45 Von der Grundlagenforschung zum klinischen Einsatz in Diagnostik und Therapie (S. 623-624)
Bereits 1968 stellte Chomsky fest: »Ein Problem der psychologischen Wissenschaften liegt im Grad der Vertrautheit der Phänomene, mit denen sie sich auseinandersetzen. Man benötigt ein gewisses Ausmaß intellektueller Anstrengung um zu erkennen, wie psychologische Phänomene sinnvoll untersucht werden können, wie die richtigen Fragen gestellt werden können, und wie daraus erklärende Theorien geformt werden können. Dabei neigen wir dazu, psychologische Phänomene als etwas Gegebenes, Notwendiges oder Natürliches hinzunehmen.« (Chomsky 1968). Die kognitiven Prozesse, die bei psychischen Störungen wie neurologischen Erkrankungen gestört sein können, gehören zu den von Chomsky beschriebenen psychologischen Phänomenen, die intellektuelle Anstrengung erfordern, um sie sinnvoll untersuchen zu können. Ohne jeden Zweifel hat hier gerade die Kombination von geeigneten Untersuchungsparadigmen mit den Möglichkeiten der funktionellen Bildgebung in den letzten Jahrzehnten den klinisch orientierten Neurowissenschaften zu einer »Erfolgsstory« ohne gleichen verholfen.
Die aktuelle Forschung in den Fächern Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie spiegelt den Wandel von einem deskriptiv-philosophischen zu einem quantitativ-naturwissenschaftlichen Ansatz wieder. Hierzu hat der enorme Fortschritt auf dem Gebiet der Neurowissenschaften entscheidend beigetragen. Je umfassender das Wissen über die Struktur und Funktion des Zentralnervensystems wird, desto leichter fällt es, entsprechende Dysfunktionen, wie sie bei neuropsychiatrischen Störungen vorliegen, vorherzusagen und erfolgreich zu behandeln.
Dabei haben sich die Methoden der molekularbiologischen und der funktionell-bildgebenden Neurowissenschaften rasant entwickelt. Auch wenn z.B. die Genetik mit Linkage-Stu dien unser Wissen entscheidend vorangebracht hat, so bleibt die Aufklärung der Pathophysiologie psychischer und vieler neurologischer Störungen – insbesondere im individuellen Fall – weiterhin schwierig bis unmöglich, da es sich in der Regel um komplexe Syndrome handelt, bei denen (oftmals) polygenetische und umweltbedingte Faktoren ineinander greifen.
Methodische Ansätze, die hier besonders Erfolg versprechend erscheinen, sind die neuropharmakologische fMRT und das Verknüpfen von genotypischen und phänotypischen Informationen mit funktioneller Bildgebung. Die neuropharmakologische fMRT ist ein zurzeit besonders aufregender Ansatz, um die modulierenden Effekte psychopharmakologisch aktiver Substanzen auf die neuralen Netzwerke, die kognitiven Funktionen zugrunde liegen, zu untersuchen. So gewonnene Daten ermöglichen es, neue Einblicke in die Dynamik pharmakologischer Prozesse, den spezifischen Einfluss von Neurotransmittern auf spezifische kognitive Prozesse, und neuerdings auch den Einfluss genetischer Variationen auf die neurophysiologischen Effekte von Pharmaka darzustellen.
45.1 Neurochemie von Hirnfunktionen: Untersuchung mittels fMRT
Der Ansatz, Effekte eines Pharmakons auf kognitive Prozesse im Vergleich zu einem Plazebo bei ein und derselben Versuchsperson mittels fMRT zu untersuchen, hat sich als besonders interessant erwiesen (Thiel et al. 2002, 2005, Stephenson et al. 2003). Pharmakaspezifische Effekte werden dadurch erfasst, dass die verumspezifische Modulation eines kognitiven Prozesses (im Vergleich zu einer adaquaten Kontrolle) mittels der BOLD-Signal-Veranderungen als Index der neuralen Mechanismen, die dieser kognitiven Funktion zugrunde liegen, bestimmt werden (im Vergleich zum Plazebo). Dieser Ansatz ist in 7 Kap. 10 und 42 ausfuhrlich erlautert. Allgemein betrachtet, erlaubt diese Technik neue Einblicke in die Rolle verschiedenster Neurotransmitter fur kognitive Prozesse (z. B. von Dopamin (Mattay et al. 2002), Azetylcholin (Thiel et al. 2005), GABAA (Northoff et al. 2002), etc.).
Gleichfalls wichtig ist die Tatsache, dass Pharmakon-Effekte auch an Patienten direkt untersucht werden konnen (z. B. bei Parkinson-Patienten oder wahrend der Erholung nach einem Schlaganfall) und dass dadurch neue Einblicke in gestorte Funktionen und deren therapeutische Beeinflussung gewonnen werden konnen: Exkurs Ein Beispiel hierfür sind Untersuchungen zu kognitiven Defiziten bei Parkinson-Patienten. Seit langem ist bekannt, dass eine Dysfunktion des dopaminergen Systems dem Morbus Parkinson zugrunde liegt.