, sehr treffende Definition von Strafe auf.
„Strafe besagt, zufügen eines fühlbaren Nachteils um eines geschehenen Unrechts willen. Das Strafgeschehen richtet sich gewöhnlich gegen die Gefühls- oder Antriebssphäre des Delinquenten und beantwortet sein Unrecht mit einer Beeinträchtigung, die ihn in relativ elementarer Erlebnissphäre trifft.“ (Rombach, 1967, S.3)
Eine dritte Begriffsklärung liefert Geißler (1982), er kommt zu der Schlussfolgerung, dass Strafe keineswegs ein festgelegter Begriff ist, sondern vielmehr eine Bezeichnung der Sachverhalte, die man genau unterscheiden sollte.
Zum einen hat er von Strafe ein moralisches Verständnis, das im Zusammenhang mit Sühne und Gewissen steht, zum anderen kann eine Erziehungsmaßnahme auch als Lenkungsmittel zu verstehen sein. Strafe ist in diesem Zusammenhang zum größten Teil anpassungsorientiert und kann sowohl absichtlich auftreten, als auch die natürliche Folge einer Handlung sein (vgl. Geißler, 1982, S.149f).
Im ersten Fall handelt es sich um das moralische Verständnis von Strafe.
In diesem Sachverhalt werden zwei Variabeln, die Täterin und die Schuld, vorausgesetzt. Die Strafe ist hierbei die Folge auf die täterbezogene Schuld, diese schränkt sie ein, und löst somit das so genannte Strafleid aus (vgl. Geißler, 1982, S.149). Durch dieses Leid soll entweder ein Anderes „vergolten“ werden, das die Täterin durch ihre Tat hervorgerufen hat, oder es soll Andere, wie auch die Gestrafte vor Norm- und Gebotsverletzungen warnen. Des Weiteren soll es die Bestrafte besinnen und „verbessern“( vgl. Geißler, 1982, S.153).
Versteht man Strafe hingegen als „gewohnheitsbildendes Lenkungsmittel“ (Geißler, 1982, S.150), so wird Strafe zu einen Reglement, welches bei Regelverstößen eine festgelegte Konsequenz nach sich zieht. Diese können bei der Heranwachsenden Unlust hervorrufen. Typisch für diese Form sind, die so genannten „Wenn…, dann…!“-Beziehungen (vgl. Geißler, 1982, S.151).
Folgendes Beispiel hat sich in einer meiner „Testschulen“ ereignet.
Die Kinder waren aufgeregt, weil jeden Moment das Signal zur Hofpause ertönen würde. Sie sollten sich, bevor sie das Klassenzimmer verlassen durften, in Zweierreihen aufstellen. Es ging wild durcheinander und es wurde auch laut. Die Lehrerin sagte: „Wenn ihr jetzt nicht sofort ruhig seid, dann bleibt ihr im Klassenraum!“ Alle Kinder verstummten augenblicklich.
Ähnlich sind „natürliche Strafen“ anzusehen. Sie sind eine Konsequenz auf die Handlung der Täterin und bezieht sich direkt auf das nicht genormte Verhalten. Geißler nennt diese Konsequenz eine mit der „Handlung verbundene unangenehme Erfahrung“ (Geißler, 1982, S.151). Es handelt sich hierbei nicht um eine direkte Strafe, sondern um eine Reaktion, die sich aus der Handlung ergibt (vgl. Geißler, 1982, S.150f).
Ein Beispiel:
Spielt ein Kind zu unumsichtig mit einem Spielzeugauto und rennt damit durch die ganze Wohnung, so könnte es eine natürliche Folge sein, dass es stürzt oder sich irgendwann den Kopf stößt.
Die bereits erwähnten Grundzüge von Strafe finden wir auch im Bereich der Erziehungsmittel wieder. Sie wird dort im Rahmen der gegenwirkenden Maßnahmen erwähnt. Unter Gegenwirkungen versteht man den „Widerstand der Erzieher gegen Einflüsse, die sie für schlecht und schädlich halten; und ihr Widerstand gegen die Neigung des Kindes, sich solchen Einflüssen zu überlassen oder sich den nötigen Anforderungen zu entziehen“ (Flitner, 2000, S.98).
Die Aspekte des fühlbaren Nachteils, der Unlust und der unangenehmen Erfahrung findet man auch hier. Betrachtet man die Wirkungsweise von Strafe, dann kann man feststellen, dass sie einerseits ihre Wirkung durch Leid oder Furcht erzielt, was aber eher kritisch, wenn nicht sogar problematisch zu sehen ist. Andererseits kann Strafe aber auch durch den Entzug von Privilegien wirken. Diese gegenwirkenden Maßnahmen, die etwas Negatives beseitigen wollen, können sich in den verschiedenen Formen darstellen. Beispiele wären das unmittelbare Ansprechen des Positiven als Gegenkraft, sowie das Ablenken, Ermahnen, Appellieren sowie Übersehen des Negativen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Gedanke, wenn Strafe erzieherisch wirken soll, dann müsste sie auch die Täterin ändern, sodass sie danach keine Regeln mehr verletzen möchte, und zwar aus selbst gewonnener Einsicht und nicht aus Furcht (vgl. Geißler, 1982, S. 153). Dieser Gedanke ist, auf Grund einer „immer noch weitverbreiteten Meinung“ (Geißler, 1982, S.160), wichtig, „daß man mit Strafen unmittelbar erziehen könne, während mit ihnen meist nur eine zeitweilige, äußerlich verursachte Disziplinierung erreicht wird “ (Geißler, 1982, S.160). Hiermit weist Geißler (1982) auf eine wichtige Unterscheidung hin, den Unterschied zwischen Disziplinar- und Erziehungsstrafe. Wie schon im Kapitel 2.2.3 erwähnt, handelt es sich bei der Disziplinierung um eine Vorstufe der Erziehung. Langeveld bezeichnet die Disziplinarstrafe als ein „vorbereitendes Erziehungsmittel“ (Langeveld in Geißler, 1982, S.160). Kann man denn sicher sein, dass Disziplinierungen der Erziehung vorbereitend helfen?
Im Rahmen der Diskussion um Mittel-Zweck-Relation (Kapitel 2.1), wurde auch zur Sprache gebracht, dass Erziehungsmittel eine „Selbstständigkeit“ besitzen. Somit kann man nicht kalkulieren, ob sie ihren Zweck erfüllen. Geißler (1982) formuliert sogar einen deutlichen Gegensatz zwischen den beiden Strafformen, denn „Was einer Disziplinierung nützt, muß nicht gleichzeitig der Erziehung zuträglich sein“ (Geißler, 1982, S.161).
Diese Form der Strafe bereitet den Raum vor, in dem Erziehung stattfinden soll. Sie erhält eine pädagogische Funktion, da ohne ein gewisses Minimum an verordnetem Verhalten kein geregelter Lern – und Erziehungsprozess in der Schule und auch nicht im Elternhaus stattfinden kann. Die Disziplinarstrafe hat somit eine erzieherische Bedeutung, denn sie stellt eine grundlegende Ordnung her, ohne die Erziehung gar nicht erst zustande kommen kann.
Dieses Schaubild kann uns über den systematischen Ort der Disziplinierung Aufschluss geben:
Abb.3:Erziehung (Geißler, 1982, S.161)
Dieses Schaubild zeigt zwei Betrachtungsweisen von Erziehung. Zum einen die umfassende Sichtweise, die alle drei Bausteine zur Selbständigkeit und Mündigkeit umfasst. In dieser Betrachtungsweise wird die Disziplinierung mit in die drei Erziehungsphasen eingeschlossen. Das zweite Verständnis von Erziehungen ist ein eher differenziertes. Es verdeutlicht die Sichtweise von Geißler, denn Disziplinierung ist hier zuständig für eine „Voranpassung für Erziehung“ (Geißler, 1982, S.161). Diese Betrachtungsweise besteht aus zwei Phasen, die der Vorbereitung und die der Durchführung, dessen Ziel die „Bildung“ (Geißler, 1982, S.161) ist.
Beide hier verdeutlichten Sichtweisen haben ihre Vor- und Nachteile. Wenn man zum Beispiel den Erziehungsbegriff ausweitet, so wie in der ersten Betrachtungsweise, dann verliert er an Schärfe. Die Disziplinierte erscheint dann als bereits erzogen, was, wie bereits im Kapitel 2.3 erwähnt, ein Trugschluss ist und sich somit als negativ auf die weitere Erziehung auswirken könnte (vgl. Geißler, 1982, S.161f). Geißler (1982) nennt drei Einwände, um die Bedeutsamkeit der Unterscheidung zwischen einem umfassenden und differenzierten Blickwinkel zu...