Frischs Roman Stiller von 1954 hatte zunächst vor allem bei der Kritik, später auch beim breiteren Publikum großen Erfolg. 1955 gab daher Max Frisch sein Architekturbüro auf und widmete sich vollends der Literatur.
Nach einer Entstehungszeit von etwa zwei Jahren erschien 1957 der Roman Homo faber. Mehrere Überarbeitungen[17] führten schließlich zu den zwei „Stationen”.[18]
Homo faber hatte im Gegensatz zu Stiller sofort nach seinem Erscheinen einen großen Verbreitungsgrad. Beide Romane behandeln ein Identitätsproblem, wobei Homo faber die „Frage, wieweit es einem Menschen gelingt, seine Identität in einer technisierten Welt zu bewahren oder wiederzufinden”[19], dem intimen privaten Identitätsproblem des Stiller gegenübersteht.
Homo faber ist durch eine Vielzahl von Schauplätzen durchaus als eine Art „Reiseroman” zu sehen. Die meisten dieser Orte bereiste Frisch selbst: Zweimal war er in den USA, er besuchte Griechenland, Mexiko, Kuba und unternahm sogar eine Schiffsreise über den Atlantik, allerdings von Neapel nach New York, nicht von New York nach Le Havre.[20]
Vorbilder für die Figuren des Romans, vor allem für Hanna und Sabeth, finden sich in Frischs Biographie. So spricht er von einer „jüdischen Braut” sowohl in einem Interview[21] als auch in seinem Spätwerk Montauk[22]:
„Die Braut aus Berlin (zur Hitler-Zeit) heißt nicht HANNA, sondern Käte, und sie gleichen sich überhaupt nicht. (...) Gemeinsam haben sie nur die historische Situation und in dieser Situation einen jungen Mann, der später über sein Verhalten nicht ins Klare kommt. (...) Sie ist meine erste Partnerin; wir wohnen nicht zusammen, aber wir treffen uns jeden Tag. Sie ist Studentin. (...) Sie möchte ein Kind, und das erschreckt mich; ich bin zu unfertig dazu, als Schreiber gescheitert und am Anfang einer anderen Berufslehre, um kein Taugenichts zu bleiben. (...) Dann bin ich bereit zu heiraten, damit sie in der Schweiz bleiben kann, und wir gehen ins Stadthaus Zürich, Zivilstandesamt, aber sie merkt es: Da ist nicht Liebe, die Kinder will, und das lehnt sie ab, nein das nicht.”[23]
Frisch bemüht sich um größtmögliche Glaubwürdigkeit beim Charakter Fabers: Da dieser als rationaler Techniker seinem Typ entsprechend Quellen für seine Meinungen angibt[24], hat Frisch sich eingehend mit wissenschaftlichen Titeln der Wahrscheinlichkeitslehre beschäftigt.[25]
In Frischs „Tagebuch 1946-1949” findet sich mancher Handlungsstrang des Homo faber schon angedacht: Ein Kurier trifft in Prag auf ein Mädchen, das ihn sehr anzieht. Als ihn das Gefühl überkommt, sie könnte sein Kind sein, beginnt er sie zu suchen. Nachdem er sie jedoch nicht findet, glaubt er, dem Mädchen sei etwas zugestoßen. Er begibt sich ins Leichenschauhaus. Auch dort findet er sie nicht, sondern die Leiche einer schwangeren Frau.[26]
Auch das Motiv des Zufalls ist im ersten Tagebuch Frischs schon vorhanden: „(...) der Zufall ganz allgemein: was uns zufällt ohne unsere Voraussicht, ohne unseren bewussten Willen.”[27]
Seit den sechziger Jahren lagen die Rechte für eine Verfilmung des Homo faber bei der Paramount. Mehrere namhafte Regisseure, darunter Wim Wenders, Bernhard Wicki und Luchino Visconti hatten sich schon für das Projekt interessiert. Aufgrund der Umsetzungsschwierigkeiten, die sich durch die immensen Kosten (authentische Darstellung der fünfziger Jahre, häufige Schauplatzwechsel...) aber vor allem auch durch das Inzest-Tabu ergaben, wurde das Projekt lange Zeit nicht verwirklicht. Auch Schlöndorff lehnte 1976 ab, als Charles Bluhdorn ihm diese Produktion antrug. Hierzu Schlöndorff:
„Ich hatte das Buch neu gelesen und fand es wunderschön und stark. Aber für mich war der Inzest ein solches Tabu, dass ich den Paramount-Leuten erklärt habe: Das ist unmöglich, das kann man auf der Leinwand auf gar keinen Fall darstellen. Außerdem war das 1976 oder 1977, ich hatte gerade „Katharina Blum” gemacht, ich hatte mich in den Kontroversen um Terroristen und Sympathisanten engagiert, ich war völlig aufs Gesellschaftliche eingeschworen.”[28]
Erst zwölf Jahre später nahm Schlöndorff das Projekt in Angriff. Er befand sich in einer persönlichen Krise und dachte darüber nach, „nach 30 Jahren beim Film (...) etwas Anständiges zu lernen”[29]. Zu diesem Zeitpunkt erschien ihm die Verwirklichung des Films Homo faber als „Ausweg aus der Krise”[30]. Schlöndorff setzte sich mit Frisch in Verbindung. Nach 30 Jahren waren die Verfilmungsrechte wieder dem Autor zugefallen, und dieser zeigte sich sehr interessiert:
„Es ist eigentlich gut, dass der Film erst jetzt gemacht wird, nachdem die Ideologien so gründlich erschüttert sind und man eigentlich wieder auf die existentialistische Haltung der fünfziger Jahre zurückgeworfen ist.”[31]
Es kommt zu einer regen Zusammenarbeit von Autor und Regisseur. Frisch beteiligt sich am Drehbuch, der Besetzung und schließlich sogar an der Montage. Frisch:
„Ich will nicht mehr wirklich schreiben, aber es interessiert mich. Schließlich bin ich Theatermann. Es interessiert mich mitzuarbeiten, am Aufbau dieser Sache und an den Dialogen.”[32]
Frisch plante auch seine Teilnahme an den Dreharbeiten. Leider erkrankte er aber bereits währenddessen. Er bekam noch den ersten Rohschnitt zu sehen und auch bei der ersten Vorführung des Films am 20.01.1991 war er zugegen. Zwei Tage nach dem Kinostart verstarb Frisch.
Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Mexiko, Frankreich, Italien und den USA. Einen beträchtlichen finanziellen und organisatorischen Aufwand bedeutete auch die authentische Darstellung der Handlung in den fünfziger Jahren. Allein das Flugzeug, die „Super–Constellation” in flugtüchtigem Zustand zu requirieren und sie dann im Wüstensand zu vergraben, war eine logistische Großleistung.[33]
Trotz seiner Internationalität, was die Produktion[34] und die Besetzung[35] anbetrifft, war der Film für den deutschsprachigen Markt bestimmt. Schlöndorff: „Die metaphysischen Dimensionen des Films und die Verletzung des Inzest-Tabus schließen einen finanziellen Erfolg in den Staaten aus.”[36] In den USA lief HOMO FABER unter dem Titel VOYAGER. Zum einen, weil man davon ausging, dass dieser Titel besser zur amerikanischen Vermarktung des Films als „Roadmovie” passen würde, und zum anderen, da man annahm, dass der durchschnittliche Amerikaner möglicherweise vom Titel HOMO FABER auf einen homoerotischen Aspekt geschlossen hätte.[37]
In Deutschland lief der Film unter dem Titel HOMO FABER; wohl auch aufgrund des hohen Verbreitungsgrades des Romans war er 19 Wochen ganz oben auf der Kinohitliste.
Von Seiten der Kritik wurde fast ausnahmslos die Reduzierung der Handlung auf die inzestuöse Liebesgeschichte und das Fehlen der zeitkritischen, mythologischen und philosophischen Dimensionen der Vorlage bemängelt. Frisch zeigte sich hingegen mit der Schlöndorffschen Arbeit zufrieden.[38]
Schlöndorff war klar, dass das Buch aus zwei Teilen besteht: Die Liebesgeschichte und „die ausführliche Auseinandersetzung mit Mittelamerika, dem Dschungel, mit Venezuela, mit Havanna, mit Kuba (...)“[39] stellen die zentralen Momente der Handlung dar.
Volker Schlöndorff gilt spätestens seit seiner Verfilmung von Die Blechtrommel (1979), die als erster deutscher Film seit 1929 einen Oscar erhielt, als „Literatur-Spezialist unter Deutschlands Regisseuren“[40]. Schon zuvor drehte Schlöndorff eine Reihe von Literaturverfilmungen: Der junge Törleß (1966), Michael Kohlhaas (1969), Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1975).
Schlöndorffs Einstellung zur Literaturverfilmung zeigt sich ambivalent: Zum einen sieht er die Literatur als Materialquelle. Ein Buch sei einem Drehbuch vorzuziehen, da es durch seine längere Erarbeitungszeit ein viel dichteres Diskursgeflecht erschaffen kann als ein Drehbuch, das in relativ kurzer Zeit entsteht:
„Ein Autor arbeitet ja doch meist an einem Buch jahrelang... Beim Drehbuchschreiben nimmt man an, acht Wochen, gut, sagen wir drei Monate, dabei kann nicht dasselbe rauskommen. Ich will damit nicht das Drehbuch disqualifizieren, ich sage nur, dass ich deshalb eher Literatur verfilme, weil ich...