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Unterricht in jahrgangsgemischten Klassen in der Grundschule. Möglichkeiten und Grenzen

Möglichkeiten und Grenzen

AutorSusanne Hoff
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783638568845
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Pädagogik - Schulwesen, Bildungs- u. Schulpolitik, Note: 1,7, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 89 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: In der vorliegenden Arbeit zum Thema 'Unterricht in jahrgangsgemischten Klassen in der Grundschule - Möglichkeiten und Grenzen' soll die Frage im Mittelpunkt stehen, ob alters-heterogene Lerngruppen in der heutigen Lebens- und Schulsituation von Kindern eine geeignete, zeitgemäße und förderliche, pädagogisch-didaktische Alternative zur Jahrgangsklasse darstellen. Zum Einstieg wird auf die Entstehung des Jahrgangsklassensystems eingegangen, welches bis heute in Deutschland die vorherrschende Klassenstruktur darstellt. Im Anschluss daran wird die an diesem System geäußerte Kritik erläutert. Im folgenden Kapitel erfährt die Entwicklung und reformpädagogische Tradition von Jahrgangsmischung eine nähere Betrachtung. An dieser Stelle wird nicht nur die Entstehung von Altersmischung sowie deren Umsetzung in kleinen Grundschulen erläutert, sondern es werden auch ergänzend die reformpädagogischen Konzepte Maria Montessoris sowie Peter Petersens vorgestellt. Den Hauptteil dieser Arbeit nehmen die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen eines jahrgangsgemischten Unterrichts ein. Die Ausführungen beschreiben sowohl soziale und pädagogische, als auch schulorganisatorische Hintergründe. Nachdem dabei zunächst die Grundlagen des Prinzips der Jahrgangsmischung eine ausführliche, theoretische Betrachtung erfahren haben, werden in der Folge drei Schulmodelle zur jahrgangsgemischten Unterrichtspraxis vorgestellt und es wird kurz auf Altersmischung in Reform- und Modellschulen eingegangen. Da sich diese Betrachtung, aufgrund der Aktualität von jahrgangsgemischtem Unterricht, nicht ausschließlich auf Modell- oder Reformschulen beziehen soll, wird im anschließenden Kapitel die neue Schuleingangsphase in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf ihre empfohlene, jahrgangsgemischte Umsetzung vorgestellt. Zugunsten einer sachlichen Unterlegung der Diskussion in Bezug auf altersgemischtes Lernen in der Grundschule, werden im Folgenden empirische Forschungsergebnisse aus dem nationalen und internationalen Bereich näher dargelegt. In der abschließenden Schlussbetrachtung werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst, durch eine persönliche Stellungnahme der Autorin ergänzt und es wird darüber hinaus in einem kurzen Ausblick auf die Frage der Umsetzbarkeit von Altersmischung auch in der Sekundarstufe eingegangen.

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Leseprobe

3. Entwicklung und reformpädagogische Tradition von Jahrgangsmischung


 

Das Prinzip der Alters- bzw. Jahrgangsmischung wurde nicht von Vertretern der Reformpädagogik neu entwickelt. Vielmehr handelt es sich dabei um die älteste und über viele Jahrhunderte vorherrschende Form der Wissensvermittlung.[38] Dabei ist das frühere jahrgangsgemischte Unterrichten allerdings auf andere Beweggründe zurückzuführen, als wir sie in der aktuellen schulpädagogischen Diskussion vorfinden. So war die schulische Ausbildung bis zur Einführung der Schulpflicht nicht bindend und oftmals nur ein Privileg Einzelner.[39]

 

3.1 Entstehung von Jahrgangsmischung


 

Die ersten Ursprünge des altersgemischten Unterrichtens können wir schon anhand einiger Bilder aus dem Alten Ägypten finden, auf denen ein Lehrer Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Altersgruppen (vermutlich aus der Pharaonenfamilie und ihrer Verwandtschaft) Unterricht erteilt. In Griechenland gab es Wanderlehrer (bzw. Philosophen), die von einem Ort zum nächsten reisten und auf den Marktplätzen jungen und alten Menschen ihre Alltagserfahrungen und Lebensweisheiten offenbarten. Auch im spätrepublikanischen Rom wurde mit dem Ziel der allgemeinen Schulpflicht eine in Wissensbereiche untergliederte Lehrweise durchgesetzt, die auf altersgemischtem Lernen basierte. [40] Bei diesem System, welches sich auch im Mittelalter und darüber hinaus fortsetzte und somit etwa 2000 Jahre in Europa bestand, „war ein individualisiertes Lernen in Gruppen üblich, die nach Kenntnisstand, nicht nach Alter gebildet wurden“[41] (? 2.1).

 

Erst als die von Comenius bereits im 17. Jahrhundert geforderte Bildung für alle durch die Einführung von Jahrgangsklassen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwirklicht wurde (? 2.1), gab man die viele Jahrhunderte alte Praxis der Unterrichtung in altersgemischten Lerngruppen (Abteilungsunterricht, Untergliederung nach Kenntnisstand etc.) zugunsten von Altershomogenität auf.[42]

 

3.2 Altersmischung in den kleinen Landschulen


 

Die Einführung des Jahrgangsklassensystems führte jedoch nicht zum völligen Verschwinden der Alters- bzw. Jahrgangsmischung. In den kleinen Dorf- bzw. Landschulen[43] gehörten altersheterogene Klassen noch bis in die 1960er Jahre zum Alltag. Aufgrund niedriger Schülerzahlen wurden mehrere Jahrgänge in einer Klasse zusammengefasst. In den kleinen Landschulen ging es jedoch nicht darum die Altersheterogenität für den Unterricht zu nutzen, sondern ein System zu finden um den geringen Schülerzahlen gerecht zu werden und den Kindern somit einen langen Schulweg zu ersparen (Ökonomische Begründung). Demnach entsprach der Unterricht in diesen altersgemischten Landschulen größtenteils der Form des Abteilungsunterrichts.

 

Infolge des Sputnikschocks[44] von 1956 glaubte man in Deutschland, die Schuld für den technologischen Rückstand des Westens im Schulwesen sowie in der unausgeschöpften Begabungsreserve zu finden. Um das Schulsystem effektiver zu gestalten, sahen die Schulentwicklungspläne zentrale, große Schulen vor, die durch ein anspruchsvolles Angebot zu wissenschaftsorientiertem Unterricht verhelfen und somit leistungsfähiger sein sollten.[45] Um dies zu gewährleisten wurden in den 60er Jahren die kleinen Landschulen mit ihren kombinierten Klassen „zugunsten [dieser] voll ausgebaute[n] Schulen weitestgehend abgeschafft.“[46] Der oft heftige Widerstand der Betroffenen wurde nicht gehört, da „fast alle Verantwortlichen im Bildungswesen […] unbesehen und ungeprüft die Meinung übernommen [hatten], an kleinen Schulen lerne man weniger und […] damit den rigorosen schulischen Kahlschlag“[47] rechtfertigten. Gleichzeitig war man wie bereits erwähnt davon überzeugt, dass optimales Lernen nur in leistungshomogenen Gruppen zu verwirklichen sei und ging zusätzlich davon aus, dass diese Homogenität durch Jahrgangsklassen in Verbindung mit „Sitzen-bleiben“ bei unpassenden Leistungen zu erreichen sei[48] (? 2.1/2.2).

 

Diese Überzeugung wurde bereits viele Jahre zuvor, im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts deutlich in Frage gestellt und kritisiert. Zu jener Zeit entwickelten Reformpädagogen wie Maria Montessori (1870-1952), Peter Petersen (1884-1952), Berthold Otto (1859-1933 ? Gesamtunterricht) und Paul Geheeb (1870-1960 ? Odenwaldschule /Land-erziehungsheime) neue Konzepte[49], in denen der Jahrgangsmischung eine entscheidende Rolle zukommt.

 

3.3 Maria Montessori


 

„In den meisten Schulen besteht einmal eine Trennung nach den Geschlechtern und dann nach dem Alter, das ungefähr in allen Klassen gleich ist. Das ist ein grundlegender Fehler, der zu jeder Art anderer Fehler führt: Es ist eine künstliche Isolierung, die die Entwicklung des sozialen Gefühles verhindert.“[50] So lautet Montessoris Kritik an der Jahrgangsklasse. Während die altersgemischten Land-schulklassen mehr aus organisatorischen als aus pädagogischen Gründen einge-richtet wurden, ist „das Prinzip der Altersmischung [in der Pädagogik Montessoris] ein grundlegendes Strukturprinzip […] der Schul- und Unterrichts-organisation […]“[51]. Im Unterschied zu dem Gesamtschulkonzept von Berthold Otto, welches die Begegnung altersheterogener Kinder vom ersten bis zum zehnten Schuljahr herbeiführt[52], leben und lernen in der Konzeption Montessoris Kinder aus drei Jahrgangsstufen gemeinsam. Laut der Reformpädagogin ermög-licht und fördert dieses Zusammenleben von Kindern aus drei Altersjahrgängen
 u. a. vielfältige Kooperationen unter den Schülern.[53] Maria Montessori ist sich allerdings bewusst, dass die Vorzüge der geschlechts- sowie altersgemischten Klassen nur realisierbar sind, wenn man die Jahrgangsmischung mit differen-zierten Unterrichtsformen kombiniert. So empfiehlt die Reformpädagogin eine Form der Freiarbeit (? 6.6.1)., die nur auf Grundlage einer vom Lehrer, mit didaktischen Materialien[54] ausgestatteten, vorbereiteten Umgebung[55] (? 6.7) realisierbar ist. Wie auch bei Berthold Otto steht bei Montessori das Kind als „Baumeister des Menschen“[56] im Mittelpunkt ihrer Pädagogik. Es kann in Einzel-, Partner- oder Kleingruppenarbeit nach eigenem Lerntempo und eigener Wahl der Materialien lernen.

 

Laut Eichelberger erfährt die Rolle des Lehrers  (? 6.8) in der Montessori-Pädagogik eine neue Definition. So ist dieser nicht mehr in erster Linie Wissens-vermittler, sondern seine Aufgaben liegen in der Beobachtung, Begleitung und Unterstützung des Kindes, sowie in der Vorbereitung einer kindgerechten Umgebung.[57] Insgesamt treten die Vorzüge von Jahrgangsmischung besonders auf Grundlage der Freiarbeit, doch zum Teil auch im gebundenen Unterricht, welcher ebenfalls nach den Regeln der inneren Differenzierung praktiziert wird (allerdings in größeren Gruppen)[58], in Erscheinung.

 

3.3.1 Prinzipien und Vorzüge der Jahrgangsmischung bei Montessori


 

Das von Maria Montessori bevorzugte Modell der Jahrgangsmischung von drei Stufen, also einer „geschlechts- und altersgemischten Gruppierung der 3-6-Jährigen, der 6-9-Jährigen und der 9-12-Jährigen“[59], entspricht nach Ansicht der Reformpädagogin dem „Natürlichkeitsprinzip“. Da das Kind in seiner Umwelt immer Erfahrungen mit Älteren und Jüngeren macht (vor allem in der Familie mit Geschwistern oder im Kinderhaus), ist es für Montessori sinnvoll die Mischung dreier Altersstufen auf die Schule zu übertragen. Dabei wird dem Kind die Möglichkeit geboten, unterschiedliche Rollen (die des Älteren, des Mittleren und des Jüngeren) kennen zu lernen und sie in seiner Gruppe einzunehmen. Lagings Ansicht nach führt dies nicht zu konkurrierendem, sondern zu kooperativem Umgang miteinander und fördert somit das Sozial- und Lernverhalten.[60] Dieses Modell der Mischung von drei Jahrgängen kann seit der vollzogenen Teilung von Volksschulen in Grund- (umfasst in den meisten Bundesländern vier Jahrgänge) und Hauptschulen, nur noch schwer umgesetzt werden. Deshalb mussten auch in den Montessori-Schulen neue Modelle bzw. Organisationsformen von Jahrgangs-mischung entwickelt werden[61] (? 6.3).

 

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist der Aspekt des Voneinander Lernens. „Kinder lernen [Montessoris Ansicht nach] in einer Weise voneinander, die Eltern und Erzieher nicht ersetzen können […], da sie sich in ihrem Fühlen und Denken […] näher stehen als Erwachsene [und somit] Erkenntnisse oft entsprechend einfacher weitergeben [können].“[62] Dieser Aspekt beinhaltet zwei wichtige Ausrichtungen. Auf der einen Seite steht das Lernen durch Imitation, wobei die Jüngeren die Älteren nachahmen und so zu neuen Erkenntnissen gelangen. Montessori beschreibt das...

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