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Frühling in Damaskus. Die Reformdebatte in Syrien seit der Machtübernahme durch Baschar al-Asad.

Sommer 2000 bis Herbst 2003.

AutorJulia Jaki
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl127 Seiten
ISBN9783638043878
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Orientalistik / Sinologie - Islamwissenschaft, Note: sehr gut, Universität Hamburg, 117 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit behandelt die kurze Phase der politischen Öffnung in Syrien ('Damaszener Frühling'), die im Jahr 2000 mit der Machtübernahme durch Baschar al-Asad eingeleitet wurde und bereits im Frühjahr 2001 wieder ein Ende fand. Nachdem der junge Asad in seiner Amtsantrittsrede im Juli 2000 die Notwendigkeit demokratischen Denkens betonte, eine Modernisierung von Wirtschaft und Verwaltung forderte und zahlreiche politische Gefangene frei ließ, hofften Beobachter im In- und Ausland auf einen Wandel des politischen Systems. Im Land selbst bildeten sich in der Folge zahlreiche Diskussionszirkel, in denen Vertreter der Zivilgesellschaft offen über Reformen diskutierten. Im Laufe des Jahres 2000 entwickelte sich so eine nationale Debatte um den notwendigen Wandel und die Zukunft des syrischen Regimes. Bereits im Frühjahr 2001 reagierte die Staatsmacht jedoch mit repressiven Maßnahmen auf die zivilgesellschaftlichen Aktionen. Die Schließung zahlreicher Diskussionszirkel, Verhaftungen und letztendlich das Verstummen der Debatte waren die Folge. Folgende Fragen werden in der Arbeit behandelt: - Was waren Gründe für die kurze politische Öffnung von oben? - Warum reagierte die Staatsmacht ab Februar 2001 mit repressiven Maßnahmen? - Warum wurden die im Zuge der Debatte geforderten politischen und wirtschaftlichen Reformen nur zögerlich bzw. gar nicht umgesetzt? Untersuchungszeitraum ist Sommer 2000 bis Herbst 2003, im Anhang befinden sich arabische Dokumente der Zivilgesellschaftsbewegung.

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Leseprobe

II. Rahmenbedingungen der Reformdebatte


 

II.1. Das politische und sozioökonomische System Syriens


 

Das politische System[72] Syriens kann zunächst ganz allgemein als autoritäres[73] Regime bezeichnet werden und ist in seiner gegenwärtigen Form das Produkt der dreißigjährigen Herrschaft Hafiz al-Asads. Zwar veränderten sich seit der Machtübernahme Baschar al-Asads die Zusammensetzung der Regimeelite und die des Kabinetts, der neue Präsident agiert jedoch innerhalb derselben Strukturen, die zum einen sein Vater maßgeblich geprägt hat und die zum anderen für Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas typische Merkmale beinhalten.

 

Mit dem Putsch bzw. der „Revolution“ baathistischer und nasseristischer Offiziere am 8. März 1963 (Ýaura aÝ-ÝÁmin min ÁÝÁr) entstand in Syrien eine Doppelherrschaft der Arabisch Sozialistischen Baath Partei (ASBP: ½izb al-baþÝ al-þarabÍ al-iÊtirÁkÍ)[74] und der Armee. Die oberste Gewalt im Staat lag bis 1971 bei häufig fraktionierten Kollektiven, in deren internen Machtkämpfen sich schließlich der militärische Flügel der Baath-Partei um Hafiz al-Asad gegen den zivilen Flügel um den amtierenden Präsidenten Salah Jadid durchsetzte. Seit der Machtübernahme Hafiz al-Asads im November 1970 wurde die Herrschaft in Partei und Staat so umstrukturiert, dass sich per Verfassung alle Macht in den Händen des Präsidenten bündelt.[75]

 

Wie Hinnebusch feststellt, herrscht „considerable controversy over how the Syrian Ba´th regime may best be conceptualised, perhaps reflective of its complex nature.”[76] Aufgrund der Doppelherrschaft von Partei und Militär spricht Itamar Rabinovich von einer army-party symbiosis.[77] Die Tatsache, dass der Asad-Clan der alawitischen Sekte[78] angehört und Alawiten seit 1966 überproportional in Militär und Geheimdiensten vertreten sind, rückte zudem den Konfessionalismus (ÔÁÿifÍya) in das Interesse der Syrienforschung.[79] Zwar war die Herrschaft Asads durch zunehmenden politischen Konfessionalismus gekennzeichnet und verstärkte die vertikale Segmentierung der Gesellschaft.[80] Dennoch kann das Regime nicht als reines Alawiten-Regime verstanden werden: Hafiz al-Asad begann bereits kurz nach seiner Machtergreifung die städtische, sunnitische Bourgeoisie in das System zu inkorporieren (cross-sectarian coalition), wichtige Positionen an der Regimespitze sind bzw. waren mit Sunniten besetzt.[81] Aufgrund der Machtfülle in den Händen des Präsidenten ist in der Literatur in Bezug auf Syrien häufig von einer presidential monarchy die Rede, doch institutionell stützt sich die Herrschaft des Präsidenten im syrischen politischen System auf die drei wesentlichen Machtapparate im Staat: Bürokratie, Partei und Sicherheitskräfte.[82] Entscheidungen werden zudem im inneren Kern der Machtelite getroffen. Hinnebusch stellt jedoch fest, dass das politische System Syriens trotz seiner Komplexität nicht einzigartig sei, sondern als Version eines im Nahen Osten weit verbreiteten Staatstypus betrachtet werden kann: dem populist-authoritarian regime.[83]

 

Im Folgenden sollen die wichtigsten Merkmale des vielschichtigen syrischen Systems und die Folgen, die sich daraus auf Inhalt, Umfang und die Auswirkungen der Reformdebatte ergeben, dargelegt werden.

 

Neopatrimoniale Herrschaft

 

Analysen des syrischen politischen Systems, die sich auf die typischen Elemente der Herrschaftsform beziehen, orientieren sich meist am autoritären oder neo-patrimonialen Modell.[84] Zu den  Merkmalen neopatrimonialer Herrschaft zählen, dass

 

- das Machtzentrum eine enge Herrschaftselite bildet, die ihre Gemeinschaft durch bestimmte, nicht-erwerbbare Merkmale, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Gruppe oder Ethnie definiert.

 

- die Zentralgewalt sich einer wachsenden Bürokratie bei der Herrschaftsausübung bedient.

 

- auf horizontaler Ebene verschiedene Gruppen um die größtmögliche Nähe zur Macht konkurrieren. Durch die Schaffung einer Wettbewerbssituation auf horizontaler Ebene wird die vertikale Bedrohung des Herrschaftszentrums abgewendet.

 

- der Zugang zur Macht in erster Linie informell und personalisiert ist, wodurch persönliche Beziehungen und Klientelismus[85] wichtiger werden als staatlich festgelegte Ansprüche des Bürgers.

 

- der Erwerb knapper Ressourcen nicht aufgrund von Leistung, sondern auf Grundlage von Patronagebeziehungen[86] und der relativen Nähe zum Machtzentrum erfolgt, das deren Allokation kontrolliert, wodurch eine autonome Organisation der Gesellschaft nur schwach ausgebildet ist.

 

Der Präsident stützt seine Herrschaft folglich auf ein System von Patronage- und Klientelbeziehungen, die sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich entlang traditioneller (konfessioneller, tribaler und regionaler) Bindungen formieren. Strategisch wichtige Positionen an der Regimespitze sind mit Personen besetzt, die in einem direkten Loyalitätsverhältnis zum Präsidenten stehen.[87]

 

Dieses Verhältnis kann sich neben den genannten traditionellen auch auf berufliche oder freundschaftliche Beziehungen gründen.[88] Diese Gruppe um den Präsidenten steht an der Spitze einer Pyramide von Patronage-Netzen, die sich durch alle gesellschaftlichen Ebenen ziehen. Durch die politische Macht werden die Mitglieder der Elite ihrerseits zu Patronen, die ihre als Blöcke (kutal) oder Cliquen (Êilal) bezeichneten Gefolgschaften im Staatsdienst unterbringen. Diese Bindungen verlaufen quer zu den formalen Strukturen von Bürokratie, Militär, Partei oder Gewerkschaften und rivalisieren mit diesen. Patronage ersetzt fehlende öffentliche Zustimmung zur Politik und aktiviert Unterstützung in Bevölkerungsschichten, die nicht zur eigentlichen Anhängerschaft des Regimes gehören. Zwei bedeutende Nachteile ergeben sich aus der Verwendung von Patronage als Herrschaftsmittel: Zum einen wirkt sie kontraproduktiv in Bezug auf die Effektivität politischen und administrativen Handelns, zum anderen besteht die Gefahr, dass bestimmte Blöcke sich zu unabhängigen Machtzentren entwickeln.

 

Ein weiteres Problem ist die Korruption (fasÁd), ein Phänomen, das auf allen gesellschaftlichen Ebenen verbreitet ist und das sich während der Amtszeit Hafiz al-Asads ausgeweitet hat. Eine Tatsache, die unter anderem auf die niedrigen Löhne im Staatsdienst zurückzuführen ist.[89] Dabei sind die Grenzen zwischen Patronage und Korruption fließend.[90] Korruption ist jedoch, da sie dem Regime Gefolgschaft sichert,  geplant und geduldet und wird erst dann bekämpft, wenn sie die Autorität des Regimes schmälert, in dem sie unabhängige Machtzentren unterstützt.[91] Um der öffentlichen Empörung entgegen zu wirken finden jedoch in regelmäßigen Abständen Antikorruptionskampagnen statt.[92]

 

Präsidiale Monarchie

 

Laut der Permanenten Verfassung (ad-dustÚr ad-dÁÿim) von 1973,[93] die Syrien als eine volksdemokratische, sozialistische Republik beschreibt (Art. 1), ist der Präsident Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Art. 103) und Vorsitzender des Obersten Verfassungsgerichts (Art. 139). Er ernennt und entlässt die Regierung, die ihm verantwortlich ist (Art. 95), kann das Parlament auflösen (Art. 107), außerordentliche Sitzungen einberufen (Art. 108) und ernennt Offiziere, Beamte (Art. 109) und Richter (Art. 139). Er kann ein Veto gegen vom Parlament beschlossene Gesetze einlegen (Art. 98) und Dekrete mit Gesetzeskraft (marÁsÍm taÊrÍþÍya) erlassen (Art. 99), wohingegen das Parlament eine Zweidrittelmehrheit benötigt, um Dekrete und Vetos des Präsidenten abzulehnen (Art. 111). Nach dem Kriegsrecht ernennt er zudem Staatssicherheitsgerichte, deren Urteil er bestätigen, aussetzen oder verändern kann. Der Präsident ist Generalsekretär der Baath-Partei und somit Vorsitzender der obersten Parteiorgane der je 21 Mitglieder umfassenden „Nationalen Führung“ (al-qiyÁda al-qaumÍya) und „Regionalen Führung“ (al-qiyÁda al-qutrÍya)[94]. Des Weiteren ist er Präsident der NPF und ernennt seit 1985 das 90 Mitglieder starke Zentralkomitee (al-laºna al-markazÍya)[95], aus dessen Mitte sich die Regionale Führung konstituiert. Die Herrschaft des Präsidenten stützt sich jedoch nicht alleine auf die ihm per Verfassung zugeschriebenen Kompetenzen, sondern auf drei zentrale Institutionen der Macht, an deren Spitze er jeweils selbst steht: Bürokratie, Partei und Sicherheitsapparat. Die Konstruktion der Macht im politischen System Syriens ist darauf ausgerichtet, dass Partei und Bürokratie sich nicht zu unabhängigen Machtzentren entwickeln.[96]

 

Die Bürokratie

 

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