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Der Prüfungsmaßstab des § 10 Satz 1 AGG bei der Rechtfertigung der unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters

AutorTimo Trasch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783638049603
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Jura - Zivilrecht / Arbeitsrecht, Note: 'cum laude' ('gut'), Universität Mannheim, 215 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist am 18.08.2006 in Kraft getreten und verbietet unter anderem die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. In § 10 AGG findet sich eine Ausnahme von diesem umfassenden Benachteiligungsverbot. Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Fraglich ist, welche 'legitimen Ziele' für eine Rechtfertigung herangezogen werden können und wie dieser unbestimmte Rechtsbegriff auszulegen ist. Ein Ansatzpunkt sind die europarechtlichen Vorgaben, denn das AGG basiert insbesondere auf der Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2008 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. In Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG findet sich das europäische Vorbild des § 10 Satz 1 AGG. Danach kann eine altersdiskriminierende Maßnahme dann gerechtfertigt sein, wenn mit ihr insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder beruflicher Bildung verfolgt werden. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG spricht also nicht pauschal von einem legitimen Ziel, sondern gibt klar formulierte Bereiche vor, aus denen diese Ziele kommen müssen. Die Arbeit befasst sich daher mit der Frage, ob nur Ziele aus diesen drei Bereichen für die Rechtfertigung einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters herangezogen werden können oder ob nicht auch individuelle Arbeitgeberinteressen, wie zum Beispiel das Interesse an einer bestimmten Altersstruktur der Belegschaft, in Betracht kommen können. Schließlich werden die gewonnen Erkenntnisse auf drei Praxisfälle angewendet. Zum einen auf vertragliche Altersgrenzen, auf Auswahlrichtlinien nach § 1 Abs. 4 KSchG sowie auf betriebliche Verdienstsicherungen.

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Leseprobe

Teil 2


 

Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters


 

Neben den Vorschriften der §§ 5 und 8 AGG, die für alle Diskriminierungsmerkmale gelten,[93] gibt es für die Benachteiligung wegen des Alters den speziellen Rechtfertigungsgrund des § 10 AGG, dessen Anwendungsbereich auf unmittelbare Benachteiligungen beschränkt ist.[94] Nachfolgend wird der Regelungsgehalt der Ausnahmevorschrift dargestellt und danach der anzuwendende Rechtfertigungsmaßstab untersucht. Anlass der Prüfung ist der Umstand, dass § 10 AGG auf der Rahmenrichtlinie basiert und nach dem vom EuGH aufgestellten Grundsatz des effet-utile[95] denselben Schutz gewährleisten muss wie die Vorgaben des Art. 6 RL 2000/78/EG. Hier sind erhebliche Zweifel angebracht. Auch ist umstritten, ob die systematische Stellung des § 8 AGG zu § 10 AGG den europäischen Anforderungen der Art. 4 und 6 RL 2000/78/EG entspricht.[96] § 10 AGG wirft in der gegenwärtigen Literatur und Rechtsprechung eine Reihe von Auslegungsfragen auf. So ist vor allem umstritten, ob Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG Ausnahmen nur dann zulässt, wenn sie zur Verfolgung von Interessen der Allgemeinheit dienen,[97] weil die in Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG aufgezählten Ziele Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung im Interesse des Gemeinwohls liegen.[98] Diese Frage wird nachfolgend eingehend geprüft.

 

§ 1


 

Der Regelungsgehalt des § 10 AGG


 

Nach § 10 S. 1 und 2 AGG ist ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.[99] Hierbei handelt es sich um eine Generalklausel, mit der den Akteuren des Arbeitslebens eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters erlaubt werden kann.[100] § 10 S. 3 AGG enthält einen nicht abschließenden Katalog von mittlerweile sechs Regelbeispielen erlaubter Altersdiskriminierungen,[101] die vom Grundsatz der Regelbeispielsystematik das Vorliegen einer Rechtfertigung grundsätzlich indizieren, sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen.[102] Gleichwohl muss, sollte ein Regelbeispiel dem Wortlaut nach einschlägig sein, zumindest eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall erfolgen.[103] Das ergibt sich aus dem Wort „können“ in § 10 S. 3 AGG. Sonst hätte der Gesetzgeber formulieren müssen, dass die in den Regelbeispielen genannten unterschiedlichen Behandlungen generell zulässig sind.[104] Eine solche Wertung lässt sich aber weder dem AGG, der Gesetzesbegründung[105] noch der Rahmenrichtlinie selbst entnehmen.[106]

 

Die Nummern 1 bis 4 stehen mit der Rahmenrichtlinie in Einklang. Während die Nummern 1 bis 3 mit dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 S. 3 lit. a) bis c) RL 2000/78/EG identisch sind, gibt die Nummer 4 den Regelungsgehalt aus Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG wieder. Hingegen finden sich zu den Nummern 5 und 6 keine europarechtlichen Vorbilder,[107] sodass die Frage aufzuwerfen ist, ob sie den Anforderungen des durch Art. 6 RL 2000/78/EG vermittelten Diskriminierungsschutzes gerecht werden. Diese Regelbeispiele können daher nur dann europarechtskonform sein, wenn sie den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL 2000/78/EG entsprechen. Am Beispiel des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG wird dieses Problem deutlich.

 

Nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG sind Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen zulässig, wenn die Betriebspartner eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben. Wie ausgeführt, betrifft § 10 AGG Fälle unmittelbarer Benachteiligungen, da für mittelbare Benachteiligungen § 3 Abs. 2 HS. 2 AGG auf Tatbestandsebene einen Rechtfertigungsgrund vorsieht. Insofern ist § 10 S. 3 Nr. 6 AGG fragwürdig, als darin auf die Betriebszugehörigkeit abgestellt wird, die als mittelbare Benachteiligungen wegen des Alters zu werten ist. Wie sich aus dem Wort „oder“ ergibt, ist eine Vereinbarung über die Höhe der Abfindung nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG auch dann zulässig, wenn sie ausschließlich am Merkmal der Betriebszugehörigkeit anknüpft. Dabei richtet sich die Rechtfertigung einer solchen Vereinbarung doch nach § 3 Abs. 2 AGG und stellt im Bejahensfall tatbestandlich gar keine mittelbare Benachteiligung mehr dar, die nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG für zulässig zu erachten wäre. Aufgrund der Verwendung des Wortes „oder“ fordert das Regelbeispiel also noch nicht einmal ein kumulatives Vorliegen mittelbarer und unmittelbarer Benachteilung. Verständlich und im Einklang mit der Regelungssystematik der §§ 3 Abs. 2 und 10 AGG wäre das Regelbeispiel daher nur dann, wenn nicht auf die Betriebszugehörigkeit, sondern ausschließlich auf das Lebensalter abgestellt oder zumindest eine Kumulation aus Betriebszugehörigkeit und Alter vorausgesetzt würde.[108] Dies ist, wie das Wort „oder“ zeigt, nicht der Fall.[109] Der Gesetzgeber wollte einzig dem Umstand Rechnung tragen, dass in der Praxis die Höhe von Sozialplanabfindungen in der Regel sowohl vom Lebens- als auch vom Dienstalter bzw. der Betriebszugehörigkeit abhängig gemacht wird.[110]

 

Denn im Mittelpunkt der Sozialplanverhandlungen stehen zweifelsohne die Abfindungszahlungen.[111] Nach § 112 Abs. 1 BetrVG haben Unternehmer und Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung eine Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen, einen Sozialplan, zu erzielen. Bei Abschluss dieses Sozialplans sind Arbeitgeber und Betriebsrat frei, darüber zu entscheiden, welche Nachteile, die der Verlust eines Arbeitsplatzes mit sich bringt, durch eine Abfindung ausgeglichen werden sollen.[112] Die Betriebsparteien haben bei ihrer gestaltenden Regelung einen weiten Ermessensspielraum.[113] Für die Höhe der einzelnen Abfindungen gibt es die verschiedensten Berechnungsmodelle.[114] Häufig steigen in Sozialplänen die Abfindungen mit zunehmendem Lebensalter zunächst an, um bei rentennahem Ausscheiden wieder zu sinken oder ganz wegzufallen.[115] In der Betriebspraxis hat sich die Berechnung nach einer Formel bewährt, die die Faktoren des Lebensalters, der Betriebszugehörigkeit und des Monatseinkommens berücksichtigt. Üblich ist, diese drei Elemente miteinander zu multiplizieren und durch einen Divisor zu teilen. Da dieser Divisor letztendlich die Höhe der Abfindung und damit die zusätzlichen Kosten der Betriebsänderung ausmacht, ist hier in der Praxis stets der schwierigste Punkt der Sozialplanverhandlungen erreicht.

 

Um in diesem Punkt auch weiterhin Rechtssicherheit zu haben, hat der Gesetzgeber bei § 10 S. 3 Nr. 6 AGG auf eine Kumulation mittelbarer und unmittelbarer Benachteiligung bewusst verzichtet.[116] Vorzugswürdig wäre es dennoch gewesen, hätte der Gesetzgeber anstelle des Wortes „oder“ das Wort „und“ gewählt.[117] § 10 S. 3 Nr. 6 AGG macht also die fehlende gesetzgeberische Abstimmung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung wegen des Alters deutlich.

 

§ 2


 

Die Europarechtswidrigkeit des § 10 AGG


 

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Erörterung der Frage, ob der deutsche Gesetzgeber das mit Art. 6 RL 2000/78/EG verfolgten Zweck, nämlich die Möglichkeit eines eingeschränkten Eingriffs in den Schutz vor Altersdiskriminierung, europarechtskonform in § 10 AGG umgesetzt hat. Diese Vorschrift erlaubt Ausnahmen vom Verbot der Altersdiskriminierung und greift damit zu Lasten des Arbeitnehmers in das durch § 1 AGG verbriefte Recht auf Gleichbehandlung ein. Zwar gestattet Art. 6 RL 2000/78/EG den Mitgliedstaaten, Ausnahmen vom Verbot der Altersdiskriminierung zuzulassen. Diese Ausnahmen des innerstaatlichen Rechts dürfen aber nicht über die von der Rahmenrichtlinie erlaubten Grenzen hinausgehen[118] und dazu führen, dass der Altersdiskriminierungsschutz leer läuft.[119] Die Richtlinienregelungen geben lediglich den Mindeststandard vor,[120] der von innerstaatlichen Regelungen zwar überschritten,[121] nicht jedoch unterschritten werden darf.[122] Außerdem stellt Art. 8 Abs. 1 RL 2000/78/EG klar, dass die Mitgliedstaaten lediglich Vorschriften einführen oder beibehalten können, die über das Schutzinteresse der Rahmenrichtlinie hinausgehen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine materielle Mindestanforderungsklausel.[123] In diesem Zusammenhang ist es jedoch äußerst zweifelhaft, ob Deutschland mit der derzeitigen Fassung des § 10 AGG seine Verpflichtung zur Umsetzung der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG in Bezug auf das Verbot der Altersdiskriminierung erfüllt.[124]

 

A. Problemstellung


 

Ausgehend davon, dass das AGG insbesondere auf der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG aufbaut, müsste § 10 AGG den...

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