In diesem Kapitel wird der Orientierungsplan Baden-Württemberg näher beschrieben. Zu Beginn wird aufgezeigt aus welchen Hintergründen sich der Orientierungsplan entwickelt hat und welche Hauptaussagen er beinhaltet. Im Anschluss daran wird auf die wissenschaftliche Begleitforschung zur Erprobung und Weiterentwicklung des Plans und die Fortbildungen der pädagogischen Fachkräfte im Zuge der Implementierung des Orientierungsplans eingegangen. Danach werden noch relevante Ziele aufgeführt, die für die Entwicklung einer Lernwerkstatt an der Hochschule von Bedeutung sein könnten.
Die OECD untersucht mit der Pisa-Studie, wie gut junge Menschen auf die Herausforderungen der Wissensgesellschaft vorbereitet sind. Durch die Ergebnisse kann man Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme der teilnehmenden Staaten ziehen. Deutschland hat in der ersten Pisa Studie im Jahre 2000 schlecht und in der Studie 2003 nur mittelmäßig abgeschnitten, dadurch ist eine Diskussion in Sachen Bildung entstanden[22].
Auch die frühkindliche Bildung in Kindertagesstätten ist dadurch und durch andere Erkenntnisse aus internationalen Studien, der Hirnforschung, der Pädagogik und Entwicklungspsychologie in den Blickpunkt des gesellschaftlichen Interesses gerückt.
Für Kindertageseinrichtungen besteht aufgrund von §22 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) bereits ein Bildungsauftrag „Der Förderauftrag umfasst die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes...“. Dieser wird auf Landesebene in §2 Abs. 2 des Kindergartengesetzes Baden-Württemberg (KGaG) ausdrücklich aufgegriffen und dessen Bedeutung für die Förderung der Gesamtentwicklung des Kindes hervorgehoben. Zudem wird in §9 Abs.2 KGaG die zentrale Bedeutung der Sprachförderung betont[23].
Trotz dieser bestehenden Gesetze erachtete es die Politik für notwendig in diesem Bereich neue Reformen, die in der Kindheit ansetzen und den Bildungsort Kindergarten stärken, zu schaffen und einen verbindlichen „Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für baden-württembergische Kindergärten“ zu gestalten. Dazu fanden im Jahr 2003 die ersten Beratungen statt. Seit Mitte 2004 arbeiteten das Kultusministerium, das Sozialministerium sowie die kommunalen Landesverbände, die kirchlichen und sonstigen Trägerverbände in Baden-Württemberg zur Erfüllung dieser Aufgaben zusammen[24]
Der Orientierungsplan Baden-Württemberg ist mit leichter Verzögerung Ende 2005 fertig gestellt und zu Beginn 2006 an die Kindertagestätten versandt worden.
Im folgenden Teil werden die grundlegenden Aussagen des Orientierungsplans zusammengefasst dargestellt.
Der Orientierungsplan stärkt die Perspektive der Kinder, da von einer generellen Motivation des Kindes ausgegangen wird. Er soll den ErzieherInnen, Lehrkräften und Eltern als eine Art Bildungskompass dienen und legt den Fokus hauptsächlich auf die Alterstufe 3 bis 6 Jahre, wobei Bildungsprozesse von Geburt an und im Anschluss an den Kindergarten aufgegriffen werden. In ihm sind verschiedene Wissenschaften (Früh-, Sozial-, Schulpädagogik, Entwicklungs-, Motivationspsychologie, Hirnforschung, Theologie) zu einem multiperspektivischen Ansatz vereint. Das Spielen der Kinder wird als elementare Form des Lernens gesehen und die Bewegung als Motor der Lernentwicklung, Motivationsentwicklung und Anstrengungsbereitschaft.
Des Weiteren sind der Orientierungsplan der Kindergärten und der Bildungsplan der Grundschulen nun aus einem Guss, da er in beide eingeführt wird. Die Kinder sollen im letzten Kindergartenjahr auf die Schule vorbereitet und ihre Schulfähigkeit im Rahmen einer Kooperation zwischen Kindergarten und Schule gefördert werden. Die Kooperation wird auch in anderen Feldern als erweiterbar angesehen. So sind Kooperationen mit Institutionen und Partnern im nahen Umfeld des Kindergartens wie beispielsweise Büchereien, Betrieben, Museen, Schriftstellern oder Architekten zur Setzung von neuen Bildungsimpulsen erstrebenswert.
Der zweite Teil des Orientierungsplans stellt das Herzstück dar und „bietet konkrete Anhaltspunkte für die pädagogische Arbeit, sowohl hinsichtlich der Raumgestaltung und der Anregung durch Materialangebote als auch in der direkten sinn- und werteorientierten Interaktion mit dem Kind.“[25]
Von den Fragen „Was will das Kind?“ und „Was braucht das Kind?“ geleitet, wurden folgende 6 Bildungs- und Entwicklungsfelder benannt und beschrieben: Körper – Sinne – Sprache – Denken - Gefühle und Mitgefühl - Sinn, Werte und Religion, wobei die Sprachförderung eine zentrale Rolle einnimmt. Die Felder orientieren sich an den Entwicklungsfeldern der Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation und sind ganz bewusst nicht an Schulfächer angelehnt. Zudem sollen sie in ihrer Verbundenheit untereinander gesehen und nicht isoliert betrachtet werden.
Neben den verbindlichen Zielsetzungen zu diesen Feldern lässt der Orientierungsplan jedoch auch Gestaltungsspielräume in der Umsetzung und dadurch die Möglichkeiten zur unterschiedlichen Konzept- und Profilbildung jedes einzelnen Kindergartens.
In der Arbeit mit den Kindern soll die pädagogische Begleitung und Förderung ganzheitlich, entwicklungsangemessen, individuell, projektorientiert, kreativ, aktiv-entdeckend und forschend sein. Außerdem soll sich die Rolle der pädagogischen Fachkräfte insofern verändern, dass sie die Entwicklung des Kindes beobachten und dokumentieren, Impulsfragen stellen, um den Kindern Denkanstöße zu geben und ihnen zum Austausch und gemeinsamen Forschen bereit stehen. Zudem ist eine verstärkte Teamarbeit der Fachkräfte von Nöten und der Kindergarten soll als lernende Organisation gesehen und gelebt werden.
Die Bildungs- und Entwicklungsfelder im 2. Teil des Orientierungsplans werden zunächst einzeln beschrieben, wonach eine Formulierung der Ziele und weitere Fragen als Denkanstöße folgen. Durch die Fragen werden die pädagogischen Fachkräfte dazu angeregt, sich selbst mit den Bildungs- und Entwicklungsfeldern in Bezug auf ihre alltägliche Arbeit im Kindergarten auseinander zu setzen.
In der dreijährigen Pilotphase wird der Orientierungsplan nun in 30, aus 1045 Bewerbern ausgewählten, Kindergärten in Baden-Württemberg umgesetzt und von den Pädagogischen Hochschulen Ludwigsburg und Freiburg wissenschaftlich begleitet. Ein Einbeziehen in die wissenschaftliche Begleitforschung der nicht berücksichtigten Kindergärten findet in abgestuften Beteiligungsgraden (2. und 3. Grad) statt. Die aus der Forschung resultierenden Erkenntnisse und Erfahrungen werden zur Weiterentwicklung des Plans genutzt und dieser weiterentwickelte Orientierungsplan ist dann ab dem Kindergartenjahr 2009/2010 für alle Kindergärten verbindlich einzuführen[26] (Vgl. Scherer 2006, S.6).
In welcher Weise die 1045 Kindergärten an der wissenschaftlichen Forschung beteiligt werden, wird an dieser Stelle anhand der Angaben des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2006a) erläutert.
Die 30 ausgewählten Kindergärten, die so genannten WiBEKigä, bilden den ersten, inneren Ring der Forschung und arbeiten eng mit den beiden Hochschulen zusammen. Die ErzieherInnen werden von den Wissenschaftlern intensiv begleitet und Erhalten Fortbildungen zum Orientierungsplan. Außerdem finden Veranstaltungen an den Pädagogischen Hochschulen statt und die Wissenschaftler besuchen die einzelnen Kindergärten vor Ort. Des Weiteren ist ein Einbeziehen der Träger mit inbegriffen.
Von den übrig gebliebenen Kindergärten bilden 306 Kindergärten, die durch eine „Zweitbewerbung“ ihr weiterhin bestehendes Interesse an einer Mitwirkung bekundet haben, den zweiten Ring. Sie „werden mit einer Befragung der Professoren in die wissenschaftlich begleitete Pilotphase einbezogen und zu Fachtagen an die Pädagogischen Hochschulen eingeladen.“[27] und erhalten Rückmeldung über die Ergebnisse der Befragung.
Die restlichen 709 Kindergärten werden im Zuge des dritten Rings der Beteiligung durch eine Befragung beteiligt und erhalten wie der zweite Ring ebenfalls Rückmeldung über die Resultate.
Zu den 1045 Kindergärten, die wie gerade erläutert, an der Forschung beteiligt sind, wird eine repräsentative Zufallsstichprobe von 700 Kindergärten aus allen bestehenden Kindergärten gezogen. Sie erhalten mindesten zu Beginn und zum Ende der Pilotphase einen Fragebogen, den sie auf freiwilliger Basis ausfüllen können. Durch dessen Evaluation sollen verbreiterte Erkenntnisse über die Bildungsqualität in baden-württembergischen Kindergärten erlangt werden.
Der...