Intellektuell hochbegabte Kinder und Jugendliche unterscheiden sich in einer Reihe von Merkmalen von ihren durchschnittlich begabten Altersgenossen. Hieraus können sich Probleme in zwei Bereichen ergeben. Zum einen interne Probleme durch eine fehlende Synchronisation der motorischen und seelischen mit der kognitiven Entwicklung und zum anderen externe Probleme durch Erwartungen der Mitmenschen, die sich nur am Alter des Kindes orientieren (vgl. Fels 1999, S. 70). Bei stetiger schulischer Unterforderung besteht darüber hinaus die Gefahr der schulischen Minderleistung.
Die im Folgenden erläuterten Charakteristika (vgl. hierzu Fels 1999, S. 72; BMBF 2003, S. 23 ff.; Fischer et. al. 2005, S. 5 ff.) dürfen zwar als wissenschaftlich fundiert betrachtet werden, doch soll daran erinnert werden, dass bei kaum einem hochbegabten Kind oder Jugendlichen alle Eigenschaften gleichzeitig auftreten. Denn Hochbegabte sind keine homogene Gruppe, sondern können sehr unterschiedliche Profile zeigen.
Zu den Merkmalen des Lernens und Denkens hochbegabter Kinder und Jugendlicher zählt eine schnelle Auffassungsgabe, überdurchschnittliche Intelligenz und ein gutes Gedächtnis. Sie lesen zumeist viel, intensiv und mit breitem Interesse. Dabei bevorzugen sie Bücher, die deutlich über ihre Alterstufe hinausgehen. Aus diesem Grund besitzen viele Hochbegabte einen ungewöhnlichen Wortschatz für ihr Alter. Bereits im Kindesalter verfügen sie über eine ausdrucksvolle, ausgearbeitete und flüssige Sprache. In einzelnen Bereichen haben sie aufgrund der ausgeprägten Fähigkeit, sich Fakten schnell merken zu können, zudem ein enormes Detailwissen. Bei schwierigen Aufgaben gelingt es ihnen leicht, die zugrunde liegenden Prinzipien zu durchschauen. Sie bearbeiten daher bevorzugt abstrakte und komplexe Inhalte oder Problemstellungen und zeichnen sich durch kreatives Problemlösen aus. Da hochbegabte Kinder und Jugendliche viele Details oder Nebengedanken in die Überlegungen mit einbeziehen, laufen sie jedoch Gefahr, dabei Struktur und Überblick zu verlieren. Ihre Arbeitsweise wird häufig als penibel, fast perfektionistisch, beschrieben. Dem eigenen Tempo oder Ergebnis stehen sie eher kritisch gegenüber, denn sie setzen sich hohe Leistungsziele und wollen Aufgaben mit einem Minimum an Anleitung lösen.
In der Schule wirken hochbegabte Kinder und Jugendliche oftmals geistig abwesend oder drängen auf ständige eigene Wortmeldungen. Sie hinterfragen bevorzugt Sinnzusammenhänge. Mit Erklärungen wie „das ist halt so“ oder „das machen wir später“ zeigen sie sich deutlich unzufrieden. Trotz richtiger Lösungen ist es ihnen öfter nicht möglich, die eigenen Denkwege anzugeben. Bei Routineaufgaben haben sie viele Flüchtigkeitsfehler und arbeiten mitunter sehr langsam. Hochbegabte verhalten sich bei Langeweile teilweise störend und aufmerksamkeitsheischend. Auf Lärm reagieren sie relativ empfindlich.
Das Sozialverhalten hochbegabter Kinder und Jugendlicher ist zumeist durch eine Orientierung an Älteren oder Erwachsenen geprägt. Sie besitzen eine gute Kommunikationsfähigkeit und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Die Meinungen von Autoritäten wie Lehrern oder anderen Erwachsenen akzeptieren sie erst nach kritischer Prüfung und mischen sich oftmals wertend in Konflikte ein. Gegenüber politischen und sozialen Problemen verfügen sie über großes Einfühlungsvermögen und Aufgeschlossenheit. Gerne beschäftigen sie sich mit Begriffen wie Recht und Unrecht, Gut und Böse. Sie neigen zu Individualismus und dazu, schnell über Situationen bestimmen zu wollen. Generell beschäftigen sich hochbegabte Kinder und Jugendliche gerne mit sich und sind eher zurückgezogen. Aus diesem Grund ist ihre Akzeptanz bei Gleichaltrigen oftmals polarisiert.
Aus den zuvor beschriebenen Merkmalen kann eine Reihe von Entwicklungsproblemen resultieren, die im persönlichen, sozialen oder auch schulischen Bereich angesiedelt sind. Selbstverständlich stößt nicht jedes hochbegabte Kind auf diese Probleme, doch sie treten bei Hochbegabten gehäuft auf. Es ist daher wichtig, den Zusammenhang der zwischen möglichen Problemfeldern und Hochbegabung zu kennen um entsprechend gegenwirken zu können.
Die Entwicklungsaufgaben des Kindesalters lassen sich in mehrere Persönlichkeitsaspekte aufteilen, die den Bereichen Kognition, Emotion, Motorik, Affekt und Sozialverhalten zugeordnet werden können (vgl. Fels 1999, S. 76). Normalerweise verläuft bei Kindern die Kompetenzentfaltung in allen Bereichen etwa gleich schnell, so dass sich Anforderungen und bereits entwickelte Fähigkeiten weitgehend entsprechen. Da intellektuell hochbegabte Kinder jedoch eine beschleunigte kognitive Entwicklung aufweisen, kann es geschehen, dass ihre motorischen, emotionalen, sozialen oder affektiven Fähigkeiten den intellektuellen nicht entsprechen. Dies kann zu verschiedenen Belastungen in der Entwicklung der Kinder führen. Die Diskrepanz zwischen einer vorzeitigen intellektuellen Entwicklung und anderen Persönlichkeitsbereichen wird als Dyssynchronie (Terrasier 1985) oder Asynchronie (Silverman 1993) bezeichnet.
So können beispielsweise Probleme auftreten, die sich auf eine ungleiche Entwicklung von Motorik und intellektueller Entwicklung zurückführen lassen (vgl. Silverman 1995, S. 639) Die betreffenden Kinder nehmen sich Leistungen vor, die sie mit ihrer altersüblichen Feinmotorik noch nicht erbringen können (vgl. Fels 1999, S. 77). Ein Beispiel ist das Erlernen des Schreibens. Die weit vorauseilende Denkgeschwindigkeit führt vielfach zu schnellen und damit frustrierenden Schreibleistungen. Die Alternative ist, dass sich die Kinder zu sorgfältigem Schreiben und einem gebremstem Gedankenfluss zwingen (vgl. Terrasier 1985, S. 269). Diese Erfahrung kann frustrierend sein.
Aufgrund ihres intellektuellen Fortschritts gegenüber Gleichaltrigen nehmen viele hochbegabte Kinder Informationen auf, die sie emotional im Grunde noch gar nicht verarbeiten können. Sie lesen Bücher über Themen wie Krankheit, Tod oder Krieg, können die angsterzeugenden und altersunangemessenen Inhalte aber nicht bewältigen. Angst und Furcht sind die Folge (vgl. Fels 1999, S. 77).
Häufig entstehen auch Probleme infolge der Interaktion des Kindes mit seiner Umwelt. Viele Eltern oder Lehrkräfte reagieren beispielsweise irritiert, wenn die gezeigten emotionalen und sozialen Verhaltensweisen hochbegabter Kinder nicht den üblichen, niedrigeren Alterserwartungen entsprechen oder nicht das halten, was die geistigen Leistungen zu versprechen scheinen (vgl. Fels 1999, S. 78). Aus der intellektuellen Kompetenz wird fälschlicherweise auf die sozial-emotionale Kompetenz geschlossen oder umgekehrt. Auf diese Weise werden falsche Erwartungen gebildet und Bedürfnisse übersehen.
Sowohl Eltern als auch Lehrer sollten sich daher der Problematik ungleich entwickelter Fähigkeiten bewusst sein. So können sie den betreffenden Kindern mit erklärenden Hinweisen zur Seite stehen. Desweiteren bietet es sich an, bei heiklen Themen wie „Warum gibt es Kriege?“ oder „Was ist Sterben?“ nach kindgerechten Aufmachungen Ausschau zu halten.
Neben nicht alterskonformen Fähigkeiten können sich im sozialen Bereich weitere Probleme durch die Diskrepanz von Merkmalen oder Fähigkeiten Hochbegabter und den Erwartungen der Peers ergeben (vgl. Fels 1999, S. 78). Typische Probleme wie soziale Isolation, Einsamkeit und Entfremdung werden demnach nicht unmittelbar durch außergewöhnliche intellektuelle Fähigkeiten, sondern vielmehr durch die Reaktionen der sozialen Umwelt hierauf hervorgerufen (vgl. Gross 1993, S. 480).
Ein Vergleich der zuvor beschriebenen Merkmale und Fähigkeiten Hochbegabter mit den Erwartungen der Peers zeigt mögliche Probleme deutlich auf (vgl. hierzu Clark 1992, S. Fels 1999, S. 79).[15] So führen die ausgeprägten verbalen Fähigkeiten, der komplexe Wortschatz sowie Satzbau hochbegabter Kinder und Jugendlicher häufig dazu, dass sie Diskussionen dominieren, unverstanden bleiben und von den Peers als Besserwisser wahrgenommen werden. Da sie zudem gerne organisieren, kritisch denken und eine hohe Kreativität besitzen, erscheinen sie vielfach dominant, zu kritisch oder gar intolerant und stören durch ihre ungewöhnlichen Ideen die üblichen Abläufe. Viele hochbegabte Kinder und Jugendliche arbeiten gerne unabhängig und weisen so die Peers zurück. Weil sie zudem intellektuelle der motorischen Aktivität vorziehen, fällt es ihnen relativ schwer Spielpartner im eigenen Alter zu finden. Hochbegabte besitzen außerdem eine schnelle Auffassungsgabe, daher sind sie häufig ungeduldig mit anderen, die Sachverhalte nicht ebenso schnell begreifen können.
Es ist daher wichtig, hochbegabte Kinder und Jugendliche auf Fähigkeiten aufmerksam zu machen, die Gleichaltrige gegebenenfalls nicht haben, für sie aber selbstverständlich sind. Desweiteren ist es nötig, das Umfeld Hochbegabter entsprechend zu informieren, damit Mitschülerinnen oder Mitschülern das Verhalten besser verstehen können. Nur so kann es gelingen, hochbegabte Kinder...