2. Beratung als Basisqualifikation für in der Sozialen Arbeit Tätige
In diesem Unterpunkt soll noch einmal 143 kurz hervorgehoben werden, wieso Soziale Beratung immer notwendiger wird und warum Beratung mittlerweile als eine Art Basisqualifikation für in der Sozialen Arbeit Tätige anzusehen ist. Wie bereits näher beschrieben 144 , wird durch allgemeine Modernisierungsprozesse in der Gesellschaft der ,Postmoderne´, das Zurechtkommen im Alltag für eine wachsende Zahl von Menschen immer problematischer; besonders für die sog. ,Modernisierungsverlierer´ ist es keine Selbstverständlichkeit mehr. Normalität
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und Identität verschwimmen zunehmend und die wachsende Unübersichtlichkeit und Komplexität verunsichert bzw. überfordert Viele (s.o.). Ein weiteres hauptsächliches Problem, das vor allem die Soziale Beratung betrifft, die sich mehr als die anderen drei Disziplinen (Psychologische, Pädagogische und Psychosoziale Beratung) mit den materiellen Problemlagen beschäftigt, ist das der steigenden materiellen Armut. Belardi verweist darauf, dass etwa zehn Prozent der deutschen Bevölkerung arm seien, d.h. über weniger als 50% des deutschen Durchschnittseinkommens verfügen könnten. 145
Armut und die allgemeinen Tendenzen der Individualisierung und Pluralisierung, also beispielsweise die Abnahme traditioneller Bindungen, der Wertewandel, ungelungene Lebensentwürfe etc., würden verdeutlichen, warum es heute keinen einheitlichen Standard der Lebensbewältigung geben könne und zusätzliche Hilfen nötiger seien als zuvor. Diese Veränderungsprozesse hätten auch die ,Verberuflichung´ der Helfertätigkeit gefördert. Hilfsangebote sollten dabei für alle Altersgruppen, Lebensräume und Problemlagen zur Verfügung stehen und sich besonders den krisenanfälligen biographischen Übergängen zwischen den Lebensphasen widmen. „Angesichts der Vielfalt […] ‚kritischer Lebensereignisse` ist Beratung eine zentrale sozialpädagogische Tätigkeit geworden.“ 146
Genauso betont Hans Thiersch, dass Beratung eine Form sozialpädagogischen Handelns sei. Neben den allgemeinen Beratungen (z.B. Konsum- oder Rechtsberatung) würde Beratung auch in Feldern der Pädagogik und Sozialen Arbeit zunehmen. Als Verhandlung von Problemen im Medium von Gespräch und Freiwilligkeit würde sie immer wichtiger für moderne Soziale Arbeit, wo sie in formellen und in informellen Settings praktiziert werde. 147 Auch Thiersch ist der Auffassung, dass Soziale Beratung den Menschen helfen müsse, den Alltag in der komplexen ,Spätmoderne´ zu meistern. 148 Beratung als eine Form sozialpädagogischen Handelns bestimme sich in ihren allgemeinen Strukturen, als eine in Arbeitsphasen gegliederte Handlungsform, die auf Verhandlung basiere, strukturell asymmetrisch sei und auf die Eigentätigkeit der Menschen ziele 149 . Dabei definiere sich Beratung im Kontext der Aufgaben und
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Funktionen der Sozialen Arbeit, die im Widerspruch gesellschaftlicher Ziele als für die subjektiven 150 Lebens-, Lern- und parteilicher Anwalt Bewältigungsansprüche im Zeichen sozialer Gerechtigkeit agiere. Erst aus diesen allgemeinen Hintergründen würden sich die spezifischen Vorraussetzungen, Schwierigkeiten und Leistungen Sozialer Beratung herauskristallisieren können. 151
Ähnlich sieht dies auch Michael Beilmann 152 , der die Identität der Sozialen Arbeit als das klare Fundament ausmacht, aus dem etwas Spezielles wie Beratung bzw. ein Anforderungsprofil an sozialprofessionelle Beraterinnen abgeleitet werden könne, und Schulz-Wallenwein meint, dass die Frage nach dieser Identität darüber beantwortet werden könne, ob es gelingen würde, typisch berufliches Handeln - und Beratung sei typisch berufliches Handeln- zu beschreiben, als einerseits feldübergreifend und gleichzeitig als Schlüsselqualifikation. 153 Eine zentrale Schlüsselqualifikation von Beraterinnen müsse, nach Wolfgang Schrödter, wiederum das Fallverstehen sein, das in Prozesse unmittelbarer, lebendiger Begegnung zwischen Beraterin und Ratsuchenden eingebunden wäre. „Dem Fallverstehen dienen als eine Art Hintergrundfolie heterogene theoretische und empirische Grundlagen, die unter anderem den Fachrichtungen Pädagogik, Psychologie, Sozialarbeit, daneben verschiedenen therapeutischen Schulen entstammen.“ 154
Hier wird wieder deutlich, dass vom Personal in der Sozialen Beratung ein breites Hintergrundwissen gefordert wird. Insofern sollen Soziale Berater eklektizistisch arbeiten, wobei Eklektizismus hier - als variable Vielfalt heterogener theoretischer und empirischer Grundlagen - eine positive Konnotation erfährt. Nun wäre es nach Bachmair et al. so, dass Sozialarbeiter und Andere, die in sozialen Bereichen tätig wären, fast täglich beraten würden, ohne dafür speziell ausgebildet zu sein. Viele von ihnen hätten sich dabei über den Berufsalltag oder durch Selbststudium eine Grundkompetenz von Beratung angeeignet oder diese wäre durch bestimmte förderliche Persönlichkeitsmerkmale - als ,natürliche Kompetenz´ - schon vorhanden. Da die psychosoziale Versorgung der Bevölkerung mit professionellen Therapeuten und Beratern, aufgrund der
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Verknappung öffentlicher Mittel, nicht erweitert werden könne, erschiene die „Kompetenzerweiterung von Laienberatern, seien es Lehrer oder andere in sozialen Berufen Tätige“ 155 notwendig. 156
Die Bestrebungen von Bachmaier et al. sind zwar nachvollziehbar - die Aufspaltung in professionelle Therapeuten und speziell ausgebildete Berater einerseits und ,Laien´ im sozialen Feld andererseits, ist jedoch genau das, wogegen die Profession Soziale Arbeit vehement ankämpft. An anderer Stelle nennen Bachmair et al. auch vollkommen unverblümt, dass sie sich für den sozialen Bereich Schritte in Richtung einer „Entprofessionalisierung von Beratung“ 157 wünschen.
Der Vorsitzende des DBSH in BaWü., Friedrich Maus, ist zwar auch der Ansicht, dass es eine allgemeine Grundkompetenz von Beratung gebe, die eigentlich keiner Schule zuzuordnen sei, und dass man für eine spezielle beraterische Tätigkeit natürlich eine zusätzliche Kompetenz erwerben müsse, gleichwohl geht er mit seinem Verbandkollegen Schulz-Wallenwein konform, dass Beratung eine zentrale berufsspezifische Schlüsselkompetenz sei. 158 Umgekehrt bedingt dies wiederum eine berufsspezifische Beratungsform. Schulz-Wallenwein betont, dass Beratung als ein konstituierendes Merkmal der Sozialen Arbeit anzusehen sei. Deshalb würden Sozialprofessionelle nicht erst durch Zusatzqualifikationen in beraterisch-therapeutischer Gesprächsführung zu Beraterinnen. Aus dem Grundberuf der heutigen modernen Form theoretisch begründeter und praktisch umgesetzter - und damit professioneller - Sozialer Arbeit ergebe sich eine beraterische Basiskompetenz bzw. wäre Beratung eine genuine Form sozialprofessionellen Handelns. 159
Engel/ Nestmann/ Sickendiek unterstreichen ebenfalls, dass „Beratung […] nicht nur dort ‚professionell’ [ist], wo sie am Türschild steht, sondern auch dort, wo sie in anderes Handeln von Professionellen integriert ist.“ 160 Somit sei professionelle Beratung, die als Querschnittsmethode nahezu sämtliche Berufsfelder durchziehe, zumindest doppelverortet: Zum einen in arbeitsfeldspezifisches Wissen und zum anderen in eher feldunspezifische Kommunikations- und Handlungskompetenzen.
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Von professioneller Beratung könne man dann sprechen, wenn eine Wissensbasis 161 handlungsfeldspezifische und eine feldunspezifische Kompetenzbasis 162 zusammenwirken würden. Anders als im angloamerikanischen Raum sei ein Verständnis von Beratung als eigenständiger Theorie-, Forschungs-, Ausbildungs- und Praxisbereich in Deutschland noch nicht selbstverständlich - aber Entwicklungen und Bestrebungen in diese Richtung seien unübersehbar. 163 Schulz-Wallenwein sieht in dieser Tendenz aus den USA und England jedoch auch die Gefahr, dass durch einen eigenständigen Beratungsausbildungsgang (eines ,Master of Counselling´), Beratung nicht mehr ein selbstverständlicher Arbeitsansatz der Sozialen Arbeit sei. Dadurch könnten Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen ein weiteres Arbeitsfeld verlieren. Aus diesem Grund müsse man festhalten, dass es außerhalb von Beratungszusatzqualifikationen eine beraterische Grundqualifikation gebe, die durch das Studium...