An einer Behandlung in einem Krankenhaus sind verschiedene Akteure direkt oder indirekt beteiligt und haben jeweils ihren eigenen Blickwinkel auf dabei möglicherweise auftretende Fehler. Abbildung 3 stellt eine vereinfachte Grundstruktur der Krankenhausversorgung anhand der beteiligten Akteure in ihrer Funktion dar.
Abbildung 3: Akteure im Regelkreis der stationären Krankenhausversorgung
(basierend auf Simon, 2005, Abbildung 31, S. 226)
Allgemein gilt für die Sozialversicherungen, dass innerhalb eines staatlich vorgegebenen Rahmens die Leistungserbringung und Finanzierung in einem Dreiecksverhältnis zwischen Kostenträger, Leistungsempfänger und Leistungserbringer erfolgt (Simon, 2005, S. 79). In der Abbildung 3 sind diesen drei abstrakten Akteuren (in der Abbildung hell unterlegt) jeweils die konkreten Akteure (dunkel unterlegt) für den Fall der stationären Krankenhausversorgung zugeordnet. Beim Leistungserbringer lässt sich zum einen der die Leistung direkt ausführende Mitarbeiter (individuelle Ebene) und zum anderen der Krankenhausbetrieb als Gesamtorganisation (institutionelle Ebene) betrachten. Beide sind über arbeitsrechtliche Regelungen miteinander verbunden. Der eigentliche Leistungsempfänger ist der Patient, seine Angehörigen nehmen aber für Teilbereiche oft eine Vertreterrolle ein und ihre Sicht wird deshalb zusammen mit der Patientenperspektive abgehandelt. Als Kostenträger für Gesundheitsausgaben treten hauptsächlich die Gesetzlichen Krankenkassen in Erscheinung (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2005), die Besonderheiten der anderen möglichen Kostenträger werden in der Analyse weitgehend vernachlässigt.
Vereinfachend lassen sich die Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren folgendermaßen charakterisieren (Simon, 2005, S. 225-226):
Der Staat räumt den Patienten generelle Rechte ein und macht den Krankenhäusern und Krankenkassen jeweils bestimmte Vorgaben über die zu gewährleistende Versorgung.
Der Patient hat gegenüber dem Krankenhaus einen Leistungsanspruch und erhält von den Mitarbeitern eine Behandlung. Als Versicherter zahlt er Beiträge an die Krankenkasse und erhält dafür einen Krankenversicherungsschutz.
Die Krankenkassen verhandeln mit den Krankenhäusern über Art und Umfang der Leistungen und überprüfen deren Qualität. Die beiden Akteure vereinbaren Fallzahlen und Fallpauschalen, die dem Krankenhaus von den Krankenkassen vergütet werden.
Nachdem die beteiligten Akteure und ihre Beziehungen zueinander grob skizziert worden sind, wird nun die Bedeutung von Fehlern und dem Fehlermanagement aus der jeweiligen Perspektive betrachtet.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1949/2002) gewährt in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 generell jedem Menschen im Krankenhaus das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Kommt es im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes zu einem Behandlungsfehler (vgl. Abschnitt 2.1), der körperliche Schäden oder Tod verursacht, so sind neben zivilrechtlichen (vgl. Abschnitt 3.6) auch strafrechtliche Konsequenzen möglich. Strafrechtlich relevant können hier vor allem die §§ 218 – 229 Strafgesetzbuch (1998/2006) als Straftaten gegen das Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit sein.
Jenseits von Behandlungsfehlern können allgemein Fehler im Betriebsablauf aber auch zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten in Bezug auf weitere Gesetze wie bspw. dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (1994/2005) oder dem Bundesdatenschutzgesetz (2003/2005) führen.
Aus staatlicher Sicht gibt es keine Vorgaben für die Einführung eines allgemeinen Fehlermeldesystems in Krankenhäusern. Lediglich für den Bereich der Medizinprodukte ist nach § 29 Abs. 1 Gesetz über Medizinprodukte (2002/2003) ein Meldesystem für Funktionsstörungen festgeschrieben.
Der Staat erwartet damit, dass die Rechte seiner Bürger auch im Krankenhaus gewahrt bleiben und kann auch unter bestimmten Voraussetzungen dort vorkommende Fehler sanktionieren. Spezielle Vorgaben an die Gesundheitseinrichtungen werden großteils über die Krankenkassen weitergegeben und im Abschnitt 3.3 betrachtet.
Neben dem Schutz der Rechte seiner Bürger hat der Staat aber auch noch aus volkswirtschaftlichen Gründen ein Interesse an der Vermeidung von Fehlern in der Gesundheitsversorgung. Hansis & Hart (2001) halten fest, dass „jede Komplikation einer ärztlichen Behandlung – ob fehlerhaft oder nicht-fehlerhaft bedingt – … zu zusätzlichen Krankheitskosten, Rentenzahlungen, Arbeitsausfällen etc.“ (S. 7) führt.
Für Deutschland liegen hierzu leider keine gesicherten Daten vor, Schätzungen sprechen von 40.000 Behandlungsfehlervorwürfen pro Jahr mit steigender Tendenz (Hansis & Hart, 2001, S. 6), von einer hohen Dunkelziffer wird ausgegangen (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, 2003, S. 57).
Umfassendere Studien existieren aber zu den Verhältnissen in anderen, mit Deutschland weitgehend vergleichbaren Staaten.
In der ‚Harvard Medical Practice Study‘ (Brennan et al., 1991) kam es nach Aktendurchsicht bei 3,7 % der stationären Aufenthalte in nicht-psychiatrischen Akutkrankenhäusern zu unerwünschten Ereignissen. Obwohl damit verbundenen Schäden zu 70 % nicht länger als sechs Monate andauerten, blieben sie zu 2,6 % permanent bestehen oder führten in 13,6 % der Fälle sogar zum Tod.
Eine weitere in den USA durchgeführte Studie (Thomas et al., 2000, zitiert nach Kohn, 2000, S. 1) fand eine Inzidenzrate von 2,9 %, von diesen unerwünschten Ereignisse verliefen wiederum 6,6 % tödlich.
Bei beiden Studien wurden über 50 % der Fälle als vermeidbar angesehen. Diese Zahlen wurden von Kohn et al. (2000) für die gesamte USA hochgerechnet und die Autoren kommen so zu dem Ergebnis, dass dort jedes Jahr 44.000 bis 98.000 Menschen an den Folgen medizinischer Behandlungsfehler sterben[4] – damit wäre dies die achthäufigste Todesursache (S. 26). Die dadurch verursachten nationalen Gesamtkosten werden von den Kohn et al. auf jährlich 17 bis 29 Milliarden US-Dollar geschätzt (S. 27). Wären die Untersuchungsergebnisse direkt auf Deutschland übertragbar, so ergäben sich „zwischen 31.600 und 83.000 Todesfälle aufgrund unerwünschter Folgen medizinischer Interventionen in Krankenhäusern“ (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, 2003, S. 57). Dies wäre eine größere Anzahl als die durch Brustkrebs oder Verkehrsunfälle verursachten Todesfälle.
Ähnliche oder teilweise deutlich höhere Inzidenzraten für unerwünschte Ereignisse konnten auch in anderen Ländern nachgewiesen werden, zusammenfassend siehe hierzu Abbildung 4.
Abbildung 4: Unerwünschte Ereignisse bei Krankenhausbehandlungen
(basierend auf Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, 2003, Tabelle 1, S. 58, ergänzt durch Kohn et al., 2000, S. 26 und Baker et al., 2004, S. 1678)
Damit lassen sich zwar für Deutschland keine konkreten Kosten beziffern, allerdings wird deutlich, dass unerwünschte Ereignisse in Krankenhäusern von volkswirtschaftlicher Bedeutung sind.
Die Gesetzlichen Krankenkassen sind als mittelbare Staatsverwaltung und Instrument des Staates zu sehen, deren Hauptaufgabe im Vollzug einer detaillierten Sozialgesetzgebung besteht (Simon, 2005, S. 98).
Nach § 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) (1988/2006) hat die Krankenversicherung die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern. Damit liegt es auch in ihrem Interesse, dass Menschen im Krankenhaus möglichst keine Verletzungen durch Fehler irgendeiner Art erleiden.
Das Vorhandensein eines Fehlermanagements ist gesetzlich zwar nicht gefordert, allerdings wird die Gewährleistung der Versorgung nach dem medizinischen Erkenntnisstand, in fachlich gebotener Qualität und wirtschaftlicher Weise gefordert (§ 70 Abs. 1 SGB V, 1988/2006). Dieser Anforderung ist ohne ein funktionierendes Fehlermanagement nur schwer zu entsprechen. Kommt ein Krankenhaus nicht seiner Verpflichtung zur Qualitätssicherung nach, so sind Abschläge auf die von den Krankenkassen gezahlten Vergütungen möglich (§ 137 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, 1988/2006).
Die Interessen anderer möglicher Kostenträger sind vergleichbar. An dieser Stelle sei nur die Gesetzliche Unfallversicherung erwähnt, die teilweise ähnliche Ziele verfolgt (§ 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung –, 1996/2006). Sie ist dabei nicht nur...