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E-Book

Durchführung und Analyse problemzentrierter Interviews

AutorAnna Breunig, Solmaz Aksu-Yagci
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl47 Seiten
ISBN9783638050111
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Institut für Erziehungswissenschaften), Veranstaltung: Forschungsmethoden, 12 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Methoden, die wir in der vorliegenden Arbeit betrachten, beruhen auf einem qualitativen Forschungsparadigma. Daher erscheint es uns als angebracht, kurz einige Aspekte qualitativer Sozialforschung darzustellen. Da es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Hier sollen lediglich die Aspekte herausgearbeitet werden, die im Rahmen dieser Arbeit relevant sind. Qualitative Sozialforschung unterscheidet sich von quantitativen naturwissenschaftlichen Forschungsparadigma. Der Qualitative Forschungsansatz nimmt Abstand davon, den Menschen und seine Umwelt mit standardisierten, an die Naturwissenschaft und ihre Gütekriterien angelehnten Methoden erforschen zu wollen. Stattdessen wird versucht, das Subjekt und seine subjektiv konstruierte Welt in aller Komplexität zu erfassen. Aus diesem Anspruch ergeben sich theoretische und methodologische Konsequenzen, von denen hier einige relevant erscheinende vorgestellt werden. Eine für qualitative Forschung ganz entscheidende Konsequenz aus dem Prinzip der Offenheit zeigt sich auf dem Gebiet der Theoriebildung. Wollen die Forschenden dem Untersuchungsgegenstand gegenüber offen sein, widerspricht dem eine theoretische Vorstrukturierung desselben ebenso wie der Vorformulierung von Hypothesen. Anstatt diese vorab festzulegen und ihnen den Untersuchungsvorgang zu unterwerfen, entstehen Hypothesen und theoretische Einschätzungen beim qualitativen Ansatz im Laufe des Forschungsprozesses. Eine Untersuchung dient also nicht wie bei quantitativer Sozialforschung der Überprüfung von Hypothesen, die zuvor aufgrund theoretisch abgehobenen, alltagsfremden Vorwissens gebildet wurden, sondern der prozessualen Hypothesengenerierung auf Basis dessen, was die Daten im Verlauf der Untersuchung zutage gebracht haben (vgl. Kleininig, 1995).

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Leseprobe

2 Die Durchführung der Datenerhebung


 

2.1 Die Auswahl der zu Befragenden


 

Die qualitative Sozialforschung generalisiert ihre Aussagen nicht im Sinne der quantitativen Methodologie. Hier geht es eher um Typisierungen und/oder Typologien. Somit spielt die Repräsentativität bei diesem Paradigma eine untergeordnete Rolle. „Andererseits sind Generalisierungen im Sinne von Existenzaussagen („Es gibt...“) durchaus möglich.“[30]

 

Das Ziel der qualitativen Forschung ist „nicht die Häufigkeit bestimmter Handlungsmuster, sondern ein möglichst zutreffendes Set der relevanten Handlungsmuster in einer sozialen Situation“ festzustellen.[31] Dadurch ergeben sich gewisse Hindernisse bei der Auswahl der zu Befragenden. Dazu Lamnek:

 

„Die Auswahl der zu Befragenden nach dem Prinzip des theoretical sampling kann sich auf das angestrebte Ziel einer Studie, nämlich einer realitätsgerechten Rekonstruktion von Typen von Bedeutungsstrukturierungen zu einem speziellen Themenbereich insofern negativ auswirken, als einzelne typische Deutungsmuster evtl. keine Berücksichtigung finden.“[32]

 

Ohne theoretischem Vorverständnis ist die Auswahl von typischen Befragungspersonen für das qualitative Interview nur selten realisierbar. Da die ForscherInnen nun diese typischen Personen aussuchen, werden sie möglicherweise nur die auswählen, die ihrem theoretischen Verständnis entsprechen. „Davon abweichende Fälle würden sich erst im Verlaufe des Forschungsprozesses (in der Erhebungsphase) und zwar eher zufällig ergeben, wenn ein erster – wenn auch eingeschränkter – Zugang zum sozialen Feld erfolgt ist.“[33]

 

Bei der Auswahlentscheidung spielen fast immer informelle Kontakte zu den untersuchenden Personengruppen eine wichtige Rolle. Deshalb können ForscherInnen nicht sicher sein, ob diese informellen Kontakte so weitreichend und umfassend sind, dass sie alle relevanten und typischen Handlungs- und Deutungsmuster erfasst haben.“[34]

 

Die Befragungssituation selbst soll von einer vertrauensvollen Atmosphäre  gekennzeichnet sein. Diese zu schaffen gehört zur wichtigsten Aufgabe der InterviewerInnen. Da die Befragten Aufzeichnungen zulassen müssen, identifizierbar sind und ihre Persönlichkeit offen legen, müssen sie sich sicher sein, dass ihre Angaben vertraulich und anonym behandelt werden.

 

Bei der Auswahl der zu Befragenden sollte darauf geachtet werden, dass bereits bestehenden sozial relevanten Kontakte (z. B. Freunde) nicht zur Befragung herangezogen werden. Bei diesen Personen könnte die Offenheit der Situation nicht gewährleistet werden. „Auch für die Indexikalität der Erzählungen und Berichte hat die Unbekanntheit von Interviewer und Befragtem einen in dieser Hinsicht erheblichen Vorteil.“[35]

 

2.2 Die Datenerhebung


 

„Mit dem Einsatz wissenschaftlich-empirischer Methoden wird versucht, die Ungewissheit, die über den zu untersuchenden Objektbereich besteht, in eine tendenzielle Gewißheit zu verwandeln.“[36]

 

Eine absolute Gewissheit kann nie erreicht werden. Dies hat seine sowohl wissenschaftstheoretischen, methodologischen als auch methodisch- technischen Gründe. Mit der Datengewinnung wird nicht desto trotz eine Reduktion der Unwissenheit – die sich sowohl auf die Hypothesengenerierung als auch ihre Überprüfung richten kann – angestrebt.[37]

 

Die Datenerhebung muss im ausgewählten sozialen Feld erfolgen, in einer Umgebung, die dem Befragten vertraut, weil alltäglich ist. Dadurch, dass die Interviewsituation für den Befragten ungewöhnlich ist, sollte die gewohnte Umgebung auf diesen kompensierend wirken.

 

„Durch die gewohnte Umgebung in Verbindung mit dem Befragungsthema, mit dem Befragte ja sehr vertraut ist – sonst hätte man ihn nicht ausgewählt – , erfährt der Interviewpartner einen Expertenstatus, was ihm das Antworten sehr erleichtert.“[38]

 

Je glaubwürdiger die Forschenden den Befragten ihren Expertenstatus auf den sie angewiesen sind versichern, desto leichter fällt die Datenerhebung.

 

„Gelingt es, diesen Zustand in der subjektiven Perzeption herbeizuführen, dann führt dies auch dazu, daß sich Interviewer und Interviewter auf dieser Basis gegenseitig akzeptieren und anerkennen; die Interessen und Bedürfnisse sind reziprok und können befriedigt werden; beide „Parteien“ wollen – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – das Interview: der Befragte teilt sich mit, der Forscher erhebt Daten.“[39]

 

Das Interview wird zwar von den InterviewerInnen gestaltet, der Verlauf des Gesprächs wird jedoch der befragten Person überlassen. Auf diese Weise kommen ihre Auffassungen, Interessen und Relevanzsysteme zum Tragen. Für die ForscherIn bedeutet es, dass sie sich zurückhalten und anpassen muss und ihre Neugier für ihre theoretische Fragestellung nicht dominieren darf. Sie muss sich den Denkstrukturen und dem Sprachvermögen der befragten Person anpassen. Gibt es für die ForscherIn wichtige und von den Befragten nicht angesprochene Bereiche, müssen sie von ihr gekonnt angesprochen werden, um die Befragten zur Aussage über diese zu motivieren. Manchmal passiert es, dass viele Dinge für die Befragten so selbstverständlich sind, dass sie sie gar nicht erwähnen.[40] Lamnek empfiehlt sogar Suggestivfragen dazu:

 

„Hierzu kann es hilfreich sein, etwas zu tun, was in der quantitativen Methodologie absolut abgelehnt wird, nämlich suggestiv zu wirken. Manchmal kann man nur durch suggestive Fragestellung bewirken, daß Dinge offenbart werden, an die der Befragte, weil sie eben für ihn selbstverständlich sind, nicht denkt.“[41]

 

Die Suggestion darf jedoch keine Verzerrung bewirken, sondern als Anregungsinstrument für Erzählung von bestimmten Sachverhalten dienen.

 

Die relevanten Sachverhalte werden anhand Erhebungsinstrumenten auf die untersuchten Phänomene aufgenommen und erfasst. Die Datenerfassung ist ein unverzichtbarer Bestandteil im Forschungsprozess.

 

Adäquat für die qualitative Forschung ist es, Interviews mindestens mit einem Tonbandgerät aufzuzeichnen, besser noch eine Videoaufzeichnung zu machen oder begleitend dazu ein Protokoll. Videoaufnahmen denaturieren leider oft die Alltagssituation. Ton, Bild und Protokollinhalte dienen der Aufnahme von nonverbalen Kommunikationsinhalten (Mimik, Gestik, Motorik). Diese können somit in die Interpretation miteinbezogen werden.

 

Um intuitive Interpretationen der Forschenden zu reduzieren, werden die erfassten Daten transkribiert. Dazu Lamnek:

 

„Allein das Angebot einer Kontrolle der Interpretationen durch den im Interview produzierten und transkribierten Text, gibt ein erhötes Maß an methodischer Sicherheit. Dies ist auch erforderlich, um Vorwürfen von quantitativ-methodologischer Seite zu entgehen, die auf Beliebigkeit und Subjektivität der Interpretation und des Gesprächsverlaufs im qualitativen Interview hinauslaufen.“[42]

 

2.3 Die Interviewsituation


 

Theoretische Überlegungen, die das Forscher-Informanten-Verhältnis in die Forschungsanalyse mit einbeziehen, sind aus dem symbolischen Interaktionismus, der kritischen Theorie, der Ethnomethodologie und der Frauenforschung bekannt. Ein Interview ist also nicht allein eine Frage-Antwort-Interaktion, sondern eine Situation, in der ein Wechselwirkungsprozess stattfindet. „Becker-Schmidt weist in ihrer Analyse darauf hin, dass jede Forschungssituation ein Dialog ist, in dem ein doppelter Subjekt-Objekt-Status von Forscherin und der „Erforschten“ gegeben ist; das heißt: nicht nur die Befragte hat sich der Forschungsmethode der Forscherin anzupassen und wird in diesem Herrschaftsverhältnis “objektiviert“, sondern auch die Forscherin ist Objekt, kann von der Befragten instrumentalisiert, also im Sinne subjektiver Bedürfnisse eingesetzt werden.“[43] Die Sozialwissenschaftler haben ihr Gegenstand nicht als Objekte sondern als menschliche Subjekte. Sie sind aktiv handelnde und oft kompetente Interaktionspartner im Forschungsprozess.[44]Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass in jedem Forschungsprozess eine differenzierte Analyse zu bewerkstelligen ist und in die Interpretationen mit einzubeziehen ist.

 

Da die qualitative Forschung die Zusammenhänge sozialer Realität erfassen und beschreiben versucht, ist der Alltagskonzept von großer Bedeutung und damit sollen die...

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