Durch die existenzbedrohenden Erfahrungen, die die Menschen im Ersten Weltkrieg machen müssen, durch den Zusammenbruch des Kaiserreiches und den Beginn der Weimarer Republik, entsteht eine Situation des politischen Umbruchs, die besonders für Frauen Auswirkungen hat. Sie bekommen eine, durch die Verfassung eingeräumte, grundsätzliche Gleichberechtigung und erhalten zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht. Mit dem neuen Arbeitsmarkt ergeben sich für die Frauen ungeahnte Möglichkeiten, es erschließen sich neue Berufsfelder und für viele ergeben sich verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten.[1] Trotz der neuen Möglichkeiten zur weiblichen Selbstständigkeit wird die Ehe von einem Großteil der Frauen noch immer „als die beste Möglichkeit der Lebensgestaltung“[2] angesehen. Dies geht mit der Hoffnung einher, in der Ehe materiell und sozial besser gestellt zu sein. Doch verliert die Frau in einer Ehe an persönlichen Rechten, denn sie ist wirtschaftlich von ihrem Mann abhängig, braucht die Zustimmung des Mannes zur Ausübung eines Berufes und ebenso zur Eröffnung eines neuen Kontos.[3] Es entsteht die Forderung nach einer neuen Ethik, „die eine liberalere und vor allem positive Einstellung zur Sexualität nach sich ziehen“[4] soll. Hierdurch soll eine neue Grundlage im Geschlechterverhältnis entstehen, die zu einer neuen persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit der Frau beitragen soll. Die Frau soll von der meinungslosen, untergebenen Gefährtin des Mannes zu einer modernen, selbstständigen Frau werden, die gerade auch in der Ehe ihrem Mann gleichberechtigt ist. Im 20. Jahrhundert kommt es dann zu einem grundlegenden Wandel. Zur industriellen und technologischen Revolution hinzukommend, findet eine Umgestaltung der Gesellschaft statt, und als Folge des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses tritt ein verändertes Rollenverständnis der Geschlechter ein.
Aus den korsettgeschnürten, zerbrechlich wirkenden Frauen der Jahrhundertwende waren bis zur Mitte der Zwanziger Jahre sachlich gekleidete, sportlich wirkende Frauen geworden, die ein gänzlich verändertes Bild von Weiblichkeit und weiblichem Körper wiederzugeben schienen.[5]
Vor diesem Hintergrund des Umbruches, verbunden mit einer daraus resultierenden Aufbruchstimmung in vielen Bereichen, entfaltet sich das Schlagwort der ‚Neuen Frau’, das „noch heute als Synonym für das Frauenbild der zwanziger Jahre gilt.“[6]
Durch das Aufkommen von vielen neuen Massenmedien wie Rundfunk, Kino, Zeitschriften und Trivialliteratur erreicht das Schlagwort der ‚Neuen Frau’ sehr schnell eine große Verbreitung, besonders auch in Form von visualisierten Bildern der Frau.
Während der Diskurs der Neuen Frau vor dem Ersten Weltkrieg auf das sozio-kulturelle Umfeld der städtischen Künstlerbohème, die literarischen Zeitschriften der Moderne und die Publikationen der Frauenbewegung beschränkt bleibt, öffnet sich der Diskurs in der Weimarer Republik der zeitgenössischen Populärkultur. Hier werden die Bilder der neuen Frau in Filmen und Romanen, Schlagertexten und Fotoreportagen, auf der Bühne und auf Reklametafeln multipliziert.[7]
Festzuhalten ist, dass diese Entwicklungen von den Bildmedien nicht nur „widergespiegelt, sondern von diesen auch mit ausgeprägt“[8] werden.
Die 'Neue Frau' avanciert zu einem Synonym für Modernität. Sie spiegelt Freiheits- und Angstpotential des ambivalenten Prozesses der Modernisierung. Personifizieren die neuen Frauenbilder einerseits Zeitenwandel und Aufbruch, müssen sie andererseits auch dafür einstehen, dass eine gewisse 'Balance' zwischen Modernisierung und Tradition gewahrt bleibt.[9]
Ein wichtiges Thema in Bezug auf die Veränderung der Frau in den zwanziger Jahren ist das Thema Mode. Die Frauenkleidung erfährt in dieser Zeit eine große Wandlung. „Befreiung aus den Fesseln althergebrachter Moral und Lebensführung – was der Alltag den Frauen der Zwanziger nicht oder nur den wenigsten gewährt hat, das fand in Fragen der Frauenkleidung allerdings sehr viel weitgehender statt.“[10] Für den umpanzerten Körper der Frau, der vorher nur als „Vorzeigestück männlichen Besitzes“[11] dient, bricht nun eine neue Zeit, ohne Korsett und beengende Kleidung, an. Vor allem gibt es nun eine Mode, nicht nur für die oberen Klassen der Gesellschaft, sondern Mode wird zur Massenmode. Durch den technischen Fortschritt der Textilindustrie wird die Konfektionsmode geschaffen. Die preiswerte Massenware kann nun in den neu eingeführten Kaufhäusern erworben werden. Die vereinfachten Schnittmuster der Kleidung machen es für viele Frauen einfacher, sich die neue Mode zu Hause selbst zu nähen, da die Nähmaschine „im 20. Jahrhundert ihren selbstverständlichen Platz in immer mehr proletarischen, kleinbürgerlichen und bürgerlichen Stuben“[12] einnimmt. Das allgemeine Modebewusstsein, das in dieser Zeit aufkommt, wird unterstützt durch die neu aufkommenden Massenmedien, wie z. B. Modezeitschriften, die für eine weite Verbreitung der gerade aktuellen Mode sorgen.
Zu Kriegszeiten sind Stoffe für das normale Volk noch unerschwinglich, die alten Kleider müssen aufgetragen werden. Die Kleidung fällt sehr schlicht, mit möglichst wenig Material gestaltet, aus. Umso mehr Wert kommt der Mode in der Nachkriegszeit zu. Christiane Koch beschreibt in ihrem Aufsatz „Sachlich, Sportlich, Sinnlich. Frauenkleidung in den Zwanziger Jahren“ die Frauen als nicht die gleichen, die sie vor Kriegsbeginn sind. Viele Frauen müssen zur Kriegszeit in den Fabriken und Büros arbeiten und, anstatt wieder zu ihren Vorkriegsarbeiten zurückzukehren, bleiben viele von ihnen nach dem Krieg im Erwerbsleben. Dies hat auch Folgen für die Mode, denn plötzlich ist eine zweckmäßige Berufskleidung erforderlich. Zweiteiler und Kostüme, orientiert am Vorbild des Männeranzugs, werden immer beliebter.[13] Auch der Frauensport wird immer populärer, weshalb Bequemlichkeit einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt. Im Gegensatz hierzu fällt dem Anstand immer weniger Bedeutung zu. Ab 1920 wird das Schwimmen sehr modern, es dürfen nun auch nackte Arme und Beine gezeigt werden, etwas das zu vorigen Zeiten undenkbar gewesen wäre. Der Standard der vornehmen Blässe verschwindet zusehends mit dem häufigeren Aufenthalt der Frauen im Freien und auch die Hosenmode entwickelt sich langsam aber stetig. Der Sport repräsentiert
die Hektik und ‚Nervosität’ modernen Lebens. Er [bringt] den modernen Zeitgeist zum Ausdruck, der auch die Mode [kennzeichnet]. In dieser Konstellation bedeutet die Anerkennung des Sports in Anschluss an Baudelaire eine Aufwertung des Flüchtigen und Zufälligen, die für die großstädtische Kultur kennzeichnend ist.[14]
Nach Janina Nentwig wird die Sportlerin „[i]m intellektuellen Diskurs [...] zum Prototyp der Neuen Frau stilisiert“[15], deren „muskulöser, schlanker Körper“ sich schon rein äußerlich „vom Weiblichkeitsideal der Vorkriegszeit“ unterscheidet. Die Haarmode erfährt ebenfalls eine Veränderung. Mit dem Schlagwort der ‚Neuen Frau’ kommt die Kurzhaarfrisur.
Die Haarpracht fiel; keine romantisch verspielten Locken umrahmten mehr ein schüchternes blasses Mädchengesicht; frau trug die Haare kurz als glatten Bubikopf oder in kurzen Dauerwellen [...] Unisex, das optische Verschwimmen der Geschlechtergrenzen, die sich männlich-selbstbewußt gebende Frau, war überhaupt Trumpf![16]
Auch die Figurenmode ändert sich vom runden weiblichen Körper hin zum sportlich schlanken, mit kleinen Brüsten und schmalen Hüften. Das weibliche Schönheitsideal wechselt zum Herben, eher Scharfkantigen, mit starken Farben. Ein weiteres Symbol für ein neues Frauenideal ist das Rauchen, das nun auch in der Öffentlichkeit stattfindet und vorher ausschließlich ein Privileg des Mannes war. Besonders in der Öffentlichkeit des großstädtischen Lebens zeigt sich der neue Typ der Frau: „Lange mondäne Zigarettenspitzen in der Hand, die Lippen dunkelrot gezeichnet, ein kurzes Charlestonkleid mit wippenden Fransensäumen am Leib – eigentlich ein ‚Hauch von Nichts’ – so saß sie in oft fragwürdigen Lokalen und amüsierte sich.“[17] Die äußere, recht freizügige Erscheinung der ‚neuen’ Frauen entspricht den Vorstellungen einer frei ausgelebten Sexualität und somit auch einem ganz neuen Verständnis von Sexualmoral.
Für die ‚Neue Frau’ ist die Berufstätigkeit ein weiteres Mittel und eine große Chance zur Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit vom Mann, die in der Massenerscheinung der Angestellten ihren Höhepunkt findet.
Durch den Ersten Weltkrieg verlieren viele Frauen ihren Mann, weshalb sie allein stehend für sich und eventuell vorhandene Kinder sorgen müssen, um den Lebensunterhalt...